Leitsatz (amtlich)
Ein inländischer Gewerbetreibender, der von einem ausländischen Unternehmer auf eine gewisse Dauer damit betraut ist, im Inland anstelle des Unternehmers in dessen Betrieb fallende Tätigkeiten vorzunehmen und der dabei die sachlichen Weisungen des Unternehmers befolgen muß, ist als ständiger Vertreter im Sinne des § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG anzusehen. Das gilt auch dann, wenn der Vertreter die Tätigkeit im Rahmen eines eigenen Gewerbebetriebs ausübt (teilweise Aufgabe der im BFH-Urteil I 335/60 U vom 27. November 1963, BFH 78, 189, BStBl III 1964, 76 vertretenen Auffassung).
Normenkette
KStG § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 6; EStG 1961 § 49 Abs. 1 Nr. 2
Tatbestand
Die Revisionsklägerin - Anschlußrevisionsbeklagte (im folgenden Klägerin) -, eine AG nach ... Recht, betreibt das Reedereigeschäft. Sie unterhält zwischen dem amerikanischen Kontinent und Europa einen regelmäßigen Frachtliniendienst. Im Rahmen dieses Europaliniendienstes läuft sie auch die Häfen Hamburg und Bremen an. Sie wird in Europa durch ihren in Holland ansässigen Generalagenten vertreten, der wiederum die Schiffsmaklerfirmen D (Fa. D.) in Hamburg und S (Fa. S.) in Bremen zu Linienagenten für die Hafenplätze Hamburg und Bremen bestellt hat.
Die Firmen D. und S. besorgen für die Klägerin die Vermittlung und den Abschluß von Frachten, ziehen die Fracht ein und betreuen die anlaufenden Schiffe und die Ladungen. Seit 1954 nehmen sie diese Tätigkeit ständig wahr, ohne von Fall zu Fall mit der Durchführung bestimmter Einzelgeschäfte beauftragt zu sein. Sie sind an die Weisungen der Klägerin und ihres Generalagenten gebunden.
Der Revisionsbeklagte - Anschlußrevisionskläger - (das FA) sah die Firmen D. und S. als ständige Vertreter der Klägerin (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG) an und zog die Klägerin als beschränkt steuerpflichtig zur Körperschaftsteuer heran. Da die Klägerin ihre inländischen Einkünfte trotz Aufforderung nicht erklärt hatte, schätzte das FA den Gesamtgewinn aus den von den Agenten abgeschlossenen Frachtverträgen auf 10 v. H. des Bruttofrachtaufkommens (236 632 DM) sowie den als inländischen Gewinn auf die BRD entfallenden Anteil auf 50 v. H. des Gesamtgewinns (= 118 316 DM).
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage, die zum Teil Erfolg hatte. Das FG führte in seiner in EFG 1970, 174 veröffentlichten Entscheidung u. a. aus:
Die Firmen D. und S. seien als ständige Vertreter der Klägerin anzusehen, die Klägerin daher nach §§ 2, 6 KStG, § 15 KStDV, § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG beschränkt körperschaftsteuerpflichtig. Nach dem Urteil des BFH I 335/60 U vom 27. November 1963 (BFH 78, 189, BStBl III 1964, 76) sei zwar ein selbständiger inländischer Gewerbetreibender nur dann als ständiger Vertreter eines ausländischen Unternehmens anzusehen, wenn er über die in den Rahmen seines eigenen Gewerbebetriebs fallenden Tätigkeiten hinaus eine zusätzliche, weisungsgebundene Tätigkeit für das ausländische Unternehmen entfalte. Folge man dieser Rechtsauffassung des BFH, so seien die Firmen D. und S. im Streitfall keine ständigen Vertreter der Klägerin. Die Tätigkeit der inländischen Schiffsmakler bestehe im Abschluß der Frachtverträge, dem Inkasso der Frachten, den Verhandlungen mit den Hafenbehörden, der konsularischen und papiermäßigen Abwicklung, der Anmeldung der Schiffe bei den Behörden, der Besorgung von Liegeplätzen, der Bestellung von Lotsen, der Bezahlung von Hafenkostenrechnungen und der Übernahme des Delkredere für die Frachtforderungen. Diese Tätigkeiten gehörten nach deutschem Handelsrecht üblicherweise zum Geschäftsbetrieb eines Linienagenten (vgl. Caulier-Eimbeke, Schiffsmaklerkompaß, 2. Aufl. 1954, S. 23 ff.).
Das FG könne aber der begrifflichen Einschränkung des ständigen Vertreters durch den BFH nicht folgen. Die Einschränkung sei durch den Wortlaut, die Entstehungsgeschichte und den Sinn und Zweck des § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG nicht gedeckt. Die Rechtsprechung führe auch zu offenbar unzutreffenden Ergebnissen. Sie habe nämlich zur Folge, daß die Angehörigen ganzer Berufszweige, insbesondere solcher, deren Aufgabe darin liege, im Auftrag und anstelle anderer Unternehmer für diese bestimmte Geschäftshandlungen vorzunehmen, als ständige Vertreter von vornherein ausgeschlossen seien. Das treffe z. B. für einen Linienagenten zu. Im übrigen könne die Rechtsprechung des BFH insofern zu Unsicherheiten und Schwierigkeiten führen, als nicht immer leicht zu bestimmen sein werde, wie weit der Kreis der nach deutschem Handelsrecht zu einem Gewerbebetrieb gehörenden Geschäfte zu ziehen sei (vgl. Grieger, BB 1964, 208).
Dagegen erscheine dem FG das Schätzungsergebnis des FA überhöht. Zwar sei es gerechtfertigt, den Gesamtgewinn der Klägerin auf 10 v. H. der Bruttofrachteinnahmen zu schätzen. Von dem danach sich ergebenden Gesamtgewinn von 236 632 DM entfielen indes nach Schätzung des FG lediglich 20 v. H. (47 326 DM) auf die BRD. Die Schätzung des FA werde den tatsächlichen Verhältnissen nicht gerecht. Eine hinreichend verläßliche Methode zur Erfassung des inländischen Gewinns bilde das Verhältnis, in dem die sächlichen und persönlichen Betriebsmittel an den einzelnen Orten eingesetzt würden. Im Reedereigeschäft liege der Haupteinsatz des Unternehmers in der Anschaffung, der Unterhaltung und dem Betrieb des Schiffes. Davon seien im Streitfall die laufende Unterhaltung einschließlich vorzunehmender Reparaturen und der Betrieb des Schiffes dem Ausland zuzurechnen. Das gleiche gelte für die Aufwendungen der Hauptverwaltung und des (in Holland ansässigen) Generalagenten der Klägerin. Dabei sei zu berücksichtigen, daß diese zum Teil auch im Inland tätig würden. Die Zeugenaussagen hätten ergeben, daß z. B. die Verhandlungen mit den Stauer- und Tallyfirmen, den Ewerführer- und Kaiumschlagsbetrieben, den Reparaturbetrieben sowie verschiedenen anderen Betrieben durch die Klägerin bzw. ihren Generalagenten geführt würden. Auch die Erledigung allgemeiner Rechts- und Steuerangelegenheiten nehme die Klägerin bzw. ihr Generalagent selbst vor. Demgegenüber trete der sächliche und personelle Einsatz der inländischen Linienagenten - unbeschadet der Notwendigkeit und Wichtigkeit der Einschaltung dieser Mittelspersonen - zurück. Die Aufwendungen der Klägerin für die Inlandsagenten im Verhältnis zu den Gesamtaufwendungen lägen nach dem vorliegenden Zahlenmaterial sogar unter 20 v. H. Bei Berücksichtigung dieses Ergebnisses und unter Würdigung der weiteren Umstände des Falles erscheine eine Schätzung des inländischen Gewinnanteils auf 20 v. H. des in den inländischen Bruttofrachteinnahmen enthaltenen Gewinns gerechtfertigt.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die unrichtige Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Sie beantragt, die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung und den Körperschaftsteuerbescheid aufzuheben, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das FA begehrt mit seiner Anschlußrevision, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen. Das FA wendet sich gegen die vom FG vorgenommene Schätzung des inländischen Gewinnanteils und macht geltend, die vom FG angewandte Methode der Gewinnabgrenzung sei im Streitfall nicht geeignet, ein zutreffendes Schätzungsergebnis zu errechnen.
Der dem Verfahren beigetretene BMWF führt u. a. aus: Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck des § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG legten nahe, den Begriff ständiger Vertreter in der vom FG vertretenen Weise auszulegen (wird im einzelnen dargelegt). Eine Einschränkung des Begriffs des ständigen Vertreters im Sinne des Urteils I 335/60 U (a. a. O.) sei auch deshalb bedenklich, weil der Begriff dann zum Schaden der deutschen Wirtschaft auch im Rahmen des § 34c EStG in dieser Weise ausgelegt werden müsse. Nach § 34c EStG seien nur die ausländischen Steuern anrechenbar, die auf ausländische Einkünfte des Steuerpflichtigen entfielen. Ausländische Einkünfte aus Gewerbebetrieb lägen aber nur dann vor, wenn der Steuerpflichtige im Ausland eine Betriebstätte unterhalte oder einen ständigen Vertreter bestellt habe (§ 68b EStDV). Würde man einen im Ausland tätigen selbständigen Gewerbetreibenden nicht als ständigen Vertreter ansehen, weil er nur innerhalb eines eigenen Gewerbebetriebs tätig werde, so könnte eine im Ausland erhobene Steuer auf die deutsche Einkommensteuer und Körperschaftsteuer nicht angerechnet werden. Deutsche Unternehmen würden infolgedessen erhebliche Wettbewerbsnachteile in Kauf nehmen müssen.
Auf die Revision der Klägerin und die Anschlußrevision des FA wird die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
I. Revision der Klägerin (Hauptantrag)
Soweit die Klägerin geltend macht, die im Inland für sie tätigen Linienagenten seien nicht als ständige Vertreter im Sinne des § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG anzusehen und sie selbst daher nicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 6 KStG beschränkt körperschaftsteuerpflichtig, kann ihr der Senat nicht folgen. Die Vorentscheidung hat im Streitfall ohne Rechtsverstoß die Eigenschaft der Linienagenten als ständige Vertreter der Klägerin bejaht.
1. Der Senat hat im Urteil I 335/60 U (a. a. O.) zum Begriff "ständiger Vertreter" nach § 49 Nr. 2 EStG 1955 Stellung genommen. Er hat ausgeführt, der Begriff ständiger Vertreter setze ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis, bestehend in der Bindung an die Weisungen des ausländischen Unternehmers, voraus. Der Vertreter müsse anstelle des ausländischen Unternehmers Handlungen vornehmen, die in dessen Betrieb fielen. Ein selbständiger Gewerbetreibender könne als ständiger Vertreter nur unter der Voraussetzung in Betracht kommen, daß er neben seiner Tätigkeit im eigenen Gewerbebetrieb Handlungen für den ausländischen Unternehmer vornehme. Er müsse insoweit eine Tätigkeit ausüben, die außerhalb seines eigenen Gewerbebetriebs liege. Ob dies der Fall sei, müsse nach deutschem Handelsrecht entschieden werden.
An dieser Rechtsprechung hält der Senat nach erneuter Prüfung insoweit nicht mehr fest, als die Eigenschaft eines inländischen Gewerbetreibenden als ständigen Vertreter eines ausländischen Unternehmers im Urteil I 335/60 U (a. a. O.) an die Voraussetzung geknüpft worden war, daß dieser neben seiner Tätigkeit im eigenen Gewerbebetrieb für den ausländischen Unternehmer betriebliche Handlungen vornehmen müsse, die außerhalb seines eigenen Gewerbebetriebs lägen.
2. Der Begriff "ständiger Vertreter" ist nicht eindeutig; er bedarf daher der Auslegung. Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist. Nicht entscheidend ist die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner Mitglieder über die Bedeutung der Vorschrift. Der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt indes für die Auslegung insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach den angegebenen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können (vgl. z. B. Urteil des BVerfG 2 BvH 2/52 vom 21. Mai 1952, BVerfGE 1, 299 [312]).
a) Geht man bei der wörtlichen Auslegung des Begriffes "Vertreter" vom spezifischen Sprachgebrauch des bürgerlichen Rechts aus, ohne den Begriff damit abschließend zu interpretieren, so ist Vertreter, wer innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht eine Willenserklärung im Namen des Vertretenen abgibt (unmittelbarer Vertreter, § 164 BGB) oder wer zwar im eigenen Namen, aber für fremdes Interesse auftritt (mittelbarer Vertreter; vgl. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 29. Aufl., Einführung 1 zu § 164). Beide Vertreterbegriffe bedingen - angewandt auf einen selbständigen Gewerbetreibenden - kein Handeln außerhalb des eigenen Gewerbebetriebs des Vertreters. Dies zeigt das Beispiel des Handelsvertreters, der als unmittelbarer Vertreter für einen anderen Unternehmer in dessen Namen Geschäfte abschließt (§ 94 Abs. 1 HGB), und des Kommissionärs, der als mittelbarer Vertreter "es gewerbsmäßig übernimmt, Waren oder Wertpapiere für Rechnung eines anderen ... im eigenen Namen zu kaufen und zu verkaufen" (§ 383 HGB). Beide Vertreter üben ihre Tätigkeit in der Regel im Rahmen des eigenen Gewerbebetriebs aus.
b) Die Vorschrift des § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG regelt, was als inländische Einkünfte aus dem Gewerbebetrieb einer natürlichen Person, die im Inland weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (§ 1 Abs. 2 EStG), oder einer Körperschaft, die weder ihre Geschäftsleitung noch ihren Sitz im Inland hat (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 KStG, § 6 Abs. 1 KStG), anzusehen ist. Aus dem Wortlaut des § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG ergibt sich, daß der ständige Vertreter für diesen Gewerbebetrieb im Inland bestellt sein muß. Aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang des § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG kann danach zwar im Sinne der bisherigen Rechtsprechung gefolgert werden, daß der ständige Vertreter auf eine gewisse Dauer damit betraut sein muß, anstelle des ausländischen Unternehmers Handlungen vorzunehmen, die in dessen Betrieb fallen und daß er dabei sachlich den Weisungen dieses Unternehmers unterworfen sein muß. Dagegen ergibt sich kein überzeugender Grund dafür, daß zwischen dem ausländischen Unternehmer und dem ständigen Vertreter ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis bestehen muß, das über den Rahmen einer sachlichen Weisungsgebundenheit hinausgeht. Erweist sich aber ein derartiges, einem unselbständigen Angestellten vergleichbares persönliches Abhängigkeitsverhältnis als nicht erforderlich, so entfällt damit auch der Grund für die Annahme, ein selbständiger Gewerbetreibender müsse, um ständiger Vertreter zu sein, Handlungen außerhalb des Rahmens seines eigenen (selbständigen) Gewerbebetriebs vornehmen. Denn sachlich weisungsgebunden kann ein Gewerbetreibender auch im Rahmen seines eigenen Gewerbebetriebs sein.
Gegen die seither für erforderlich gehaltene Einschränkung spricht auch der aus dem Sinnzusammenhang der §§ 1 Abs. 2 EStG, 2 Abs. 1 Nr. 1, 6 KStG und 49 EStG herzuleitende Zweck der hier auszulegenden Vorschrift. Die Bestellung und die Tätigkeit eines ständigen Vertreters im Inland führen dazu, den durch den Einsatz des ständigen Vertreters erwirtschafteten Gewinn des ausländischen Unternehmens in der BRD zur Besteuerung heranzuziehen. Geht aber der Zweck dahin, einen im Inland erwirtschafteten Vorteil dem ausländischen Unternehmen steuerlich zuzurechnen, so kann es nicht darauf ankommen, ob der ständige Vertreter - je nach der Zweckbestimmung und Struktur seines eigenen Betriebs - den Einsatz im Rahmen dieses eigenen Betriebs oder außerhalb desselben erbringt. Solche in der Person und der betrieblichen Organisation des Vertreters begründeten Zufälligkeiten sind - insbesondere auch im Lichte einer am Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) orientierten verfassungskonformen Auslegung - nicht geeignet, eine unterschiedliche steuerliche Behandlung des ausländischen Unternehmers zu rechtfertigen.
c) Die Ansicht, der ständige Vertreter müsse außerhalb seines eigenen Gewerbebetriebs Handlungen vornehmen, kann auch nicht damit begründet werden, daß der Vertreter als inländischer Gewerbetreibender mit seinem Gewinn ebenfalls zur Besteuerung in der BRD herangezogen wird. Einmal geschieht dies auch hinsichtlich der Einkünfte, die er "außerhalb des Rahmens seines eigenen Gewerbebetriebs" erzielt. Zum anderen begegnet es keinen Bedenken, daß der wirtschaftliche Erfolg einer Erwerbstätigkeit, wenn er zugleich mehreren Personen zugute kommt, auch mehrere Besteuerungsfälle auslöst.
d) Sofern diese aus Wortlaut und Sinnzusammenhang des § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG gewonnene Auslegung noch Zweifel begegnen sollte, werden sie durch die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift behoben.
Nach § 1 Abs. 2 KStG vom 30. März 1920 (RGBl I, 393) waren Körperschaften mit Sitz und Ort der Leitung im Ausland nur mit dem Einkommen aus einem Gewerbebetrieb, für den im Inland eine Betriebstätte unterhalten wurde, beschränkt steuerpflichtig. Ähnlich war die Rechtslage nach § 2 Abs. 2 EStG vom 29. März 1920 (RGBl I, 359). Danach waren alle natürlichen Personen ohne Rücksicht auf Staatsangehörigkeit, Wohnsitz oder Aufenthalt mit ihrem "Einkommen aus inländischem Gewerbebetrieb" einkommensteuerpflichtig. Ein inländischer Gewerbebetrieb lag nur vor, wenn im Inland eine Betriebstätte im Sinne des § 3 Abs. 2 des Doppelsteuergesetzes vom 22. März 1909 (RGBl I, 332) unterhalten wurde (Strutz, Handausgabe des Einkommensteuergesetzes vom 29. März 1920, Berlin 1920, § 2 Anm. 32). Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 des Doppelsteuergesetzes war Betriebstätte im Sinne dieses Gesetzes jede feste örtliche Anlage oder Einrichtung, die der Ausübung des Betriebs eines stehenden Gewerbes diente.
Das Gesetz zur Änderung des Körperschaftsteuergesetzes vom 8. April 1922 (RGBl I, 351) hat durch seinen Art. 1 Nr. I in § 1 Abs. 2 KStG hinter die Worte "aus einem Gewerbebetrieb, für den im Inland eine Betriebstätte unterhalten wird", die Worte hinzugefügt "oder ein ständiger Vertreter bestellt ist". Dazu enthält die Begründung zum Gesetzesentwurf (Reichstagsdrucksache 1921 Nr. 2867 S. 5 zu Art. I Nr. 1 Bd. 369 der Verhandlungen des Reichstags) folgende Ausführungen:
"Der § 1 Abs. 1 des Gesetzes knüpft die Steuerpflicht des Gewerbebetriebs von Körperschaften, die im Inland weder einen Sitz noch den Ort der Leitung haben, an das Vorhandensein einer inländischen Betriebstätte. Versteht man darunter eine feste örtliche Anlage oder Einrichtung ..., so würden ausländische Körperschaften, die durch den Betrieb eines Gewerbes im Inland Gewinn erzielen, nicht immer zur Körperschaftsteuer herangezogen werden können, und zwar auch dann nicht, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse im wesentlichen die gleichen sind wie bei dem Vorliegen einer inländischen Betriebstätte. Eine solche Gleichheit ist insbesondere dann gegeben, wenn eine ausländische Gesellschaft im Inland durch einen selbständigen Gewerbetreibenden als Generalagenten vertreten wird, dessen gewerbliche Tätigkeit sich nur auf die Vermittlung des Abschlusses von Geschäften ... erstreckt. Die vorgesehene Fassung will bewirken, daß eine ausländische Körperschaft auch dann steuerpflichtig ist, wenn sie im Inland durch einen selbständigen Gewerbetreibenden (Generalagenten oder sonstigen Agenten) oder durch einen zwar unselbständigen, aber regelmäßig im Inland sich aufhaltenden Vertreter Geschäfte betreibt ..."
Durch das EStG vom 10. August 1925 (RGBl I, 189) wurde der Begriff des ständigen Vertreters in § 3 Abs. 2 Nr. 2 EStG übernommen. Dadurch sollte ein Grundsatz des Körperschaftsteuerrechts in das EStG übertragen werden (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf, Reichstagsdrucksache 1924/25 Nr. 795 S. 39, B zu § 3, Bd. 400 der Verhandlungen des Reichstags). Bei den Beratungen im Steuerausschuß des Reichstags hat der Regierungsvertreter die beabsichtigte Neuregelung näher erläutert (Reichstagsdrucksache 1924/25 Nr. 1229 S. 33, 2. Lesung zu § 3, Bd. 403 der Verhandlungen des Reichstags). Er hat ausgeführt: Vertreter sei, wer ein Rechtsgeschäft für einen anderen und an dessen Stelle vornehme und zwar gleichgültig, ob er nach außen hin im eigenen Namen oder im Namen des Vertretenen handele. Der Vertreter könne entweder ein selbständiger Gewerbetreibender (Generalagent oder sonstiger Agent, Kommissionär, Spediteur) oder ein regelmäßig im Inland sich aufhaltender Prokurist, Handlungsbevollmächtigter oder sonstiger Angestellter der ausländischen Firma sein. Es komme nicht darauf an, für wie viele Auftraggeber etwa ein deutscher Agent tätig sei. Entscheidend sei vielmehr, ob die Tätigkeit des Vertreters für die vertretene ausländische Firma von einer gewissen Dauer sei.
Das EStG vom 16. Oktober 1934 (RGBl I, 1005) hat den Begriff des ständigen Vertreters ohne sachliche Änderung in § 49 Nr. 2 EStG übernommen (vgl. Begründung zum EStG 1934, II zu §§ 49, 50, RStBl 1935, 33, 59). Danach ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte, insbesondere aus den mehrfachen Hinweisen auf den Generalagenten oder sonstigen Agenten sowie auf den Kommissionär und Spediteur, daß nicht daran gedacht war, den Begriff des ständigen Vertreters inhaltlich auf ein Handeln außerhalb seines eigenen Gewerbebetriebs zu beschränken.
3. Mit dem Begriff des ständigen Vertreters nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 EStG 1925 hat sich der RFH in der Entscheidung I Aa 263/29 vom 13. September 1929 (RFH 25, 352) befaßt. Er hat sich auf die der Gesetzesänderung zugrunde liegenden Materialien bezogen und ausgeführt: Wenn der Gesetzgeber dazu übergegangen sei, bei einer ausländischen Firma die Begründung eines ständigen Vertreters anzunehmen, dann sei in der Tat kein triftiger Grund zu erkennen, warum ein Unterschied gemacht werden solle je nachdem, ob der Vertreter ein abhängiger Angestellter oder ein mit Vollmacht versehener selbständiger Gewerbetreibender sei. Der leitende Gesichtspunkt müsse der sein, ob die ausländische Firma im Inland regelmäßig Geschäfte durch einen im Inland ansässigen Vertreter mache. Ob dem Vertreter mehr oder weniger Selbständigkeit gelassen werde, sei ein Umstand, der häufig vom Zufall, von dem Vorhandensein geeigneter Personen und dergleichen bestimmt werde. Es sei nicht einzusehen, warum eine ausländische Firma steuerpflichtig sein solle, wenn sie in Deutschland durch einen hier ansässigen Prokuristen Geschäfte mache, aber steuerfrei bleiben solle, wenn sie genau dieselben Geschäfte durch einen selbständigen deutschen Kaufmann abschließen lasse, dem sie in gutem Vertrauen eine umfassende Vollmacht erteilt habe. Auch diese Überlegungen des RFH decken sich mit der Ansicht des erkennenden Senats.
4. In der Entscheidung I 335/60 U (a. a. O.) hat sich der Senat zur Begründung seiner einschränkenden Auslegung des Begriffes ständiger Vertreter auf die an den RFH anknüpfende Rechtsprechung des BFH (Entscheidungen IV 155/60 U vom 10. Mai 1961, BFH 73, 134, BStBl III 1961, 317; I B 156/58 S vom 9. März 1962, BFH 74, 614, BStBl III 1962, 227; I B 223/61 S vom 16. August 1962, BFH 75, 573, BStBl III 1962, 477) gestützt. Diese Rechtsprechung betraf indes die Auslegung des Begriffs "ständiger Vertreter" im Sinne des die Merkmale der Betriebstätte regelnden § 16 Abs. 2 Nr. 2 StAnpG. Auch neuere Entscheidungen zu dieser Vorschrift machten die Annahme eines ständigen Vertreters von einem Handeln außerhalb seines eigenen Gewerbebetriebs abhängig (BFH-Entscheidungen I B 282/62 U vom 12. Oktober 1965, BFH 83, 526, BStBl III 1965, 690; I R 127/68 vom 14. Juli 1971, BFH 103, 195, BStBl II 1971, 776).
Der Senat hat im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden, ob diese einschränkende Begriffsbestimmung des ständigen Vertreters im Sinne des § 16 Abs. 2 Nr. 2 StAnpG aufrechterhalten werden kann. Zur Klarstellung wird jedoch darauf hingewiesen, daß die Bestellung eines ständigen Vertreters eine Betriebstätte nur unter der Voraussetzung begründet, daß dem Unternehmer oder seinem ständigen Vertreter eine feste örtliche Einrichtung (Kontor oder sonstige Geschäftseinrichtung) zur Ausübung des Gewerbebetriebs (des Unternehmers) dient. Der BFH verlangt hierzu in ständiger Rechtsprechung, daß das Kontor oder die sonstige Geschäftseinrichtung dem Unternehmer gehört oder - soweit sich die Tätigkeit in der Wohnung bzw. den Geschäftsräumen des ständigen Vertreters abspielt - dem Unternehmer wenigstens eine gewisse, nicht nur vorübergehende Verfügungsgewalt über sie zusteht (BFH-Entscheidungen I B 156/58 S, a. a. O.; I B 223/61 S, a. a. O.; I R 127/68, a. a. O.). Dagegen reicht die Bestellung des ständigen Vertreters nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG als selbständiges Merkmal aus, um dem ausländischen Unternehmer inländische Einkünfte aus Gewerbebetrieb zuzurechnen. Eine Betriebstätte braucht in diesem Fall nicht vorzuliegen. Da im Streitfall Anhaltspunkte für eine Verfügungsgewalt der Klägerin über die Geschäftseinrichtung ihrer Linienagenten nicht gegeben sind, hat die Vorinstanz die beschränkte Steuerpflicht der Klägerin auch zu Recht nicht auf die Annahme einer Betriebstätte gestützt.
5. Dem BMWF ist auch darin beizutreten, daß § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG nicht in Anlehnung an den Text des OECD-Musterabkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung des Einkommens und Vermögens (Art. 5 Abs. 4 und 5) ausgelegt werden darf (vgl. hierzu Bericht des Steuerausschusses der OECD 1963, herausgegeben vom Bundesminister der Finanzen, Bonn 1965). Die Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) sind das Ergebnis eines Verzichts auf innerstaatliche Steueransprüche im Wege gegenseitigen Nachgebens der vertragschließenden Staaten. Ein solches Abkommen vermag über den Inhalt und die Reichweite der innerstaatlichen Steueransprüche, wie sie unabhängig von einem vertraglich wirksamen Verzicht bestehen, nichts auszusagen.
6. Nach diesen Grundsätzen ist ein inländischer Gewerbetreibender, der von einem ausländischen Unternehmer auf eine gewisse Dauer damit betraut ist, im Inland anstelle des Unternehmers in dessen Betrieb fallende Tätigkeiten vorzunehmen und dabei die sachlichen Weisungen des Unternehmers befolgen muß, als ständige Vertreter anzusehen. Das gilt auch dann, wenn der Vertreter die Tätigkeit im Rahmen eines eigenen Gewerbebetriebs ausübt.
Die inländischen Linienagenten der Klägerin erfüllen diese Voraussetzungen insbesondere dadurch, daß sie für die Klägerin die Frachten vermitteln und abschließen und die Schiffe und Ladungen betreuen. Es handelt sich dabei um Handlungen, welche die Klägerin, um ihre Reederei auch im Inland betreiben zu können, selbst oder durch Angestellte ausüben müßte, wenn nicht die Linienagenten für sie tätig würden. Nach den für den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG nehmen die Linienagenten die Vertretung auch für eine gewisse Dauer - nämlich ständig seit 1954 - wahr und sind dabei an die Weisungen der Klägerin gebunden.
II. Anschlußrevision des FA, Hilfsantrag der Revision der Klägerin
1. Zur beschränkten Körperschaftsteuerpflicht können nach § 2 Abs. 1, § 6 KStG, § 49 Abs. 1 Nr. 2, § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG nur diejenigen Einkünfte herangezogen werden, die im Rahmen der für einen ausländischen Unternehmer unterhaltenen Betriebstätte oder ständigen Vertretung erzielt wurden. Für die Ermittlung dieser Einkünfte kommt in erster Linie die sog. direkte Methode (gesonderte Feststellung des Gewinns der ständigen Vertretung), in zweiter Linie die sog. indirekte Methode (Ermittlung des Gewinnanteils der ständigen Vertretung nach dem Anteil am Gesamtgewinn des ausländischen Unternehmers) in Betracht (vgl. Mersmann, Die Ertragsbesteuerung inländischer Betriebstätten und Tochtergesellschaften ausländischer Kapitalgesellschaften, S. 78 f.). Da die direkte Methode eine gesonderte Buchführung der ständigen Vertretung erfordert, scheidet dieser Weg der Gewinnermittlung im Streitfall aus. Für eine Gewinnermittlung nach der indirekten Methode stellt sich die Frage, nach welchem Verteilungsschlüssel der Gesamtgewinn auf den ausländischen Unternehmer und den inländischen ständigen Vertreter aufzuteilen ist. Im Streitfall sind die Tätigkeiten außerhalb und diejenigen innerhalb des Bereichs der ständigen Vertreter verschiedenartig. In einem solchen Fall ist den ständigen Vertretern derjenige Anteil des Gesamtgewinns zuzurechnen, welcher der Bedeutung ihrer Tätigkeit im Rahmen des Gesamterfolgs entspricht (RFH-Urteil I 369/36 vom 13. Juli 1938, RStBl 1938, 863).
2. Mit seiner Anschlußrevision wendet das FA ein, die vom FG angewandte Schätzungsmethode (Aufteilung nach dem Verhältnis, in dem die sächlichen und personellen Mittel an den einzelnen Orten der Tätigkeit der Klägerin eingesetzt werden) sei im Streitfall nicht geeignet, ein zutreffendes Schätzungsergebnis zu erzielen. Bei einer Linienreederei hänge der Erfolg im wesentlichen davon ab, in welchem Umfang der Schiffsladeraum ständig voll ausgelastet sei. Demgegenüber träten die Betriebskosten des Schiffes, insbesondere Aufwendungen für Betriebsstoffe und Heuern, als ein den Gewinn bestimmender Faktor zurück. Sie fielen unabhängig von der jeweiligen Auslastung der Schiffe in einem annähernd gleichbleibenden Umfang an. Das FG habe die Richtigkeit der Schätzung des FA nicht widerlegt. Z. B. hänge der Erfolg eines Fabrikationsunternehmens sehr wesentlich davon ab, in welchem Umfang seine Produktionskapazität ausgelastet sei, d. h. wie seine Auftragslage sei und wie es seine Erzeugnisse auf dem Markt absetzen könne. Bei einem Produktionsunternehmen, das eine Produktionsstätte in dem einen Land und eine Verkaufsstelle in dem anderen Land unterhalte, müßten die beiden Tätigkeiten als gleichwertig angesehen und müßte der Gesamtgewinn im Regelfall im Verhältnis 50 : 50 aufgeteilt werden (vgl. Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 49 EStG Anm. 65). Ebenso seien bei Reedereien die Leistung durch die Reederei und der Verkauf der Leistung durch den Linienagenten in etwa gleichwertig. Bei einer Aufteilung des Gewinns im Verhältnis 50 : 50 müsse berücksichtigt werden, daß der Linienagent auch die eingehende Ladung abfertige. Der Satz von 50 v. H. sei eher zu niedrig als zu hoch. Demgegenüber hält die Klägerin die Schätzung durch das FA für erheblich übersetzt.
3. Die Schätzung des FG ist schon deshalb fehlerhaft, weil das FG zwar Feststellungen über die Tätigkeiten des ausländischen Unternehmers, des holländischen Generalagenten und der Linienagenten getroffen, nicht aber zahlenmäßig belegt hat, welches Gewicht den Tätigkeiten im Rahmen des Gesamterfolges zukommt. Die vom FG aufgestellte Vergleichsrechnung, nach der die Aufwendungen der Klägerin für die Inlandsagenten im Verhältnis zu ihrem Gesamtaufwand noch weniger als 20 v. H. betragen würden, vermag nicht zu erklären, weshalb das FG dann gleichwohl den auf die inländischen Vertreter entfallenden Anteile mit 20 v. H. festgestellt hat. Es erscheint auch fraglich, ob der Aufwand der Klägerin für die an die Linienagenten gezahlten Courtagen mit dem Anteil der ständigen Vertreter am Gesamterfolg gleichgesetzt werden kann.
Unter diesen Umständen ist die Behauptung des FG, gegenüber der Tätigkeit der Klägerin und des holländischen Generalagenten träten die Leistungen der inländischen Linienagenten in ihrer Bedeutung zurück, nicht ausreichend durch Tatsachen gestützt. Das FG wird unter Berücksichtigung der von den Beteiligten vorgetragenen Erwägungen nochmals überprüfen, welche Bedeutung den Linienagenten im Rahmen des im Inland erzielten Gesamterfolgs der Klägerin zukommt. Ob sich der Anteil am Aufwand der personellen und sächlichen Kosten für die Betriebsmittel überhaupt als Aufteilungsmaßstab eignet, wird dabei ebenfalls zu prüfen sein.
Fundstellen
BStBl II 1972, 785 |
BFHE 1972, 206 |