Leitsatz (amtlich)
1. Für die Bestimmung der Gegenleistung ist nicht maßgebend, was die Vertragschließenden als Kaufpreis bezeichnen, sondern was nach dem Inhalt des Vertrages der Käufer als Kaufpreis zu erbringen hat (BFH 91, 131).
2. Die Auslegung des objektiven Gehalts einer Willenserklärung ist Rechtsanwendung und als solche in vollem Umfang der Nachprüfung des Revisionsgerichts unterworfen (BFH 91, 337).
3. Ist in einem Kaufvertrag ein bestimmter Betrag als Kaufpreis ausgewiesen, in demselben Vertrag aber vereinbart, daß nicht dieser Betrag zu leisten ist, sondern u. a. unverzinsliche oder niedrig verzinsliche Hypothekenschulden (BFH 87, 547, 88, 390) unter nicht abgezinster Verrechnung auf diesen zu übernehmen sind, darf nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß diese Schuldübernahmen (§ 416 BGB) an Erfüllungs Statt (§ 364 Abs. 1 BGB) für entsprechende Teile des an sich geschuldeten Nominalbetrags gegeben und genommen werden sollten und nicht Teil der Gegenleistung seien.
Normenkette
GrEStG 1940 § 10 Abs. 1, § 11 Abs. 1 Nr. 1; FGO § 118 Abs. 2
Tatbestand
Der Kläger hat im Jahr 1965 ein Grundstück gekauft. Der Kaufvertrag nennt als Kaufpreis 580 000 DM, als bar zu zahlenden Kaufpreis; 39 083,03 DM. In Anrechnung auf den Kaufpreis übernahm der Kläger sieben Hypotheken nebst den ihnen zugrunde liegenden Darlehensschulden, unter diesen unverzinsliche und niedrig verzinsliche; außerdem erklärte er sich bereit, die von den Mietern des Hauses an die Verkäuferin entrichteten Mietvorauszahlungen gegen sich gelten zu lassen. Im Kaufvertrag nahmen die Vertragschließenden die Valuta der Hypotheken mit 434 161,17 DM, die Vorauszahlungen mit 6 755,80 DM an. Nach Feststellung der richtigen Beträge sollte die Differenz entweder aus dem beim Notar hinterlegten Barpreis oder durch Nachzahlung des Klägers ausgeglichen werden.
Das Finanzamt (Beklagter) hat gegen den Kläger Grunderwerbsteuer festgesetzt, die es in der Einspruchsentscheidung auf 40 600 DM herabsetzte. Nach seiner Auffassung stimmt der Wert der Gegenleistung mit dem als Kaufpreis genannten Betrag von 580 000 DM überein. Der Kläger ist demgegenüber der Ansicht, der Wert der Gegenleistung setze sich aus den einzelnen Leistungen (dem bar zu zahlenden Betrag, den Schuldübernahmen usw.) zusammen, die je für sich zu bewerten seien. Dabei sei zu berücksichtigen, daß die übernommenen Hypothekenschulden nicht oder nur gering zu verzinsen seien. Das Finanzgericht hat die Klage abgewiesen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt § 11 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG durch Nichtanwendung des § 157 BGB.
Das Finanzgericht hat sich zwar für überzeugt erklärt, daß „die Vertragsparteien einen festen Kaufpreis vereinbart und die Übernahme der Hypotheken nur an Erfüllungs Statt gegeben bzw. angenommen haben”. Darin kann aber nur die Bekundung einer Rechtsüberzeugung und keine den Bundesfinanzhof (BFH) gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindende tatsächliche Feststellung gesehen werden. Denn das Finanzgericht begründet diesen Satz unmittelbar anschließend damit, die Vertragschließenden hätten „in dem Vertrag … nämlich die Zahlung von 580 000 DM fest vereinbart und erklärt, daß der Kaufpreis durch eine Barzahlung und die Übernahme von Hypotheken in Anrechnung auf den Kaufpreis belegt werde”. Bei dieser Begründung muß davon ausgegangen werden, daß das Finanzgericht seine Überzeugung aus dem Wortlaut der Vertragsurkunde geschöpft („nämlich”), diese also ausgelegt hat. Die Auslegung des objektiven Gehalts einer Willenserklärung ist Rechtsanwendung und als solche HI vollem Umfang der Nachprüfung des Revisionsgerichts unterworfen (BFH-Urteil V 118/65 vom 16. November 1967, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 91 S. 336 [337] – BFH 91, 336 [337]–, BStBl II 1968, 348).
Anschließend führt das Finanzgericht aus, die Vertragsparteien hätten „sich zunächst offenbar eine Vorstellung gebildet, zu welchem Preis der Veräußerer das Grundstück herzugeben und der Kläger es zu erwerben bereit war”; sie hätten „den Valutenstand der Grundpfandrechte so gut wie möglich festgestellt und hiernach den zu leistenden Barbetrag vereinbart”. Ob damit nur Folgerungen aus dem objektiven Vertragsinhalt gezogen („offenbar”) oder tatsächliche Feststellungen getroffen sind, kann dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls läßt ein solcher Ablauf nicht den rechtlichen Schluß zu, die Barausgleichsklausel wäre nicht notwendig gewesen, wenn es den Vertragsparteien nur auf die Übernahme der einzelnen Leistungen und nicht auf die Festlegung eines bezifferten Kaufpreises angekommen wäre, und daß die Steuer aus dem eingangs des Vertrages als Kaufpreis genannten Betrag von 580 000 DM zu berechnen sei. Denn als Wert der Gegenleistung (§ 10 Abs. 1 GrEStG) gilt gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG – unbeschadet der weiteren Vorschriften der Absätze 2 und 3 des § 11 GrEStG – „der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen und der dem Verkäufer vorbehaltenen Nutzungen”, also die Summe der Leistungen, zu denen sich der Käufer dem Verkäufer gegenüber verpflichtet.
Maßgebend ist also nicht, was die Vertragschließenden als Kaufpreis bezeichnen, sondern was nach dem Inhalt des Vertrages der Käufer als Kaufpreis zu erbringen hat (BFH-Urteil II 93/63 vom 14. November 1967, BFH 91, 130 [131]). Diesbezüglich läßt aber der objektive Inhalt des Vertrages – und eine abweichende Vereinbarung ist nicht festgestellt (vgl. § 313 BGB) – keinen Zweifel daran, daß der Kläger nicht bare 580 000 DM zu leisten hatte. Vielmehr hatte der Kläger – jedenfalls dem objektiven Wortlaut des Vertrages nach – das Recht und die Pflicht, die Hypothekenschulden vorbehaltlich der Zustimmung der Gläubiger zu übernehmen (§ 416 BGB). Der „Kaufpreis” von 580 000 DM bedeutet in diesem Zusammenhang nur eine Rechnungsgröße für die in bar zu erbringende Leistung: diese sollte die Differenz zwischen dem Betrag von 580 000 DM und den Valutaständen der Hypotheken sowie den Mietvorauszahlungen sein. Wortlaut und innerer Zusammenhang des Vertrages geben keinen Anhalt für die Annahme des Finanzgerichts, die Vertragschließenden hätten einerseits einen baren Kaufpreis von 580 000 DM vereinbart, andererseits aber in ein und demselben Vertrag sich dahin geeinigt, daß eine andere als die geschuldete Leistung – nämlich an Stelle voller Barzahlung eine teilweise Schuldübernahme – gegeben und genommen werden solle (§ 364 Abs. 1 BGB).
Durch unzulässig enges (§ 133 BGB) Haften an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks „Kaufpreis” hat sich das Finanzgericht den Weg verschlossen, den Kaufvertrag so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es im Verhältnis der Vertragschließenden zueinander erfordern (§ 157 BGB). Da einzelne Hypotheken unverzinslich, andere niedrig verzinslich waren, mußte der Kläger – für den Verkäufer erkennbar – das größte Interesse daran haben, diese übernehmen zu können. Wäre eine dieser Hypotheken nicht valutiert gewesen, hätte der Verkäufer nach Treu und Glauben den vorläufig angesetzten Betrag nicht in voller Höhe in barem Geld verlangen können (§ 242 BGB). Nach dem objektiven Inhalt des Vertrages – und nur von diesem kann in diesem Rechtszug ausgegangen werden, da das Finanzgericht eine etwa abweichende übereinstimmende Willensrichtung beider Vertragschließenden nicht festgestellt hat – kann die Vertragsklausel über den Differenzausgleich nur in dem Sinne verstanden werden daß durch sie die verhältnismäßig geringfügigen Beträge zum Ausgleich gebracht werden sollen, die sich aus den laufenden Veränderungen des Kontenstandes gegenüber den darlehensgewährenden Banken und den Mietern ergeben (§ 157 BGB).
Die Grunderwerbsteuer ist demnach aus dem Wert der Leistungen zu errechnen, die der Kläger vereinbarungsgemäß zu erbringen hatte. Bei unverzinslichen Schulden ist § 12 Abs. 3 des Bewertungsgesetzes zu berücksichtigen.
Die wertbildenden Tatsachen und die sich nach Abrechnung im einzelnen ergebenden Leistungen sind nicht festgestellt (vgl. noch die BFH-Urteile II 69/63 vom 14. Februar 1967, BFH 87, 547, BStBl III 1967 203, und II R 118/66 vom 9. Mai 1967, BFH 88, 390, BStBl III 1967, 427). Die Sache war daher unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Diesem wurde auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen (§ 143 Abs. 2 FGO).
Die Entscheidung ergeht durch Vorbescheid (§§ 121, 90 Abs. 3 Satz 1 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 514553 |
BFHE 1972, 236 |