Leitsatz (amtlich)
1. Zur steuerrechtlichen Haftung des Liquidators einer rechtsfähigen Stiftung (Unterstützungskasse).
2. Interessenwiderstreit aufgrund Doppelstellung als Organ der Stiftung und zugleich Ihres Trägerunternehmens entlastet ein Vorstandsmitglied haftungsrechtlich nicht, wenn Stiftungsvermögen unter Aufgabe der satzungsgemäßen Verwendung dem Trägerunternehmen überlassen wird.
Normenkette
AO § 106 Abs. 1, § 109 Abs. 1, § 118 S. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer einer GmbH (Trägerunternehmen) zusammen mit einem Betriebsratsmitglied des Trägerunternehmens Vorstand einer Unterstützungskasse die in der Form einer rechtsfähigen Stiftung errichtet war. Das Stiftungsvermögen bestand fast ausschließlich aus einem vereinbarten Darlehen an das Trägerunternehmen.
Das Trägerunternehmen war mit der Einstellung eines... betriebes befaßt und beschloß deshalb mit seinem Betriebsrat einen Sozialplan. Dieser Plan erforderte über 900 000 DM für Abfindungen an die zu entlassenden Beschäftigten. Zu seiner Finanzierung sollten eigene Mittel des Trägerunternehmens verwendet und der größte Teil des Stiftungsvermögens herangezogen werden. In einer Besprechung der Geschäftsführer und des Betriebsrats des Trägerunternehmens am 28. November 1973 willigte der Kläger darin ein, daß die Mittel der Stiftung vorbehaltlich eines Widerspruchs der Aufsichtsbehörde dem Sozialplan des Trägerunternehmens zugeführt werden. Von da an wurden die im Sozialplan vorgesehenen Abfindungen an ausscheidende Arbeitnehmer sowie Abfindungen von Rentenberechtigten der Stiftung durch das Trägerunternehmen ausgezahlt. Die Auszahlungen waren im Mai 1974 beendet und beliefen sich auf rd. 1 058 000 DM, davon rd. 107 000 DM Abfindungsansprüche an die Stiftung.
Die Aufsichtsbehörde hatte im Dezember 1973 die Aufhebung der Stiftung wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse verfügt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erklärte auf Anfrage des Stiftungsvorstands die Rückübertragung des nicht für Rentenabfindungen der Stiftung benötigten Vermögens auf das Trägerunternehmen für den Sozialplan für steuerschädlich. In einer Verhandlung mit dem Stiftungsvorstand am 10. April 1974 bestätigte die Oberfinanzdirektion (OFD) diese Auffassung und stellte im Falle eines Verzichts auf früher entstandene Steueransprüche eine Vermögensteuer für 1973 und 1974 in Höhe von je 6 000 DM sowie eine Körperschaftsteuer für 1973 in Höhe von rd. 21 000 DM in Aussicht.
Der Kläger schied mit dem 30. April 1974 aus dem Trägerunternehmen aus und legte am selben Tage deshalb auch sein Vorstandsamt in der Stiftung nieder. Er und das zweite Vorstandsmitglied der Stiftung fertigten dabei zu den Akten der Stiftung eine Notiz, wonach sich der Stiftungsvorstand darüber einig sei, daß das Stiftungsvermögen innerhalb des Sperrjahres bis Dezember 1974 für die Rentenabfindung und die Entnahmen für Mittel des Sozialplans nicht angetastet werden dürfe. Der Vorstand habe keine Einwände dagegen, daß das Trägerunternehmen bei Erfüllung des Sozialplans und bei den Rentenabfindungen in Vorleistung trete. - Bis zur Bestellung eines Notvorstands Anfang 1975 war niemand als Nachfolger des Klägers für die Stiftung tätig.
Das FA erließ am 2. September 1974 Steuerbescheide für die Vermögensteuer 1973 und 1974 sowie für die Körperschaftsteuer 1973 mit Nebenabgaben in Höhe von zusammen 33 219 DM Die Steuerschulden blieben rückständig, bei der Stiftung waren die erforderlichen Mittel nicht mehr vorhanden.
Mit Bescheid vom 24. April 1975 machte das FA den Kläger für die einzelnen rückständigen Steuern der Stiftung nach §§ 106 Abs. 1, 109 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) haftbar. Auf den Einspruch ermäßigte es wegen inzwischen beigetriebener Steuern die Haftungsansprüche auf zusammen noch 26 263,17 DM.
Das Finanzgericht (FG) erkannte, daß der Kläger wegen schuldhafter Verletzung seiner Pflichten als Liquidator der Stiftung hafte. Es beschränkte die Haftungsansprüche zusammengefaßt auf ein Drittel, da es ein überwiegendes mitwirkendes Verschulden des FA an der Verkürzung der restlichen Steueransprüche gegen die Stiftung annahm.
Mit der Revision, die das FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen hat, wendet sich der Kläger gegen die Entscheidung des FG und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Er beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Haftung auf null DM herabzusetzen.
Der Kläger vertritt den Standpunkt, daß ihn für die Zeit bis zu seinem Ausscheiden als Liquidator der Vorwurf schuldhafter pflichtwidriger Steuerverkürzung nicht treffe. Wenngleich der Sozialplan bereits im November 1973 vereinbart worden sei, so habe er - der Kläger - von der endgültigen Gestaltung im Hinblick auf die steuerlichen Folgen der Durchführung bis zu seinem Ausscheiden keine Kenntnis erhalten. Das FA dagegen habe die geplante Ausführung des Sozialplans von ihm im Januar 1974 und es habe die endgültige Regelung von den Steuerberatern des Trägerunternehmens gegen Ende April 1974 bereits erfahren. Es sei ein Ermessensfehler, gerade ihn, den Kläger, der nach seiner Vorbildung die rechtliche Seite nicht übersehen habe, zur Haftung heranzuziehen. Das FA habe den Erlaß der Steuerbescheide und die Sicherstellung der Steueransprüche verzögert. Selbst wenn ein Haftungsanspruch bestanden habe, so habe ihn das FA verwirkt.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Der Kläger haftet nach den Vorschriften der §§ 106 Abs. 1, 109 Abs. 1 AO und § 7 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) als Gesamtschuldner für die aus dem Urteilsausspruch ersichtlichen Steueransprüche gegen die Stiftung.
Die Vorinstanz hat aufgrund der von ihr getroffenen tatsächlichen Feststellungen, an die der Bundesfinanzhof (BFH) gebunden ist (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), ohne Rechtsverstoß eine schuldhafte Verletzung der den Kläger als Liquidator der Stiftung treffenden steuerlichen Pflichten angenommen. Unbestritten war der Kläger in der Zeit bis zur Niederlegung seines Vorstandsamtes für die Erfüllung der steuerrechtlichen Pflichten der Stiftung verantwortlich. Der Stiftungsvorstand hatte nach der Aufhebung der Stiftung durch die Aufsichtsbehörde im Dezember 1973 die Liquidation vorzunehmen (§ 88 BGB mit entsprechender Anwendung der §§ 46 bis 53 GB). Der Kläger und das andere Vorstandsmitglied waren als Liquidatoren von da an verpflichtet, das Stiftungsvermögen flüssig zu machen und die Gläubiger der Stiftung zu befriedigen. Gemäß § 106 Abs. 1 AO waren sie auch verpflichtet, dafür zu sorgen, daß Mittel zur Bezahlung der vorher entstandenen Steuerschulden zurückgehalten und diese Steuerschulden bezahlt wurden. Vorher entstandene Steuerschulden sind die vor dem endgültigen Wegfall der Stiftung, d. h. vor Beendigung der Liquidation entstandenen Steueransprüche (§ 88 Satz 2 mit § 49 Abs. 2 BGB, BFH Urteile vom 16. Juni 1971 I R58/68, BFHE 102, 227, 231, BStBl II 1971, 614, sowie vom 7. Oktober 1977 III R 131/73, BFHE 123, 398, 404). Die dem angefochtenen Haftungsbescheid zugrunde liegenden Steueransprüche waren sämtlich Anfang Januar 1974 schon entstanden. Während seines Liquidatorenamtes unterließ der Kläger jegliche Maßnahme, die geeignet gewesen wäre, die erforderlichen Mittel für die Bezahlung dieser Steuerschulden flüssig zu machen und bis zur Fälligkeit der Steueransprüche zurückzubehalten.
In dieser Hinsicht kann für die Revisionsentscheidung offenbleiben, ob der Kläger nicht schon bei der Vereinbarung des Sozialplans als Stiftungsvorstand zugunsten des Trägerunternehmens über das Stiftungsvermögen ungeachtet des Sperrjahres verfügte. Die Vorinstanz brauchte dies nicht zu ermitteln, weil der Kläger auch später keine Mittel der Stiftung flüssig machte und zurückbehielt. Er kündigte das Darlehen nicht und ließ es in der Notiz vom 30. April 1974 zu, daß das Trägerunternehmen das Darlehenskapital behielt und für den Sozialplan sowie für Rentenabfindungen der Stiftung aufwandte oder entsprechende Gegenansprüche gegen die Stiftung erwarb. Damit hatte der Kläger die Pflicht zur Einhaltung des Sperrjahres (§ 51 BGB) bis zur Verteilung des Stiftungsvermögens verletzt (vgl. BFH-Urteil vom 1. Februar 1973 I R 170/70, BFHE 108, 482, BStBl II 1973, 465, bezüglich der entsprechenden Pflichten eines GmbH-Abwicklers). Dieses Verhalten führte zur Verkürzung der im Urteilsausspruch angegebenen Steueransprüche. Denn die Stiftung konnte auf die innerhalb des Sperrjahres ergangenen Steuerbescheide keine Zahlung mehr leisten; das FA konnte nur noch auf die sonstigen der Stiftung verbliebenen geringen Mittel zugreifen.
Der Kläger hat diese Verkürzung schuldhaft i. S. von § 109 Abs. 1 AO herbeigeführt. Wie das FG ohne Rechtsirrtum annahm, fällt dem Kläger zumindest Fahrlässigkeit zur Last, die als Verschuldensgrad ausreicht (BFH-Urteile vom 21. Januar 1972 VI R 187/68, BFHE 104, 294, BStBl II 1972, 364, und vom 23. April 1974 VII R 141/71, BFHE 112, 539, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Reichsabgabenordnung, § 109, Rechtsspruch 32). Der Kläger mußte, wie die Vorinstanz feststellte, nach der von der Satzung abweichenden Verwendung des Stiftungsvermögens mit dem Verlust der Steuerfreiheit rechnen; er war durch die Auskunft des FA und der OFD über die Höhe der in diesem Fall entstehenden Steueransprüche belehrt worden.
Die in der Revision aufgestellte Behauptung des Klägers, er habe die endgültige Gestaltung des Sozialplans nicht gekannt, ist mit den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht vereinbar. Danach hat er als Geschäftsführer des Trägerunternehmens an der bereits im November 1973 angelaufenen stufenweisen Durchführung des Sozialplans mitgewirkt und Auszahlungen zu Lasten des Stiftungsvermögens veranlaßt, ohne das Sperrjahr einzuhalten. Seine Doppelstellung als Geschäftsführer des Trägerunternehmens und als Vorstand oder Liquidator der Stiftung entlastete ihn nicht, wenn er im Ergebnis die Interessen des Trägerunternehmens bei der Betriebseinstellung bevorzugte und die Interessen der Stiftung in bezug auf eine ordnungsgemäße Liquidation nachordnete. Die Doppelstellung machte wegen dieses Interessenwiderstreits eine besonders sorgfältige Erfüllung der jeweiligen Amtspflichten erforderlich.
Der Kläger wird durch die Notiz vom 30. April 1974 nicht entschuldigt. Es ist nicht ersichtlich, an wen diese Notiz gerichtet sein sollte und wie durch sie die Erfüllung der Liquidatorenpflichten hätte gesichert werden können. Jedenfalls hat der Kläger seine Verpflichtung als Liquidator, vom Beginn der Liquidation an dafür zu sorgen, daß Mittel zur Bezahlung der Steuerschulden der Stiftung zurückgehalten werden, nicht mit steuerrechtlicher Wirkung auf andere Personen übertragen können (BFHE 112, 539, 541).
Der Kläger kann zu seiner Entlastung auch nicht auf ein Verschulden des zur Fortführung der Liquidation erst im Januar 1975 bestellten Notvorstands der Stiftung verweisen. Denn der Notvorstand hatte nur noch die flüssigen Mittel des Stiftungsvermögens vorgefunden, die dann zur Bezahlung eines Teils der Körperschaftsteuerschuld 1973 ausreichten.
Das FA war nicht nach Treu und Glauben gehindert, den Kläger als Haftungsschuldner heranzuziehen. Es sind weder Tatsachen festgestellt noch vorgetragen, aufgrund deren der Kläger bei objektiver Beurteilung hätte darauf vertrauen dürfen, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (BFH-Urteil vom 14. September 1978 IV R 89/74, BFHE 126, 130, 137, BStBl II 1979, 121). Aus den Feststellungen der Vorinstanz ergibt sich vielmehr, daß das FA sich an den Kläger wegen des Haftungsanspruchs wandte, nachdem ihm die Nichtbeitreibbarkeit der Ansprüche bei der Stiftung bekanntgeworden war.
Es ist auch rechtlich nicht als fehlerhafte Ermessensausübung zu beanstanden, daß das FA sich an den Kläger hielt (§ 118 AO). Der Kläger hatte als Stiftungsvorstand und als Liquidator wie auch als Geschäftsführer des Trägerunternehmens umfassenden Einblick und hatte bei allen Maßnahmen, die zur Auflösung der Stiftung, zu ihrer Steuerpflicht und zu der steuerverkürzenden Vermögensverwendung führten, als einziger auf beiden Seiten mitgewirkt.
Eine Prüfung der Haftungsansprüche, soweit diese über ein Drittel der jeweiligen Steueransprüche gegen die Stiftung hinausgehen, erübrigt sich. Denn der Kläger ist mit dem übrigen Teil nicht beschwert und es liegen Revisionsanträge hierzu nicht vor (§§ 121, 96 Abs. 1 Satz 2 FGO). Die Vorentscheidung ist allerdings insoweit abzuändern, als die Haftungsansprüche einzeln festzusetzen sind.
Fundstellen
BStBl II 1981, 287 |
BFHE 1981, 194 |