Entscheidungsstichwort (Thema)
Festsetzungsverjährung bei zusammen zu veranlagenden Ehegatten
Leitsatz (amtlich)
Auch im Falle der Zusammenveranlagung von Ehegatten zur Einkommensteuer ist die Frage, ob Festsetzungsverjährung eingetreten ist, für jeden Ehegatten gesondert zu prüfen.
Normenkette
AO 1977 § 44 Abs. 2, § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 171 Abs. 4 S. 1; EStG § 26b
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wurde für das Streitjahr 1991 zusammen mit ihrem Ehemann zur Einkommensteuer veranlagt. Der Ehemann der Klägerin (E) hatte ab dem 1. Januar 1989 sein bis dahin betriebenes Einzelunternehmen als Ganzes im Wege der Betriebsaufspaltung an die neu gegründete N-GmbH vermietet. Das Stammkapital der N-GmbH betrug 50 000 DM. Ihr alleiniger Gesellschafter war E.
Ihre Einkommensteuererklärung für 1991 gaben die Klägerin und E am 25. November 1992 ab. Die darin erklärten Einkünfte aus Gewerbebetrieb setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) in dem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) ergangenen Einkommensteuerbescheid für 1991 vom 28. April 1993 an.
Durch Prüfungsanordnung vom 28. August 1996, die gegenüber E erging, ordnete das FA u.a. die Prüfung der Einkommensteuer 1993 an. Durch die wiederum allein gegenüber E ergangene Anordnung vom 28. November 1996 erweiterte das FA den Prüfungszeitraum auch auf das Jahr 1991.
Im Rahmen dieser Außenprüfung ermittelte der Prüfer, dass E mit notariell beurkundetem Vertrag vom 17. Juli 1991 an mehrere Angehörige im Wege der Schenkung mit sofortiger dinglicher Wirkung Geschäftsanteile an der N-GmbH in Höhe von insgesamt nominal 22 500 DM übertragen hatte. Mit privatschriftlichen, ebenfalls am 17. Juli 1991 abgeschlossenen Verträgen vereinbarte E mit den Beschenkten außerdem, dass diese die Anteile für ihn treuhänderisch halten sollten.
Der Außenprüfer vertrat die Ansicht, dass E die übertragenen Anteile an der N-GmbH gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) aus seinem Betriebsvermögen entnommen habe. Er ermittelte einen im Jahr 1991 angefallenen Entnahmegewinn von 585 440,10 DM, welcher der Höhe nach unstreitig ist. Das FA erfasste diesen Entnahmegewinn in dem gegenüber der Klägerin und E ergangenen nach § 164 Abs. 2 AO 1977 geänderten Einkommensteuerbescheid für 1991 vom 30. April 1998.
Hiergegen machte die Klägerin geltend, E habe die Anteile an der N-GmbH nur treuhänderisch übertragen. Die Beschenkten hätten sich bereits vor der Übertragung bereit erklärt, die Anteile des E für diesen treuhänderisch zu halten. Da dieser Treuhandvertrag zeitlich vor der notariellen Beurkundung geschlossen worden sei, ergebe sich die Verpflichtung zur Rückübertragung des Treuguts unmittelbar aus den §§ 662 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). In einem solchen Fall sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) eine Beurkundung des Treuhandvertrags überflüssig.
Der Einspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg. Im Verlauf des sich anschließenden Klageverfahrens hat das FA aus vorliegend nicht streitigen Gründen den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1991 durch den gegenüber der Klägerin und E ergangenen geänderten Bescheid vom 18. Januar 2002 ersetzt. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Es vertrat die Auffassung, es stehe nach der Beweisaufnahme zu seiner Überzeugung fest, dass E durch den notariell beurkundeten Geschäftsanteilsübertragungsvertrag vom 17. Juli 1991 nicht nur das rechtliche, sondern auch das wirtschaftliche Eigentum an diesen Anteilen aus privaten Gründen übertragen habe.
Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, E habe das wirtschaftliche Eigentum an den Geschäftsanteilen der N-GmbH nicht auf seine Angehörigen übertragen. Mit diesen sei eine Erwerbstreuhand vereinbart worden, die formfrei begründet werden könne. Sofern hingegen von einem den Formvorschriften des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung unterliegenden Rechtsgeschäft auszugehen sei, sei die Nichtbeachtung der Form gemäß § 41 AO 1977 unbeachtlich. Diese Vorschrift sei auch bei Verträgen unter nahen Angehörigen anwendbar.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1991 vom 18. Januar 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung insoweit zu ändern, als die Einkommensteuerschuld 1991 unter Berücksichtigung eines um 585 440,10 DM geminderten Gewinns ermäßigt wird.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Durch Beschluss vom 14. Dezember 2005 hat der erkennende Senat den vorliegenden Rechtsstreit gemäß § 73 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) von dem unter dem Aktenzeichen X R 57/04 geführten Revisionsverfahren der Klägerin und E wegen Einkommensteuer 1991 und 1993 abgetrennt.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil, der Einkommensteuerbescheid vom 30. April 1998 in Gestalt der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung und der gemäß § 68 FGO an dessen Stelle getretene Einkommensteuerbescheid vom 18. Januar 2002 werden insoweit aufgehoben, als sie die Klägerin und das Streitjahr 1991 betreffen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Die angefochtenen Bescheide durften gegen die Klägerin nicht ergehen, weil zuvor Festsetzungsverjährung eingetreten war.
1. Der erkennende Senat war nicht gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO gehindert, die angefochtenen Bescheide, soweit diese sich gegen die Klägerin richten, insgesamt aufzuheben. Zwar darf das Gericht nach dieser Vorschrift grundsätzlich nicht über das Klagebegehren hinausgehen. Auch wenn ein Kläger nur die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Abänderung des Steuerbescheids beantragt hat, kann der Bundesfinanzhof (BFH) jedoch den Bescheid insgesamt dann aufheben, wenn er zu dem Ergebnis gelangt, dass der Bescheid insgesamt rechtswidrig ist (BFH-Urteil vom 5. Dezember 1990 I R 19/89, BFH/NV 1991, 805). Dies hat die Rechtsprechung u.a. im Fall der Anfechtung eines nicht wirksam bekannt gegebenen Bescheids angenommen (BFH-Urteil vom 11. Dezember 1985 I R 31/84, BFHE 146, 196, BStBl II 1986, 474). Nichts anderes kann gelten, wenn der Bescheid wegen bereits eingetretener Festsetzungsverjährung rechtswidrig ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Dem steht das Urteil des VIII. Senats des BFH vom 27. April 1993 VIII R 27/92 (BFH/NV 1994, 159, 161) nicht entgegen. Es betrifft die im vorliegenden Streitfall nicht einschlägige Problematik, wonach ein bestandskräftiger Bescheid auch dann beachtlich ist, wenn dieser wegen eingetretener Verjährung rechtswidrig ist.
2. Gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 ist die regelmäßige Festsetzungsfrist von vier Jahren für Steuern, für die eine Steuererklärung abzugeben ist, gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 bis zum Ablauf des Jahres, in dem diese eingereicht wird, längstens aber für die Dauer von drei Jahren in ihrem Ablauf gehemmt.
Ausgehend hiervon endete die regelmäßige Festsetzungsfrist hinsichtlich der Einkommensteuer 1991 gegenüber der Klägerin mit Ablauf des Kalenderjahres 1996, weil sie (mit E) die (gemeinschaftliche) Einkommensteuererklärung für dieses Jahr am 28. November 1992 abgegeben hat. Eine Anwendung der im Fall des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 geltenden längeren Fristen scheidet im Streitfall schon deshalb aus, weil der ursprüngliche Einkommensteuerbescheid 1991 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist (§ 164 Abs. 4 Satz 2 AO 1977). Da im Zeitpunkt des Ergehens des geänderten Bescheids vom 30. April 1998 somit bereits Festsetzungsverjährung eingetreten war, durfte dieser Änderungsbescheid gegenüber der Klägerin nicht mehr ergehen.
3. Dem steht nicht entgegen, dass gegenüber E hinsichtlich der Einkommensteuer 1991 keine Festsetzungsverjährung eingetreten war, weil die Festsetzungsfrist gemäß § 171 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 in ihrem Ablauf gehemmt war. Auch im Falle der Zusammenveranlagung von Ehegatten ist die Frage, ob Festsetzungsverjährung eingetreten ist, für jeden Ehegatten gesondert zu prüfen.
a) Wird vor Ablauf der regelmäßigen Festsetzungsfrist mit einer Außenprüfung begonnen, so läuft gemäß § 171 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 die Festsetzungsfrist für die Steuern, auf die sich die Außenprüfung erstreckt, nicht ab, bevor die aufgrund der Außenprüfung zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind oder nach Bekanntgabe der Mitteilung i.S. von § 202 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 drei Monate verstrichen sind. Die Festsetzung endet bei Vorliegen der in § 171 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 geregelten Voraussetzungen spätestens, wenn die in § 169 Abs. 2 AO 1977 genannten Fristen verstrichen sind.
Hiervon ausgehend ist bei E keine Festsetzungsverjährung hinsichtlich der Einkommensteuer 1991 eingetreten. Ihm gegenüber wurde durch die Verfügung vom 28. November 1996 die Anordnung über die Durchführung einer Außenprüfung auf die Einkommensteuer 1991 erstreckt. Diese Außenprüfung war bereits am 11. November 1996 begonnen worden. Sie wurde mit der Schlussbesprechung am 1. Dezember 1997 beendet. Das FA war daher nicht wegen eingetretener Festsetzungsverjährung gehindert, gegenüber E den geänderten Einkommensteuerbescheid 1991 vom 30. April 1998 zu erlassen.
b) Die gegenüber E eingetretene Hemmung der Festsetzungsverjährung kann der Klägerin nicht zugerechnet werden (ebenso Klein/Rüsken, AO, 8. Aufl., § 193 Rz. 42).
aa) Hieran ändert der Umstand nichts, dass zusammen zur Einkommensteuer zu veranlagende Ehegatten gemäß § 26b EStG unbeschadet der individuellen Ermittlung der jeweiligen Einkünfte in Bezug auf das gemeinsame Einkommen und die hierdurch ausgelöste Einkommensteuerschuld als ein Steuerpflichtiger behandelt werden. Denn beide Ehegatten sind jeweils für sich eigenständige Steuersubjekte (Blümich/Heuermann, § 26b EStG Rz. 45).
bb) Nicht entscheidend ist auch, dass es deshalb bei den Ehegatten zu Einkommensteuerfestsetzungen in unterschiedlicher Höhe kommen kann. Dies hat die Rechtsprechung auch in anderem Zusammenhang hingenommen. So lehnt es der BFH in ständiger Rechtsprechung ab, den Ehegatten gemäß § 360 Abs. 3 AO 1977 hinzuzuziehen oder gemäß § 60 Abs. 3 FGO beizuladen, wenn nur der andere Ehegatte den gegenüber den zusammen zu veranlagenden Ehegatten ergangenen Einkommensteuerbescheid angefochten hat (BFH-Beschlüsse vom 20. Januar 1972 I B 51/68, BFHE 104, 45, BStBl II 1972, 287, und vom 7. Oktober 1986 IX R 125/86, BFH/NV 1987, 784).
cc) Dass die Frage, ob Festsetzungsverjährung eingetreten ist, für jeden Ehegatten gesondert geprüft werden muss, wird auch durch die Regelung des § 44 Abs. 2 AO 1977 bestätigt. Danach wirkt im Falle des Bestehens einer Gesamtschuldnerschaft, die gegeben ist, wenn Personen zusammen zu einer Steuer zu veranlagen sind (§ 44 Abs. 1 Satz 1 AO 1977), lediglich die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner sowie die Aufrechnung und die Sicherheitsleistung auch für die übrigen Schuldner (§ 44 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO 1977). Andere Tatsachen wirken hingegen nach Satz 3 dieser Vorschrift nur für und gegen den Gesamtschuldner, in dessen Person sie eintreten. Dementsprechend läuft gegen jeden Gesamtschuldner eine gesonderte Festsetzungsfrist (Klein/ Brockmeyer, a.a.O., § 44 Rz. 14; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 44 AO 1977 Rz. 19).
dd) Dem steht auch nicht entgegen, dass der BFH steuerlich bedeutsame Erklärungen im Falle der Zusammenveranlagung in verfahrensrechtlicher Hinsicht auch dem anderen Ehegatten zugerechnet hat (vgl. BFH-Urteile vom 16. Januar 1969 IV R 121/68, BFHE 94, 522, BStBl II 1969, 273, betr. die Änderung der Veranlagung gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsabgabenordnung, und vom 24. Juli 1996 I R 62/95, BFHE 181, 252, BStBl II 1997, 115, betr. grobes Verschulden i.S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977). Dies beruht auf der Erwägung, dass sich solche Erklärungen auf das gemeinsame Einkommen der Ehegatten beziehen und deshalb die Erklärung des einen Ehegatten dem anderen zuzurechnen ist. Vorliegend geht es nicht um die Höhe des gemeinschaftlichen Einkommens und der hierauf beruhenden Einkommensteuer, sondern um die zu verneinende Frage, ob die Einkommensteuer gegenüber zusammen zu veranlagenden Ehegatten stets in gleicher Höhe festzusetzen ist.
ee) Im Streitfall kommt hinzu, dass die Erstreckung der verjährungshemmenden Wirkung der bei E durchgeführten Außenprüfung auf die Klägerin der Wertung des § 171 Abs. 4 AO 1977 widerspricht. Diese Vorschrift stellt sicher, dass nach Abschluss einer Außenprüfung noch Steuerbescheide erlassen, aufgehoben oder geändert werden können. Aus diesem Grund muss der Adressat der Prüfungsanordnung die verjährungshemmende Wirkung hinnehmen. Auf Personen, die nicht Adressaten der Prüfungsanordnung sind, erstreckt sich diese Wirkung nicht (Senatsurteil vom 7. November 1990 X R 203/87, BFHE 164, 14, BStBl II 1991, 547). Nach der Rechtsprechung des Senats darf aber, wenn nur einer der zusammen zur Einkommensteuer zu veranlagenden Ehegatten Inhaber eines Betriebs ist, eine auf § 193 Abs. 1 AO 1977 gestützte Außenprüfung nur gegenüber diesem Steuerpflichtigen, nicht aber gegen dessen Ehegatten ergehen (Senatsurteil vom 25. Januar 1989 X R 158/87, BFHE 156, 18, BStBl II 1989, 483). Angesichts dieser Sachlage wäre es inkonsequent, die verjährungshemmende Wirkung einer allein gegenüber einem der Ehegatten durchgeführten Außenprüfung auf den anderen Ehegatten mit der Begründung zu erstrecken, dass beide Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden.
ff) Der Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht vom Urteil des BFH vom 28. Juli 2005 III R 48/03 (BFHE 210, 393, BStBl II 2005, 865) ab. Soweit der BFH dort entschieden hat, der Antrag eines Ehegatten, ihn nicht mehr zusammen, sondern getrennt zu veranlagen, sei in Bezug auf den anderen Ehegatten ein rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977, beruht dies auf der Überlegung, dass ein solcher (erfolgreicher) Antrag eines Ehegatten auch dem gegenüber dem anderen Ehegatten ergangenen Zusammenveranlagungsbescheid die Grundlage entzieht. Eine hiermit vergleichbare Sachlage ist im vorliegenden Streitfall nicht gegeben.
Fundstellen
Haufe-Index 1538914 |
BFH/NV 2006, 1536 |
BStBl II 2007, 220 |
BFHE 2007, 421 |
BFHE 212, 421 |
BB 2006, 1618 |
DB 2006, 1535 |
DStRE 2006, 1155 |
DStZ 2006, 538 |
DStZ 2006, 558 |
HFR 2006, 958 |