Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Für künftige Sozialleistungen, z. B. für Gehaltsaufwendungen für künftige Krankheitstage der Arbeitnehmer, dürfen keine Rückstellungen gebildet werden.
Normenkette
EStG §§ 5, 6/3
Tatbestand
Streitig ist die steuerliche Zulässigkeit einer Rückstellung, die die Beschwerdeführerin (Bfin.) wegen der Fortzahlung von Gehalt in künftigen Krankheitstagen ihrer Arbeitnehmer in der Bilanz zum 31. Mai 1951 gebildet hat. Die Bfin. rechtfertigt diese Rückstellung damit, daß nach den aus der Statistik sich ergebenden Erfahrungen die Zahl der auf jeden einzelnen Arbeitnehmer entfallenden Krankheitstage, während deren Lohn oder Gehalt weitergezahlt werden müsse, mit zunehmendem Alter ansteige. Dem höheren Aufwand für Krankheitstage älterer Arbeitnehmer stehe keine Leistung des Arbeitnehmers im gleichen Wirtschaftsjahr gegenüber. Die Leistung hierfür sei von dem Arbeitnehmer vielmehr in den früheren Jahren seiner Betriebszugehörigkeit erbracht worden. Es müsse deshalb für jeden Arbeitnehmer in den Jahren, in denen unter Berücksichtigung seines Lebensalters die aus der Statistik sich ergebende Zahl der Krankheitstage hinter dem Jahresdurchschnitt der Krankheitstage während der Gesamtdauer der Betriebszugehörigkeit zurückbleibe, eine Rückstellung gebildet werden, aus der die künftigen Ausgaben für Krankheitstage in höherem Alter gedeckt werden könnten.
Das Finanzgericht verneinte die Zulässigkeit der Rückstellung, weil die Belastung des Arbeitgebers durch Krankheit eines Arbeitnehmers Aufwand des Wirtschaftsjahres sei, in dem die Ausgabe entstehe. Die Rückstellung bedeute deshalb eine Ansammlung von Mitteln zur Deckung künftiger Ausgaben, ohne daß der der Ausgabe entsprechende Aufwand einer früheren Periode zuzurechnen sei. Die Ansammlung solcher Mittel bilde steuerlich keine Rückstellung, sondern eine den Gewinn nicht berührende Rücklage.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) ist sachlich nicht begründet.
Arbeitsverträge stellen gegenseitige Verträge mit der Besonderheit dar, daß die Leistung des Arbeitnehmers grundsätzlich nach Zeiteinheiten entlohnt wird. Auch bei solchen gegenseitigen Verträgen besteht die aus der Lebens- und Wirtschaftserfahrung gewonnene Vermutung, daß die während einer bestimmten Zeit geleistete Arbeit durch das für diese Zeit zu zahlende Entgelt abgegolten ist, daß sich also Leistung und Gegenleistung einer bestimmten Periode gleichwertig gegenüberstehen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 50/54 U vom 7. September 1954, Slg. Bd. 59 S. 311, Bundessteuerblatt - BStBl - 1954 III S. 330). Rechte und Pflichten aus schwebenden Verträgen werden grundsätzlich nicht bilanziert. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt nur dann, wenn am Bilanzstichtag bereits Tatumstände gegeben sind, die den Eintritt eines Verlustes wahrscheinlich machen oder wenn bei gegenseitigen Verträgen, die hinsichtlich Leistung und Gegenleistung auf Zeitabschnitte abgestellt sind, der Barwert der auf den Bilanzstichtag zurückbezogenen künftigen Verbindlichkeiten den in gleicher Weise ermittelten Barwert der künftigen Leistungen übersteigt. Deshalb hat z. B. der Oberste Finanzgerichtshof im Urteil I 174/43 S vom 22. Juni 1949, Steuer und Wirtschaft 1949 Teil II, Rechtsprechung Nr. 51, bei privaten Krankenversicherungen, die gleichbleibende Prämien ohne Rücksicht auf das höhere Wagnis des Alters des Versicherungsnehmers erheben, eine Altersrückstellung in den Jahren zugelassen, in denen die Nettoprämien die Schadensausgaben übersteigen. Die Rückstellung dient hier dazu, die Mittel für die Jahre anzusammeln, in denen die Schadensausgaben höher als die Nettoprämien sind. Die Rückstellung setzt voraus, daß die abgelaufenen Wirtschaftsjahre, in denen die Leistungen aus den gegenseitigen Verträgen den Erfolg erhöht haben, nicht mit dem diesen Leistungen entsprechenden Aufwand belastet worden sind, die Rückstellung also zu einer zutreffenden Aufwandsabgrenzung erforderlich ist. Welcher Aufwand zu den im gleichen Zeitraum erbrachten Leistungen gehört, unter welchen Voraussetzungen also die auf Zeit abgestellten Leistungen und Gegenleistungen nicht gleichwertig sind, kann nur aus dem Inhalt und der wirtschaftlichen Bedeutung der zu beurteilenden Verträge entschieden werden. Dabei spielen die Verkehrsauffassung und die von den Kaufleuten tatsächlich geübte Bilanzierung eine bedeutsame Rolle. Der Begriff des aktiven und passiven Wirtschaftsguts ist somit aus dem Gegebenheiten des Wirtschaftslebens zu entwickeln, wobei auch die Frage zu stellen ist, ob bei einer Veräußerung des Betriebs im ganzen Veräußerer und Erwerber einer Unausgeglichenheit von Leistung und Gegenleistung bei den schwebenden Verträgen durch eine entsprechenden Bemessung des Kaufpreises Rechnung tragen würden (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs I 54/51 S vom 26. Juni 1951, Slg. Bd. 55 S. 517, BStBl 1951 III S. 211 und IV 549/53 U vom 31. Mai 1954, Slg. Bd. 59 S. 35, BStBl 1954 III S. 222). Die Erfahrungen des Wirtschaftslebens und die in dieser Hinsicht von der Praxis entwickelten Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung zeigen, daß an die Aufwandsabgrenzung bei den auf Zeitabschnitte abgestellten gegenseitigen Verträgen keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden und daß die nach dem Vertrag innerhalb eines Zeitabschnitts entstehenden Verpflichtungen den in dieser Periode erbrachten Leistungen in der Regel als gleichwertig betrachtet werden.
Geht man von diesen Grundsätzen aus, so kann nicht anerkannt werden, daß die arbeitsrechtliche Verpflichtung des Arbeitgebers, seinem Arbeitnehmer im Fall der Krankheit während einer bestimmten Zeit Gehalt oder Lohn weiterzuzahlen, bei jüngeren Arbeitnehmern eine Aufwandsabgrenzung durch Bildung einer Rückstellung zuläßt. Hier ist wie bei den sich aus dem Kündigungsschutzgesetz vom 10. August 1951 (Bundesgesetzblatt 1951 I S. 499) ergebenden Verpflichtungen von dem Grundsatz auszugehen, daß die in der Zukunft liegenden Leistungen und Gegenleistungen sich wertmäßig ausgleichen (Urteil des Bundesfinanzhofs I 50/54 U). Es ist nicht zutreffend, daß der Aufwand, der dem Arbeitgeber durch gesetzliche, tarifliche oder vertragliche Sozialleistungen entsteht, nur deshalb durch Bildung von Rückstellungen gleichmäßig auf die gesamte Arbeitszeit des Arbeitnehmers verteilt werden darf, weil dieser Aufwand nach den Erfahrungen der Statistik in den einzelnen Jahren der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers verschieden hoch ist. übersteigen bestimmte Sozialleistungen aus irgendwelchen Gründen in einem Jahr den aus der Zeit der Betriebszugehörigkeit ermittelten Jahresdurchschnitt der Belastung, so folgt daraus noch nicht, daß diese Ausgabe auch nur teilweise nachträglichen Aufwand für einen vergangenen Zeitabschnitt darstellt. Das gilt auch für solche Verpflichtungen, die erfahrungsgemäß mit zunehmendem Alter des Arbeitnehmers ansteigen. Denn es ist nicht zutreffend, daß dem höheren Aufwand für Krankheitstage älterer Angestellter keine entsprechende Leistung im gleichen Wirtschaftsjahr gegenübersteht, daß die zu diesem Aufwand gehörende Leistung vielmehr in früheren Wirtschaftsjahren erbracht worden ist. Eine solche Auffassung des wirtschaftlichen und rechtlichen Gehalts von Arbeitsverträgen ist mit der Verkehrsanschauung und mit der in der Praxis üblichen Auffassung über die Bilanzierung von Rechten und Verpflichtungen aus Arbeitsverträgen nicht vereinbar. Das Arbeitsentgelt für einen bestimmten Zeitraum hängt von zahlreichen Tatumständen ab, wobei die Vorbildung, die Erfahrung und das Alter des Arbeitnehmers eine wesentliche Rolle spielen. Die Tarifverträge stufen deshalb das Arbeitsentgelt nach diesen Momenten ab und auch in außertariflichen Arbeitsverträgen spielen diese Tatumstände eine entscheidende Rolle. Die Arbeitsentgelte steigen in der Regel mit zunehmendem Alter an und zwar auch deshalb, weil die von dem Arbeitnehmer in der Vergangenheit gemachten Berufserfahrungen höher bewertet werden als die Gefahr erhöhter Sozialleistungen, die mit zunehmendem Alter in der Regel größer werden. Das einem älteren Arbeitnehmer bei seiner Einstellung gewährte Arbeitsentgelt berücksichtigt somit alle in seiner Person gegebenen Momente, zu denen auch die Gefahr gehört, daß dieser Arbeitnehmer im Jahresdurchschnitt länger krank sein wird als ein wesentlich jüngerer Arbeitnehmer. Die gleichen Erwägungen führen zu dem Ergebnis, daß auch bei jüngeren Arbeitnehmern die den einzelnen Wirtschaftsjahren zugute kommenden Leistungen den diese Wirtschaftsjahre belastenden Ausgaben (Arbeitsentgelt) gleichwertig sind. Mit der von der Rechtsprechung zugelassenen Rückstellung bei Krankenversicherungen (Urteil des Obersten Finanzgerichtshofs I 174/43 S) oder mit der Rückstellung für Pensionsanwartschaften kann der vorliegende Fall nicht verglichen werden, weil nach der Auslegung der Arbeitsverträge durch den Senat die künftigen Sozialleistungen Aufwand des Jahres sind, in dem sie entstehen, und ihre Grundlage auch nicht teilweise in der auf vergangene Wirtschaftsjahre entfallenden Arbeitsleistung des Arbeitnehmers haben.
Fundstellen
Haufe-Index 408571 |
BStBl III 1956, 333 |
BFHE 1957, 354 |
BFHE 63, 354 |
BB 1956, 1024 |
DB 1956, 1050 |