Leitsatz (amtlich)
Der Nichtansatz eines im amtlichen Handel an der Börse oder im geregelten Freiverkehr notierten Kurses im Sinne des § 13 Abs. 1 BewG 1. d. F. vor dem BewG 1965 kann noch im Verfahren über die Veranlagung der Vermögensteuer oder über die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens unter Berufung auf § 10 Abs. 2 Satz 3 dieses Gesetzes mit der Begründung verlangt werden, daß ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse diesen Kurs beeinflußt hätten. Ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse in diesem Sinne sind jedoch nur Umstände, die bei einem Antrag auf Streichung des Kurses durch den Börsenvorstand im Hinblick auf § 29 Abs. 3 BörsG berücksichtigt werden könnten.
Normenkette
BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 10; BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 13 Abs. 1; BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 13 Abs. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) besaß am 1. Januar 1963 Aktien einer Elektrizitäts-AG im Nennwert von 1 607 900 DM. Der für die Vermögensteuer-Hauptveranlagung auf den 1. Januar 1963 maßgebende Kurs vom 31. Dezember 1962 dieser Aktien war in der Bekanntmachung des BdF vom 3. Oktober 1963 (BStBl I 1963, 718) mit 800 v. H. ausgewiesen. Mit diesem Wert hatte die Klägerin die Aktien in ihrer Vermögensaufstellung des Betriebsvermögens vom 1. Januar 1963 angesetzt. In dieser Höhe wurden sie auch vom Beklagten und Revisionsbeklagten (FA) bei der berichtigten Einheitswertfeststellung des Vermögens der Klägerin auf den 1. Januar 1963 durch Bescheid vom 9. Juni 1969 angesetzt.
Der Einspruch, mit dem die Klägerin u. a. beantragte, die Aktien statt mit dem Kurswert mit dem gemeinen Wert anzusetzen, hatte keinen Erfolg. Auch die Klage wurde abgewiesen.
Die Klägerin beantragt mit der Revision, unter Aufhebung des Urteils des FG die Sache an das FG zurückzuverweisen, damit dieses den gemeinen Wert der Aktien nach den Grundsätzen des Stuttgarter Verfahrens feststellen lasse und die Einspruchsentscheidung des FA und den angefochtenen Einheitswertbescheid entsprechend berichtige. Es werden Verletzungen der amtlichen Ermittlungspflicht des FG und des bestehenden Rechts gerügt. Die Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht erblickt die Klägerin darin, daß das FG es unterlassen habe, das zuständige FA zu veranlassen, den gemeinen Wert der Aktien auf Grund einer gesonderten Erklärung der AG nach dem Stuttgarter Verfahren feststellen zu lassen. Die Verstöße gegen das bestehende Recht sieht die Klägerin darin, daß das FG den inneren Wert nicht durch Vergleich mit den anderen im Bewertungsgesetz als Bewertungsmaßstäbe für Wertpapiere vorgesehenen Maßstäben, nämlich den aus Verkäufen abgeleiteten gemeinen Wert und dem nach den Ertragsaussichten und den Vermögensverhältnissen geschätzten gemeinen Wert festgestellt habe. Es könne dahingestellt bleiben, ob die vom FG gesetzte Mindestwertdifferenz von 100 v. H. nicht zu hoch gegriffen sei. Nach den Ermittlungen der Klägerin ergebe sich nach dem Stuttgarter Verfahren ein gemeiner Wert von 305 v. H., das entspreche einem Mehrwert von rd. 170 v. H. Die Feststellung dieser Abweichung diene nur dazu, die Ausnahmefälle abzugrenzen, in denen ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse vorlägen und der Kurswert daher ausnahmsweise nicht zur Anwendung kommen könne. Stehe das fest, so sei zu prüfen, ob der Kurs auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zurückzuführen sei. Das sei entgegen der Auffassung des FG zu bejahen, weil nach der unbestrittenen Tatbestandsdarstellung ungewöhnliche Verhältnisse vorgelegen hätten. Das FG habe zwar die einzelnen vorgetragenen Tatsachen, nicht aber das Gesamtbild des unbestrittenen Sachverhalts ausreichend und richtig gewürdigt. Alle von ihr behaupteten Besonderheiten erklärten sich aus dem Unternehmenszweck der AG und der Verteilung des Aktienbesitzes. Lediglich einer der vier Großaktionäre, der die Aktien erworben habe, sei auf Grund der Entstehungsgeschichte der AG und ihrer Sonderaufgaben offenbar daran interessiert, sämtliche auf den Markt kommenden Aktien selbst zu einem überhöhten Preis zu erwerben. Es könne dahinstehen, ob die Motive, die diesen Aktionär veranlaßt hätten, Aktien zu einem überhöhten Preis zu erwerben, sinnvoll seien. Es komme hinzu, daß wegen der Steuerfreiheit der anderen Aktionäre lediglich die Klägerin und die Streubesitzer steuerliche Nachteile durch den überhöhten Kurs hätten. Es werde noch einmal darauf hingewiesen, daß die dadurch entstehende steuerliche Überbelastung konfiskatorischen Charakter habe.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Die Bewertung von Wertpapieren und Anteilen richtet sich nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch insoweit nach § 13 BewG i. d. F. vor BewG 1965 (im folgenden: BewG), als die Wertpapiere und Anteile zu einem Betriebsvermögen gehören. Nach § 13 Abs. 1 BewG werden Wertpapiere, die am Stichtag an einer deutschen Börse zum amtlichen Handel zugelassen (Satz 1) oder in den geregelten Freiverkehr einbezogen sind (Satz 3), mit dem niedrigsten am Stichtag für sie im amtlichen Handel bzw. im geregelten Freiverkehr notierten Kurs angesetzt. Liegt am Stichtag eine Notierung nicht vor, so ist der letzte vor dem Stichtag im amtlichen Handel bzw. im geregelten Freiverkehr notierte Kurs maßgebend (Satz 2). Für Anteile an Kapitalgesellschaften, die nicht zum amtlichen Handel zugelassen oder in den geregelten Freiverkehr einbezogen sind, schreibt § 13 Abs. 2 BewG die Bewertung mit dem gemeinen Wert vor (Satz 1). Dieser ist in erster Linie aus Verkäufen abzuleiten (Satz 2, 1. Halbsatz) und nur, wenn dies nicht möglich ist, unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft zu schätzen (Satz 2, 2. Halbsatz). § 13 Absatz 1 und 2 BewG kennt danach drei Bewertungsmaßstäbe, die zueinander in einer bestimmten Rangfolge stehen. Liegt ein im amtlichen Handel bzw. im geregelten Freiverkehr notierter Kurs vor, so ist dieser anzusetzen. Liegt kein notierter Kurs vor, sind aber Verkäufe außerhalb der Börse getätigt, so ist der gemeine Wert aus diesen Verkäufen abzuleiten. Liegen auch keine Verkäufe außerhalb der Börse vor, so ist der gemeine Wert zu schätzen.
2. Aus dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 und 2 BewG, insbesondere aus der Gegenüberstellung des Kurswertes in Abs. 1 und des gemeinen Werts in Abs. 2, könnte der Eindruck entstehen, daß der Kurswert kein gemeiner Wert ist. Berücksichtigt man aber die Systematik des Bewertungsgesetzes und den Sinnzusammenhang, in den die Vorschrift des § 13 Abs. 1 BewG gestellt ist, so kommt man zu dem gegenteiligen Ergebnis. Denn erstens ist der gemeine Wert, wie sich aus § 10 Abs. 1 BewG ergibt, der Bewertungsmaßstab, der nach dem Willen des Gesetzgebers das Bewertungsrecht beherrschen soll. Zweitens wird der gemeine Wert nach § 10 Abs. 2 Satz 1 BewG durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsguts bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Für Wertpapiere, die die Beschaffenheit haben, zum amtlichen Handel an der Börse zugelassen oder in den geregelten Freiverkehr einbezogen zu sein, ist aber der Kurs der Preis, der bei ihrer Veräußerung erzielt worden ist. Denn nach § 29 Abs. 3 des Börsengesetzes (BörsG) ist als Börsenpreis derjenige Preis festzusetzen, welcher der wirklichen Geschäftslage des Verkehrs an der Börse entspricht. Meyer-Bremer (Börsengesetz, 4. Aufl., S. 73) bemerken dazu, daß sowohl die festen Kurse als auch die Einheitskurse Börsenpreise sind, zu denen sich Umsätze tatsächlich vollzogen haben. Dies gilt auch für die im geregelten Freiverkehr festgestellten Kurse, die zwar durch freie Makler ermittelt werden, aber nach einer in den Geschäftsordnungen und Richtlinien der einzelnen Börsen reglementierten Weise (vgl. Meyer-Bremer, a. a. O., S. 111). Der Senat folgert aus alledem, daß der Kurswert im Sinne des § 13 Abs. 1 BewG zwar auch der gemeine Wert ist, aber mit der Besonderheit, daß er nach den börsenrechtlichen Vorschriften zu ermitteln ist. Aus dieser Besonderheit schließt der Senat weiter, daß der Nichtansatz eines amtlich oder im geregelten Freiverkehr festgestellten Kurses auch nur unter den Voraussetzungen erreicht werden kann, unter denen nach dem Börsenrecht die Streichung der Kurse verlangt werden kann. Daraus ergibt sich, daß beim Kurswert als ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse, die nach § 10 Abs. 2 Satz 3 BewG bei der Ermittlung des gemeinen Wertes nicht zu berücksichtigen sind, nur solche Verhältnisse zu verstehen sind, die auch nach dem BörsG nicht zu berücksichtigen sind. Das bedeutet allerdings nicht, daß nur die Streichung eines Kurses beim Börsenvorstand beantragt werden kann. Nach Auffassung des Senats können auch noch in den Verfahren über die Veranlagung der Vermögensteuer oder die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens, bei denen es um den Ansatz des Kurses geht, Einwendungen in dieser Richtung erhoben werden.
3. Aus § 29 Abs. 3 BörsG geht hervor, daß der Börsenpreis "der wirklichen Geschäftslage des Verkehrs an der Börse" entsprechen muß. Wie Meyer-Bremer (a. a. O., S. 72) unter Hinweis auf die amtliche Begründung zum BörsG betonen, müssen deshalb bei der Feststellung des Kurses alle Geschäfte außer Betracht bleiben, deren Preise durch besondere persönliche Beziehungen und sonstige nicht den Handel im ganzen berührende Umstände beeinflußt sind. Solche Umstände könnten namentlich in den individuellen Verhältnissen des Käufers oder Verkäufers beruhen, ferner in Vereinbarungen, durch welche die usancemäßigen für die Preisbemessung erheblichen Bedingungen des Geschäfts abgeändert werden. Auch Scheingeschäfte müßten ausgeschieden werden. Es komme aber nicht auf die Geschäftslage außerhalb der Börse oder auf den sogenannten "inneren Wert" bei Wertpapieren an.
4. Wendet man diese Grundsätze auf den Streitfall an, so hat es das FG im Ergebnis zu Recht abgelehnt, den Kurswert nicht anzusetzen. Dabei ist vorauszuschicken, daß die Klägerin für das Vorliegen besonderer Umstände, die zu einem Nichtansatz des Kurses führen könnten, die sogenannte Feststellungslast trifft (vgl. Urteil des BFH vom 5. November 1970 V R 71/67, BFHE 101, 156, BStBl II 1971, 220, unter II, 4. und 5.). Die Klägerin muß also die Tatsachen vorbringen, aus denen sich solche Umstände ergeben sollen. Das ändert zwar nichts daran, daß die amtliche Ermittlungspflicht des FG sich auch auf dieses Vorbringen erstreckt. Eine Verletzung dieser amtlichen Ermittlungspflicht kann aber nur vorliegen, wenn die Klägerin entsprechende Tatsachen vorgetragen hat. Deshalb geht die Rüge der mangelnden Sachaufklärung, welche die Klägerin damit begründet, das FG habe keine Feststellungen über den gemeinen Wert der Aktien getroffen, schon deshalb fehl, weil die Klägerin damit den inneren Wert dieser Aktien nachweisen will, auf den es nach den Ausführungen oben zu 3. nicht ankommt. Auch das übrige Vorbringen der Klägerin kann nach diesen Ausführungen das Begehren der Klägerin, den Kurs außer Ansatz zu lassen, nicht begründen. Das gilt für das Vorbringen, daß nur ein Käufer aufgetreten sei, daß dieser Käufer die Aktien auch zu überhöhten Preisen gekauft habe, daß nur geringe Umsätze getätigt worden seien, daß der Kurs keinen Schwankungen unterlegen habe und daß auch Verkäufe außerhalb der Börse vorgenommen worden seien. Alle diese Umstände betreffen nicht die "Geschäftslage des Verkehrs an der Börse". Sie könnten deshalb nicht zu einer Streichung des Kurses durch den Börsenvorstand führen. Deshalb können sie auch im steuergerichtlichen Verfahren nicht dazu führen, den Kurs beiseite zu schieben, der unbestritten der amtliche Kurs im Sinne des § 13 Abs. 1 BewG ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung.
Fundstellen
Haufe-Index 71003 |
BStBl II 1974, 656 |
BFHE 1975, 59 |