Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Auch bei Gewerbetreibenden mit einem abweichenden Wirtschaftsjahr können Sonderausgaben nur in dem Kalenderjahr abgesetzt werden, in dem sie verausgabt worden sind.
§ 2 Abs. 6 EStG 1957 und Art. 2 Abs. 1 des änderungsgesetzes vom 18. Juli 1958 sind nicht deshalb verfassungswidrig, weil sie wirtschaftlichen Maßnahmen von Steuerpflichtigen nachträglich die Grundlage entzogen haben können.
Treten durch eine Gesetzesänderung unbillige Härten ein, so können die Verwaltungsbehörden Maßnahmen aus § 131 AO treffen. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.
AO § 131; Gesetz zur änderung steuerlicher Vorschriften auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Ertrag und des Verfahrensrechts vom 18. Juli 1958 Art. 2 Abs. 1; EStG 1957 § 2 Abs.
Normenkette
EStG § 2/6/2, § 11; AO § 131
Tatbestand
Der Bf. ist Gesellschafter einer OHG, die ein vom Kalenderjahr abweichendes Wirtschaftsjahr hat und regelmäßig zum 31. März jeden Jahres ihre Bücher abschließt.
Für das Kalenderjahr 1956 erklärte der Bf. einen Gewinn aus Gewerbebetrieb von 37.390 DM und Sonderausgaben von 5.345 DM, die mit 3.821 DM auf Versicherungsprämien und 1.524 DM auf Kirchensteuer entfielen. Das Finanzamt setzte bei der Einkommensteuerveranlagung 1956 nur einen Betrag von 5.292 DM als Gewinn aus Gewerbebetrieb an, der als Gewinnanteil des Bf. an der OHG gesondert festgestellt worden war. Die Abweichung zwischen der Steuererklärung und der Veranlagung hinsichtlich des Gewinns 1956 beruhte auf der übergangsregelung zu § 2 Abs. 6 EStG gemäß Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes zur änderung steuerlicher Vorschriften auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Ertrag und des Verfahrensrechts vom 18. Juli 1958 (BGBl 1958 I S. 473, BStBl 1958 I S. 412). § 2 Abs. 6 EStG war durch Art. 1 Ziff. 1 Buchst. b des Gesetzes zur änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 (BGBl 1957 I S. 848, BStBl 1957 I S. 352) geändert worden; die änderung gilt erstmals für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31. Dezember 1956 enden (ß 52 Abs. 2 EStG 1957). Gemäß der übergangsregelung im Art. 2 Abs. 1 a. a. O. wurde beim Bf. als Gewinn für 1956 nur der Anteil des Wirtschaftsjahrs 1955/56 angesetzt, der auf die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 1956 entfiel. Der Bf. beantragte, da der Gewinn des Wirtschaftsjahres nur mit 1/4 für 1956 angesetzt werde, auch die Sonderausgaben des Kalenderjahres 1956 nur zu 1/4 abzusetzen und den Rest auf 1957 zu übertragen. Das Finanzamt setzte von dem Gewinn von 5.292 DM die Sonderausgaben von 5.345 DM voll ab, so daß das Einkommen 1956 = 0 DM betrug. Die Sprungberufung, mit der der Bf. die Aufteilung der Sonderausgaben 1956 entsprechend seinem Antrag begehrte, wurde vom Finanzgericht mangels Beschwer rechtskräftig als unzulässig verworfen.
Nach der Rechtskraft der Veranlagung 1956 beantragte der Bf., gemäß § 94 Abs. 1 Ziff. 2 AO die Veranlagung zu seinen Ungunsten zu berichtigen, und dabei nur 1/4 der geltend gemachten Sonderausgaben (1.336 DM) abzusetzen. Das Finanzamt gab auf Anweisung der Oberfinanzdirektion dem Antrag statt und setzte die Einkommensteuer 1956 auf 128 DM fest, nachdem es weisungsgemäß den Vertreter des Bf. darüber belehrt hatte, daß die entsprechend dem Antrag vorgenommene Berichtigung der Veranlagung 1956 ihm nicht das Recht gebe, den Ansatz der restlichen 3/4 der Sonderausgaben 1956 bei der Veranlagung 1957 zu verlangen.
Bei der Veranlagung 1957 wurde der Gewinn aus Gewerbebetrieb mit 42.798 DM angesetzt; die im Jahre 1957 abzugsfähigen Sonderausgaben betrugen 4.097 DM. Der Bf. verlangte, bei der Veranlagung 1957 die folgenden Sonderausgaben zu berücksichtigen:
3/4 der im Kalenderjahr 1956 ausgegebenen Beträge (3/4 von 5.345 DM =) ------------ 4.008 DM 1/4 der im Kalenderjahr 1957 abzugsfähigen Beträge (1/4 von 4.097 DM =) ------------- 1.024 DM insgesamt -------------------------------- 5.032 DM.Das Finanzamt entsprach diesem Antrag nicht, sondern setzte den im Jahre 1957 abzugsfähigen Betrag von 4.097 DM ab. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Die Berufung wurde als unbegründet zurückgewiesen. Das Finanzgericht führte im wesentlichen aus: Art. 2 des erwähnten Gesetzes vom 18. Juli 1958 bedeute für Steuerpflichtige mit abweichendem Wirtschaftsjahr bei der Veranlagung 1956 eine echte Steuervergünstigung; denn die Regelung führe für den Bf. zu einer Verschiebung der Besteuerung der nach dem 31. März 1956 anfallenden Einkünfte aus Gewerbebetrieb um ein Jahr. Die Steuerersparnis sei so umfassend, daß die vom Bf. mit Hilfe der Sonderausgaben erstrebte Steuerersparnis ausgeglichen sei.
Die Ansicht des Bf., das Finanzamt müsse die Sonderausgaben anteilsmäßig auf die Veranlagungszeiträume 1956 und 1957 verteilen, sei nicht richtig; Sonderausgaben seien in dem Veranlagungszeitraum abzuziehen, in dem sie tatsächlich aufgewendet worden seien. Der Bf. habe durch die übergangsregelung des Art. 2 Abs. 1 a. a. O. keine steuerlichen Nachteile erlitten, sondern er habe dadurch nur Vorteile gehabt. Der Bf. könne auch nicht nach Treu und Glauben verlangen, daß er die Steuerermäßigung, auf die er 1956 Anspruch gehabt hatte, erst im folgenden Jahr geltend machen dürfe, weil im Jahr 1956 die Einkommensteuer auf Grund anderer steuerlicher Vergünstigungen 0 DM betragen habe. Unerheblich sei, daß der Bf. bei der Ausgabe der Beträge im Jahre 1956 von der später eingetretenen Neuregelung nichts habe wissen können. Das könnte nur bedeutsam sein, wenn der Bf. einen steuerlichen Nachteil erlitten haben würde; das sei aber nicht der Fall.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Sonderausgaben sind gemäß § 11 EStG vom Gesamtbetrag der Einkünfte in dem Kalenderjahr abzusetzen, in dem der Steuerpflichtige sie tatsächlich verausgabt. Die Frage, in welchem Veranlagungszeitraum Gewerbetreibende den für ein vom Kalenderjahr abweichendes Wirtschaftsjahr ermittelten Gewinn zu versteuern haben, spielt für die Frage, in welchem Kalenderjahr Sonderausgaben abzusetzen sind, keine Rolle. Unstreitig haben die Vorinstanzen die Sonderausgaben, die der Bf. im Jahre 1957 tatsächlich gemacht hat, auch im Rahmen des Höchstbetrages voll bei der Veranlagung 1957 berücksichtigt.
Das Verlangen des Bf., die Sonderausgaben der Jahre 1956/57 nach dem von ihm vorgeschlagenen Maßstab zu verteilen, ist mit der die Steuergerichte bindenden Regelung des § 11 EStG unvereinbar. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Behauptung des Bf. zutrifft, er sei, als er sich im Jahre 1956 entschloß, bestimmte Beträge auszugeben, davon ausgegangen, daß er um diese Beträge sein Einkommen 1956 mindern könne und daß er anders disponiert haben würde, wenn er vorausgesehen hätte, daß das für 1956 zu versteuernde Einkommen infolge der übergangsregelung zu § 2 Abs. 6 EStG wesentlich kleiner sein würde. Auch wenn man diese Behauptung des Bf. als richtig unterstellt, ist sie auf das sachliche Ergebnis ohne Einfluß. Die Behauptung geht inhaltlich dahin, daß durch die änderung des Steuergesetzes seinen bürgerlich-rechtlichen Dispositionen nachträglich die Grundlage entzogen worden sei oder daß er die mit seiner Maßnahme erstrebten steuerlichen Wirkungen nicht erreicht habe. Solche Auswirkungen machen aber die änderung eines Steuergesetzes nicht verfassungsrechtlich unzulässig, wie der Senat in der Entscheidung VI 176/59 U vom 12. Februar 1960 (BStBl 1960 III S. 174, Slg. Bd. 70 S. 464) bereits ausgeführt hat. Die Steuerpflichtigen haben kein verfassungsrechtlich garantiertes Recht darauf, daß ein Steuergesetz, von dem sie als Grundlage für ihre bürgerlich-rechtlichen Maßnahmen ausgegangen sind, unverändert bestehen bleibt, bis diese Maßnahmen abgewickelt sind. Gegen die Rechtsgültigkeit des § 2 Abs. 6 EStG 1957 und die übergangsregelung des Art. 2 Abs. 1 a. a. O. bestehen also keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Der Steuergesetzgeber ist auch nicht, wie der Bf. anzunehmen scheint, verpflichtet, Steuerpflichtigen, denen durch eine von ihnen nicht erwartete änderung eines Steuergesetzes Nachteile entstehen , einen Härteausgleich zu gewähren. Unbillige Härten im Einzelfall können die Verwaltungsbehörden auf Grund der allgemeinen Ermächtigung des § 131 AO durch geeignete Maßnahmen ausgleichen. Ob Härten vorliegen, die unter Berücksichtigung aller Umstände einen Ausgleich gebieten, ist im Einzelfall festzustellen. Im Streitfall kann das Begehren des Bf., die nicht verbrauchten Sonderausgaben 1956 auf 1957 zu übertragen, als ein im Rahmen von § 131 AO gestellter Billigkeitsantrag angesehen werden. Wie die Einspruchs- und Berufungsentscheidung erkennen lassen, haben die Vorinstanzen das Vorbringen des Bf. auch unter diesem Gesichtspunkt gewürdigt; sie haben aber keinen Anlaß zu einer Billigkeitsmaßnahme gesehen, weil der Bf. durch die änderung der Rechtslage, die ihm einen unerwarteten Nachteil brachte, gleichzeitig einen erheblichen Vorteil erzielte. Diese Entscheidung der Vorbehörden hält sich im Rahmen von Recht und Billigkeit. Mit Recht führt der Bf. zwar aus, daß die Gesetzesänderung ihn nicht davon befreit habe, den auf die Zeit vom 1. April bis 31. Dezember 1956 entfallenden Gewinn zu versteuern. Es ist vielmehr tatsächlich nur eine zeitliche Verschiebung eingetreten, weil der Gewinn aus der Zeit vom 1. April bis 31. Dezember 1956 zusammen mit dem Gewinn aus der Zeit vom 1. Januar bis 31. März 1957 der Veranlagung 1957 zugrunde gelegt wurde. Der Bf. beachtet aber nicht ausreichend, daß ihm doch insofern ein nachhaltiger Vorteil entstanden ist, als auch die Gewinne der folgenden Jahre, die jeweils auf die Zeit vom 1. April bis 31. Dezember entfallen, erst im folgenden Jahr zur Versteuerung kommen.
Der weitere Einwand des Bf., daß ihm bei einer erneuten änderung der Gesetzgebung der erlangte Vorteil möglicherweise wieder genommen werde, ist so fernliegend, daß er deswegen jetzt keine Billigkeitsmaßnahmen beanspruchen kann; dazu ist Gelegenheit, wenn eine spätere änderung dem Bf. wirklich einen unbilligen Nachteil bringen sollte (siehe auch Urteile des Bundesfinanzhofs I 232/59 S vom 15. November 1960, BStBl 1961 III S. 23; I 131/60 U vom 15. November 1960, BStBl 1961 III S. 25).
Fundstellen
Haufe-Index 409998 |
BStBl III 1961, 190 |
BFHE 1961, 521 |
BFHE 72, 521 |