Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisionsantrag; Fortsetzungsfeststellungsklage; keine ausreichenden Feststellungen im FG-Urteil
Leitsatz (NV)
- Der Revisionsantrag ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend bestimmt gestellt, wenn sich aus den innerhalb der Revisionsbegründungsfrist abgegebenen Erklärungen eindeutig entnehmen läßt, inwieweit sich der Revisionskläger durch das angefochtene Urteil beschwert fühlt und inwieweit er dessen Aufhebung oder Änderung erstrebt.
- Der Übergang von der Anfechtungsklage zur Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch noch in der Revisionsinstanz statthaft.
- Enthält das FG-Urteil keine ausreichenden Feststellungen, liegt ein materiell-rechtlicher Fehler in der Urteilsfindung vor, der zur Zurückverweisung der Sache an das FG führt.
Normenkette
FGO § 100 Abs. 1 S. 4, § 118 Abs. 2, § 120 Abs. 2 S. 2
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) beherbergte Asylbewerber, Flüchtlinge und Obdachlose, indem sie ihnen sowohl in angemieteten als auch in eigenen möblierten Wohnungen Wohn- und Schlafplätze überließ. Die aufgenommenen Personen verfügten über sog. Kostenübernahmescheine der Sozialbehörden des Landes … In diesen Dokumenten bestätigte die Sozialbehörde, für die Kosten der Unterbringung von täglich 25 bis 40,25 DM aufzukommen. Die Bescheinigungen wurden für unterschiedliche Zeiträume erteilt (z.B. jeweils für 30 Tage oder insgesamt "für die Dauer der Duldung").
Nachdem die Klägerin die Beherbergungsumsätze in ihren Umsatzsteuer-Erklärungen zunächst als steuerpflichtig behandelt hatte, änderte sie ihre Auffassung und deklarierte sie ab dem Umsatzsteuer-Voranmeldungszeitraum März 1995 als steuerfrei. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) sah die Unterbringungsmaßnahmen im Anschluß an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung als steuerpflichtige Umsätze an, weil die Klägerin die vermieteten Wohn- und Bettplätze i.S. von § 4 Nr. 12 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (künftig: UStG) "zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden" bereitgehalten habe. Der Einspruch der Klägerin gegen den vom FA wegen einer Vorsteuerkürzung geänderten Umsatzsteuerbescheid für 1993 und den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für April 1995 sowie den Umsatzsteuer-Sondervorauszahlungsbescheid für 1996 blieb ebenso wie die anschließende Klage erfolglos. Während des Klageverfahrens erließ das FA am 16. Mai 1997 einen ersten Jahressteuerbescheid für 1995, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erging (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung ―AO 1977―) und gegen den die Klägerin Einspruch einlegte. Dieser Bescheid wurde am 10. Juli 1997 durch einen Änderungsbescheid ersetzt. Über den Einspruch der Klägerin gegen den Jahressteuerbescheid für 1995 ist noch nicht entschieden.
Das Finanzgericht (FG) begründete die Klageabweisung u.a. damit, daß keine Vermietung eines Grundstücks oder Grundstücksteils i.S. von § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG vorliege, weil den Flüchtlingen und Asylbewerbern lediglich Schlafplätze überlassen würden. Es fehle an der Überlassung einer bestimmten Fläche innerhalb eines Gebäudes zur ausschließlichen Nutzung durch einen bestimmten Mieter, weil jeder Raum von den dort untergebrachten Personen gemeinsam genutzt werde.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das FG habe u.a. nicht untersucht, in welchem Umfang Asylbewerber und in welchem Umfang andere Personengruppen von der Klägerin untergebracht worden und wie lange diese Personen jeweils in den gemieteten Räumen verblieben seien. Das Urteil beruhe auf mangelnder Sachaufklärung, da bei einer Feststellung der tatsächlichen Umstände der Beherbergungen von längerfristigen und damit umsatzsteuerfreien Vermietungen auszugehen sei. In materiell-rechtlicher Hinsicht rügt die Klägerin, das FG sei von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) abgewichen, wonach bei einer Wohnraumüberlassung für einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten nicht mehr von einer bloß "kurzfristigen" Beherbergung gesprochen werden könne (Hinweis auf das BFH-Urteil vom 27. Oktober 1993 XI R 69/90, BFH/NV 1994, 744). Ferner könnten die zur Beherbergung von Asylbewerbern aufgestellten Rechtsprechungsgrundsätze nicht ohne weiteres auch auf die Unterbringung anderer Personengruppen wie z.B. Obdachlose oder Sozialhilfeempfänger übertragen werden, die sich in aller Regel wesentlich länger als Asylbewerber in den ihnen überlassenen Unterkünften aufhielten.
Die Klägerin hat innerhalb der Revisionsbegründungsfrist (§ 120 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) keinen förmlichen Revisionsantrag gestellt.
Sie beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Umsatzsteuer für 1993 und die Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung für 1996 anderweitig auf 0 DM festzusetzen sowie festzustellen, daß der Bescheid über die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für April 1995 vom 26. Juni 1996 rechtswidrig war.
Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen. Ferner hat es den Rechtsstreit in bezug auf den Vorauszahlungsbescheid für in der Hauptsache erledigt erklärt.
Entscheidungsgründe
II. 1. Die Revision ist zulässig.
Nach § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO muß die Revision oder Revisionsbegründung einen bestimmten Antrag enthalten. Entgegen der Ansicht des FA genügt die Revisionsbegründungsschrift der Klägerin noch diesen Anforderungen. Der Revisionsantrag ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend bestimmt gestellt, wenn sich aus den innerhalb der Revisionsbegründungsfrist abgegebenen Erklärungen eindeutig entnehmen läßt, inwieweit sich der Revisionskläger durch das angefochtene Urteil beschwert fühlt und inwieweit er dessen Aufhebung oder Änderung erstrebt (vgl. BFH-Urteil vom 11. November 1983 III R 25/77, BFHE 140, 289, BStBl II 1984, 187, m.w.N.; s.a. Tipke/Kruse, Abgabenordnung/ Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 120 FGO Rz. 51, m.w.N.). Das von der Klägerin verfolgte einheitliche Ziel der Nichtbesteuerung ihrer gesamten Umsätze ergibt sich nicht zuletzt aus dem letzten Satz der Revisionsbegründungsschrift.
Der in bezug auf den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für April 1995 von der Klägerin später erklärte Übergang von der Anfechtungsklage i.S. von § 40 Abs. 1 FGO zu einer Fortsetzungsfeststellungsklage i.S. von § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO ist auch noch in der Revisionsinstanz statthaft (vgl. BFH-Urteil vom 16. April 1986 I R 32/84, BFHE 147, 14, BStBl II 1986, 736; BFH-Beschluß vom 4. Februar 1988 V R 57/83, BFHE 152, 217, BStBl II 1988, 413, m.w.N.; Tipke/Kruse, a.a.O., § 100 FGO Rz. 53, m.w.N).
2. Die Revision ist nur teilweise begründet.
a) Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für April 1995
Die Revision ist in bezug auf den o.g. Bescheid unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
Die von der Klägerin erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage i.S. von § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO ist unzulässig, weil die Klägerin kein rechtliches, wirtschaftliches oder ideelles Interesse an der isolierten Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vorauszahlungsbescheids dargelegt hat und ein solches auch sonst bei Berücksichtigung aller sich aus den Akten ergebender Umstände des Sachverhalts nicht erkennbar ist (vgl. dazu allgemein BFH-Urteil vom 1. Oktober 1992 V R 81/89, BFHE 169, 117, BStBl II 1993, 120; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 100 Rz. 60 ff., m.w.N.). Die zwischen den Beteiligten streitige Frage der Umsatzsteuerpflicht in bezug auf die Beherbergungsleistungen der Klägerin wird ohnehin im Rahmen des anhängigen finanzgerichtlichen Verfahrens über die Rechtmäßigkeit des Jahressteuerbescheids für 1993 zu beantworten sein.
b) Umsatzsteuerbescheid für 1993 und Bescheid über die Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung für 1996
Die Revision ist insoweit begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Die Vorentscheidung enthält in tatsächlicher Hinsicht keine ausreichenden Feststellungen i.S. des § 118 Abs. 2 FGO, die eine revisionsgerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide ermöglichen. Es fehlen sowohl Feststellungen zur materiell-rechtlichen Steuerpflicht der Leistungen der Klägerin als auch Feststellungen zu den Voraussetzungen der Festsetzung einer Sondervorauszahlung für 1996 i.S. von § 47, § 48 Abs. 3 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1993 (z.B. zu den in 1995 festgesetzten Vorauszahlungen als maßgeblicher Bemessungsgrundlage).
Das FG hat in dem angefochtenen Urteil ausgeführt, die Überlassung der Wohn- und Schlafplätze durch die Klägerin sei keine "Vermietung eines Grundstücks oder Grundstücksteils" i.S. des § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG, ohne die hierfür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen getroffen zu haben. Es hat ferner nicht geprüft, welche andere (steuerpflichtige) Leistung die Klägerin gegenüber wem erbracht haben könnte. Tatsächliche Feststellungen hierzu sind nicht getroffen. Dies ist ein materiell-rechtlicher Fehler in der Urteilsfindung, der für sich genommen zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG führt (vgl. BFH-Urteil vom 28. Januar 1987 I R 85/80, BFHE 150, 120, BStBl II 1987, 616, unter II. B. 1., m.w.N.; Tipke/Kruse, a.a.O., § 126 FGO Rz. 20). In die gleiche Richtung zielen auch die Verfahrensrügen der Klägerin, auf die es danach nicht mehr ankommt.
Bei der erneuten Entscheidung des Rechtsstreits wird das FG die im Senatsurteil vom 6. August 1998 V R 26/98 (BFH/NV 1999, 84) dargelegten Grundsätze zu beachten haben.
Fundstellen
Haufe-Index 302316 |
BFH/NV 1999, 1344 |
HFR 1999, 811 |