Leitsatz (amtlich)
ZFÄ sind für Beschlagnahmen zur Sicherstellung der Sachhaftung nach § 76 AO 1977 sachlich nicht zuständig.
Orientierungssatz
1. Eine Behörde darf nur im Rahmen ihrer sachlichen Zuständigkeit tätig werden. Sachlich zuständig ist eine Behörde für den ihr zugewiesenen Aufgabenkreis (vgl. BFH-Urteil vom 29.10.1986 VII R 82/85).
2. Die Beschlagnahme nach § 76 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 hat allein den Zweck, die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis dadurch sicherzustellen, daß die Realisierung der Sachhaftung ermöglicht wird. Mit der Feststellung, ob solche Ansprüche gegeben sind, d.h. mit der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen, hat sie nichts zu tun.
Normenkette
AO 1977 § 76 Abs. 3 S. 1, § 208 Abs. 1 Nr. 2, §§ 16, 208 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
FG Hamburg (Entscheidung vom 29.08.1985; Aktenzeichen IV 115/83 H) |
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ließ 1983 im Freihafen in eigens dazu präparierten Teppichrollen ca. 8 500 Flaschen Whisky verstecken, um sie auf diese Weise in ein Drittland einschmuggeln zu können. Zum Versand der Ware über X, wo die Verschiffung erfolgen sollte, schaltete die Klägerin eine Speditionsfirma ein. Diese veranlaßte, als die Ware am 25.April 1983 in einem Lastzug den Freihafen verließ, die Vorlage einer Versandanmeldung T 1, in der nur die Teppichrollen, nicht aber der darin versteckte Whisky angegeben war. Bei einer zollamtlichen Überholung auf der anschließenden Weiterfahrt wurde der versteckte Whisky entdeckt. Mit Verfügung vom 26.April 1983 in der Fassung der Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion (OFD) vom 16.August 1983 beschlagnahmte der Beklagte und Revisionskläger (das Zollfahndungsamt --ZFA--) den Whisky nach § 76 der Abgabenordnung (AO 1977). Die Klägerin erhob Klage. Nachdem sie eine Bankbürgschaft in Höhe von 93 070,70 DM als Sicherheit geleistet hatte, hob das ZFA am 18.Januar 1984 die Beschlagnahme insgesamt auf und gab den Whisky frei. Nach Abgabe einer Erledigungserklärung durch das ZFA stellte die Klägerin ihren Klageantrag um und beantragte nunmehr festzustellen, daß die Verfügung vom 26.April 1983 und die Beschwerdeentscheidung vom 16.August 1983, soweit sie die Beschlagnahme des Whisky betrafen, rechtswidrig gewesen seien. Die Klage hatte Erfolg (Urteil des Finanzgerichts --FG-- Hamburg vom 29.August 1985 IV 115/83 H, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1986, 51).
Entscheidungsgründe
Die Revision des ZFA ist unbegründet.
Der Senat teilt die Auffassung der Vorinstanz, daß das ZFA für die Beschlagnahme der Waren nach § 76 Abs.3 Satz 1 AO 1977 sachlich nicht zuständig war und daher seine Beschlagnahmeverfügung rechtswidrig gewesen ist (vgl. auch Senatsbeschluß vom 18.November 1986 VII B 59-60/86, BFH/NV 1987, 485).
Eine Behörde darf nur im Rahmen ihrer sachlichen Zuständigkeit tätig werden. Sachlich zuständig ist eine Behörde für den ihr zugewiesenen Aufgabenkreis (vgl. Senatsurteil vom 29.Oktober 1986 VII R 82/85, BFHE 148, 108, 111; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12.Aufl., § 16 AO 1977 Anm.1; v.Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8.Aufl., § 16 AO 1977 Anm.1). Über den Aufgabenkreis der ZFÄ sagt das FVG (vgl. § 16 AO 1977) nichts. Auch aus § 76 Abs.3 AO 1977 ("Die Finanzbehörde" kann zur Geltendmachung der Sachhaftung Waren in Beschlag legen) ergibt sich lediglich eine bestimmte Befugnis der Finanzbehörden zum Tätigwerden, ohne daß daraus unmittelbar auf den Aufgabenkreis geschlossen werden könnte, in deren Erfüllung die Finanzbehörde diese Befugnis nutzen kann. Die einschlägige Aufgabenzuweisungsnorm für ZFÄ ist, wie das FG zu Recht entschieden hat, allein § 208 Abs.1 Satz 1 AO 1977.
Nach § 208 Abs.1 Satz 1 Nr.2 (i.V.m. Nr.1) AO 1977 ist Aufgabe der ZFÄ die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen in Fällen der Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten. Zu dieser Aufgabe zählt nicht eine Maßnahme zur Geltendmachung der Sachhaftung i.S. des § 76 AO 1977. Denn Ermittlungen sind, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung (vgl. § 88 Abs.1 Satz 1 AO 1977). Die Beschlagnahme nach § 76 Abs.3 AO 1977 ist keine solche Maßnahme. Das räumt auch die Revision ein. Sie meint aber, der Begriff "Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen" i.S. des § 208 Abs.1 Satz 1 Nr.2 AO 1977 lasse sich teleologisch erweiternd so auslegen, daß er auch Maßnahmen zur Geltendmachung der Sachhaftung mitumfaßt. Das aber ist nicht der Fall.
Verbrauchsteuerpflichtige und zollpflichtige Waren dienen ohne Rücksicht auf die Rechte Dritter als Sicherheit für die darauf ruhenden Steuern (Sachhaftung; § 76 Abs.1 AO 1977). Der Sicherstellung und Einbringung dieser Sachhaftung dient die den Finanzbehörden zugestandene Befugnis, die Waren "in Beschlag zu nehmen" (§ 76 Abs.3 Satz 1 AO 1977; vgl. auch Mösbauer, Zur Sachhaftung verbrauchsteuer- und zollpflichtiger Waren, § 76 AO 1977, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1987, 397, 399; Tipke/Kruse, a.a.O., § 76 AO 1977 Anm.5). Es handelt sich dabei um eine völlig andere Art der Sicherstellung als die "Sicherstellung im Aufsichtswege" i.S. des § 215 AO 1977, die der Gefahrenabwehr dient (vgl. Trzaskalik in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 215 AO 1977 Anm.4; Tipke/Kruse, a.a.O., § 215 AO 1977 Anm.1). Die Beschlagnahme nach § 76 Abs.3 Satz 1 AO 1977 hat allein den Zweck, die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis dadurch sicherzustellen, daß die Realisierung der Sachhaftung ermöglicht wird. Mit der Feststellung, ob solche Ansprüche gegeben sind, d.h. mit der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen, hat sie nichts zu tun.
Die Einwendungen der Revision halten einer näheren Prüfung nicht stand.
Das ZFA stützt seine Auffassung im wesentlichen auf § 208 Abs.1 Satz 2 AO 1977. Es verkennt dabei den Unterschied zwischen der Zuweisung von Aufgaben an die ZFÄ (Satz 1 aus § 208 Abs.1 AO 1977) und den zur Erfüllung dieser Aufgaben verliehenen Befugnissen (Satz 2; vgl. auch z.B. Tipke/Kruse, a.a.O., § 208 AO 1977 Anm.10). Genausowenig wie aus der Aufgabe einer Behörde darauf geschlossen werden kann, sie habe auch alle zu ihrer Erfüllung erforderlichen Befugnisse (§ 208 Abs.1 Satz 2 AO 1977 wäre dann überflüssig), kann aus einer verliehenen Befugnis geschlossen werden, eine Maßnahme der Behörde in Ausübung dieser Befugnis sei stets ein Handeln im Rahmen des zugewiesenen Aufgabenbereichs (vgl. auch Wolff/Bachhof, Verwaltungsrecht II, 4.Aufl., S.15). So haben die ZFÄ nach § 208 Abs.1 Satz 2 AO 1977 z.B. die Befugnis, Auskünfte i.S. des § 93 AO 1977 einzuholen. Es versteht sich von selbst, daß sie nur befugt sind, davon im Rahmen der ihnen durch § 208 Abs.1 Satz 1 AO 1977 zugewiesenen Aufgaben Gebrauch zu machen.
Selbst wenn also die Revision recht mit ihrer Auffassung hätte, zu den Befugnissen der ZFÄ i.S. des § 208 Abs.1 Satz 2 AO 1977 gehörten auch die Befugnisse im Rahmen der Steueraufsicht in besonderen Fällen i.S. der §§ 209 ff. AO 1977 und dazu zähle systematisch auch die Beschlagnahmebefugnis des § 76 Abs.3 Satz 1 AO 1977, ergäbe sich daraus noch kein Argument dafür, den ZFÄ sei auch die Aufgabe zugewiesen worden, sich um die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis und damit um die Sicherstellung der Sachhaftung zu kümmern. Es bedarf daher auch keines Eingehens auf das Argument der Revision, durch das vor dem 1.Januar 1977 geltende Recht seien den ZFÄ auch die Befugnisse zugewiesen gewesen, die den HZÄ bei der Steueraufsicht zugestanden hätten.
Es ist zwar nicht von vornherein ausgeschlossen, aus der Zuweisung von Befugnissen auf die zugewiesene Aufgabe zu schließen. Dafür spricht die Erwägung, daß der Gesetzgeber eine Behörde nicht mit Befugnissen ausstatten wird, die diese zur Wahrung ihrer Aufgaben nicht benötigt. Aus dieser Überlegung können aber im vorliegenden Fall Schlüsse zugunsten der Revision deswegen nicht gezogen werden, weil das Gesetz die Aufgaben der ZFÄ in Satz 1 des § 208 Abs.1 AO 1977 deutlich bestimmt hat. Danach gehört aber, wie ausgeführt, nicht zu den Aufgaben der ZFÄ, die Durchführung von Maßnahmen, die systematisch zum Erhebungsverfahren zählen, weil sie die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sicherstellen sollen.
Die Revision begründet ihre Auffassung auch mit Zweckmäßigkeitserwägungen. Solche Erwägungen allein können aber eine Ausweitung des sachlichen Zuständigkeitsbereiches der ZFÄ über den klaren Wortlaut des § 208 Abs.1 Satz 1 AO 1977 hinaus nicht rechtfertigen.
Schließlich ergibt sich eine sachliche Zuständigkeit des ZFA auch nicht aus § 208 Abs.2 Nr.2 AO 1977. Das FG hat festgestellt, dem ZFA sei auch nicht "sonst" die Aufgabe zugewiesen worden, Maßnahmen nach § 76 Abs.3 AO 1977 durchzuführen. Es kann daher dahinstehen, welche rechtlichen Anforderungen an die Aufgabenzuweisung nach § 208 Abs.2 Nr.2 AO 1977 zu stellen sind.
Über die Beschwerde der Klägerin gegen die Beschlagnahmeverfügung des ZFA hat die OFD entschieden. Dieser unterstehen das ZFA ebenso wie das für die fragliche Beschlagnahme zweifellos sachlich und örtlich zuständige HZA (vgl. § 12 Abs.2 FVG). Dennoch kann das Tätigwerden der OFD als Rechtsbehelfsinstanz den Mangel der sachlichen Zuständigkeit des ZFA für die Beschlagnahmeverfügung nicht heilen (falls das überhaupt rechtlich möglich sein sollte). Denn die Beschwerdeentscheidung hat an der Beschlagnahmeverfügung des sachlich unzuständigen ZFA nichts geändert, sondern diese bestätigt.
Fundstellen
Haufe-Index 62215 |
BFH/NV 1988, 1 |
BFHE 154, 304 |
BFHE 1989, 304 |
BB 1988, 2376-2376 (L) |
HFR 1989, 61 (LT) |