Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung des Begriffs auswärtige Unterbringung in § 33 a Abs. 2 EStG 1955.
Der Besuch höherer Schulen rechnet zur Berufsausbildung.
über das Verhältnis von § 33 a zu § 33 EStG, wenn Aufwendungen für Kinder gemacht werden.
Normenkette
EStG § 33a/2, § 33; LStDV § 25a/2, § 25
Tatbestand
Der Beschwerdegegner (Bg.) wohnt am Ostrand einer weiträumigen Großstadt in X. Auf Grund eines gerichtlichen Vergleichs zahlt er an seine 1951 von ihm geschiedene Ehefrau eine laufende Unterhaltsrente. Die beiden Kinder aus der geschiedenen Ehe Ines (geboren 1936) und Richard (geboren 1937) befinden sich im Haushalt der Mutter am Westrand der gleichen Großstadt und besuchten im Streitjahr 1956 die oberen Klassen der Oberschule.
Der Bg. zahlte auf Grund des erwähnten Vergleichs an seine geschiedene Ehefrau für jedes der beiden Kinder monatlich 115 DM. Er hat sich 1951 wieder verheiratet. Zu seinem Haushalt gehören drei minderjährige Kinder. 1956 wurde ihm für diese drei Kinder und die Kinder Ines und Richard je eine Kinderermäßigung auf der Lohnsteuerkarte eingetragen. Der Bg. beantragt, ihm darüber hinaus für die Kinder Ines und Richard einen Freibetrag von je 480 DM gemäß § 33 a Abs. 2 letzter Satz des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1955 (ß 25 a Abs. 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung - LStDV - 1955) auf der Lohnsteuerkarte zu berücksichtigen, weil die Kinder auswärts zur Berufsausbildung untergebracht seien. Das Finanzamt lehnte den Antrag unter Berufung auf Abschnitt 39 b Abs. 6 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 1966 ab; eine auswärtige Unterbringung setze voraus, daß das Kind außerhalb der politischen Gemeinde der Wohnung des Steuerpflichtigen untergebracht werde; im Streitfall wohnten aber der Bg. und die Kinder in der gleichen Stadt.
Das Finanzgericht gab der Berufung statt. Es führte aus, eine auswärtige Unterbringung setze in der Regel voraus, daß das Kind in einer anderen politischen Gemeinde untergebracht werde. Bei Großstädten mit weiträumigen Verhältnissen genüge es aber, daß die Entfernung der Wohnung des Kindes von der Wohnung der Eltern oder des Unterhaltsverpflichteten so groß sei, daß das Kind nur mit unverhältnismäßig hohem Zeitaufwand in die Wohnung zurückkehren könne und sich deshalb auf gelegentliche Heimfahrten beschränken müsse. Diese Voraussetzung sei bei der weiten Entfernung und ungünstigen Verbindung im Streitfall angegeben. Die Kinder seien außerhalb der Wohnung des Bg. untergebracht. Er habe, da ihm das Sorgerecht für die Kinder entzogen sei, auch keinen Einfluß auf die Wohnung und Unterbringung der Kinder. Der Besuch der Oberschule müsse als Berufsausbildung gelten. Schließlich müsse auch angenommen werden, daß die Aufwendungen dem Bg. für die auswärtige Unterbringung der Kinder entstanden seien. Es stehe fest, daß der Bg. die Beträge ohne die auswärtige Unterbringung der Kinder nicht hätte aufzuwenden brauchen.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts ist begründet.
Zutreffend lehnt das Finanzgericht ab, eine "auswärtige" Unterbringung im Sinne des § 33 a EStG stets und nur dann anzunehmen, wenn ein Kind zur Berufsausbildung in einer anderen politischen Gemeinde untergebracht wird. Nach Abschnitt 190 Abs. 5 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) 1955 (39 b Abs. 6 LStR 1955) soll eine Unterbringung außerhalb des Haushalts, aber am Wohnort des Aufwendenden keine auswärtige Unterbringung seien. Die darin liegende Rechtsauslegung der Finanzverwaltung bindet den Senat nicht. Der Ausdruck "auswärts" ist mehrdeutig. Im allgemeinen bezeichnet man ein Kind, das außerhalb des Haushalts seiner Eltern untergebracht ist, als nicht "zu Hause", sondern "auswärts" untergebracht. Der Ausdruck "auswärts" wird aber auch mit dem Begriff der politischen Gemeinde verknüpft. Ein Mann, der "nach auswärts" fährt, verläßt dabei den Raum seiner Wohngemeinde. Bei der Zweifelhaftigkeit des Ausdrucks muß die Auslegung gewählt werden, die den besseren Sinn ergibt. Wollte man den Begriff "auswärts" in § 33 a Abs. 2 EStG auf die politische Gemeinde beziehen, so würde dem Zufall entscheidender Einfluß eingeräumt. Denn innerhalb weiträumiger Großstädte würden dabei große Entfernungen und Verkehrsschwierigkeiten ohne Bedeutung sein, während eine politische Nachbargemeinde, die in kurzer Zeit und ohne Schwierigkeiten zu erreichen ist, "auswärts" wäre. Der Senat zieht es deshalb vor, den Begriff "auswärts" im ersten Sinne auszulegen und auf die Wohnung der Eltern zu beziehen.
Aus der Erwähnung der "Zwangsläufigkeit" in § 33 a Abs. 1 EStG und daraus, daß Abs. 2 auf Abs. 1 verweist, kann entnommen werden, daß für die auswärtige Unterbringung der Kinder eine Notwendigkeit bestehen muß. Die Auffassung der Verwaltung in Abschn. 190 Abs. 5 EStR 1955 (39 b Abs. 6 LStR 1955), daß die Notwendigkeit auswärtiger Unterbringung nicht geprüft zu werden brauche, findet in dieser Allgemeinheit im Gesetz keine Stütze. Allerdings werden an die Notwendigkeit keine allzu großen Anforderungen gestellt werden dürfen. Es genügt im allgemeinen, daß vernünftige Gründe für die auswärtige Unterbringung vorliegen. Sie können sich aus der Art der Ausbildung, den persönlichen und häuslichen Verhältnissen der Kinder oder der Eltern oder aus anderen Umständen ergeben (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 67/54 U vom 16. Dezember 1954, Slg. Bd. 60 S. 188, Bundessteuerblatt - BStBl - 1955 III S. 73). Im allgemeinen entfällt aber die Notwendigkeit einer auswärtigen Unterbringung , wenn das Kind, ohne den Ausbildungszweck zu gefährden und ohne unzumutbare Anforderungen, täglich in den Haushalt der Eltern zurückkehren kann. Bei den modernen Verkehrsmitteln bereitet die tägliche Heimkehr innerhalb einer Großstadt und zwischen benachbarten Gemeinden keine besonderen Schwierigkeiten. Die Steuerpflichtigen müssen darum in solchen Fällen in der Regel andere Gründe für die auswärtige Unterbringung des Kindes dartun. Sind aber solche Gründe gegeben, so hätte es keinen Sinn, darauf abzustellen, ob das Kind in der Gemeinde des Wohnorts oder außerhalb untergebracht wird. Kann zum Beispiel ein Kind eine spezielle Berufsausbildung nur in einem Internat erhalten, so wäre es nicht sinnvoll, es als auswärts untergebracht anzusehen, wenn das Internat in einer anderen, vielleicht sogar benachbarten politischen Gemeinde liegt, nicht aber, wenn es am anderen Ende der Großstadt, in der die Eltern wohnen, gelegen ist. Nach allem ist dem Finanzgericht in der Auslegung des Begriffs auswärtige Unterbringung insoweit zuzustimmen, als es nicht entscheidend darauf ankommt, ob das Kind in einer anderen politischen Gemeinde untergebracht ist.
Der Senat hat auch keine Bedenken, dem Finanzgericht darin beizutreten, daß der Besuch einer höheren Schule Berufsausbildung im Sinne des § 33 a EStG ist. Die Rechtsauslegung in Abschn. 181 Abs. 3 EStR 1955 (45 Abs. 4 LStR) entspricht dem Gesetz. Vergleiche auch das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 67/54 U.
Bedenklich ist aber, daß das Finanzgericht im Streitfall die beiden Kinder als auswärts untergebracht angesehen hat. Die Kinder haben in der Wohnung der Mutter ihr dauerndes Zuhause; sie gehören zu deren Haushalt. Infolge der Scheidung der Eltern sind die Beziehungen der Kinder zur Wohnung und zum Haushalt des Bg. gelöst. § 33 a Abs. 2 EStG setzt voraus, daß zwischen der Berufsausbildung und der auswärtigen Unterbringung ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Die Kinder müssen also außerhalb des Haushalts der Eltern zum Zwecke der Berufsausbildung untergebracht sein. Davon kann im Streitfall nicht die Rede sein. Die Kinder haben den Bg. verlassen, weil die Mutter nach der Scheidung die Sorge für sie übernommen hat. Die Beziehungen zur Wohnung und zum Haushalt des Vaters sind endgültig gelöst, und zwar nicht, weil die Kinder eine Berufsausbildung angetreten haben, sondern weil die Eltern ihre Ehe gelöst hatten. Von einer auswärtigen Unterbringung der beiden Kinder könnte man zum Beispiel sprechen, wenn sie die Wohnung der Mutter verließen und zum Zwecke der Berufsausbildung eine auswärtige Hochschule aufsuchten. Die Auslegung des Finanzgerichts, daß Kinder aus geschiedenen Ehen, die bei einem Elternteil wohnen, vom anderen Elternteil aus gesehen im Sinne des § 33 a EStG auswärts untergebracht seien, entspricht nicht dem Wortlaut und Sinn des § 33 a EStG.
Im Streitfall ist demnach § 33 a EStG nicht anwendbar, so daß dem Bg. ein Anspruch auf den Freibetrag von 480 DM je Kind neben der Kinderermäßigung nicht zusteht. Zu prüfen ist aber, ob dem B. nicht eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG (ß 25 LStDV) gewährt werden kann. Aufwendungen, die Eltern für ihre Kinder machen, können, wenn die Voraussetzungen des § 33 a EStG gegeben sind, nur nach Massgabe dieser Bestimmung Berücksichtigung finden; eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG können die Eltern daneben nicht in Anspruch nehmen (ß 33 a Abs. 5 EStG). Machen Eltern für ihre Kinder aber Aufwendungen, die nicht unter § 33 a EStG fallen, so können diese Aufwendungen unter den Voraussetzungen des § 33 EStG zu einer Steuerermäßigung führen. Grundsätzlich sind allerdings, wenn ein Steuerpflichtiger Kinderermäßigung für ein Kind erhält, damit alle normalen Aufwendungen für den Unterhalt und die Erziehung des Kindes abgegolten. Entstehen einem Steuerpflichtigen aber zwangsläufig ungewöhnliche Belastungen durch das Kind, zum Beispiel weil das Kind krank ist oder infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen außerhalb der Wohnung untergebracht werden muß, so können solche Aufwendungen, wie in Abschnitt 190 Abs. 1 EStR 1955 (ß 39 Abs. 5 LStR) rechtlich zutreffend ausgeführt wird, im Rahmen von § 33 EStG berücksichtigt werden.
Im Streitfall liegen die Voraussetzungen des § 33 EStG nicht vor. Das Finanzgericht meint, der Bg. hätte, wenn die Kinder nicht bei der Mutter untergebracht wären, die Zahlungen nicht zu leisten brauchen. Dabei übersieht es, daß die Zahlung von 115 DM monatlich je Kind die gesetzliche Unterhaltsleistung des Bg. als Vater ist. Wären die Kinder in seinem Haushalt gewesen, so hätte er ihnen den Unterhalt in anderer Form leisten müssen. Die Aufwendungen für Unterhalt, Kleidung, Ausbildung usw. lägen dann, wenn man die wirtschaftlichen Verhältnisse des Bg. und das Lebensalter der beiden Kinder in Betracht zieht, nach der Lebenserfahrung nicht wesentlich unter dem Satz von 115 DM monatlich je Kind. Es ist also nicht festzustellen, daß dem Bg. dadurch, daß die Kinder nicht in seinem Haushalt leben, eine größere Belastung entsteht als üblicherweise den Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, deren Kinder unter sonst gleichen Umständen im Hause untergebracht sind. Macht demnach der Bg. nur Aufwendungen im Rahmen des Gewöhnlichen für die Kinder, so sind diese Aufwendungen durch die Kinderermäßigung abgegolten.
Fundstellen
Haufe-Index 408904 |
BStBl III 1957, 444 |
BFHE 1958, 546 |
BFHE 65, 546 |