Entscheidungsstichwort (Thema)
Kfz-Gutachter als Gewerbetreibende
Leitsatz (NV)
1. Schließen sich ein Ingenieur und ein Kfz-Meister zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zusammen, um gemeinsam Gutachten für Kfz-Schäden zu erstellen, so ist die Gesellschaft gewerblich tätig.
2. Zur Verwirkung von Gewerbesteueransprüchen.
Normenkette
GewStG § 2 Abs. 1 S. 2; EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), unterhält ein Sachverständigen- und Ingenieurbüro. Gesellschafter sind der Ingenieur und der Kfz-Meister K. Die Gesellschaft ist im Dezember 1975 gegründet worden; sie hat die Erstellung von Gutachten für Kfz-Schäden, Kfz-Unfallschäden und die Bewertung von Kfz und Maschinen zum Gegenstand.
Im Jahre 1978 forderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) den Bevollmächtigten der Klägerin zur Abgabe einer Gewerbesteuererklärung für 1976 auf, da die Klägerin eine gewerbliche Tätigkeit ausübe. Der Bevollmächtigte entgegnete, daß die Klägerin freiberuflich tätig sei; für den Fall einer abweichenden Beurteilung des FA bat er um einen rechtsmittelfähigen Bescheid. In der Folge stellte das FA die Einkünfte der Klägerin in den Jahren 1976 bis 1980 als solche aus selbständiger Tätigkeit fest. Die Bescheide 1978 bis 1980 ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
Nach Durchführung einer Betriebspüfung im Jahre 1982 vertrat das FA die Auffassung, daß die Klägerin gewerbliche Einkünfte erziele, weil ihr Gesellschafter K kein Angehöriger eines freien Berufs sei und deswegen die Tätigkeit der Klägerin als gewerblich angesehen werden müsse. Das FA änderte dementsprechend die Gewinnfeststellungsbescheide und setzte für die Jahre 1978 bis 1980 erstmals Gewerbesteuermeßbeträge fest. Außerdem setzte es zum 1. Januar 1977 und 1978 erstmals Einheitswerte des Betriebsvermögens fest und bezeichnete darin das Betriebsvermögen als gewerblich.
Gegenüber dem Finanzgericht (FG) machte die Klägerin geltend, daß das Verhalten des FA gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstoße; die Klage hatte jedoch keinen Erfolg.
Mit der Revision wird die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt.
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil sowie die Gewerbesteuermeßbescheide 1978 bis 1980 und die Einheitswertbescheide des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1978 und 1979 (richtig 1977 und 1978) nebst Einspruchsentscheidungen aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Das FG hat zutreffend entschieden, daß die Klägerin für ihre Gesellschafter Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt hat. Einkünfte aus einer freiberuflichen Tätigkeit hätten zur Voraussetzung gehabt, daß alle ihre Gesellschafter als Angehörige eines freien Berufs i. S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) anzusehen gewesen wären. Wie in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11. Juni 1985 VIII R 254/80 (BFHE 144, 62, BStBl II 1985, 584) dargelegt, hat sich hieran durch den Beschluß des Großen Senats des BFH vom 25. Juni 1984 GrS 4/82 (BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751) nichts geändert.
Im Streitfall erfüllte der Gesellschafter K nicht die Voraussetzungen für eine freiberufliche Tätigkeit. Nach den Feststellungen des FG war der Gesellschafter handwerklich als Kfz-Meister und nicht als Ingenieur ausgebildet, dessen Tätigkeit § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu den freien Berufen rechnet. Er übte auch keinen einer Ingenieurtätigkeit vergleichbaren Beruf im Sinne der genannten Vorschrift aus, weil es hierfür wesentlich auf die berufliche Vorbildung ankommt (BFH-Urteil vom 18. Juni 1980 I R 109/77, BFHE 132, 16, BStBl II 1981, 118). Zu Unrecht meint die Revision, das FG hätte die Ausbildung des Gesellschafters weiter aufklären müssen. Sie hat nicht vorgetragen, daß sich dabei eine ingenieurmäßige Vorbildung des Gesellschafters herausgestellt hätte. Ihre Verfahrensrüge ist deshalb unzulässig. Gleiches gilt für die Rüge, das FG habe nicht aufgeklärt, ob der Gesellschafter K besonders anspruchsvolle Aufgaben ausgeführt habe, die nach der angeführten BFH-Entscheidung auch ohne entsprechende Vorbildung zu einer freiberuflichen Tätigkeit führen könnten. Die Revision hat nicht dargestellt, daß die Klägerin solche Aufgaben übernommen habe, sondern nur auf eine derartige Möglichkeit hingewiesen.
2. Das Urteil des FG verstößt auch nicht gegen § 176 der Abgabenordnung (AO 1977). Der Senat hat zu einem dem Streitfall vergleichbaren Sachverhalt bereits in seiner Entscheidung vom 7. Juni 1984 IV R 180/81 (BFHE 141, 451, BStBl II 1984, 780) Stellung genommen. § 176 AO 1977 schränkt die Aufhebung und Änderung eines Steuerbescheids aus Gründen des Vertrauensschutzes unter den im Gesetz näher bezeichneten Voraussetzungen ein. Die Vorschrift kommt im Streitfall nicht zur Anwendung, weil die angefochtenen Gewerbesteuermeßbescheide und Einheitswertfeststellungen erstmalig ergangen sind und keine Änderungsbescheide darstellen. Der Rechtsauffassung, das FA habe ,,negative Gewerbesteuermeßbescheide" erlassen, indem es für die Klägerin Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit feststellte und die Anforderung von Gewerbesteuererklärungen sowie den Erlaß von Gewerbesteuermeßbescheiden unterließ, kann nicht gefolgt werden. Ein Freistellungsbescheid i. S. von § 155 Abs. 1 Satz 3 AO 1977, der auch als Steuerbescheid anzusehen wäre, ist gegenüber der Klägerin nicht ergangen.
3. Ebensowenig kann angenommen werden, daß die Gewerbesteueransprüche im Streitfall nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verwirkt waren, so daß vom Erlaß von Gewerbesteuermeßbescheiden Abstand zu nehmen und bei der Einheitswertfeststellung des Betriebsvermögens dieses als freiberuflich anzunehmen gewesen wäre. Wie der Senat in seiner angeführten Entscheidung dargelegt hat, setzt das Rechtsinstitut der Verwirkung neben dem Zeitablauf auch einen vom Anspruchsberechtigten geschaffenen Vertrauenstatbestand voraus, demzufolge der Verpflichtete bei objektiver Beurteilung darauf vertrauen durfte, nicht in Anspruch genommen zu werden; er verlangt ferner, daß der Anspruchsverpflichtete tatsächlich auf die Nichtgeltendmachung des Anspruchs vertraut und sich darauf eingerichtet hat.
Wie im Fall des Urteils in BFHE 141, 451, BStBl II 1984, 780 fehlt es auch vorliegend an einem Vertrauenstatbestand, der die Klägerin erwarten lassen durfte, das FA werde sie für die Streitjahre nicht zur Gewerbesteuer heranziehen. Das FA hat die Gewerbesteuerpflicht der Klägerin nie ausdrücklich verneint. Die Klägerin kann einen Vertrauenstatbestand allenfalls aus dem Verhalten des FA bei den Gewinnfeststellungen herleiten. Die Rechtsprechung hat es aber stets abgelehnt, aus der Bezeichnung von Einkünften in der Einkommensteuerveranlagung auf eine Verwirkung von Gewerbesteueransprüchen zu schließen (BFH-Urteile vom 27. April 1961 IV 336/59 U, BFHE 73, 34, BStBl III 1961, 281; vom 5. März 1970 IV 213/65, BFHE 100, 1, BStBl II 1970, 793); anderes kann nur gelten, wenn in der Vergangenheit durch eine Entscheidung zur Gewerbesteuer auf die Steuerforderung in einem Vorjahr verzichtet wurde. Das ist im Streitfall nicht geschehen. In den Streitjahren waren die Gewinnfeststellungsbescheide zudem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 AO 1977 ergangen. Die Klägerin mußte deshalb damit rechnen, daß auch die Art ihrer Einkünfte noch überprüft werde; sie konnte deshalb nicht darauf vertrauen, daß die Nachforderung von Gewerbesteuer unterbleiben werde.
Fundstellen
Haufe-Index 414389 |
BFH/NV 1987, 508 |