Leitsatz (amtlich)
§ 131 AO ist im Umsatzsteuervergütungsrecht anwendbar.
Normenkette
AO § 131; UStG § 16; UStDB 1938 § 72 Abs. 2; UStDB 1951 § 76 Abs. 3
Tatbestand
Das Finanzamt hat vom Steuerpflichtigen nach § 72 Abs. 2 UStDB 1938 (jetzt § 76 Abs. 3 UStDB 1951) für das vierte Vierteljahr 1948, das Jahr 1949 und das erste Vierteljahr 1950 bereits ausgezahlte Ausfuhrhändlervergütungen (§ 16 Abs. 1 UStG) mit rechtskräftig gewordenem Rückforderungsbescheid vom 14. September 1950 zurückgefordert. Nach Zahlung eines Teilbetrages hat der Steuerpflichtige den Erlaß des noch rückständigen Betrages aus Billigkeitsgründen nach § 131 AO begehrt. Dieser Antrag ist abgelehnt worden. Der Bundesminister der Finanzen hat in seinem Bescheid vom 26. Juli 1956 ausgeführt, ein Verzicht auf die Rückforderung von Vergütungen könne nicht auf § 131 AO gestützt werden, da diese Vorschrift nur den Erlaß von Steuern im Billigkeitswege vorsähe. Rückforderungsansprüche nach § 72 Abs. 2 (§ 76 Abs. 3) UStDB seien aber keine Steueransprüche. Da § 131 AO nicht anwendbar sei, komme es auf die Entscheidung der Frage, ob die Verwirklichung des Rückforderungsanspruchs in voller Höhe unbillig sei, nicht an.
Die gegen diesen Bescheid im erweiterten Rechtsschutzverfahren nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (vgl. Gutachten des Großen Senats des Bundesfinanzhofs Gr. S. D 1/51 S vom 17. April 1951, BStBl 1951 III S. 107, Slg. Bd. 55 S. 277) eingelegte Berufung hatte Erfolg. Das Finanzgericht hat den § 131 AO sinngemäß auf den Streitfall angewendet und unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Sache an den Bundesminister der Finanzen zurückverwiesen, damit dieser prüfe, ob und in welchem Ausmaß bei sinngemäßer Anwendung des § 131 AO ein Billigkeitsverzicht auf den Rückforderungsanspruch ausgesprochen werden könne.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Bundesministers der Finanzen kann keinen Erfolg haben.
Der erkennende Senat hat in seinem Grundsatzurteil V 52/56 S vom 22. Januar 1960 (BStBl 1960 III S. 111, Slg. Bd. 70 S. 299) ausgeführt, daß Vergütungsansprüche nur eine Form der Regelung des Steueranspruchs sind. Es ist nichts Ungewöhnliches, daß aus einem Steuerrechtsverhältnis Ansprüche entspringen, bei denen der Steuerpflichtige der Gläubiger, der Staat der Schuldner ist. Es handelt sich dann um Erstattungsansprüche. Im Vergütungsrecht, in dem auf Grund von steuerrechtlich geregelten Tatbeständen Steuern vergütet werden, besteht lediglich die Besonderheit, daß der Erstattungsberechtigte zwar infolge der bei der Umsatzsteuer vorausgesetzten Überwälzung als Steuerträger belastet, aber ein anderer ist als der, der die Steuer gezahlt hat. Hieraus ergibt sich, daß die Rückforderung einer -- zu Unrecht -- gewährten Vergütung ihrem Wesen nach nichts anderes ist als die Wiedereinforderung einer vorher zu Unrecht vergüteten Steuer. Die Rechtslage ist demnach nicht anders zu beurteilen als bei Erstattungsansprüchen, denen auch der III. Senat des Bundesfinanzhofs (vgl. Urteil III 133/57 U vom 5. Dezember 1958, BStBl 1959 III S. 179, Slg. Bd. 68 S. 472) die Rechtsnatur eines Steueranspruchs zuerkannt hat. Der Senat ist deshalb der Auffassung, daß § 131 AO im Vergütungsrecht unmittelbar anwendbar ist.
Diese Auffassung steht nicht im Widerspruch mit der Entscheidung des erkennenden Senats V 83/56 S vom 11. Juli 1956 (BStBl 1956 III S. 259, Slg. Bd. 63 S. 164). In diesem Streitfalle war lediglich über die Verjährung des Rückforderungsanspruchs und seinen Entstehungszeitpunkt zu befinden. Das Umsatzsteuerrecht hat den Vergütungsanspruch sowie den Rückforderungsanspruch besonders ausgestaltet und hier nach Auffassung des Senats auf die Feststellung durch das Finanzamt abgestellt. Diese Entscheidung betraf demnach nur die förmliche Seite des Rückforderungsanspruchs, während es für die Anwendbarkeit des § 131 AO auf den materiellen Inhalt dieses Anspruchs ankommt.
Schließlich käme der Senat zu dem gleichen Ergebnis auf Grund der Überlegung, daß der dem § 131 AO innewohnende Rechtsgedanke für das gesamte Steuerrechtsgebiet Geltung beansprucht, nicht anders, als er dies in dem eingangs erwähnten Urteil V 52/56 S vom 22. Januar 1960 für den Rechtsgedanken des § 6 des Steueranpassungsgesetzes angenommen hat.
Die Rb., die u. a. ausführt, daß die Reichsfinanzverwaltung den § 131 AO im Vergütungsrecht angewendet habe, offenbar in der Erwägung, daß die Nichtanwendung dieser Vorschrift in manchen Fällen Härten mit sich bringen könne, räumt ein, daß auch jetzt ein Bedürfnis für die Anwendung des § 131 AO bestehe. Die Rb. führt weiter aus, die Anwendung des § 131 AO im Streitfalle führe dazu, diese Vorschrift auch bei der Gewährung der Ausfuhrvergütung selbst, also überhaupt für das Gebiet der Umsatzsteuervergütungen zu gestatten. Es sei deshalb zu befürchten, daß dies im Bereiche des Vergütungsrechts, das wegen seiner besonderen Eigenart in starkem Umfange formeller Vorschriften bedürfe, die Gefahr ungleichmäßiger Behandlung in höherem Maße in sich berge als in anderen Fällen, und daß diese Gefahr bei der Auszahlung von Geldbeträgen schwerwiegender sei als bei dem Verzicht auf Steuerforderungen.
Diese Befürchtung vermag der Senat nicht zu teilen. Soweit die Verwaltung den § 131 AO anwendet, hat sie es selbst in der Hand, eine ungleichmäßige Handhabung zu verhindern. Die bisherigen Urteile des erkennenden Senats, der in ständiger Rechtsprechung auf den materiellrechtlichen Charakter des Ausfuhr- und Buchnachweises hingewiesen und betont hat, daß es in erster Linie Sache des Antragstellers ist, sich um die Voraussetzungen des Vergütungsanspruchs wie jeder anderen Steuervergünstigung zu kümmern, bietet die Gewähr, daß ein Billigkeitsgrund, der zur Gewährung von Vergütungen führen könnte, nicht allein deshalb angenommen werden kann, weil etwa nur eine förmliche Voraussetzung nicht gegeben ist (vgl. z. B. Urteile des Bundesfinanzhofs V 24/53 U vom 25. September 1953, BStBl 1953 III S. 332, Slg. Bd. 58 S. 108, und V 26/56 U vom 27. Juni 1957, BStBl 1957 III S. 281, Slg. Bd. 65 S. 126).
Nach alledem war der Vorentscheidung im Ergebnis beizutreten und die Rb. des Bundesministers der Finanzen mit der Kostenfolge des § 309 AO als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
BStBl III 1961, 197 |
BFHE 1961, 542 |