Leitsatz (amtlich)
Bei einem Bauunternehmen sind die aus Walzstahl bestehenden Kanaldielen, die im Tiefbau zum Abstützen von Erdwänden verwendet werden, einer selbständigen Bewertung und Nutzung i. S. des § 6 Abs. 2 EStG fähig.
Normenkette
EStG § 6 Abs. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) - ein Hoch- und Tiefbauunternehmen - hatte die Aufwendungen für Kanaldielen jeweils im Jahr ihrer Anschaffung in voller Höhe als Betriebsausgaben abgesetzt (§ 6 Abs. 2 EStG).
Bei einer Betriebsprüfung gelangte der Prüfer zu der Auffassung, die Kanaldielen gehörten zu den genormten und aufeinander abgestimmten Gerüst- und Schalungsteilen. Sie seien nicht selbständig nutzungsfähig. Für die Bestände bildete der Prüfer Festwerte. Das hatte zur Folge, daß sich Gewinnauswirkungen für die Streitjahre ergaben. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) schloß sich bei Erlaß der endgültigen einheitlichen Gewinnfeststellungen für die Streitjahre 1966, 1968 und 1969 dieser Auffassung an. Der Einspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage, in welcher die Klägerin der Auffassung der Verwaltung entgegengetreten war, als unbegründet ab.
Das FG war der Ansicht, die von der Klägerin erworbenen Kanaldielen bildeten "ein einheitliches Ganzes". Bei der bestimmungsgemäßen Benutzung der Kanaldielen sei eine Zusammensetzung mehrerer Kanaldielen zu einer Trennwand erforderlich. Der Annahme eines einheitlichen Ganzen stehe nicht entgegen, wenn einzelne Kanaldielen gewissermaßen zweckentfremdet zur Bewehrung von Grundflächen für das Abstellen schwerer Maschinen, zur Herstellung von Fahrspuren und Überfahrten usw. verwendet würden. Das entspreche nicht ihrer Grundbestimmung. Der Bundesfinanzhof (BFH) löse sich zwar in dem Urteil vom 28. März 1973 I R 105/71 (BFHE 109, 323, BStBl II 1974, 2) von einer allzu engen Auslegung des Begriffs der selbständigen Nutzungsfähigkeit i. S. des § 6 Abs. 2 EStG, verweise aber gleichzeitig auf das Gutachten der Steuerreformkommission 1971 (Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen, Heft 17), in welchem die selbständige Nutzungsfähigkeit von Gerüst- und Schalungsteilen deshalb verneint werde, weil diese Gegenstände, wenn auch untereinander austauschbar, immer nur in gleichartiger Funktion und in gleichartigem Nutzungszusammenhang verwendet werden könnten. Auch die hier in Rede stehenden Kanaldielen seien ihrer Hauptbestimmung gemäß nur in gleichartiger Funktion und in gleichartigem Nutzungszusammenhang, nämlich zur Bildung von Trennwänden, verwendbar.
In ihrer Revision rügt die Klägerin vornehmlich die Verletzung des § 6 Abs. 2 EStG. Das FG hätte untersuchen müssen, ob es sich bei Kanaldielen um genormte und technisch aufeinander abgestimmte Schalungsteile handle. Kanaldielen erfüllten nicht die Voraussetzungen wie Gerüst- und Schalungsteile, um in ein übergeordnetes Wirtschaftsgut einbezogen zu werden.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Gewinn aus Gewerbebebetrieb entsprechend ihrem Klageantrag festzustellen.
Das FA beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Die von der Klägerin angeschafften Kanaldielen sind als geringwertige Wirtschaftsgüter anzusehen, für die die Bewertungsfreiheit nach § 6 Abs. 2 EStG zu gewähren ist.
In der für die Streitjahre maßgebenden Fassung dieser Vorschrift können Steuerpflichtige unter weiteren hier nicht streitigen Voraussetzungen die Anschaffungs- oder Herstellungskosten von beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, die einer selbständigen Bewertung und Nutzung fähig sind, im Jahr der Anschaffung oder Herstellung in voller Höhe als Betriebsausgaben absetzen, wenn die Anschaffungs- oder Herstellungskosten, die nach Einführung der Mehrwertsteuer um einen darin enthaltenen Vorsteuerabzug zu mindern sind, für das einzelne Wirtschaftsgut 800 DM nicht übersteigen. Es steht außer Frage, daß jede einzelne Kanaldiele zu den beweglichen und selbständig bewertbaren Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens der Klägerin gehört. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist aber auch das zusätzliche Erfordernis der selbständigen Nutzungsfähigkeit erfüllt.
Wie in dem vom FG angeführten BFH-Urteil I R 105/71 und in dem weiteren BFH-Urteil vom 18. November 1975 VIII R 9/73 (BFHE 117, 243, BStBl II 1976, 214) ausgeführt ist, ist das Merkmal der selbständigen Nutzungsfähigkeit i. S. des § 6 Abs. 2 EStG gegeben, wenn das zu beurteilende Wirtschaftsgut nicht als Teil eines einheitlichen Ganzen anzusehen ist. Die selbständige Nutzungsfähigkeit ist nicht schon dann zu verneinen und die Bewertungsfreiheit zu versagen, wenn das Wirtschaftsgut in eine größere Einheit (Fabrikanlage usw.) eingeordnet ist und in diesem Zusammenhang eine bestimmte Funktion ausübt, sondern nur dann, wenn der Nutzungszusammenhang mit anderen Wirtschaftsgütern der Einheit unauflöslich und das Wirtschaftsgut außerhalb dieser Einheit einer Nutzung nicht mehr fähig ist. In diesen Entscheidungen wird auch darauf hingewiesen, daß der Vereinfachungszweck, der mit § 6 Abs. 2 EStG erreicht werden soll, verlorengeht, wenn das Tatbestandsmerkmal der selbständigen Nutzungsfähigkeit zu eng ausgelegt wird.
Eine sich in der Rechtsprechung abzeichnende Tendenz, die Bewertungsfreiheit nach § 6 Abs. 2 EStG einzuschränken, ist schon mit der sogenannten Lampenstubenentscheidung (BFH-Urteil vom 27. März 1963 I 201/62 U, BFHE 76, 837, BStBl III 1963, 304) aufgegeben worden. Dort heißt es, daß eine einheitliche Zweckbestimmung verschiedener Wirtschaftsgüter nicht genüge, um eine Einheit anzunehmen; auch aufeinander abgestimmte und zu einem Komplex zusammengefaßte Wirtschaftsgüter entbehrten der selbständigen Nutzungsfähigkeit erst dann, wenn sie als einheitliches Ganzes in Erscheinung träten, wobei der Dauer und der Festigkeit der Verbindung und der technischen Verzahnung entscheidendes Gewicht zukomme. In der sogenannten Transportwagenentscheidung (BFH-Urteil vom 13. September 1966 I 53/64, BFHE 86, 799, BStBl III 1966, 692) sind die Transportwagen einer Ziegeltrockenanlage für selbständig nutzungsfähig deshalb gehalten worden, weil die Transportwagen ohne wesentliche Änderung aus der Trockenanlage herausgenommen und in einen anderen Nutzungszusammenhang gestellt werden konnten. Als nichtselbständig nutzungsfähig sind hingegen die technisch aufeinander abgestimmten einzelnen Gerüst- und Schalungsteile eines Bauunternehmers angesehen worden, weil sie in dessen Betrieb als ein einheitliches Ganzes aufträten (so das zu § 21 des Berlinhilfegesetzes [BHG] 1962 ergangene BFH-Urteil vom 21. Juli 1966 IV 289/65, BFHE 87, 180, BStBl III 1967, 59).
Der Bestand an Kanaldielen eines Tiefbauunternehmers bildet keine unauflösliche Einheit in dem Sinn, daß die einzelne Kanaldiele außerhalb dieser Einheit einer selbständigen Nutzung nicht mehr fähig wäre. Die Ränder der Kanaldielen sind zwar profiliert, so daß das Zusammensetzen der Kanaldielen zu Wänden, die der Abstützung von Gruben- oder Grabenwänden dienen, erleichtert wird. Derartige Trennwände können aber ohne große technische Vorkehrungen wieder auseinandergenommen und die einzelnen Kanaldielen in einem anderen Zusammenhang wieder verwendet werden. Sie sind somit in vielerlei Zusammensetzungen und auch einzeln funktions- und verwendungsfähig. Im Gegensatz zur Auffassung des FG ist es nicht unerheblich, daß die einzelnen Kanaldielen zu vielerlei anderen Zwecken Verwendung finden, wie dem Abdecken von Baugruben, der Herstellung von Brücken über Gräben und von Überfahrten, der Bewehrung von Grundflächen zum Abstellen schwerer Maschinen und dgl. Alles das erlaubt es davon auszugehen, daß die aus Walzstahl bestehenden Kanaldielen in Betrieben der Tiefbauunternehmer an die Stelle der früher verwendeten Bohlen und Bretter getreten sind, deren Bestände bei einem Bauunternehmer nicht als ein einheitliches Ganzes angesehen werden können. Der Klägerin durfte daher die Bewertungsfreiheit nach § 6 Abs. 2 EStG nicht versagt werden.
Da das FG aufgrund einer rechtsfehlerhaften Beurteilung zu einem anderen Ergebnis gelangt ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist noch nicht entscheidungsreif. Das FG hat - von seinem Standpunkt zu Recht - keine Feststellungen hinsichtlich der zutreffenden Höhe der Abschreibung der geringwertigen Wirtschaftsgüter getroffen. Bei Änderung des Gesamtgewinns ändern sich auch die Gewinnanteile der einzelnen Gesellschafter. Die Sache geht daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.
Fundstellen
Haufe-Index 72166 |
BStBl II 1977, 144 |
BFHE 1977, 459 |