Entscheidungsstichwort (Thema)
Teilgeschäftsveräußerung trotz Vermietung des Betriebsgrundstücks
Leitsatz (amtlich)
Die unentgeltliche Übertragung eines Bauunternehmens durch den Unternehmer an seinen Sohn kann auch dann als nicht steuerbare Teilgeschäftsveräußerung beurteilt werden, wenn dem Sohn das Betriebsgrundstück für zehn Jahre mit Verlängerungsoption zur Fortführung des Bauunternehmens vermietet wird.
Normenkette
UStG 1993 § 1 Abs. 1a, § 4 Nr. 12 Buchst. a, § 9 Abs. 1-2, § 15a Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war als Bauunternehmer tätig. Er hatte in 1985 auf einem eigenen 1 764 qm großen Grundstück eine 307 qm große Lagerhalle errichtet. Der Kläger nutzte die mit Herstellungskosten von 104 504 DM errichtete Halle als Lager und Maschinenabstellplatz.
Zum 1. Januar 1995 erklärte er die Betriebsaufgabe und übertrug seinem Sohn das Anlagevermögen seines Bauunternehmens unentgeltlich. Das Betriebsgrundstück behielt er zurück und vermietete es seinem Sohn ab 1. Januar 1995 gegen eine Monatsmiete von 1 500 DM für zehn Jahre zum Betrieb eines Bauunternehmens. Eine Vertragsverlängerung um jeweils ein Jahr war für den Fall vorgesehen, dass keine Kündigung erfolgte. Der Mieter war verpflichtet, die für das Grundstück anfallenden öffentlichen Lasten, Instandhaltungs- und Versicherungskosten zu tragen.
Einen PKW, einen Fernkopierer und einen Kopierer überführte der Kläger in sein Privatvermögen. Er vertrat die Auffassung, die Betriebsübertragung sei nach § 1 Abs. 1 a des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG 1993) als Geschäftsveräußerung im Ganzen nicht steuerbar. Seiner Steuererklärung für 1995 ist nicht zu entnehmen, ob er das Grundstück steuerpflichtig vermietete. Sie enthält auch keine Angaben über eine Vorsteuerberichtigung.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) beurteilte den Vorgang in der angefochtenen Umsatzsteuerfestsetzung für 1995 als steuerbaren Eigenverbrauch durch Entnahme von Unternehmensgegenständen (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStG 1993). Das FA war der Meinung, wegen der vorherigen Entnahme des Betriebsgrundstücks, das eine wesentliche Betriebsgrundlage für das Unternehmen des Klägers dargestellt habe, sei keine Geschäftsveräußerung im Ganzen anzunehmen. Die Entnahme des Grundstücks behandelte das FA als steuerfrei und besteuerte nur die übrigen an den Sohn unentgeltlich übertragenen und die für eigene nichtunternehmerische Zwecke entnommenen Gegenstände mit dem gemeinen Wert von 106 487 DM; es setzte eine Umsatzsteuer von 15 973 DM fest.
Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage als unbegründet ab. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 109 abgedruckt.
Es führte zur Begründung u.a. aus, für die Frage, ob eine Unternehmens- oder eine Teilbetriebsübereignung vorliege, seien dieselben Grundsätze maßgeblich wie bei § 75 der Abgabenordnung (AO 1977) und bei § 34 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 16 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Welches die wesentlichen Grundlagen eines Betriebes seien, richte sich nach den tatsächlichen Verhältnissen im Zeitpunkt der Übereignung.
Im Streitfall sei das vom Kläger entnommene Betriebsgrundstück für sein Unternehmen wesentlich i.S. von § 1 Abs. 1 a UStG 1993 gewesen. Die Lagerhalle sei für das Unternehmen des Klägers errichtet und seit ihrer Errichtung immer unternehmerisch genutzt worden. Der Wert des bebauten Grundstücks stelle im Verhältnis zum sonstigen Anlagevermögen des Klägers einen wesentlichen Anteil dar (Buchwert des bebauten Grundstücks zum 31. Dezember 1994: 108 556 DM, Buchwert der sonstigen Anlagegüter: 47 854 DM). Letztlich sei eine Wesentlichkeit auch wegen der in dem Grundstück enthaltenen stillen Reserven anzunehmen. Mit der Vermietung des ehemaligen Betriebsgrundstücks an seinen Sohn erfüllte der Kläger nicht die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 a Satz 2 UStG 1993. In dieser Vorschrift werde ausdrücklich die Übereignung des Unternehmens im Ganzen gefordert.
Mit der Revision rügt der Kläger fehlerhafte Anwendung von § 1 Abs. 1 a UStG 1993. Dazu führt er u.a. aus, die Lagerhalle sei keine wesentliche Grundlage seines Betriebes gewesen, weil er sein Unternehmen 25 Jahre ohne Lagerhalle betrieben habe. Baumaterial sei direkt an die Baustelle geliefert worden. Gerüste und Maschinen habe er auf einem Bauplatz gelagert. Eine Geschäftsveräußerung im Ganzen liege aber auch vor, wenn Wirtschaftsgüter, die zurückbehalten werden, an den Erwerber vermietet würden.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Umsatzsteuer erklärungsgemäß festzusetzen.
Das FA ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz liegt eine Geschäftsveräußerung i.S. des § 1 Abs. 1 a UStG 1993 auch vor, wenn einzelne wesentliche Betriebsgrundlagen nicht mitübereignet worden sind, sofern sie dem Übernehmer langfristig zur Nutzung überlassen werden und eine dauerhafte Fortführung des Unternehmens oder des gesondert geführten Betriebes durch den Übernehmer gewährleistet ist. Die vorhandenen Feststellungen reichen aber nicht aus, um abschließend zu entscheiden.
1. Die Umsätze im Rahmen einer Geschäftsveräußerung an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen unterliegen gemäß § 1 Abs. 1 a Satz 1 UStG 1993 (ab 1. April 1994) nicht der Umsatzsteuer. Eine Geschäftsveräußerung liegt nach § 1 Abs. 1 a Satz 2 UStG 1993 vor, wenn ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird.
a) Wie der Senat im Urteil vom 4. Juli 2002 V R 10/01 (Deutsches Steuerrecht ―DStR― 2002, 1988) im Anschluss an sein Urteil vom 15. Oktober 1998 V R 69/97 (BFHE 187, 93, BStBl II 1999, 41) entschieden hat, liegt eine Geschäftsveräußerung i.S. des § 1 Abs. 1 a UStG 1993 auch vor, wenn einzelne wesentliche Betriebsgrundlagen nicht mitübereignet worden sind, sofern sie dem Übernehmer langfristig zur Nutzung überlassen werden und eine dauerhafte Fortführung des Unternehmens oder des gesondert geführten Betriebes durch den Übernehmer gewährleistet ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Begründung im Urteil in BFHE 187, 93, BStBl II 1999, 41 verwiesen.
b) § 1 Abs. 1 a UStG 1993 setzt ―nach der Begründung des Gesetzentwurfs zum Missbrauchbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz (BTDrucks 12/5630, S. 84)― Art. 5 Abs. 8 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) in nationales Recht um.
Gemäß dieser Richtlinienbestimmung können die Mitgliedstaaten die Übertragung des Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens, die entgeltlich oder unentgeltlich oder durch Einbringung in eine Gesellschaft erfolgt, so behandeln, als ob keine Lieferung von Gegenständen vorliegt und den Begünstigten der Übertragung als Rechtsnachfolger des Übertragenden ansehen. Die Mitgliedstaaten treffen ggf. die erforderlichen Maßnahmen, um Wettbewerbsverzerrungen für den Fall zu vermeiden, dass der Begünstigte nicht voll steuerpflichtig ist. Auch wenn nationale Maßnahmen eine Richtlinie umsetzen, erschöpft sich deren Wirkung jedoch nicht darin. Die Mitgliedstaaten ―und damit im Rahmen ihrer Zuständigkeit auch die Gerichte (vgl. z.B. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ―EuGH―, Urteil vom 26. September 1996 Rs. C-168/95, Arcaro, Slg. 1996, I-4705 Rn. 41)― müssen auch nach Erlass dieser Maßnahmen weiterhin die vollständige Anwendung der Richtlinie tatsächlich gewährleisten (z.B. EuGH-Urteil vom 11. Juli 2002 Rs. C-62/00, Marks & Spencer, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht ―UVR― 2002, 286 Rn. 27).
Die Frage, ob ein Unternehmen oder ein in der Gliederung gesondert geführter Betrieb "im Ganzen" übereignet wird, kann deshalb nicht nach nationalen ertragsteuerrechtlichen Kriterien, sondern nur unter Berücksichtigung der Regelung der Richtlinie entschieden werden. Für die Übertragung eines Unternehmens oder eines in der Gliederung des Unternehmens gesonderten Teils "im Ganzen" bedeutet dies, dass eine organische Zusammenfassung von Sachen und Rechten übertragen wird, die dem Erwerber die Fortführung des Unternehmens oder des in der Gliederung des Unternehmens gesondert geführten Teils ohne großen finanziellen Aufwand ermöglicht.
c) Wie der erkennende Senat unter Berücksichtigung von Zweck und Entstehungsgeschichte des § 1 Abs. 1 a UStG 1993 ausgeführt hat, ist aber nicht erforderlich, dass alle Wirtschaftsgüter, insbesondere auch die dem Unternehmen dienenden Grundstücke, übereignet werden. Wesentlich ist vielmehr, dass die übertragenen Vermögensgegenstände ein hinreichendes Ganzes bilden, um die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu ermöglichen, und der Übernehmer diese Tätigkeit ausübt. Um zu ermitteln, ob dies der Fall ist, sind der Vorgang und seine Begleitumstände einer Gesamtbewertung zu unterziehen, bei der insbesondere die Art der übertragenen Vermögensgegenstände und der Grad der Übereinstimmung oder Ähnlichkeit zwischen den vor und nach der Übertragung ausgeübten Tätigkeiten zu berücksichtigen sind. Dies zu beurteilen ist Sache der Gerichte der Mitgliedstaaten. Unter Berücksichtigung des Ziels der umsatzsteuerrechtlichen Regelung, die Nichtsteuerbarkeit auf die Fälle zu begrenzen, in denen der Erwerber Unternehmer ist und das Unternehmen fortführt, um einen unversteuerten Letztverbrauch zu vermeiden (BTDrucks 12/5630, S. 84) und der Regelung in Art. 5 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG ("Vermögen oder Teilvermögen") genügt es, wenn ein Betriebsgrundstück dem Erwerber ―wie im Streitfall― durch ein langfristiges Nutzungsrecht überlassen wird, das die dauerhafte "Fortführung" des Unternehmens ermöglicht.
d) Im Streitfall sind diese Voraussetzungen mit der Vermietung des bebauten Grundstücks über die Dauer von zehn Jahren mit jährlicher Verlängerung erfüllt. Es sind bei dem Alter des Klägers und den besonderen persönlichen Beziehungen zu seinem Sohn als Mieter keine Anhaltspunkte vorhanden, dass das Mietverhältnis vorzeitig (einverständlich) beendet und nicht nach Ablauf der ordentlichen Laufzeit fortgesetzt wird. Der Sohn des Klägers führt das Baugeschäft, wie vorher der Kläger selbst, fort.
2. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden.
a) Der Kläger hat sein bebautes Grundstück nicht aus seinem Unternehmen entnommen, sondern für seine nach der Geschäftsveräußerung begonnene Vermietertätigkeit verwendet. Das FG hat nicht festgestellt, ob der Kläger steuerfrei (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1993) oder ob er steuerpflichtig vermietet (§ 4 Nr. 12 Buchst. a i.V.m. § 9 Abs. 1, 2 UStG 1993) hat. Falls er das mit der Lagerhalle bebaute Grundstück steuerfrei vermietet hat, ist nicht aufgeklärt, ob die Voraussetzungen für eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs. 1 UStG 1993 gegeben sind.
b) Einzelne ―für die Teilvermögensübertragung unwesentliche Wirtschaftsgüter― hat der Kläger nach den vorhandenen Feststellungen für unternehmensfremde Zwecke entnommen. Das FA hat sie insoweit mit dem "gemeinen Wert" angesetzt. Das FG hat diesen Ansatz übernommen. Es ist aber nicht auszuschließen, dass sich bei zutreffender Beurteilung der Bemessungsgrundlage Abweichungen ergeben; denn dieser Umsatz wird gemäß § 10 Abs. 4 Nr. 1 UStG 1993 "nach dem Einkaufspreis zuzüglich der Nebenkosten für den Gegenstand oder für einen gleichartigen Gegenstand oder mangels eines Einkaufspreises nach den Selbstkosten, jeweils zum Zeitpunkt des Umsatzes" bemessen.
3. Zur Nachholung entsprechender Feststellungen war die Sache deshalb nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 884571 |
BFH/NV 2003, 436 |
BStBl II 2004, 665 |
BFHE 2003, 160 |
BFHE 200, 160 |
BB 2003, 343 |
DB 2003, 2370 |
DStR 2003, 203 |
DStRE 2003, 256 |
HFR 2003, 396 |
UR 2003, 135 |