Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendige Beiladung bei vollbeendigter Personengesellschaft; unter der Geltung der alten AO keine "Feststellungsverjährung"
Leitsatz (NV)
1. Beantragt ein Gesellschafter einer vollbeendigten Personengesellschaft Aufhebung eines Gewinnfeststellungsbescheides, sind alle anderen früheren Gesellschafter notwendig beizuladen.
2. Unter der Geltung der Reichsabgabenordnung konnte eine einheitliche Gewinnfeststellung auch dann noch durchgeführt werden, wenn einzelne von ihr abhängige Steuerforderungen bereits verjährt waren.
Normenkette
FGO § 60 Abs. 3; AO § 143
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war Kommanditist der im Handelsregister eingetragenen ... GmbH & Co. KG i. L. (KG). Zweck dieser 1966 gegründeten Gesellschaft war es, das Bauvorhaben "S" zu errichten und zu verwalten. Nachdem mit dem Bau im Jahre 1969 begonnen worden war, geriet die Gesellschaft 1974 in Liquiditätsschwierigkeiten. Im April 1974 wurde der Antrag auf Konkurseröffnung gestellt, im Mai 1974 das Konkursverfahren eröffnet.
Am 7. Dezember 1982 erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) einen Feststellungsbescheid für das Jahr 1974, mit dem er die gewerblichen Einkünfte auf X DM schätzte, von einer Aufteilung des Gewinns auf die rd. 1 000 Kommanditisten jedoch absah. Der Bescheid war an den Notliquidator der Komplementär-GmbH gerichtet. Dieser legte Einspruch ein und gab zur Begründung des Einspruchs die Feststellungs erklärung für 1974 ab, die das FA dem geänderten Feststellungsbescheid 1974 zugrunde legte. Der geänderte Feststellungsbescheid 1974 erging am 25. August 1983 und wurde dem Notliquidator bekanntgegeben. Er wies einen Gewinn in Höhe von rd. ... Mio DM aus und enthielt wegen der nunmehr vorgenommenen Gewinnverteilung nach Angaben des FA ... Anlagen ESt 1, 2, 3 B, und zwar eine für jeden Gesellschafter. Zugleich versandte das FA entsprechende ESt 4 B-Mitteilungen an die Wohnsitzfinanzämter der Kommanditisten. Unter dem Datum vom 17. Juli 1984 gab das FA den Gewinnfeststellungsbescheid zusätzlich den einzelnen Kommanditisten bekannt. Auf den Kläger entfiel ein laufender Gewinn in Höhe von Y DM.
Der Kläger legte gegen den Feststellungsbescheid Einspruch ein und machte inbesondere geltend, daß Verjährung eingetreten sei. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.
Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des FA, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird. Außerdem wird das Vorliegen eines Verfahrensmangels (Unterlassen der notwendigen Beiladung der anderen Gesellschafter) geltend gemacht.
Das FA beantragt, das finanzgerichtliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, sie als unbegründet zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig und begründet.
1. Die Revision ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht etwa deshalb unzulässig geworden, weil das FA den angefochtenen Feststellungsbescheid aufgehoben hätte.
Das FA richtete an den Kläger, der nach Ergehen des FG-Urteils einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt hatte, unter dem Datum vom 22. November 1994 ein Schreiben folgenden Inhalts:
"Aufgrund Ihres Schreibens vom 24. September 1994 ist dem FA Z (Wohnsitzfinanzamt) mitgeteilt worden, daß wegen des Urteils des Finanzgerichts Berlin vom 13. Juli 1994 der Gewinnfeststellungsbescheid 1994 vorerst aufgehoben wird.
Damit entfällt die Grundlage für den o. g. Antrag" (Aussetzung der Vollziehung).
Dieses Schreiben kann nicht als Aufhebungsbescheid (§ 172 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung -- AO 1977 --) verstanden werden. Sein Regelungsgehalt geht lediglich dahin, daß ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt wird. Soweit es sich mit der Aufhebung des Gewinnfeststellungsbescheids befaßt, handelt es sich um die Wiedergabe des Inhalts eines an ein anderes FA gerichteten Schreibens und mithin nicht um einen Verwaltungsakt. Daß die Gewinnfeststellung nicht aufgehoben werden sollte, folgt zudem aus dem Wort "vorerst". Der Verfasser des Schreibens war offenbar der (gemäß §§ 115 Abs. 4, 110 FGO unzutreffenden) Meinung, das nicht rechtskräftige FG-Urteil führe zu einer vorläufigen Aufhebung des angefochtenen Bescheids, weswegen sich die Aussetzung der Vollziehung erübrige.
2. Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Das FG hat die übrigen Gesellschafter der ... GmbH & Co. KG nicht zum Verfahren beigeladen. Ist im finanzgerichtlichen Verfahren eine notwendige Beiladung unterblieben, so stellt das als Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens einen wesentlichen, auch ohne Rüge im Revisionsverfahren zu prüfenden Mangel des Verfahrens dar, der zur Zurückverweisung (ohne Sachprüfung) führt (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 60 FGO Tz. 18; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 60 Rdnr. 73, mit Hinweisen auf die höchstrichterliche Rechtsprechung). Ein derartiger Verfahrensfehler liegt im Streitfall vor.
Die Gesellschaft war bereits vor Klageerhebung vollbeendigt. Nach den unbestrittenen Angaben des FA ist das Konkursverfahren über das Vermögen der ... GmbH & Co. KG im Mai 1974 eröffnet worden und hat mit der Versteigerung des Objekts "S" am 29. September 1974 seinen Abschluß gefunden. Davon ist auch das FG ausgegangen, indem es den Kläger für klagebefugt gehalten hat, ohne daß die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Nr. 1 und 2 FGO vorgelegen hätten. Demzufolge mußten alle Gesellschafter notwendig beigeladen werden (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 24. November 1988 VIII B 90/87, BFHE 155, 32, BStBl II 1989, 145).
Allerdings hat das FA dem FG auf Anfrage in seinem Schriftsatz vom 3. Februar 1993 mitgeteilt, daß es die Beiladung der anderen rd. 1 000 Kommanditisten für entbehrlich halte. Weder diese Äußerung noch die große Zahl der Kommanditisten entband das FG jedoch davon, das gesetzlich vorgesehene Verfahren, das mit Wirkung ab dem 1. Januar 1993 in § 60 a FGO geregelt ist, einzuhalten.
Der Verzicht eines Verfahrensbeteiligten auf die notwendige Beiladung ist unbeachtlich (BFH-Beschluß vom 29. Oktober 1990 IX B 37/90, BFH/NV 1991, 332, m. w. N.; Tipke/Kruse, a.a.O., § 60 FGO Tz. 5). Wegen ihrer Zugehörigkeit zur Grundordnung des Verfahrens steht die notwendige Beiladung nicht zur Disposition der Beteiligten, die möglicherweise andere Interessen als die Beizuladenden haben.
Der Umstand, daß die große Zahl der notwendig Beizuladenden wegen der faktischen Unmöglichkeit, sie alle ausfindig zu machen, zu einer Rechtsverweigerung führen könnte, hat zu Überlegungen geführt, ob nicht in solchen Fällen auf die an sich notwendigen Beiladungen verzichtet werden könne (BFH-Entscheidungen vom 15. Januar 1987 IV B 95/86, BFH/NV 1987, 659; vom 19. Juni 1990 VIII B 3/89, BFHE 161, 404, BStBl II 1990, 1068).
Mit Wirkung ab dem 1. Januar 1993 hat der Gesetzgeber Fälle, in denen die Beiladung von mehr als 50 Personen in Betracht kommt, in § 60 a FGO geregelt. Danach kann das Gericht durch Beschluß anordnen, daß nur solche Personen beigeladen werden, die dies innerhalb einer bestimmten Frist beantragen. Dieser Beschluß ist im Bundesanzeiger und in den in Betracht kommenden Tageszeitungen zu veröffentlichen. Die mündliche Verhandlung, aufgrund der das vorinstanzliche Urteil erging, fand im Juli 1994 statt. Demzufolge war die Vorschrift des § 60 a FGO zu beachten.
Die Beiladung konnte auch nicht mit der Begründung, daß die anderen Gesellschafter von dem Verfahren unter keinem denkbaren Gesichtspunkt steuerlich betroffen seien, unterbleiben (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 22. Mai 1990 VIII R 120/86, BFHE 160, 558, BStBl II 1990, 780). Der Klageantrag war auf Aufhebung des Feststellungsbescheids 1984 als solchen gerichtet. Die über ihn getroffene Entscheidung berührte mithin die Interessen aller früheren Gesellschafter.
3. Der Senat ist gehindert, in der Sache selbst zu entscheiden, weist jedoch zur Vermeidung weiterer Streitigkeiten ohne Bindungswirkung gemäß § 126 Abs. 5 FGO auf folgendes hin:
Nach Art. 97 § 10 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) gelten die Vorschriften der AO 1977 über die Festsetzungsverjährung erstmalig für Steuern, die nach dem 31. Dezember 1976 entstanden sind. Demgemäß galten im Streitfall die Verjährungsvorschriften der Reichsabgabenordnung (AO). Nach damaligem Recht war die einheitliche Gewinnfeststellung -- ebenso wie die Einheitsbewertung -- nicht selbständig verjährbar. Die Feststellungen waren aber nur solange zulässig, als noch nicht alle von ihnen abhängigen Steuern verjährt waren (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs -- RFH -- vom 20. Oktober 1937 VI 341/37, RStBl 1937, 1209; ebenso zur Einheitsbewertung: BFH-Urteile vom 25. August 1961 III 90/60 S, BFHE 73, 635, BStBl III 1961, 498; vom 31. Oktober 1969 III R 73/69, BFHE 97, 499, BStBl II 1970, 173; Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung, § 143 A.2, § 222 A.21).
Diese Rechtsprechung ist durch das -- die Regelung des § 181 Abs. 5 AO 1977 betreffende -- Senatsurteil vom 10. Dezember 1992 IV R 118/90 (BFHE 170, 336, BStBl II 1994, 381) nicht korrigiert worden. Nach der AO wurde -- im Gegensatz zur AO 1977 -- nicht zwischen Festsetzungs- und Zahlungsverjährung unterschieden. Es verjährten nur die "Ansprüche des Abgabenberechtigten" (§ 143 AO). Verwaltungsakte, die -- wie die Gewinnfeststellungsbescheide -- kein Zahlungsgebot enthielten, konnten daher im Prinzip unbegrenzt ergehen. Nach der Verjährungssystematik der AO 1977 ist das grundlegend anders. Deshalb gelten auch für Gewinnfeststellungsbescheide die Fristen, innerhalb derer Steuerbescheide ergehen oder geändert werden können. § 181 Abs. 5 AO 1977 macht hiervon die Ausnahme, daß ein Gewinnfeststellungsbescheid insoweit noch ergehen kann, als er für eine unverjährte Steuerfestsetzung von Bedeutung ist. Auf diesen Ausnahmecharakter des § 181 Abs. 5 AO 1977 beruft sich die enge Auslegung im Senatsurteil in BFHE 170, 336, BStBl II 1994, 381.
Demgegenüber stellte es nach der Systematik der AO die Ausnahme dar, daß die an sich unverjährbare Gewinnfeststellung wegen Zeitablaufs nicht mehr durchgeführt werden durfte. Tragender Gesichtspunkt war, daß an der Feststellung nach Ver jährung aller von ihr abhängigen Abgabenansprüche kein Interesse mehr bestand. Demgemäß wurde z. B. die Änderung eines Gewinnfeststellungsbescheids auch dann noch für zulässig gehalten, wenn zwar alle von ihr abhängigen Steuern verjährt waren, sie aber zu einem Erstattungsanspruch führte (Tipke/Kruse, a.a.O., § 143 A.2 unter Hinweis auf RFH-Urteil vom 25. April 1940 III 106/38, RStBl 1940, 531).
Aus dem Vorstehenden folgt, daß derjenige, der sich auf die Unzulässigkeit der Feststellung beruft, die Beweislast dafür trägt, daß bei Erlaß des Feststellungsbescheids alle von ihr abhängigen Steueransprüche verjährt sind. Diejenigen Feststellungsbeteiligten, bei denen im Zeitpunkt der Gewinnfeststellung Verjährung des Steueranspruchs eingetreten war, erleiden hieraus keinen Nachteil. Die vom Kläger angeführten Unzuträglichkeiten können nicht eintreten, weil im Konflikt zwischen der Anpassungspflicht nach § 175 Abs. 1 AO 1977 und den Vorschriften über die Verjährung letztere vorgehen, soweit Steuern betroffen sind, die vor dem 1. Januar 1977 entstanden sind. Denn die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 10 AO 1977 gilt erst für später entstandene Steuern (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 218 A.3 a. E.). Demzufolge können Einkommensteuerforderungen, die bei Erlaß des Gewinnfeststellungsbescheids verjährt waren, nicht gemäß § 175 Abs. 1 AO 1977 erhöht werden.
Daher kommt es nicht darauf an, ob gerade der Anspruch des Fiskus gegen den Kläger selbst wegen Einkommensteuer 1974 verjährt war, bevor der streitige Feststellungsbescheid erlassen wurde.
Sofern das FG im zweiten Rechtszug zu dem Ergebnis gelangt, daß dem Erlaß des streitigen Feststellungsbescheids nicht bereits der Ablauf der Verjährung aller auf ihm basierenden Steueransprüche entgegenstand, wird es Feststellungen dazu treffen müssen, ob der Bescheid zutreffend adressiert und bekanntgegeben wurde. Dabei wird zu beachten sein, daß ein Feststellungsbescheid, der (irrtümlich) nicht an alle Adressaten gerichtet ist oder der Fälle zwischenzeitlich eingetretener Rechtsnachfolge nicht berücksichtigt, nicht insgesamt nichtig und unwirksam ist (BFH-Urteile vom 7. April 1987 VIII R 259/84, BFHE 150, 331, BStBl II 1987, 766; vom 25. November 1987 II R 227/84, BFHE 152, 10, BStBl II 1988, 410; vom 23. Juni 1988 IV R 33/86, BFHE 154, 203, BStBl II 1988, 979, und vom 16. März 1993 XI R 42/90, BFH/NV 1994, 75; vgl. ferner Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 8. April 1991 IV A 5 -- S 0284 -- 1/91, BStBl I 1991, 398, 405 unter 2.5.1); gegenüber denjenigen, an die der Bescheid gerichtet ist, entfaltet er Wirksamkeit. Auch Mängel der Bekanntgabe führen nicht zur Nichtigkeit des Bescheids (BFH-Urteile in BFHE 152, 10, BStBl II 1988, 410, und vom 20. Juni 1989 VIII R 366/83, BFH/NV 1990, 208).
Fundstellen
Haufe-Index 421864 |
BFH/NV 1997, 331 |