Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablehnung von Beweisanträgen
Leitsatz (NV)
Lehnt das Finanzgericht die Vernehmung eines Zeugen mit der Begründung ab, daß dieser sich nur zu vier von einer Vielzahl von Arbeiten des Klägers äußern und dadurch die in einem anderen Verfahren gewonnene Meinung des Gerichts nicht erschüttern könne, so liegt hierin eine vorweggenommene Beweiswürdigung, die zur Aufhebung des FG-Urteils führt.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1, § 81 Abs. 1, § 96 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Diplom-Ingenieur. Er betreibt seit 1960 ein Institut, das sich zunächst auf dem Gebiet des Bauingenieurwesens mit Baustatik, Hoch- und Tiefbau, Abfalltechnik sowie Wasserbau und Bauphysik befaßte. Später traten die Bereiche Geologie, Hydrologie, Bodenkunde, Ingenieurgeologie, Boden- und Felsmechanik, Regional- und Landesplanung, Stadtsanierung und Umweltschutz, Kosten-Nutzen- Untersuchungen, Markt-, Regional- und Wirtschaftsprobleme, Erd-, Grund- und Felsbau sowie Landespflege und schließlich Akustik hinzu. Das Institut dient der Beratung und Überwachung von entsprechenden Bauvorhaben. Dazu werden Studien, Gutachten und Projektierungen erstellt sowie Untersuchungen durchgeführt. In den Jahren 1983 bis 1987 beschäftigte der Kläger zwischen 76 und 87 Mitarbeiter. Er wurde seit 1983 -- bis 1985 mit sog. Null-Bescheiden -- zur Gewerbesteuer herangezogen. Gegen die Gewerbesteuermeßbescheide für die Streitjahre 1986 und 1987 legte der Kläger Einspruch ein und beantragte, die Vollziehung auszusetzen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) lehnte den Antrag des Klägers auf Aussetzung der Vollziehung ab. Die Beschwerde dagegen hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage ab gewiesen. Es führt im wesentlichen aus, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Ablehnungsbescheids und der Beschwerdeentscheidung seien nicht gegeben. Das die Buchführungspflicht des Klägers ab 1. Januar 1982 bejahende Urteil des erkennenden Senats vom 15. November 1984 -- die Akten seien beigezogen worden -- bestärke diese Überzeugung. Auch dort sei die Tätigkeit des Klägers als gewerblich beurteilt worden. Da es sich nicht um die Prüfung im summarischen Verfahren handle, seien die ernstlichen Zweifel, die der Senat hinsichtlich des Vor liegens einer gewerblichen Tätigkeit für die Jahre 1975 bis 1977 noch im Verfahren ... geäußert habe, insbesondere durch das den gleichen Zeitraum betreffende Hauptsacheverfahren ... (auch diese Akten seien beigezogen worden) wegen der unveränderten Verhältnisse auch für die Streitjahre ausgeräumt.
"Was den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag des Klägers betrifft, durch Einvernahme der präsenten Zeugen X und Y als sachverständige Zeugen Beweis zu erheben, über die persönliche Teilnahme des Klägers an sämtlichen Gutachten und Berichten der Streitjahre 1986 und 1987 sowie über seine Mitwirkung an allen diesen Gutachten im Hinblick auf seine fachlichen Kenntnisse in allen ausgeübten Tätigkeitsbereichen einschließlich der Landschaftspflege, so hält ihn der erkennende Senat für unbehelflich. Denn die eigenverantwortliche Mitwirkung des Klägers an sämtlichen Gutachten und Berichten läßt sich nur feststellen, wenn die benannten Zeugen die maßgeblichen Umstände anhand jedes einzelnen Gutachtens schildern würden, weil der erkennende Senat einzig dann seine aufgrund der Feststellungen im Hauptsacheverfahren gewonnene Überzeugung in Zweifel ziehen könnte, daß die eigenverantwortliche Mitarbeit des Klägers nicht bei der Erledigung jedes Auftrags in ausreichendem Umfang gegeben ist. Die gebotene Darlegung vermögen die beiden anwesenden Zeugen aber schon deshalb nicht vorzunehmen, weil nur vier Gutachten präsent waren, während mehrere hundert auf diese Weise zu analysieren wären."
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger mangelnde Sachaufklärung wegen vorweggenommener Beweiswürdigung.
Er beantragt, das angefochtene Urteil auf zuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Es ist der Meinung, daß eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung nicht vorliege, weil die Zeugen keinesfalls eine unmittelbare Aussage über die Eigenver antwortlichkeit des Klägers hätten machen können.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Das FG hat die ihm obliegende Ermittlungspflicht dadurch verletzt, daß es die Würdigung nicht erhobener Beweise vorweggenommen hat.
Nach § 96 Abs. 1 FGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es hat gemäß § 76 Abs. 1 FGO den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und dabei die erforderlichen Beweise (§ 81 Abs. 1 Satz 2 FGO) zu erheben. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag hätte vom FG berücksichtigt werden müssen, da er weder aus formellen noch aus materiellen Gründen außer acht gelassen werden durfte. Der Vernehmung der in der mündlichen Verhandlung anwesenden Zeugen stand nicht entgegen, daß es sich um das summarische Verfahren der Aussetzung der Vollziehung handelte (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 4. Mai 1977 I R 162--163/76, BFHE 123, 3, BStBl II 1977, 765).
Beweisanträge dürfen grundsätzlich nur abgelehnt werden, wenn das vom Antragsteller angebotene Beweismittel schlechthin untauglich ist, wenn es auf die Beweistatsache nach der materiell-rechtlichen Auffassung des FG nicht ankommt oder wenn die Beweistatsache als wahr unterstellt wird (vgl. BFH-Urteil vom 19. Juli 1994 VIII R 60/93, BFH/NV 1995, 717, m. w. N.). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Frage der eigenverantwortlichen Mitwirkung des Klägers bei der Erstellung der Gutachten und Berichte, zu welcher sich die Zeugen nach dem Beweisantrag des Klägers hätten äußern können, war für das FG entscheidungserheblich. Die Ablehnung der Vernehmung der Zeugen, weil sie sich nur zu vier Gutachten hätten äußern können und dadurch die aufgrund der Feststellungen im Hauptsacheverfahren gewonnene Meinung des FG nicht zu erschüttern gewesen wäre, ist eine vorweggenommene Beweiswürdigung.
Die Sache wird wegen dieses Verfahrensmangels an das FG zurückverwiesen. An einer materiell-rechtlichen Prüfung ist der BFH gehindert (§ 118 Abs. 3 Satz 1 FGO). Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das FG nach Maßgabe des § 69 FGO weitere Feststellungen zu treffen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 422062 |
BFH/NV 1997, 511 |