Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer bindenden Zusage des Finanzamts - Erlaßzusage
Leitsatz (NV)
1. Die Finanzämter haben die nach dem Gesetz entstandenen Steueransprüche geltend zu machen.
2. Eine Zusage kann nach Treu und Glauben das FA hindern, den Steueranspruch geltend zu machen. Sie ist nur dann für das FA bindend, wenn der Stpfl. den Sachverhalt in allen wesentlichen Punkten richtig und vollständig dargelegt hat. Eine Sachverhaltsdarstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse für eine Erlaßzusage muß auch erwartete Erstattungsansprüche enthalten.
Normenkette
AO 1977 § 130 Abs. 2 Nr. 3, § 131 Abs. 2 Nr. 2, §§ 206-207; GG Art. 20 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) zu Recht einen Antrag der Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) auf Teilerlaß von Steuerschulden in Höhe von 10 000 DM abgelehnt hat.
Die Kläger sind Eheleute. Sie haben mit Schreiben vom 14. Oktober 1981 den Erlaß ihrer damaligen Steuerschulden in Höhe von 35 722,75 DM aus Billigkeitsgründen gemäß § 227 der Abgabenordnung (AO 1977) beantragt. Gegen die Ablehnung ihres Erlaßantrags legten die Kläger Beschwerde ein, der das FA nicht abhalf, sondern sie mit Bericht vom 10. Mai 1982 der zuständigen Oberfinanzdirektion (OFD) zur Entscheidung vorlegte. Am 15. Juni 1982 fand bei der OFD eine Besprechung der im Zusammenhang mit der Beschwerde gegen die Ablehnung des Erlaßantrages stehenden Fragen statt. An dem Besprechungstermin nahmen der Kläger und sein Prozeßbevollmächtigter teil. In der Besprechung legte der Kläger nach dem von der Vorinstanz in Bezug genommenen Aktenvermerk der OFD vom 15. Juni 1982 seine damalige persönliche wirtschaftliche Lage im einzelnen dar und zählte als Verbindlichkeit u. a. die Forderung des FA auf, wobei den Verbindlichkeiten an Vermögenswerten ein Grundstück und eine Lebensversicherung gegenüberständen. Als Ergebnis der Besprechung stellten die Vertreter der OFD dem damit einverstandenen Kläger verbindlich einen Teilerlaß der Rückstände 1978/1979 in Höhe von 10 000 DM in Aussicht, wenn die darüber hinausgehenden Rückstände abgedeckt und auch die übrigen steuerlichen Verpflichtungen ordnungsgemäß erfüllt würden. Nach Tilgung der Rückstände 1978/1979 bis auf einen Teilbetrag von 10 000 DM werde das FA den Erlaß förmlich aussprechen. Mit Schreiben vom 14. Juli 1982 bestätigte das FA unter Bezugnahme auf die Besprechung bei der OFD die Erlaßzusage.
Am 14. Mai 1982 und damit zeitlich vor der Besprechung bei der OFD hatten die Kläger die Steuererklärungen 1980 beim FA eingereicht und darauf hingewiesen, daß sie einen Verlustrücktrag für 1979 in Höhe von 21 485 DM beantragten. Die Veranlagungen führten durch Bescheide vom 6. August 1982, 11. August 1982 und 7. September 1982 zu Steuererstattungsansprüchen von 1 527 DM, 2 891,63 DM und 5 019 DM. Aus den am 6. Dezember 1982 eingereichten Steuererklärungen 1981 ergaben sich lt. Steuerbescheiden vom 7. Februar 1983 weitere Erstattungsansprüche.
Insgesamt hätten danach die Steuererstattungsansprüche einerseits und die von den Klägern vorgenommenen Zahlungen auf die Steuerrückstände in Höhe von 600 DM sowie der in Aussicht gestellte Teilerlaß von 10 000 DM andererseits zu einer Steuerüberzahlung in Höhe von rd. 5 000 DM geführt.
Mit Bescheid vom 4. Februar 1983 nahm das FA die Zusage des Teilerlasses zurück, weil es die Kläger versäumt hätten, die Finanzbehörden auf die zur Verrechnung mit den Steuerrückständen bestehenden Erstattungsansprüche aufmerksam zu machen.
Mit der dagegen erhobenen Beschwerde machten die Kläger geltend, es sei unzutreffend, daß sie das FA nicht von den Erstattungsansprüchen in Kenntnis gesetzt hätten. Mit Schreiben vom 18. Mai 1982, mit dem eine Verlängerung des Vollstreckungsaufschubs beantragt worden sei, habe der Prozeßbevollmächtigte ausdrücklich auf die von ihm errechneten Steuererstattungsansprüche in Höhe von 10 447,25 DM hingewiesen. Die Beschwerde blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und verpflichtete das FA zur Einhaltung der Erlaßzusage. Es führte aus, daß nach der Besprechungsniederschrift über die Erörterung bei der OFD vom 15. Juni 1982 die Existenzgefährdung und die hohen Schulden für die Zusage maßgeblich gewesen seien. Die OFD habe die Zusage unabhängig von einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Kläger gemacht und sich insbesondere nicht die Überprüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Kläger bis zur Erfüllung der Erlaßvoraussetzungen vorbehalten. Die Erlaßzusage als rechtmäßiger Verwaltungsakt habe nicht nach § 131 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 widerrufen werden können, weil die Steuererstattungsansprüche dem FA bzw. der OFD aus den am 14. Mai 1982 abgegebenen Steuererklärungen hätten bekannt sein müssen. Außerdem hätten die Vertreter der OFD nach Angaben des Prozeßbevollmächtigten der Kläger zu Anfang der Besprechung mitgeteilt, daß ,,der Fall bekannt sei und die Steuerakten vorlägen". Dies habe die Nachfrage entbehrlich gemacht, ob auch die Steuererklärungen für 1980 vorlägen. Ferner hätten die Kläger davon ausgehen können, daß der Finanzbehörde die Existenz der Steuererstattungsansprüche bekannt gewesen sei. Da das FA und die OFD das steuerliche Ergebnis für 1981 nicht zur Grundlage der Erlaßzusage gemacht haben, hätten die Kläger die gegebene Zusage nur so verstehen können, daß die steuerlichen Ergebnisse für die Jahre 1980 und 1981 nicht Grundlage der Erlaßzusage gewesen seien.
Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision beantragt das FA, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Es rügt die Verletzung des § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO 1977 und macht geltend, daß Zusagen, die nicht anläßlich einer Außenprüfung gegeben worden seien, nicht nur analog den Vorschriften der §§ 206, 207 AO 1977 aufgehoben oder geändert werden könnten. Entgegen der Ansicht des FG sei die Zusage ein rechtswidriger Verwaltungsakt gewesen, der gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO 1977 habe zurückgenommen werden können. Denn die Kläger hätten die Zusage durch in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt. Die OFD hätte die Zusage bei Kenntnis der abgegebenen, ihr aber im Zeitpunkt der Zusageerklärung nicht vorliegenden Steuererklärungen nicht gemacht. Maßgebend für die Anwendbarkeit des § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO 1977 sei allein die Kenntnis der OFD, da diese die Zusage gegeben habe. Das FA habe mit dem Schreiben vom 14. Juli 1982 lediglich die bereits mündlich erteilte Zusage der OFD bestätigt bzw. wiederholt und keine erneute, eigene Zusage gegeben.
Die Kläger beantragen die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage.
Der vom FG festgestellte Sachverhalt rechtfertigt nicht die Folgerung, daß das FA an die von ihm gegebene Zusage über einen Teilerlaß in Höhe von 10 000 DM gebunden ist.
Die Finanzämter sind im Besteuerungsverfahren an das Gesetz gebunden. Sie haben die nach dem Gesetz entstandenen Steueransprüche geltend zu machen (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes - GG -, Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 12. Februar 1969 I BvR 687/62, BVerfGE 25, 216, 228, BStBl II 1969, 364, 368). Nur ausnahmsweise können die Grundsätze von Treu und Glauben das FA daran hindern, den nach dem Gesetz entstandenen Steueranspruch geltend zu machen. Ein solcher Fall kann dann gegeben sein, wenn eine Finanzbehörde einem Steuerpflichtigen zugesagt hat, einen Sachverhalt in einem bestimmten Sinne zu beurteilen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. März 1983 IV R 36/79, BFHE 138, 223, 229, BStBl II 1983, 459, 462).
Im Streitfall kommt dafür nur die schriftliche Zusage des FA auf Gewährung eines Teilerlasses in Betracht, die auf der Grundlage der Besprechung bei der OFD mit der dabei von den Vertretern der OFD abgegebenen mündlichen Erklärung gemacht worden ist.
Voraussetzung für eine Bindung nach Treu und Glauben durch eine Zusage ist u. a., daß der vom Steuerpflichtigen mitgeteilte Sachverhalt in allen wesentlichen Punkten richtig und vollständig dargestellt wurde. Einer Zusage kommt dagegen keine bindende Wirkung zu, wenn die Darstellung des Sachverhalts lückenhaft oder unrichtig ist (vgl. Urteil in BFHE 138, 223, BStBl II 1983, 459; Woerner / Grube, Die Aufhebung und Änderung von Steuerverwaltungsakten, 8. Aufl., S. 52; Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., Tz. 12 vor § 204 AO 1977).
Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt, daß das FA nicht an die Erlaßzusage gebunden ist.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der Voraussetzungen einer Zusage ist im Streitfall allein die Besprechung bei der OFD am 15. Juni 1982. Denn in dieser Besprechung ist der Erlaßantrag der Kläger über 35 722,75 DM als Beschwerdesache behandelt worden und infolge dieser Besprechung ist der streitige Teilerlaß von 10 000 DM bindend in Aussicht gestellt worden. Entsprechend hat das FA in seiner schriftlichen Erlaßzusage vom 14. Juli 1982 ausdrücklich auf diese Besprechung bei der OFD Bezug genommen.
Die vom Kläger in dieser Besprechung abgegebene Sachverhaltsdarstellung zu seiner damaligen persönlichen Lage ist insofern unvollständig gewesen, als er nicht darauf hingewiesen hat, daß sich aus den zwischenzeitlich beim FA eingereichten Steuererklärungen 1980 möglicherweise Steuererstattungen ergaben. Indem er bei der Schilderung seiner Vermögenslage an Vermögenswerten nur ein Grundstück und eine Lebensversicherung nannte, hat er bei den Vertretern der OFD den Eindruck erweckt, daß er dem FA ohne Gegenforderungen den Betrag von 35 722,75 DM schulde. Dieser Betrag war Gegenstand des Erlaßantrags und gegen die Ablehnung dieses Erlasses fand im Beschwerdeverfahren eben diese Besprechung bei der OFD statt. Deshalb mußte der Kläger zur Vermeidung einer unzutreffenden Darstellung seiner Steuerschulden auch die Guthaben erwähnen, die sich aus den Erstattungsansprüchen aufgrund der am 14. Mai 1982 beim FA eingereichten Steuererklärungen 1980 ergeben sollten und die der Prozeßbevollmächtigte nach eigenen Angaben im Beschwerdeverfahren bereits mit 10 447,25 DM errechnet hatte. Die künftigen Erstattungsansprüche der Kläger waren auch wesentlich, weil damit den Steuerschulden von 35 722,75 DM nach der eigenen Berechnung des Steuerberaters der Kläger ein Erstattungsanspruch in Höhe von 10 447,25 DM gegenüberstand. Diese für die Prüfung des Erlasses lückenhafte bzw. unzutreffende Sachdarstellung in der Besprechung bei der OFD führt dazu, daß die Finanzverwaltung nach Treu und Glauben nicht an ihre daraufhin erteilte Zusage gebunden ist.
Entgegen der Ansicht der Vorinstanz kommt es für die Bindungswirkung der Zusage nicht darauf an, ob der OFD oder dem FA vor Erteilung der Zusage die Existenz der Steuererstattungsansprüche aufgrund der eingereichten Steuererklärungen hätte bekannt sein können und müssen. Es kann auch offenbleiben, ob die verbindliche Zusage schon in den (mündlichen) Ausführungen der Vertreter der OFD in der Besprechung oder erst in dem Schreiben des FA vom 14. Juli 1982 zu sehen ist. Maßgebend für die Zusage war jedenfalls für die Kläger erkennbar die Meinungsbildung der OFD; denn das FA hat sich als Grundlage für seine Erlaßzusage ausdrücklich auf die Besprechung bei der OFD bezogen. Diese Meinungsbildung der OFD hat der Kläger durch seine unvollständigen Angaben in der Besprechung herbeigeführt. Es muß auch davon ausgegangen werden, daß die OFD keinen Erlaß in Aussicht gestellt hätte, wenn ihre Vertreter den vollständigen Sachverhalt gekannt hätten. Da die Kläger die unvollständige Sachkenntnis der OFD selbst verursacht haben, können sie sich bei Abwägung ihres eigenen Verhaltens und der etwaigen Unterlassungen der OFD und des FA nicht darauf berufen, daß der Sachverhalt von den Finanzbehörden hätte besser aufgeklärt werden können und müssen.
Der Senat hält es auch für unschädlich, wenn die Vertreter der OFD dem Kläger zu Beginn der Besprechung mitgeteilt haben sollten, daß ,,der Fall bekannt sei und die Steuerakten vorlägen". Eine derartige Gesprächseröffnung hätte nämlich keinen Einfluß darauf gehabt, daß und wie der Kläger seine damalige wirtschaftliche Lage zur Begründung seiner Beschwerde in der OFD-Besprechung im einzelnen dargestellt hat. Gerade diese detaillierte Darlegung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse erforderte es, die erwarteten Steuererstattungsansprüche aus den bereits eingereichten Steuererklärungen ausdrücklich zu erwähnen. Ein solcher Hinweis ist jedoch bei den den Verbindlichkeiten gegenüberstehenden Vermögenswerten nicht gemacht worden. Dazu bestand aber schon deshalb Anlaß, weil die Kläger den Erlaßantrag als Gegenstand der Beschwerde betragsmäßig nicht reduziert hatten.
Im Streitfall ist das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Es sah es als entscheidend an, daß der OFD die steuerlichen Verhältnisse der Kläger bekannt sein mußten.
Hierauf kommt es, wie ausgeführt worden ist, aber nicht an. Es genügte, daß die Angaben des Klägers über seine finanzielle Situation bezüglich der Erstattungsansprüche nicht zutrafen und die OFD diesen Angaben erhebliche Bedeutung für ihre Erklärung beimaß.
Fundstellen
Haufe-Index 416139 |
BFH/NV 1989, 420 |