Leitsatz (amtlich)
Einkünfte aus Kapitalvermögen, die Grundlage einer erweiterten beschränkten Steuerpflicht gemäß § 2 AStG sein können, mindern sich nicht dadurch, daß der Steuerpflichtige bei dem Schuldner der an ihn zu zahlenden Zinsen ein verzinsliches Darlehen aufnimmt und hierfür seine Ansprüche verpfändet, selbst wenn die Zinsansprüche bei Fälligkeit gegenseitig verrechnet werden.
Normenkette
AStG § 2; EStG § 9
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarb im Jahre 1968 einen Sparkassenbrief über 800 000 DM, verzinslich zu 6,5 v. H., fällig am 12. September 1976, und im Jahre 1972 einen Sparkassenbrief über eine Mio DM, verzinslich zu 7 v. H., fällig am 14. April 1978.
Im Dezember 1973 verlegte er seinen Wohnsitz von der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) in das Fürstentum Liechtenstein. Die Sparkassenbriefe konnte er zu diesem Zeitpunkt nicht an die Sparkasse, von der er sie erworben hatte, zurückgeben, weil sie nicht vorzeitig kündbar waren. Er nahm daher ein Darlehen über 800 000 DM zu einem Festzinssatz von 6,5 v. H. und Auszahlung von 100 v. H., rückzahlbar in einer Summe am 12. September 1976, und ein weiteres Darlehen über eine Mio DM zu einem Festzinssatz von 7 v. H. und einer Auszahlung von 100 v. H., rückzahlbar in einer Summe am 31. Juli 1977, auf. Dabei bestand schon bei der Darlehenszusage zwischen der das Darlehen gewährenden Sparkasse und dem Kläger Einvernehmen darüber, daß das Darlehen über eine Mio DM nach Ablauf der Befristung bis zur Fälligkeit des Sparkassenbriefes über eine Mio DM am 14. April 1978 verlängert werden sollte.
Zur Sicherung der beiden Darlehen bestellte der Kläger der Sparkasse Pfandrechte an den für ihn ausgestellten Sparkassenbriefen über 800 000 DM und eine Mio DM.
Die Spar- und Darlehenszinsen wurden jeweils bei Fälligkeit gegeneinander aufgerechnet. Die durch die Darlehen erhaltenen Geldbeträge transferierte der Kläger ins Ausland.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) unterwarf die Zinsen für die Sparkassenbriefe gemäß § 2 des Außensteuergesetzes (AStG) der Besteuerung nach dem Einkommen (erweiterte beschränkte Einkommensteuerpflicht). Er setzte für das Streitjahr eine Einkommensteuer in Höhe von 61 672 DM fest. Dabei schätzte es die weiteren, insbesondere ausländischen Einkünfte auf insgesamt 420 000 DM. Außerdem unterwarf das FA die Sparguthaben gemäß § 3 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 AStG der erweiterten beschränkten Vermögensteuerpflicht.
Die gegen den Einkommensteuer- und gegen den Vermögensteuerbescheid gerichteten Einsprüche blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.
Mit der Revision rügt der Kläger, daß das Urteil des FG zu Unrecht davon ausgehe, er habe im Veranlagungszeitraum wesentliche wirtschaftliche Interessen im Inland (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AStG) gehabt.
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG sowie die Einkommensteuer- und Vermögensteuerfestsetzungen für den Veranlagungszeitraum 1974 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision ist begründet. Das Urteil des FG wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.
2. Einkommensteuer
Ob und inwieweit Einkünfte des Klägers in dem Streitjahr in der Bundesrepublik besteuert werden können, kann aufgrund der tatsächlichen Feststellung des FG nicht entschieden werden. Die Besteuerung kann nicht auf eine unbeschränkte Steuerpflicht des Klägers gestützt werden; der Kläger hatte in dem Streitjahr in der Bundesrepublik weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt (§ 1 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes [EStG]). Die Zinsen aus den Sparkassenbriefen zählen auch nicht zu den inländischen Einkünften i. S. des § 49 EStG; die besonderen Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG sind nicht gegeben. Besteuerungsgrundlage könnte nur § 2 AStG sein. Ob und inwieweit die Voraussetzungen dieser Vorschrift gegeben sind, lassen die tatsächlichen Feststellungen des FG nicht erkennen.
2.1 Das Streitjahr liegt zwar innerhalb der zehn Jahre nach dem Ende des Jahres, in dem die unbeschränkte Steuerpflicht geendet hat (§ 2 Abs. 1 Satz 1 AStG).
2.2 Der Kläger hatte auch in der Bundesrepublik wesentliche wirtschaftliche Interessen. Seine Einkünfte, die bei unbeschränkter Einkommensteuerpflicht nicht ausländische Einkünfte i. S. des § 34 c Abs. 1 EStG gewesen wären, betrugen mehr als 120 000 DM (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 AStG). Der Kläger hatte aus den Sparkassenbriefen Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 122 000 DM (52 000 DM - 6 v. H. aus dem Sparkassenbrief über 800 000 DM - + 70 000 DM - 7 v. H. aus dem Sparkassenbrief über eine Mio DM -). Den Einnahmen von 122 000 DM stand allenfalls der Pauschbetrag in Höhe von 300 DM gemäß § 9 a Satz 1 Nr. 2 EStG in der für das Streitjahr gültigen Fassung gegenüber.
Dem Vorliegen von Einnahmen in Höhe von 122 000 DM stehen die aufgenommenen Darlehen nicht entgegen. Es kann für die Besteuerung nicht davon ausgegangen werden, daß die Forderungen aus den Sparkassenbriefen durch die Darlehensaufnahmen getilgt wurden, der Kläger daher keine Forderungen gegen die Sparkasse mehr hatte und die Verrechnung der wechselseitigen Zinsforderungen bei der Sparkasse einen bloß internen Vorgang darstellte. Bei der Besteuerung von Vorgängen, die im Bereich des Privatrechts gestaltet werden, ist grundsätzlich an die von den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen anzuknüpfen, sofern diese eindeutig, ernstlich gewollt und tatsächlich durchgeführt sind. Etwas anderes kann auch aus der für die Auslegung von Verträgen nach § 1 Abs. 3 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) maßgebenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise nicht hergeleitet werden. Diese gebietet es, den wirtschaftlichen Inhalt der Vertragsregelung zu erfassen. Sie gestattet es aber nicht, die gewählte bürgerlichrechtliche Form beiseite zu schieben (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Juli 1974 I R 187/72, BFHE 113, 263, BStBl II 1974, 779). Im Streitfall sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, daß die beteiligten Personen wirtschaftlich etwas anderes wollten als das, was sie erklärt haben. In diesem Fall kommen für die Auslegung der Verträge die Grundsätze des bürgerlichen Rechts zur Anwendung (§§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Nach § 133 BGB ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Was die Beteiligten, nämlich der Kläger und die Sparkasse, im Streitfall vereinbart haben, läßt sich aber auch bei Anwendung dieser Auslegungsvorschrift nur so verstehen, daß die Darlehensaufnahme nicht als Tilgung der Forderungen aus den Sparkassenbriefen aufzufassen ist. Der Kläger und die Sparkasse haben eindeutig den Weg der Darlehensaufnahme gewählt, obwohl sie auch die Tilgung der Forderungen aus den Sparkassenbriefen hätten vereinbaren können. Auf die in den Sparkassenbriefen vorgesehenen Fälligkeitsdaten hätte die Sparkasse verzichten können. Der Inhalt der vom Kläger und der Sparkasse getroffenen Vereinbarung unterscheidet sich von dem, was der Kläger als wirtschaftlich gewollt darstellt. Bei der gewählten Gestaltung hatte der Kläger die Möglichkeit, das zu mehr als 6 v. H. verzinsliche Darlehen vor Fälligkeit zurückzuzahlen (§ 247 Abs. 1 BGB). Für den Fall, daß sich die Verwendung der Darlehensmittel für den Kläger als wirtschaftlich nicht oder nicht mehr sinnvoll erweisen sollte, hat er sich damit die Möglichkeit offengelassen, die Vorteile aus der Verzinsung des Sparkassenbriefes zu erhalten. Würde man von einer Tilgung der Forderungen aus den Sparkassenbriefen ausgehen, hätte der Kläger diese Möglichkeit nicht.
Der Kläger kann von den Einnahmen keine Werbungskosten abziehen (§ 9 Abs. 1 Satz 2 EStG), die höher sind als der gemäß § 9 a Satz 1 Nr. 2 EStG mögliche Pauschbetrag von 300 DM. Zu den Werbungskosten zählen nicht die von dem Kläger entrichteten Zinsen für die von ihm aufgenommenen Darlehen. Die Zinsen sind weder Aufwendungen, die der Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Zinseinnahmen dienen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG), noch Schuldzinsen, die mit den Einkünften aus Kapitalvermögen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 EStG). Der Kläger hat das Darlehen nicht aufgenommen, um die Sparkassenbriefe zu erwerben. Er war bei Aufnahme der Darlehen bereits Inhaber der Sparkassenbriefe. Ein wirtschaftlicher Zusammenhang kann auch nicht damit begründet werden, daß der Kläger gezwungen gewesen wäre, die Sparkassenbriefe zu verwerten, um die Mittel zu erhalten, die er sich im Wege der Darlehensaufnahme beschafft hat und daß daher letztlich die Darlehensaufnahme der Erhaltung der Zinseinnahmen diente. Die Zinsen auf die Darlehen hängen ursächlich und unmittelbar mit den Zwecken zusammen, für die die Darlehensvaluta verwendet wurden und sind nicht auf die Erhaltung der Zinseinnahmen aus den Sparkassenbriefen gerichtet. Dem Kläger ist es verwehrt, die Finanzierungsgrundlagen entgegen der tatsächlichen Gestaltung auszutauschen (vgl. auch BFH-Urteil vom 15. Januar 1980 VIII R 70/78, BFHE 130, 147, BStBl II 1980, 348).
2.3 Die tatsächlichen Feststellungen des FG lassen nicht erkennen, ob der Kläger vor dem Ende seiner unbeschränkten Steuerpflicht als Deutscher mindestens fünf Jahre unbeschränkt steuerpflichtig war (§ 2 Abs. 1 Satz 1 AStG). Aus ihnen ergibt sich auch nicht, ob der Kläger im Streitjahr in einem ausländischen Gebiet ansässig war, in dem er einer niedrigeren Besteuerung i. S. des § 2 Abs. 2 AStG unterlag.
3. Vermögensteuer
Der Kläger war weder unbeschränkt steuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 des Vermögensteuergesetzes - VStG -) noch verfügte er als beschränkt Steuerpflichtiger (§ 2 VStG) über Inlandsvermögen i. S. des § 121 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG). Die Möglichkeit zur Besteuerung des Vermögens des Klägers könnte sich jedoch aus § 3 Abs. 1 AStG ergeben. Ob die Voraussetzungen dieser Bestimmung vorliegen, kann der Senat mangels entsprechender tatsächlicher Feststellungen des FG nicht abschließend entscheiden. Der Kläger verfügte in Form des Sparguthabens über Vermögen, dessen Erträge bei unbeschränkter Einkommensteuerpflicht nicht ausländische Erträge i. S. des § 34 c Abs. 1 EStG wären (§ 3 Abs. 1 AStG).
Dabei sind bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Vermögens nicht die Darlehensschulden abzuziehen, da sie - wie unter 2.2. dargestellt - mit den Sparguthaben nicht in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AStG i. V. m. § 121 Abs. 3 Satz 2 BewG). Aufgrund des Fehlens entsprechender tatsächlicher Feststellung kann nicht entschieden werden, ob die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AStG gegeben waren, daß auf den Kläger § 2 Abs. 1 Satz 1 AStG anzuwenden ist (vgl. oben 2.3).
Fundstellen
Haufe-Index 75052 |
BStBl II 1984, 652 |
BFHE 1985, 248 |