Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung von Werbungskostenüberschüssen erst im Veranlagungsverfahren nach § 37 Abs. 3 Satz 7 EStG ist nicht verfassungswidrig: kein Erlass von Säumniszuschlägen auf nicht geleistete ESt-Vorauszahlungen
Leitsatz (amtlich)
Das Ermessen hinsichtlich des Erlasses von Säumniszuschlägen auf nicht geleistete Einkommensteuervorauszahlungen ist nicht wegen Verfassungswidrigkeit von § 37 Abs. 3 Satz 7 EStG auf Null reduziert.
Normenkette
AO §§ 227, 240; EStG § 37 Abs. 3 S. 7; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), im Jahr 1995 (Streitjahr) als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt, machten für ein im Streitjahr fertig gestelltes Mietwohngrundstück einen Werbungskostenüberschuss in Höhe von ca. 75 000 DM geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte diesen im Bescheid vom 19. August 1996 zur Anpassung der Vorauszahlungen für Einkommensteuer 1995 nicht, da nach § 37 Abs. 3 Satz 7 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr 1995 geltenden Fassung (EStG) der Verlust erst ab dem Veranlagungszeitraum 1996 für Zwecke der Vorauszahlung berücksichtigt werden könne.
Dagegen legten die Kläger Einspruch ein und beantragten die Aussetzung der Vollziehung, da § 37 Abs. 3 Satz 7 EStG verfassungsrechtlich bedenklich sei. Das FA lehnte mit Bescheid vom 28. August 1996 den Antrag ab. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe im Beschluss vom 17. März 1994 VI B 154/93 (BFHE 173, 554, BStBl II 1994, 567) bestätigt, dass § 37 Abs. 3 Satz 7 EStG nicht gegen die Verfassung verstoße. Das FA wies auf die Möglichkeit der Einflussnahme durch Abgabe der Einkommensteuererklärung 1995 hin. Gegen den Bescheid vom 28. August 1996 legten die Kläger am 27. September 1996 Einspruch ein. Im Einkommensteuerbescheid für 1995 vom 17. Dezember 1996 wirkte sich der Verlust aus dem streitgegenständlichen Objekt antragsgemäß aus. Eine Abschlusszahlung ergab sich nicht.
Am 7. Februar 1997 erging ein Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) über Säumniszuschläge zur Anpassung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag 1995, wonach Säumniszuschläge in Höhe von 1 660 DM wegen Nichtentrichtung festgesetzter Einkommensteuervorauszahlungen für 1995 sowie in Höhe von 124 DM wegen Nichtentrichtung des Solidaritätszuschlags festgesetzt wurden. Dagegen haben die Kläger Einspruch erhoben, den sie wiederum mit verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 37 Abs. 3 Satz 7 EStG begründeten. Mit zwei Einspruchsentscheidungen vom 26. Mai 1997, die gegenüber Kläger und Klägerin ergingen, wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Die Einwendungen der Kläger beträfen allein die Steuerfestsetzung.
Mit ihren Klagen vom 26. Juni 1997 haben sich die Kläger gegen den Vorauszahlungsbescheid vom 19. August 1996 gewandt. Am 6. August 1996 habe dem FA hinsichtlich des im Jahr 1995 fertig gestellten Anwesens eine Schätzung vorgelegen, die einen Verlust von mindestens 68 000 DM ausgewiesen habe. Dessen Nichtberücksichtigung im Hinblick auf § 37 Abs. 3 Satz 7 EStG sei rechtswidrig. Die Regelung solle nur die Vorfinanzierung von Eigenkapitalleistungen über die ersparten Einkommensteuervorauszahlungen einschränken, wie dies bei Bauherren- und Erwerbermodellen praktiziert worden sei. Betroffen seien aber auch Bauherren, die das Bauvorhaben --wie im Streitfall-- ohne Einschaltung von Modellträgern verwirklicht hätten; hierfür fehle jede Rechtfertigung.
Mit Beschluss vom 3. Mai 2001 hat das Finanzgericht (FG) die beiden Verfahren nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgesetzt, u.a. bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in vorliegendem Verfahren. Das FA hat mit Bescheid vom 24. Juni 2004 den Erlass der Säumniszuschläge abgelehnt und den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 2. September 2005 als unbegründet zurückgewiesen.
Der hiergegen gerichteten Klage hat das FG mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 950 veröffentlichten Urteil stattgegeben.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts (§ 37 Abs. 3 Satz 7 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung). In der Konsequenz der Argumentation des FG liege praktisch eine vollständige Abschaffung von § 37 Abs. 3 Satz 7 (jetzt Satz 8) EStG. Die Entscheidung des FG sei nicht folgerichtig. Insbesondere übersehe das FG, dass der Gesetzgeber mit der seinerzeitigen Änderung des Einkommensteuergesetzes auch eine Vereinfachung des Verfahrens bezweckt habe. Das FA müsse nicht mehr im Vorauszahlungs- und Veranlagungsverfahren doppelt prüfen. Diesen Zweck habe der Gesetzgeber erreicht. Er habe schwierige Abgrenzungen zu anderen Fallgestaltungen der Vermietung und Verpachtung vermieden. Diese hätten sich ergeben, wenn der Gesetzgeber versucht hätte, den Verlustausgleich im Vorauszahlungsverfahren auf sog. Verlustzuweisungsmodelle zu begrenzen. Mit dem BFH-Beschluss vom 6. Mai 1996 IX B 121/84 (BFHE 146, 433, BStBl II 1986, 749) sei davon auszugehen, dass gemessen an der genannten Zielsetzung § 37 Abs. 3 Satz 5 (im Streitfall Satz 7) EStG nur zu einer verhältnismäßig geringfügigen Verschlechterung der Rechtstellung der einzelnen Steuerpflichtigen führe. Dies habe der BFH im Beschluss in BFHE 173, 554, BStBl II 1994, 567 bestätigt. Danach könne es nicht sachlich unbillig sein, auch alle Folgerungen aus der gesetzlichen Regelung zu ziehen. Im Übrigen habe der Gesetzgeber schon bei Erlass der Norm davon ausgehen müssen, dass es neben Bauherrenmodellen auch noch Einzelbauherren und Einzelerwerber gebe, die von der Norm erfasst würden.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
Das FG ist zu Unrecht von einer Ermessensreduzierung auf Null und damit von einer Pflicht des FA ausgegangen, die streitigen Säumniszuschläge gemäß § 227 AO zu erlassen.
1. Gemäß § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis --gemäß § 3 Abs. 4, § 37 Abs. 1 und § 240 AO auch Säumniszuschläge-- ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Es handelt sich dabei um eine Ermessensentscheidung (§ 102 FGO).
Das FG hat im Streitfall die Ermessensausübung des FA zu Unrecht lediglich auf das Vorliegen einer Ermessensreduzierung auf Null geprüft und eine solche wegen sachlicher Unbilligkeit bejaht (vgl. BFH-Urteil vom 27. September 2001 X R 134/98, BFHE 196, 400, BStBl II 2002, 176).
a) § 37 Abs. 3 Satz 7 EStG bewegt sich noch im Rahmen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit. Das mit der Norm verfolgte gesetzgeberische Ziel, im Bereich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung typischerweise entstehende hohe Werbungskostenüberschüsse im Anfangsstadium der Einkünfteerzielung nicht bereits bei der Einkommensteuervorauszahlung, sondern erst im Veranlagungsverfahren zu berücksichtigen, verletzt nicht die Anforderungen der Besteuerungsgleichheit nach Maßgabe wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit (vgl. zu den grundsätzlichen Anforderungen einer gleichmäßigen Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 4. Dezember 2002 2 BvR 400/98, 1735/00 --doppelte Haushaltsführung-- BVerfGE 107, 27, BGBl I 2003, 636, unter C. I. 1., m.w.N.). Zwar besteht eine systemprägende Struktur der geltenden Einkommensteuer im objektiven Nettoprinzip (vgl. BVerfGE 107, 27, unter C. I. 1. c). Jedoch verletzt § 37 Abs. 3 Satz 7 EStG das objektive Nettoprinzip nicht, da bei der endgültigen Einkommensteuerfestsetzung die fraglichen Werbungskostenüberschüsse berücksichtigt werden. Eine Benachteiligung ergibt sich lediglich für das Einkommensteuervorauszahlungsverfahren. Insoweit sind die mit der Regelung verbundenen Härten für die betroffenen Steuerpflichtigen von geringerer Intensität.
Dass der Gesetzgeber mit der Regelung primär sog. Verlustzuweisungs- bzw. Bauherrenmodelle treffen wollte (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 173, 554, BStBl II 1994, 567, unter 1., m.w.N.; BRDrucks 303/83, S. 10 f.; BTDrucks 10/686, S. 12, BTDrucks 10/716, S. 12), sich dabei jedoch für eine generelle Regelung entschieden hat, ist in doppelter Hinsicht sachlich gerechtfertigt: Zum einen sprechen Vereinfachungsgründe für eine generelle Regelung. Durch sie werden schwierige Abgrenzungen zur Bestimmung sog. Verlustzuweisungsgesellschaften oder von Bauherrenmodellen vermieden. Außerdem bedeutet es eine Verwaltungsvereinfachung, die endgültige Höhe von Verlusten im Anfangsstadium eines Vermietungsprojekts erst im Veranlagungsverfahren zu prüfen.
Zum anderen konnte der Gesetzgeber gerade im Bereich der Vermietung und Verpachtung typisierend davon ausgehen, dass sich in vermehrter Zahl Fallgestaltungen von anfänglichen Werbungskostenüberhängen ergeben, die ggf. auch im Zeitraum der Einkommensteuervorauszahlungen noch nicht genau bezifferbar sind. Insoweit konnte er im Rahmen seiner gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit zwischen Vermietungseinkünften und anderen Einkunftsarten differenzieren. Denn es geht darum, Lebenssachverhalten Rechnung zu tragen, welche in typischer Weise mit der Einkunftsart der Vermietung und Verpachtung verbunden sind. Daher bedurfte es auch keiner Differenzierung zwischen Bauherrenmodellen und anderen Vermietungsprojekten.
Angesichts der Verfassungsmäßigkeit von § 37 Abs. 3 Satz 7 EStG kommt auch kein zwangsläufiger Erlass von Säumniszuschlägen wegen eines überhängenden Tatbestandes in Betracht. Denn § 37 Abs. 3 Satz 7 EStG liefe ins Leere, wäre die Norm nicht mit allgemeinen Mitteln vollziehbar. Es entstünde insoweit ein verfassungswidriges Vollzugsdefizit (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--; vgl. zu den Anforderungen der Besteuerungsgleichheit auch im Verwaltungsvollzug BVerfG-Urteil vom 9. März 2004 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94, BGBl I 2004, 591, unter C. II. 1., m.w.N.).
b) Nach den finanzgerichtlichen Feststellungen sind auch keine anderen Gründe ersichtlich, aus denen sich eine Ermessensreduzierung auf Null ergäbe.
2. Die Sache ist nicht spruchreif. Die finanzgerichtlichen Feststellungen erlauben keine abschließende Prüfung, inwieweit die Ermessensentscheidung des FA nach § 227 AO fehlerhaft ist. Denn das FG hat sich ausschließlich mit der Frage der Ermessensreduzierung auf Null wegen Verfassungswidrigkeit von § 37 Abs. 3 Satz 7 EStG beschäftigt.
Fundstellen
Haufe-Index 1755455 |
BFH/NV 2007, 1396 |
BStBl II 2007, 627 |
BFHE 2008, 514 |
BFHE 216, 514 |
BB 2007, 1377 |
BB 2007, 1488 |
DB 2007, 1335 |
DStRE 2007, 917 |
DStZ 2007, 443 |
HFR 2007, 732 |