Entscheidungsstichwort (Thema)

BFH-Beschluß vom 23. Februar 1979 VI B 160/78

 

Leitsatz (amtlich)

Die Deutsche Postgewerkschaft ist ihren Mitgliedern gegenüber jedenfalls insoweit zu geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Lohnsteuerfragen befugt, als diese mit dem Beschäftigungsverhältnis der Mitglieder in Zusammenhang stehen.

 

Normenkette

StBerG § 4 Nr. 7; FGO § 62 Abs. 2 S. 2

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer zu 1. ist Türke; er arbeitet seit 1967 in der Bundesrepublik Deutschland. Seine Familie wohnt in der Türkei. Der Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) lehnte die vom Beschwerdeführer zu 1. begehrte Berücksichtigung von Mehraufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung ab. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob der Beschwerdeführer zu 1. hiergegen Klage. Im Klageverfahren wurde der Beschwerdeführer zu 1. von den Gewerkschaftssekretären der Deutschen Postgewerkschaft A, B und C vertreten.

Das Finanzgericht (FG) wies durch Beschluß die Gewerkschaftssekretäre als Prozeßbevollmächtigte zurück. Es führte in der in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1978 S. 406 (EFG 1978, 406) veröffentlichten Entscheidung aus: Nach § 62 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) seien Bevollmächtigte und Beistände, die geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leisteten, ohne dazu nach den Vorschriften des Steuerberatungsgesetzes befugt zu sein, zurückzuweisen. Bei den Prozeßbevollmächtigten des Beschwerdeführers zu 1. handele es sich um solche Personen. Sollten sie selbständig tätig geworden sein, seien sie als Bevollmächtigte zurückzuweisen, weil sie selbst nicht befugt seien, Hilfe in Steuersachen zu leisten (§§ 3 und 4 des Steuerberatungsgesetzes - StBerG -). Auch als Angestellte der Deutschen Postgewerkschaft dürften die Gewerkschaftssekretäre nicht als Prozeßbevollmächtigte tätig werden, weil der Gewerkschaft ebenfalls die Befähigung fehle, ihre Mitglieder vor dem FG in Lohnsteuersachen zu vertreten. Die Gewerkschaft sei nicht befugt, gem. § 4 Nr. 7 StBerG Hilfe in Steuersachen zu leisten; denn die Hilfeleistung in Steuersachen gehöre nicht zu ihrem Aufgabenbereich. Dies ergebe sich aus § 4 Nr. 1 ihrer Satzung. Nach Buchst. g dieser Regelung gehöre u. a. zu ihren Aufgaben das Vertreten von Mitgliedern zur Wahrung individueller Rechte aus ihrem Beschäftigungsverhältnis sowie nach Buchst. i das Bereitstellen und Gewähren von Dienstleistungen an die Mitglieder im Rahmen der allgemeinen gewerkschaftlichen Betätigung. Einschlägig, so führte das FG aus, könne hier nur der Buchst. g sein. Die Vertretung in Lohnsteuersachen gehöre jedoch nicht zur Wahrung individueller Rechte aus dem Beschäftigungsverhältnis. Das Beschäftigungsverhältnis des Beschwerdeführers zu 1. bestehe nämlich zur Landespostdirektion Berlin. Um Rechte und Pflichten aus diesem Verhältnis gehe es im vorliegenden Steuerrechtsstreit aber nicht.

Gegen den Beschluß des FG haben der Beschwerdeführer zu 1. sowie die drei abgelehnten Gewerkschaftssekretäre (Beschwerdeführer zu 2.) Beschwerde eingelegt. Sie führen aus, die Deutsche Postgewerkschaft sei zur Hilfeleistung in Steuersachen befugt, weil sie eine Berufsvertretung i. S. von § 4 Nr. 7 StBerG sei. Sie leiste ihren Mitgliedern eine solche Hilfe auch im Rahmen ihres Aufgabenbereichs. Im Gegensatz zur Ansicht des FG sei hier § 4 Nr. 1 Buchst. i der Satzung der Deutschen Postgewerkschaft einschlägig. Daß die Deutsche Postgewerkschaft die Hilfe in Lohnsteuersachen zu den ihren Mitgliedern zu gewährenden allgemeinen Dienstleistungen zähle, folge auch aus § 19 Nr. 1 Buchst. b ihrer Satzung. Sei aber die Deutsche Postgewerkschaft nach § 4 Nr. 7 StBerG zur Hilfeleistung in Lohnsteuersachen befugt, so hätten die Beschwerdeführer zu 2. im finanzgerichtlichen Verfahren des Beschwerdeführers zu 1. als Bevollmächtigte der Gewerkschaft auftreten dürfen.

Die Beschwerdeführer beantragen, den Beschluß des FG aufzuheben.

Das FA stellte keinen Antrag.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Die angefochtene Entscheidung des FG ist keine prozeßleitende Verfügung i. S. von § 128 Abs. 2 FGO; sie ist deshalb mit der Beschwerde anfechtbar (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. März 1967 VI B 12/66, BFHE 88, 79, BStBl III 1967, 295). Das Beschwerderecht steht sowohl dem Kläger der Vorinstanz, dem Beschwerdeführer zu 1., als auch den zurückgewiesenen Bevollmächtigten, den Beschwerdeführern zu 2., zu (vgl. BFH-Beschluß VI B 12/66).

2. Die Beschwerde ist auch begründet.

Nach § 62 Abs. 2 Satz 2 FGO sind Bevollmächtigte und Beistände, die geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leisten, ohne dazu nach den Vorschriften des Steuerberatungsgesetzes befugt zu sein, zurückzuweisen. Die Deutsche Postgewerkschaft ist ihren Mitgliedern gegenüber zur Hilfe in Lohnsteuersachen berechtigt; diese Hilfeleistung darf sie durch die in ihrem Namen auftretenden Gewerkschaftssekretäre erbringen.

Nach § 4 Nr. 7 StBerG sind zu geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen u. a. befugt als Berufsvertretung oder auf ähnlicher Grundlage gebildete Vereinigungen, soweit sie im Rahmen ihres Aufgabenbereichs ihren Mitgliedern Hilfe in Steuersachen leisten. Das ist hier der Fall.

a) Die Deutsche Postgewerkschaft ist eine "Berufsvertretung oder auf ähnlicher Grundlage gebildete Vereinigung".

Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung, ob die Deutsche Postgewerkschaft eine "Berufsvertretung" ist. Daran könnte gezweifelt werden, weil sie die Interessen aller ihr angeschlossenen "Beschäftigten" der Deutschen Bundespost einschließlich der Landespostdirektion Berlin unabhängig davon vertritt, welchen Beruf - z. B. Beamter, Kraftfahrer, Schlosser, Elektriker usw. - sie ausüben. Die Deutsche Postgewerkschaft ist zumindest eine einer Berufsvertretung ähnliche Vereinigung i. S. von § 4 Nr. 7 StBerG. Denn sie ist, wie heute die meisten Gewerkschaften, die früher nach dem Prinzip eines Fach- oder Berufsverbandes organisiert waren, nach dem Prinzip eines Industrieverbandes organisiert (vgl. Meyers, Enzyklopädisches Lexikon, 10. Band, 1974, S. 297); sie nimmt die Interessen der ihr angeschlossenen Beschäftigten (Mitglieder) in vielen Bereichen in gleicher Weise wie ein "echter" Berufsverband wahr. Die Auffassung, daß die Deutsche Postgewerkschaft zumindest eine ähnliche Vereinigung i. S. von § 4 Nr. 7 StBerG ist, erscheint auch vertretbar, weil die Rechtsprechung § 107 a Abs. 2 Nr. 7 der Reichsabgabenordnung (AO), der - von geringen redaktionellen Änderungen abgesehen - § 4 Nr. 7 StBerG entspricht, stets extensiv ausgelegt hat (vgl. BFH-Urteile vom 27. Oktober 1955 II 160/53 U, BFHE 61, 475, BStBl III 1955, 382, vom 24. Juli 1973 VII R 58/72, BFHE 110, 7, BStBl II 1973, 743). Auch im Schrifttum wird die Auffassung geteilt, daß Gewerkschaften zu den in § 4 Nr. 7 StBerG genannten Vereinigungen gehören könnten (vgl. Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 80 AO 1977 Anm. 54; Mittelsteiner-Gehre, Handkommentar zum Steuerberatungsgesetz, 2. Aufl., zu § 4 Nr. 7; Kühn/Kutter, Abgabenordnung, 11. Aufl., § 107 a Anm. 3; Birkenfeld, Finanz-Rundschau 1972 S. 60 [62] - FR 1972, 60 [62] -).

b) Es gehört zum Aufgabenbereich der Deutschen Postgewerkschaft, ihre Mitglieder jedenfalls in einer Lohnsteuerfrage zu beraten, wie sie hier materiellrechtlich streitig ist.

aa) Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß der Rahmen des Aufgabenbereichs, in dem die Vereinigung für ihre Mitglieder tätig wird, in der Satzung der Vereinigung bestimmt sein müsse. Der BFH hat bereits im Urteil VII R 58/72 zu § 107 a Abs. 2 Nr. 7 AO ausgeführt, daß es nicht darauf ankomme, ob die steuerliche Beratung der Mitglieder ausdrücklich in der Satzung der Vereinigung verankert ist. Diese Auslegung ist auch für § 4 Nr. 7 StBerG zutreffend. Diese Vorschrift verlangt nur, daß die Hilfeleistung in (bestimmten) Steuersachen objektiv im Rahmen des Aufgabenbereichs der jeweiligen Vereinigung liegt und daß diese Hilfeleistung tatsächlich erfolgt. Es kommt also nicht darauf an, ob die steuerliche Beratung in der Satzung ausdrücklich vorgesehen ist (vgl. auch Söhn, a. a. O.; Klöcker/Mittelsteiner/Gehre, Handbuch der Steuerberatung, Gr 2, § 4, S. 4 unter 8.).

Der Senat geht davon aus, daß es im Aufgabenbereich der Deutschen Postgewerkschaft liegt, ihre Mitglieder zumindest in einer Lohnsteuerfrage, wie sie hier streitig ist, zu beraten. Denn die Deutsche Postgewerkschaft hat es sich zum Ziel gesetzt, die Interessen ihrer Mitglieder u. a. in wirtschaftlichen und sozialen Angelegenheiten zu vertreten (§ 3 Nr. 1 der Satzung). Nach § 4 Nr. 1 Buchst. i der Satzung gewährt die Deutsche Postgewerkschaft ihren Mitgliedern im Rahmen der allgemeinen gewerkschaftlichen Betätigung Dienstleistungen; schließlich gewährt sie Rechtsschutz nach den vom Hauptvorstand erlassenen Richtlinien zur Wahrung der Rechte u. a. aus der Lohnsteuergesetzgebung (§ 19 Nr. 1 Buchstabe b der Satzung).

Es bedarf für den Streitfall keiner Entscheidung, ob die Deutsche Postgewerkschaft in allen in Lohnsteuerverfahren auftretenden Steuerfragen beratend tätig werden darf. Dies könnte z. B. bezweifelt werden bei den Steuerfragen, die eindeutig private, vom Beschäftigungsverhältnis unabhängige Aufwendungen betreffen, z. B. Sonderausgaben (private Unfall- oder Krankenversicherung) oder außergewöhnliche Belastungen (Aussteuer oder Krankheitskosten). Jedenfalls beziehen sich alle Werbungskosten, wozu auch die hier materiellrechtlich streitige Frage der doppelten Haushaltsführung rechnet, schon begrifflich auf das Beschäftigungsverhältnis der Mitglieder der Deutschen Postgewerkschaft zur Landespostdirektion. Nach Auffassung des Senats gehört es deshalb mit zu den teils in der Satzung niedergelegten, teils aufgrund langjähriger Übung festzustellenden Aufgaben der Deutschen Postgewerkschaft, ihre Mitglieder in steuerrechtlichen Fragen zu beraten, die mit dem Beschäftigungsverhältnis in Zusammenhang stehen.

bb) Dem vorstehend wiedergegebenen Ergebnis entspricht die Rundverfügung der Oberfinanzdirektion (OFD) Frankfurt (Main) vom 16.Mai 1969 (AO-Kartei der OFD Frankfurt S 1144 AO, § 107 a, Karte 102). Danach haben die Obersten Finanzbehörden der Länder anerkannt, daß die Deutsche Postgewerkschaft die Voraussetzungen für eine Berufsvertretung oder auf ähnlicher Grundlage gebildete Vereinigung i. S. des § 107 a Abs. 2 Nr. 7 AO zur Lohnsteuerberatung erfüllt. Diese Rundverfügung beruht auf der Erkenntnis, daß die Deutsche Postgewerkschaft durch "Vertrauensleute den Gewerkschaftsmitgliedern zur unentgeltlichen Beratung in Lohnsteuerfragen zur Verfügung" steht. Auch daraus ergibt sich, daß die Deutsche Postgewerkschaft die Hilfeleistung bei Lohnsteuerfragen mit zu ihren Aufgaben zählt.

c) Daß im Streitfall Gewerkschaftssekretäre Hilfe in Steuersachen leisten, ist für die Entscheidung ohne Auswirkung. Denn nach der dem FG vorgelegten Vollmacht hat der Beschwerdeführer zu 1. die Deutsche Postgewerkschaft und damit zugleich die im einzelnen bezeichneten Gewerkschaftssekretäre als für sie handelnd bevollmächtigt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72899

BStBl II 1979, 341

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