Leitsatz (amtlich)
Der gemeinsame Sparer-Freibetrag von 600 DM ist zusammenveranlagten Ehegatten auch dann zu gewähren, wenn nur ein Ehegatte positive Einkünfte aus Kapitalvermögen in dieser Höhe erzielt hat, die Ehegatten insgesamt aber einen Verlust aus Kapitalvermögen erlitten haben.
Normenkette
EStG § 20 Abs. 4, § 26b
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 1977 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden. Sie erklärten für 1977 folgende Einkünfte aus Kapitalvermögen:
Ehemann Ehefrau
Einnahmen 2 501 DM 0 DM
Werbungskosten 955 DM 2 398 DM
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Einkünfte 1 546 DM ./. 2 398 DM.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) versagte in dem Einkommensteuerbescheid für 1977 den Abzug eines Sparer- Freibetrags. Die Kläger begehrten mit dem Einspruch, ihnen den gemeinsamen Sparer-Freibetrag in Höhe von 600 DM zu gewähren. Der Einspruch blieb erfolglos.
Die Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) gewährte für den Ehemann einen Sparer-Freibetrag von 300 DM und wies die Klage im übrigen ab. Es führte aus: Von den positiven Einkünften des Ehemannes von 1 546 DM könne ein anteiliger Sparer-Freibetrag von 300 DM abgesetzt werden. § 20 Abs.4 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) stehe dem nicht entgegen. Diese Vorschrift verlange nicht, daß der Sparer-Freibetrag und der gemeinsame Sparer-Freibetrag den zusammengerechneten Einkünften aus Kapitalvermögen beider Ehegatten gegenüberzustellen seien. Ergebe sich wenigstens bei einem Ehegatten ein Überschuß, sei ein anteiliger Sparer-Freibetrag zu gewähren.
Das FA rügt mit der Revision die Verletzung des § 20 Abs.4 EStG. Zusammenveranlagte Eheleute könnten gemäß § 20 Abs.4 Satz 2 EStG nur den gemeinsamen Sparer-Freibetrag beanspruchen, nicht etwa zwei einzelne Sparer-Freibeträge. Der gemeinsame Sparer-Freibetrag dürfe gemäß § 20 Abs.4 Satz 4 EStG nicht zu einem Verlust führen (Abschn.156a Abs.1 Satz 5 der Einkommensteuer-Richtlinien --EStR-- 1975). Diese Regelung finde eine Parallele in § 9a Nr.2 EStG. Der verdoppelte Werbungskosten- Pauschbetrag, der nach dieser Vorschrift zusammenveranlagten Eheleuten zustehe, könne ebenfalls nicht von einem Ehegatten lediglich zur Hälfte in Anspruch genommen werden (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17.Januar 1969 VI R 224/67, BFHE 95, 222, BStBl II 1969, 376).
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist unbegründet.
Bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen ist nach Abzug der Werbungskosten ein Sparer-Freibetrag von 300 DM abzusetzen (§ 20 Abs.4 Satz 1 EStG). Zusammenveranlagten Ehegatten steht ein "gemeinsamer Sparer-Freibetrag" von 600 DM zu (§ 20 Abs.4 Satz 2 EStG). Der gemeinsame Sparer-Freibetrag ist bei der Einkunftsermittlung der Ehegatten je zur Hälfte abzuziehen; soweit ein Ehegatte seinen anteiligen Freibetrag nicht ausnutzen kann, wird dieser auf den anderen Ehegatten übertragen (§ 20 Abs.4 Satz 3 EStG). Der Sparer-Freibetrag und der gemeinsame Sparer-Freibetrag dürfen indessen nicht höher sein als die um die Werbungskosten geminderten Kapitalerträge (§ 20 Abs.4 Satz 4 EStG).
Die Zusammenveranlagung von Ehegatten läßt grundsätzlich die getrennte Einkunftsermittlung der beiden Ehegatten unberührt (BFH-Urteil vom 26.Juli 1983 VIII R 160/80, BFHE 139, 69, BStBl II 1983, 674, mit Nachweisen). Die getrennt ermittelten Einkünfte sind lediglich zusammenzurechnen (§ 26b EStG). Demnach kommen auch Pauschbeträge und Freibeträge, die die Einkunftsermittlung betreffen, regelmäßig nur dem Ehegatten zugute, dessen Einkunftsermittlung in Frage steht. In bestimmten gesetzlich geregelten Ausnahmefällen hat die Zusammenveranlagung allerdings auch Auswirkung auf die Einkunftsermittlung. Aus dem Bereich der einkünftebezogenen Pauschbeträge und Freibeträge sind als Beispiele zu nennen: der erhöhte Werbungskosten-Pauschbetrag nach § 9a Nr.2 EStG, der erhöhte Freibetrag für Land- und Forstwirte nach § 13 Abs.3 EStG oder der gemeinsame Sparer- Freibetrag nach § 20 Abs.4 EStG. Auch wenn mit Tipke (Steuer und Wirtschaft --StuW-- 1980, 1, 10) anzunehmen wäre, daß diese Regelungen weder im einzelnen noch insgesamt ein Konzept erkennen lassen, läßt sich doch sagen, daß sie die Zusammenveranlagung auch im Bereich der Einkunftsermittlung begünstigen sollen. Es besteht kein Anlaß, derartige Begünstigungen einschränkend zu verstehen. Ihr Ausnahmecharakter gebietet es allerdings, Auswirkungen auf die Einkunftsermittlung im übrigen nach Möglichkeit zu vermeiden. Soweit solche Auswirkungen unumgänglich und überdies belastend sind, erscheint es zumindest nicht angängig, sie durch Auslegung zu verstärken und damit die Begünstigung ganz oder teilweise wieder aufzuheben.
Das FA möchte, falls die zusammenveranlagten Ehegatten insgesamt einen Verlust aus Kapitalvermögen erlitten haben, den gemeinsamen Sparer-Freibetrag selbst dann versagen, wenn einer der Ehegatten positive Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt hat, die den Freibetrag erreichen (ebenso Keßler, Finanz-Rundschau --FR-- 1983, 244; nicht eindeutig Abschn.156a Abs.1 Sätze 3 und 5 EStR 1975; im Sinne des FA nunmehr aber Abschn.156a Abs.1 Satz 5 EStR 1984). Der Senat hält es demgegenüber für gerechtfertigt, in diesem Fall dem Ehegatten mit den positiven Einkünften aus Kapitalvermögen den gemeinsamen Sparer-Freibetrag in voller Höhe --also bis zu 600 DM-- zu gewähren (wie hier Horlemann, FR 1983, 220; Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1983, 678; Lahann, DStR 1983, 502). Die Kläger hatten diese Auffassung im Klageverfahren ebenfalls vertreten. Der Senat ist dennoch nicht in der Lage, ihnen --über den vom FG gewährten Freibetrag von 300 DM hinaus-- den gemeinsamen Freibetrag von 600 DM zuzusprechen. Sie müssen sich entgegenhalten lassen, daß sie die Vorentscheidung insoweit rechtskräftig werden ließen.
Dem FA ist zuzugeben, daß zusammenveranlagten Eheleuten gemäß § 20 Abs.4 Satz 2 EStG nur der gemeinsame Sparer-Freibetrag zu gewähren ist. Der gemeinsame Sparer-Freibetrag kann nicht als die Zusammenfassung von zwei einzelnen Sparer-Freibeträgen i.S. des § 20 Abs.4 Satz 1 EStG aufgefaßt werden. Der Senat stimmt hierin mit dem Urteil in BFHE 95, 222, BStBl II 1969, 376 überein, das für § 9a Nr.2 EStG eine Aufteilung des erhöhten Werbungskosten-Pauschbetrags auf zwei Einzelpauschbeträge der zusammenveranlagten Eheleute abgelehnt hat. Hieraus folgt, daß der erhöhte Werbungskosten-Pauschbetrag entfallen muß, wenn nur ein Ehegatte Werbungskosten in einer Höhe nachweist, die den erhöhten Pauschbetrag überschreitet; denn der Werbungskosten- Pauschbetrag gilt tatsächliche Werbungskosten ab, der erhöhte Werbungskosten-Pauschbetrag mithin die tatsächlichen Werbungskosten beider Ehegatten. Eine Parallele zu § 20 Abs.4 EStG läßt sich nicht ziehen. In § 9a Nr.2 EStG fehlt eine dem § 20 Abs.4 Satz 3 EStG vergleichbare Vorschrift.
§ 20 Abs.4 Satz 3 EStG bestimmt ausdrücklich, in welcher Weise der gemeinsame Sparer-Freibetrag abzuziehen ist, und macht Überlegungen entbehrlich, an welcher Stelle und in welcher Aufteilung der Freibetrag ansonsten abzuziehen wäre. Halbsatz 1 ordnet an, daß der gemeinsame Sparer-Freibetrag bei jedem Ehegatten je zur Hälfte --also mit 300 DM-- abzuziehen ist. Damit werden zusammenveranlagte Eheleute im Ergebnis den einzelveranlagten Steuerpflichtigen gleichgestellt. Die Begünstigung der zusammenveranlagten Eheleute findet sich erst im Halbsatz 2, der eine Übertragung des anteiligen gemeinsamen Sparer-Freibetrags "insoweit, als er die um die Werbungskosten geminderten Kapitalerträge dieses Ehegatten übersteigt", auf den anderen Ehegatten erlaubt. Die Übertragung ist nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift vorzunehmen, wenn ein Ehegatte Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt, die weniger als 300 DM betragen, null DM ausmachen bzw. gar nicht vorhanden oder negativ sind. Eine Begrenzung der Übertragungsmöglichkeit läßt sich aus § 20 Abs.4 Satz 4 EStG nur für den Fall herleiten, daß der gemeinsame Sparer-Freibetrag höher ist als die Einkünfte jedes einzelnen Ehegatten. Zwar stellt § 20 Abs.4 Satz 4 EStG nicht ausdrücklich auf die Einkünfte der einzelnen Ehegatten ab. Diese Folge ergibt sich jedoch daraus, daß, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist, die Einkünfte jedes zusammenveranlagten Ehegatten gesondert ermittelt und beurteilt werden.
Sinn und Zweck des gemeinsamen Sparer-Freibetrags stehen dieser Auslegung nicht entgegen. Der Sparer-Freibetrag soll ein Sockel- Sparvermögen steuerlich schonen (BTDrucks 7/1470 S.220), möglicherweise auch einen gewissen Ausgleich für die Geldentwertung geben (BFH-Urteil vom 14.Mai 1974 VIII R 95/72, BFHE 112, 546, 559, BStBl II 1974, 572). Dies gilt um so mehr für den gemeinsamen Sparer-Freibetrag. Steuerlich geschont werden zusammenveranlagte Ehegatten auch dann, wenn das Sockel-Sparvermögen eines Ehegatten begünstigt wird. Die den zusammenveranlagten Ehegatten zugestandene Begünstigung würde ihnen sonst ganz oder teilweise wieder genommen. Die Materialien bestätigen die hier gefundene Auslegung. Nach ihnen soll die Übertragungsmöglichkeit "eine Benachteiligung der Ehegatten" vermeiden; jeder Ehegatte soll höchstens einen Freibetrag in Höhe "seiner" Kapitalerträge ansetzen dürfen (BTDrucks 7/1470 S.274). Danach entfällt oder mindert sich der gemeinsame Sparer-Freibetrag von 600 DM erst dann, wenn nicht wenigstens einer der Ehegatten in dieser Höhe einen Überschuß der Kapitalerträge über die Werbungskosten erzielt. Hieran fehlt es im Streitfall. Der Ehemann erzielte 1977 positive Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von mehr als 600 DM.
Fundstellen
Haufe-Index 60795 |
BStBl II 1985, 547 |
BFHE 143, 269 |
BFHE 1985, 269 |
BB 1985, 1177-1178 (LT) |
DB 1985, 1621-1622 (ST) |
DStR 1985, 445-445 (L) |
DStZ, Beihefter zu Nr 1-2/1986 (S) |
HFR 1985, 366-367 (ST) |