Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendige Beiladung früherer Gesellschafter einer Personengesellschaft
Leitsatz (NV)
1. Nach Vollbeendigung einer Personengesellschaft müssen die früheren nicht klagenden Gesellschafter zum Klageverfahren eines Mitgesellschafters gegen einen die Zeit ihrer Mitgliedschaft betreffenden Gewinnfeststellungsbescheid grundsätzlich gemäß § 60 Abs. 3 FGO notwendig beigeladen werden.
2. Die Beiladung kann nur unterbleiben, wenn die Klage offensichtlich unzulässig ist oder wenn die nicht klagenden Gesellschafter unter keinem denkbaren Gesichtspunkt steuerrechtlich betroffen sind.
3. Eine nach § 60 Abs. 3 FGO notwendige Beiladung darf auch dann nicht unterbleiben, wenn der auf Änderung der Gewinnfeststellungsbescheide gerichtete Klageantrag in der Sache keinen Erfolg haben kann, weil die materiellrechtliche Beurteilung des Rechtsstreits durch das FG für die Beiladung unerheblich ist.
Normenkette
FGO § 48 Abs. 1 Nr. 2, § 60 Abs. 3 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war bis zum Dezember 1970 als persönlich haftender Gesellschafter an der X-KG beteiligt. Als weitere persönlich haftende Gesellschafter waren A als Kommanditist und B an der KG beteiligt. Zum Ende des Jahres 1976 stellte die von A und B fortgeführte KG ihre Tätigkeit ein. Das Erlöschen der Firma wurde im März 1978 ins Handelsregister eingetragen.
Im Anschluß an eine Steuerfahndungsprüfung des Finanzamts bei der KG, die die Streitjahre 1967 bis 1970 umfaßte, vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Ansicht, den Gewinnen der KG seien bisher nicht erfaßte Einnahmen und zu Unrecht als Betriebsausgaben abgezogene Aufwendungen hinzuzurechnen. Das FA erließ entsprechend geänderte Gewinnfeststellungsbescheide für die Streitjahre, gegen die der Kläger und die KG erfolglos Einspruch einlegten.
Im anschließenden Klageverfahren erklärte sich das FA auf Anregung des Finanzgerichts (FG) im Termin vom 16. März 1982 bereit, die angefochtenen Feststellungsbescheide vom 23. August 1978 für die Jahre 1967 bis 1969 in der Weise zu ändern, daß den ursprünglich festgestellten Gewinnen von . . . DM folgende Mehrerlöse bei der Gewinnermittlung hinzugerechnet werden: 1967 . . . DM, 1968 . . . DM, 1969 . . . DM. Für das Jahr 1970 sollte der ursprünglich festgestellte Gewinn von . . . DM um . . . DM gekürzt werden. Die Mehrgewinne und der Mindergewinn 1970 sollten sich auf den Kläger, B und A zu je 1/3 verteilen. Die KG und alle Gesellschafter erklärten sich mit dieser Sachbehandlung einverstanden. Das FA erklärte sich bereit, die angefochtenen Feststellungsbescheide entsprechend zu ändern. Daraufhin erklärten alle Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt.
Das FA erließ daraufhin am 27. September 1982 entsprechend geänderte Gewinnfeststellungsbescheide, in denen es die Gewinne 1967 bis 1969 auf . . . DM festsetzte. Den Feststellungsbescheid 1970 berichtigte das FA am 7. Oktober 1982 nach § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) und stellte den Gewinn auf . . . DM fest.
Das FA gab die geänderten Bescheide allen Gesellschaftern der KG bekannt.
Der Einspruch, mit dem der Kläger u. a. geltend machte, die aufgrund der Verständigung vor dem FG ergangenen Änderungsbescheide seien unwirksam, weil die KG nicht mehr bestehe, hatte keinen Erfolg.
Mit der Klage beantragte der Kläger, die ursprünglichen Gewinnfeststellungsbescheide 1967 bis 1969 für die KG wieder herzustellen und den Gewinnfeststellungsbescheid 1970 vom 7. Oktober 1982 dahingehend zu ändern, daß der Gewinn um weitere . . . DM niedriger festgesetzt wird.
Das FG hat die Klage abgewiesen. Eine Änderung der angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheide zugunsten des Klägers komme nicht mehr in Frage. Die angefochtenen Bescheide seien entsprechend der Verständigung vom 16. März 1982 ergangen. Der vom Kläger begehrten Änderung dieser Bescheide stehe die Vorschrift des § 351 Abs. 1 AO 1977 und des § 42 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entgegen. Denn die den angefochtenen Bescheiden vorausgegangenen endgültigen Feststellungsbescheide vom 23. August 1978 seien bei Erlaß der Bescheide vom 27. September 1982 und 7. Oktober 1982 bereits bestandskräftig gewesen.
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Der Kläger rügt u. a. die Verletzung des § 60 Abs. 3 FGO. Nachdem die Gesellschaft nicht mehr besteht, hätte das FG die früheren Gesellschafter der KG, A und B, nach § 60 Abs. 3 FGO notwendig beiladen müssen. Das Urteil des FG beruhe auf einem unvollständig ermittelten Sachverhalt. Das FG hätte die benannten Zeugen X und Y zur Höhe der Gewinne in den Streitjahren vernehmen müssen. Hätte das FG dies getan, wäre es zu dem Ergebnis gekommen, daß die ursprünglichen Feststellungsbescheide 1967 bis 1969 die zutreffenden Gewinne enthielten und daß der Gewinn im geänderten Feststellungsbescheid 1970 vom 7. Oktober 1982 um weitere . . . DM zu vermindern sei. Durch die Nichtvernehmung der Zeugen habe das FG seine Aufklärungspflicht (§ 76 FGO) verletzt und dem Kläger das rechtliche Gehör zu entscheidungserheblichen Tatsachen verweigert (§ 119 Nr. 3 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -). Der Kläger trägt außerdem ohne nähere Begründung vor, die Vernehmung des benannten Zeugen Z hätte ergeben, daß sich das FA im Streitfall nicht an die Vereinbarung vom 16. März 1982 gehalten habe.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das FA meint, eine Beiladung der früheren Mitgesellschafter nach § 60 Abs. 3 FGO sei nicht geboten, weil der auf Änderung der Gewinnfeststellungsbescheide gerichtete Klageantrag nach den Vorschriften des Verfahrensrechts (§ 351 Abs. 1 AO 1977, § 42 FGO) keinen Erfolg haben könne. Die Höhe der festgestellten Gewinne und ihre Verteilung auf die Gesellschafter könne im anhängigen Verfahren nicht mehr geprüft werden, weil eine über die Vereinbarung vom 16. März 1982 hinausgehende Änderung der Feststellungsbescheide nach Abgabe der übereinstimmenden Erledigungserklärungen ausgeschlossen sei. Im übrigen sei am 16. März 1982 eine bindende tatsächliche Verständigung über schwierig zu ermittelnde tatsächliche Umstände zwischen den Beteiligten im Sinne des Senatsurteils vom 11. Dezember 1984 VIII R 131/76 (BFHE 142, 549, BStBl II 1985, 354) zustande gekommen. Das FA habe die Änderung der Feststellungsbescheide 1967 bis 1970 entsprechend dieser ,,tatsächlichen Verständigung" durchgeführt.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das angefochtene Urteil hätte ohne vorherige Beiladung der Gesellschafter A und B nicht ergehen dürfen.
a) Gemäß § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO sind Dritte zum Verfahren beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. In Angelegenheiten, die einen einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheid betreffen, kommt eine Beiladung nur dann in Betracht, wenn die Mitberechtigten nach § 48 Abs. 1 FGO klagebefugt sind (§ 60 Abs. 3 Satz 2 FGO). Die handelsrechtliche Vollbeendigung einer Personengesellschaft hat zur Folge, daß diese kein Klagerecht mehr in Anspruch nehmen kann. Die Klagebefugnis gegenüber den Gewinnfeststellungsbescheiden geht uneingeschränkt auf die betroffenen Gesellschafter über (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. April 1986 IV R 282/84, BFHE 146, 549, BStBl II 1986, 672). Nach der Vollbeendigung einer Personengesellschaft müssen die früheren Gesellschafter einen die Zeit ihrer Mitgliedschaft betreffenden Gewinnfeststellungsbescheid selbständig angreifen (BFH-Urteil vom 30. März 1978 IV R 72/74, BFHE 125, 116, BStBl II 1978, 503). Da in diesem Fall die Entscheidung allen Beteiligten gegenüber nur einheitlich ergehen kann, müssen grundsätzlich alle Personen, die am Gewinn oder Verlust beteiligt waren, nach § 60 Abs. 3 FGO notwendig beigeladen werden, sofern sie nicht selbst Klage erhoben haben (vgl. BFH-Beschluß vom 29. Juli 1987 VIII B 203/86, BFH/NV 1988, 101). Die Beiladung hat jedoch ausnahmsweise zu unterbleiben, wenn die Klage offensichtlich unzulässig ist (BFH-Urteil vom 9. Mai 1979 I R 100/77, BFHE 128, 142, BStBl II 1979, 632) oder wenn die nicht klagenden Gesellschafter unter keinem denkbaren Gesichtspunkt steuerrechtlich betroffen sind (vgl. BFH-Urteil vom 22. Mai 1990 VIII R 120/86, BFHE 160, 558, BStBl II 1990, 780).
b) Nach den Feststellungen des FG ist die KG spätestens im Laufe des Jahres 1978 im handelsrechtlichen Sinn voll beendet.
Die Löschung der Firma im Handelsregister erfolgte am 20. März 1978. Daß die Gesellschaft voll beendet war, kommt in dieser Löschung gemäß § 31 Abs. 2 des Handelsgesetzbuches (HGB), § 141 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) zum Ausdruck. Auch wenn die Löschung nur deklaratorischen Charakter hat, kann aus Beweisgründen doch auf diese Eintragung abgestellt werden (vgl. BFH-Urteil vom 26. Oktober 1989 IV R 23/89, BFHE 159, 15, BStBl II 1990, 333), zumal im Streitfall Gegenteiliges weder vorgetragen wird noch nach Aktenlage erkennbar ist.
Da zum Zeitpunkt der Entscheidung des FG die KG nicht mehr bestanden hat, waren im Streitfall sämtliche Gesellschafter im Verfahren der einheitlichen Gewinnfeststellung 1967 bis 1970 klagebefugt. Nachdem nur der Gesellschafter E gegen diese Feststellungsbescheide Klage erhoben hat, hätte das FG die Gesellschafter A und B gemäß § 60 Abs. 3 FGO zum Klageverfahren beiladen müssen.
c) Im Streitfall liegt - entgegen der Ansicht des FG und des FA - kein Sonderfall vor, unter dem auf eine notwendige Beiladung hätte verzichtet werden können. Es liegen weder die Voraussetzungen einer offensichtlich unzulässigen Klage vor - das FG ist selbst von der Zulässigkeit des Rechtsstreits ausgegangen - noch kann davon ausgegangen werden, daß die nicht klagenden Gesellschafter vom Ausgang des anhängigen Verfahrens unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt betroffen sein können. Da der Klageantrag auf eine Änderung der in den angefochtenen Bescheiden festgestellten Gewinne gerichtet ist, können vom Ausgang des Rechtsstreits auch die Gesellschafter A und B betroffen sein.
Fehl geht die Auffassung des FA, die notwendige Beiladung könne im Streitfall unterbleiben, weil der auf Änderung der Gewinnfeststellungsbescheide gerichtete Klageantrag in der Sache keinen Erfolg haben könne. Würde man dieser Auffassung folgen, würde im Beiladungsverfahren vorweg über die materielle Rechtsfrage entschieden. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist die materiell-rechtliche Beurteilung des Rechtsstreits (Erfolgsaussichten der Klage) durch das FG für die Beiladung unerheblich (vgl. Urteil vom 19. Mai 1987 VIII R 382/83, BFH/NV 1988, 161 m. w. N.). Maßgebend ist nicht, wie das Gericht, sondern ob das Gericht über eine Frage entscheidet, die einen Mitunternehmer persönlich angeht (BFH-Beschluß vom 27. Oktober 1977 IV B 26/76, nicht veröffentlicht; Urteil in BFH/NV 1988, 161). Letzteres ist im Streitfall gegeben, nachdem die Gewinnfeststellungsbescheide 1967 bis 1970 im Streit stehen.
d) Die notwendige Beiladung betrifft die Grundordnung des Verfahrens. Das Unterlassen der notwendigen Beiladung ist ein Verfahrensmangel. Da der BFH die Beiladung in der Revisionsinstanz nicht nachholen kann (§ 123 FGO), führt das Unterlassen der notwendigen Beiladung zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache und zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO (ständige Rechtsprechung vgl. z. B. BFH-Urteil vom 4. August 1988 IV R 78/86, BFH/NV 1989, 281).
Das FG wird die versäumte Beiladung der Gesellschafter A und B nachholen müssen.
Eine Beiladung der KG kommt im Streitfall nicht mehr in Frage, da sie voll beendet ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE 159, 15, BStBl II 1990, 333).
2. Zu der strittigen Frage, ob die entsprechend der Vereinbarung vor dem FG vom 16. März 1982 geänderten Gewinnfeststellungsbescheide 1967 bis 1969 vom 27. September 1982 und der geänderte Gewinnfeststellungsbescheid 1970 vom 7. Oktober 1982 mit der vom Kläger gegebenen Begründung grundsätzlich aufgehoben oder geändert werden können, bemerkt der Senat, ohne damit das FG für seine erneute Entscheidung binden zu können, wegen der Länge der Verfahrensdauer aus prozeßökonomischen Gründen folgendes:
Der Senat hat mit seinem Urteil in BFHE 142, 549, BStBl II 1985, 354 entschieden, daß insbesondere in Schätzungssachen - wie im Streitfall - eine ,,tatsächliche Verständigung" über schwierig zu ermittelnde tatsächliche Umstände zulässig und für die Beteiligten bindend ist.
Das FG wird prüfen müssen, ob die Vereinbarung vom 16. März 1982 vor dem FG in Sachen Gewinnfeststellung 1967 bis 1970 eine die Beteiligten bindende ,,tatsächliche Verständigung" in diesem Sinne darstellt und schon aus diesem Grund der Änderungsantrag des Klägers für die Streitjahre ins Leere geht.
Fundstellen
Haufe-Index 417467 |
BFH/NV 1991, 692 |