Leitsatz (amtlich)
Sind die Bezüge von kurzfristig in der Landwirtschaft beschäftigten Aushilfskräften nach § 42 a Abs. 2 Nr. 3 EStG vom FA unter Anwendung eines auf bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften beruhenden Pauschsteuersatzes besteuert worden, so ist das FG regelmäßig gehalten, diesen Pauschsteuersatz aus Gründen der Gleichbehandlung zu beachten. Führt jedoch der vom FA angewendete Pauschsteuersatz im Einzelfall zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung, so umfaßt die Befugnis des FG, die Steuer selbst festzusetzen, auch das Recht, einen aufgrund eigener Feststellungen ermittelten anderen Pauschsteuersatz anzuwenden als das FA.
Normenkette
EStG § 42a Abs. 2 Nr. 3; LStDV § 35 b Abs. 1 Nr. 1b
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt in der Rechtsform einer KG den Weinbau und den Weingroßhandel. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt – FA –) stellte bei einer Lohnsteueraußenprüfung fest, daß die Klägerin für ihre im landwirtschaftlichen (weinbaulichen) Betriebsteil tätigen Aushilfskräfte die Lohnsteuer nach einem Pauschsteuersatz von 2 v. H. berechnet hatte. Das FA war der Auffassung, daß dieser auf bundeseinheitlicher Verwaltungsregelung beruhende Pauschsatz nur für Aushilfskräfte in landwirtschaftlichen Betrieben gelte. Für Aushilfskräfte in gewerblichen Betrieben – ohne Rücksicht auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit – sei die allgemeine Regelung nach § 35 b LStDV und Abschn. 52 c LStR maßgebend. Danach sei ein Pauschsteuersatz von 12 v. H. (bis einschließlich 1964) und von 10 v. H. (ab 1965) anzuwenden. Mit Haftungsbescheid vom 12. Juli 1967 forderte das FA für die Zeit vom 1. Januar 1964 bis 31. Mai 1967 von der Klägerin als Arbeitgeberin die auf die Aushilfslöhne entfallenden Mehrsteuern nach. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage zu einem wesentlichen Teil statt. Es führte in dem in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1973 S. 403 (EFG 1973, 403) veröffentlichten Urteil aus: Die Anwendung des allgemeinen Pauschsteuersatzes von 10 (12) v. H. nach Abschn. 52 c. LStR führe im Streitfall zu einer offensichtlich unrichtigen Besteuerung; sie sei daher nicht gerechtfertigt. Allerdings führe auch der von der Klägerin begehrte Pauschsatz von 2 v. H. zu falschen Ergebnissen. Das FG halte auf Grund eigener umfangreicher Ermittlungen für 1964 den Pauschsteuersatz 6 v. H. und für die anschließenden Jahre den Satz 4 v. H. für zutreffend.
Das FA rügt mit der Revision fehlerhafte Anwendung des § 42 a Abs. 2 Nr. 3 EStG (§ 35 b Abs. 1 Nr. 1 b LStDV). Der Wortlaut dieser Bestimmungen: „das Finanzamt kann zulassen” spreche dafür, daß die Ermächtigung zur Festsetzung besonderer Pauschsteuersätze nur für die Verwaltung gelte. Das entspreche auch den Vorstellungen des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber habe mit der Ermächtigung das Ziel verfolgt, in Fällen, in denen die steuerlichen Auswirkungen nicht sehr groß seien, eine Vereinfachungsregelung zu schaffen, die sowohl dem Arbeitgeber als auch der Finanzverwaltung schwierige und umfangreiche Berechnungen erspare. Das sei nur erreichbar, wenn ein allgemeinverbindlicher, auf einer Typisierung beruhender Pauschsteuersatz festgelegt werde, der in etwa der durchschnittlichen steuerlichen Belastung des betroffenen Personenkreises entspreche. Zur Bemessung des Pauschsteuersatzes sei eine große Zahl von Erhebungen erforderlich, die nur der Verwaltung möglich seien. Der Pauschsteuersatz sei bei dieser typisierenden Regelung für eine gerichtliche Überprüfung ungeeignet. Die Bezugnahme des § 42 a Abs. 2 EStG auf § 39 EStG bedeute nicht, daß die Lohnsteuer nach den individuellen Merkmalen des Einzelfalles festgesetzt werden müsse. Das würde dem Gedanken der Vereinfachung widersprechen. Der Pauschsteuersatz, der im Streitfall nach individuellen Merkmalen der einzelnen Arbeitnehmer festgesetzt worden sei, können nur die Beteiligten binden. Ihm fehle eine allgemeinverbindliche Geltung. Im übrigen sei nicht erklärlich, warum das FG den individuellen Pauschsteuersatz nur für den landwirtschaftlichen Betriebsteil der Klägerin ermittelt habe und für den gewerblichen Betriebsteil von dem allgemein festgelegten Satz von 12 (10) v. H. ausgegangen sei. Daß dem FG bei der Ermittlung des Pauschsteuersatzes mehrere Fehler unterlaufen seien, beweise, welche Schwierigkeiten der Ermittlung eines individuellen Pauschsteuersatzes durch das FG entgegenstünden und wie groß die Gefahr fehlerhafter Berechnungen sei. Es sei auch zweifelhaft, ob die der Berechnung zugrunde gelegten Merkmale zutreffend seien. Diese vielen Unsicherheiten verdeutlichten, daß es nicht Aufgabe des FG sein könne, die von der Finanzverwaltung festgesetzten Pauschsteuersätze nach den individuellen Gegebenheiten der Arbeitnehmer des jeweiligen Betriebes abzuändern und „Individual-Pauschsteuersätze” zu ermitteln. Aufgabe des Gerichts sei es lediglich, die festgesetzten Pauschsteuersätze auf ihre Rechtsgültigkeit zu prüfen.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Nach § 42 a Abs. 2 Nr. 3 EStG (§ 35 b Abs. 1 Nr. 1 b LStDV) ist das FA ermächtigt, auf Antrag des Arbeitgebers zuzulassen, daß die Lohnsteuer nach einem Pauschsteuersatz erhoben wird, wenn Bezüge an kurzfristig beschäftigte Arbeitnehmer oder an Arbeitnehmer gezahlt werden, die in geringem Umfang oder gegen geringen Arbeitslohn tätig sind. Bei der Ermittlung des Pauschsteuersatzes ist § 39 EStG (§ 32 LStDV) zu berücksichtigen. Diese ausdrückliche Bezugnahme auf § 39 EStG (§ 32 LStDV) besagt, daß die Höhe der pauschal erhobenen Lohnsteuer grundsätzlich an der nach der Lohnsteuertabelle sich ergebenden Lohnsteuer auszurichten ist. Der Pauschsteuersatz ist daher grundsätzlich so festzulegen, daß er der Lohnsteuerbelastung entspricht, die sich bei Anwendung der für den jeweiligen Lohnzahlungszeitraum maßgebenden Lohnsteuertabelle auf den steuerpflichtigen Arbeitslohn ergeben würde. Diesem Erfordernis kann an sich nur entsprochen werden, wenn er in § 35 b LStDV bezeichnete „besondere Pauschsteuersatz” für den einzelnen Arbeitgeber nach den bei ihm maßgebenden Verhältnissen festgesetzt wird.
Die Verwaltung hat hiervon abweichend in Abschn. 52 c LStR bestimmt, daß bei Verzicht auf die Vorlage von Lohnsteuerkarten unter bestimmten Voraussetzungen der besondere Pauschsteuersatz generell mit 10 v. H. (bis 30. April 1965 mit 12 v. H.) des Arbeitslohnes angesetzt werden kann. Bei Aushilfskräften in der Land- und Forstwirtschaft kann nach im wesentlichen übereinstimmenden Verwaltungsanweisungen der Länder unter bestimmten Voraussetzungen der Pauschsteuersatz mit generell 2 v. H. der Bezüge der Aushilfskräfte bemessen werden (vgl. z. B. LSt-Kartei der Oberfinanzdirektion – OFD – Koblenz, § 35 b LStDV, Karte 2; LSt-Kartei der OFD Düsseldorf, Köln, Münster, § 35 b LStDV Nr. 3, und Deutsche Steuer-Zeitung, Ausgabe B, Eildienst, 1964 S. 98, 270; Der Betrieb 1964 S. 531 – DB 1964, 531 –). Eine solche weitere Vereinfachung bei der typisierenden Festsetzung einheitlicher Pauschsteuersätze ist rechtlich nicht zu beanstanden. Es handelt sich um eine zulässige Weiterentwicklung des in § 42 a Abs. 2 EStG (§ 35 b LStDV) zum Ausdruck kommenden Vereinfachungsgedankens. Dem steht das Urteil des Senats vom 10. Juli 1959 VI 73/58 U (BFHE 69, 243, BStBl III 1959, 354) nicht entgegen. Die Entscheidung betraf die Zeit vor Aufnahme des § 42 a in das EStG, und sie behandelte einen Fall, in dem der Arbeitgeber einer Lohnsteuerpauschalierung nicht zugestimmt hatte.
Die einheitlichen Pauschsteuersätze des Anbschn. 52 c LStR und der anderen oben genannten Verwaltungsvorschriften, denen Erfahrungen der Finanzverwaltung zugrunde liegen, sind ebenso wie andere in den Lohnsteuer-Richtlinien enthaltene Pauschsteuersätze und Pauschbeträge weder im Gesetz noch in den auf ihm beruhenden Rechtsvorschriften festgesetzt. Da sie lediglich in Verwaltungsvorschriften enthalten sind, besteht auf ihre Anwendung kein vor den Steuergerichten verfolgbarer Rechtsanspruch auf Anwendung der Pauschalierung unter Zugrundelegung eines bestimmten allgemeinen Pauschsteuersatzes. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Anwendung anderer in den Lohnsteuer-Richtlinien festgesetzter Pauschbeträge und Pauschsteuersätze (vgl. z. B. das Urteil des Senats vom 17. August 1966 VI 116/65, BFHE 86, 713, BStBl III 1966, 634) sind die Steuergerichte aber auch hier gehalten, diese Pauschsteuersätze aus Gründen der Gleichbehandlung zu beachten, solange sie nicht im Einzelfall offensichtlich zu falschen Ergebnissen führen.
Im Streitfall war es offensichtlich zweifelhaft, ob der vom FA eingesetzte Pauschsteuersatz von 12 v. H. bzw. 10 v. H. zutraf, da nach den auf Verwaltungserfahrungen beruhenden Verwaltungsvorschriften bei Aushilfskräften, die in einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb i. S. des § 13 EStG typisch landwirtschaftliche Arbeiten verrichten, ein Pauschsteuersatz von 2 v. H. angemessen sein soll und keine Anhaltspunkte dafür vorlagen, daß sich die im Weinbaubetrieb der Klägerin beschäftigten Aushilfskräfte aus einem anderen Personenkreis zusammensetzten. Das FG war daher zu eigenen Ermittlungen über die Höhe eines zutreffenden Pauschsteuersatzes berechtigt und verpflichtet. Dabei hat die Vorinstanz auf Grund von jeweils jährlich 15 Stichproben bei den Herbstleselöhnen und von jeweils sechs Stichproben bei den anderen Aushilfslöhnen unter Anwendung der Lohnsteuerwochentabelle eine durchschnittliche Belastung der Aushilfslöhne mit Lohnsteuer von 6,5 v. H. (1964), von 4,4 v. H. (1965) und von 3,8 v. H. (1966) ermittelt. Wegen der starken Abweichung der nach den tatsächlichen Verhältnissen im Streitfall stichprobenweise ermittelten durchschnittlichen Steuerbelastung von dem Pauschsteuersatz nach Abschn. 52 c LStR (12 bzw. 10 v. H.) sowie dem niedrigeren Pauschsteuersatz von 2 v. H. für Aushilfskräfte in der Land- und Forstwirtschaft konnte die Vorinstanz zu dem Schluß kommen, daß die Anwendung der Pauschsteuersätze im Streitfall zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führen würde. Das FG hat daher – abweichend von den allgemeinen Pauschsteuersätzen – für 1964 einen Pauschsteuersatz von 6 v. H. und für die Jahre 1965 und 1966 einen Pauschsteuersatz von 4 v. H. angewendet.
Die Einwendungen des FA gegen die Festsetzung der Lohnsteuer unter Zugrundelegung eines vom FG selbst ermittelten Pauschsteuersatzes sind nicht begründet. Der Senat verkennt nicht, daß § 42 a Abs. 2 Nr. 3 EStG (§ 35 b Abs. 1 Nr. 1 b LStDV) nur das FA ermächtigt, die Lohnsteuer nach einem Pauschsteuersatz zu erheben. Liegen indes die gesetzlichen Voraussetzungen einer pauschalen Lohnsteuererhebung vor und hat das FA – wie im Streitfall – dem Pauschalierungsantrag dem Grunde nach entsprochen, so ist das FG nicht gehindert, die Festsetzung der Lohnsteuer auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Das FG kann nach § 100 Abs. 2 FGO die Lohnsteuer in einem Lohnsteuerhaftungsbescheid nach § 46 LStDV selbst festsetzen, da der Lohnsteuerhaftungsbescheid ein Verwaltungsakt nach § 229 Nr. 5 der Reichsabgabenordnung ist. Bei einer gesetzlich zugelassenen Pauschalierung umfaßt die Befugnis des FG, die Steuer selbst festzusetzen, auch das Recht, einen anderen Pauschsteuersatz anzuwenden als das FA, wenn der vom FA angewendete Pauschsteuersatz zu einer offensichtlich unrichtigen Besteuerung führt. Diese Rechtsauffassung widerspricht nicht dem Sinn und Zweck: des § 42 a Abs. 2 Nr. 3 EStG (§ 35 b Abs. 1 Nr. 1 b LStDV), durch die Möglichkeit einer pauschalen Erhebung der Lohnsteuer eine Vereinfachung für Arbeitgeber und Finanzverwaltung zu schaffen. Wie bereits dargelegt, geht die Regelung des § 42 a Abs. 2 EStG (§ 35 b Abs. 1 LStDV) davon aus, die Höhe der pauschal erhobenen Lohnsteuer grundsätzlich nach der auf Grund der Lohnsteuertabelle sich ergebenden Lohnsteuer auszurichten. Die Möglichkeit, im Interesse einer weiteren Vereinfachung die Lohnsteuer nach allgemein geltenden Pauschsteuersätzen zu erheben, muß daher dort ihre Grenze finden, wo die Anwendung eines einheitlich geltenden Pauschsteuersatzes zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führt. Das FA übersieht mit seinen Einwendungen gegen die Festsetzung der Lohnsteuer unter Zugrundelegung der vom FG ermittelten Pauschsteuersätze, daß sie nur für den Streitfall gelten und nicht allgemeinverbindlich sind.
Die Vorentscheidung war jedoch aufzuheben, weil nach dem bisher festgestellten Sachverhalt nicht auszuschließen ist, daß das FG den Pauschsteuersatz unter Verletzung gesetzlicher Vorschriften unzutreffend ermittelt hat. Das FG hat bei der auf die Aushilfslöhne der Hausfrauen entfallenden Lohnsteuer die Steuerklasse IV angewendet. Mit dem FA ist jedoch davon auszugehen, daß ab 1965 die Lohnsteuerklasse V anzuwenden ist, soweit auf den Lohnsteuerkarten der Ehemänner der als Aushilfskräfte beschäftigten Hausfrauen die Lohnsteuerklasse III bescheinigt war. Das FG hätte nach gleichen Erwägungen für das Streitjahr 1964 prüfen müssen, ob nicht – jedenfalls zum Teil – die Lohnsteuerkarte F in Betracht kam. Bei der Berechnung der auf die Aushilfslöhne der Männer entfallenden Lohnsteuer hat das FG angenommen, daß diese Personen in einem weiteren Hauptarbeitsverhältnis gestanden habe. Sollten sie Arbeitslohn aus mehreren Dienstverhältnissen bezogen haben, hätte das FG die Lohnsteuer auf die Aushilfslöhne für das Streitjahr 1964 mit 20 v. H. (bei Übernahme der Lohnsteuer durch die Klägerin mit 25 v. H.) der Aushilfslöhne und für die Zeit ab 1965 nach der Steuerklasse VI berechnen müssen. Bei den Aushilfslöhnen der Rentner hat das FG der Berechnung der Lohnsteuer die Lohnsteuerklasse II zugrunde gelegt. Dies war nur zutreffend für Rentner, die alleinstehend und über 50 Jahre alt waren. Für die verheirateten Rentner wäre hingegen die Steuerklasse III oder – soweit es sich bei den Rentnern um Empfänger von Ruhegeld i. S. des § 19 Abs. 1 Nr. 2 EStG (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 LStDV) handelte – die Steuerklasse VI in Betracht gekommen. Im übrigen hat das FG nicht festgestellt, ob die Klägerin die auf die Aushilfslöhne entfallende Lohnsteuer übernommen hat.
Die Sache ist nicht spruchreif; sie wird daher zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen. Das FG wird die im Streitfall maßgebende Lohnsteuerbelastung unter Berücksichtigung obiger Ausführungen erneut ermitteln müssen. Sollte die durchschnittliche Lohnsteuerbelastung bis 30. April 1965 in der Nähe von 12 v. H. und für die Zeit danach in der Nähe von 10 v. H. des Arbeitslohns liegen, sind die allgemeingültigen Pauschsteuersätze des Abschn. 52 c LStR anzuwenden. Andernfalls wird der Pauschsteuersatz in einer der tatsächlichen Lohnsteuerbelastung entsprechenden Höhe anzusetzen sein.
Fundstellen
Haufe-Index 514861 |
BFHE 1975, 254 |