Entscheidungsstichwort (Thema)
Nicht geschäftsfähiger Aussteller einer Rechnung schuldet zu Unrecht ausgewiesene USt
Leitsatz (amtlich)
Der Aussteller einer Rechnung schuldet die zu Unrecht ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 UStG bis zur Berichtigung der Rechnung auch dann, wenn er bei Ausstellung der Rechnung nicht geschäftsfähig war (Änderung der Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 21. Februar 1980 V R 146/73, BFHE 129, 569, BStBl II 1980, 283).
Normenkette
UStG § 14 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) stellte am 30. Dezember 1994 eine Rechnung über in der Zeit vom 7. November 1994 bis 23. Dezember 1994 gegenüber einer GmbH erbrachte Beratungsleistungen mit einem Entgelt in Höhe von 28 000 DM zuzüglich 4 200 DM Umsatzsteuer aus. Eine Umsatzsteuererklärung gab der Kläger nicht ab. Nachdem der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) hiervon im November 1997 durch eine Prüfungsmitteilung Kenntnis erlangt hatte, erfasste er den Umsatz im Umsatzsteuerbescheid für 1994 vom 1. April 1998.
Im Einspruchsverfahren machte der Kläger zunächst ―vergeblich― Vorsteuerbeträge geltend. Dass diese Vorsteuerbeträge zu Recht nicht berücksichtigt wurden und dass der Kläger nicht auf die Besteuerung als Kleinunternehmer nach § 19 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) verzichtet und deshalb die Umsatzsteuer zu Unrecht ausgewiesen hat, ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
Mit der Klage wandte sich der Kläger gegen die Inanspruchnahme für die zu Unrecht ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 UStG mit der Begründung, er sei bei Ausstellung der Rechnung geschäftsunfähig gewesen. Er legte dazu ein ―aufgrund eines entsprechenden Beschlusses des Landgerichts Berlin erstattetes― medizinisches Gutachten vom 10. April 2000 vor, in dem der Gutachter unter Berücksichtigung vorheriger Befunde anderer Fachärzte zu dem Schluss kam, "für den Zeitraum 1983 bis 1995" liege "mit hoher Wahrscheinlichkeit Geschäftsunfähigkeit im Sinne des § 104 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB - vor".
Zur Ausstellung der Rechnung erläuterte der Kläger, die Rechnungsempfängerin habe die für seine Leistungen vereinbarte Summe von 32 200 DM zunächst bezahlt; später habe sie ihn veranlasst, die streitige, von ihr vorbereitete Rechnung mit ausgewiesener Umsatzsteuer zu unterschreiben. Die Rechnungsempfängerin habe ihm später mitgeteilt, sie werde unter keinen Umständen weitere Zahlungen leisten.
Der Kläger meint, die wegen seiner Geschäftsunfähigkeit unwirksame Rechnung könne keine Rechtsgrundlage für die angefochtene Steuerfestsetzung bilden.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 359 abgedruckt. Das FG führte im Wesentlichen aus, der Kläger schulde die ausgewiesene Steuer nach § 14 Abs. 3 UStG. Diese Rechtsfolgen träten unabhängig davon ein, ob der Kläger zum Zeitpunkt der Ausstellung der Rechnung geschäftsunfähig gewesen sei oder nicht; die Vorschriften der §§ 104 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) seien im Streitfall nicht anwendbar.
Das Ausstellen der Rechnung sei keine Willenserklärung und im Streitfall allenfalls ein Realakt. Da die Leistungsempfängerin den Betrag bereits bezahlt habe, habe das Ausstellen der Rechnung schon aus diesem Grunde nicht mehr auf einen Erfolg gerichtet sein können.
Dem Kläger seien bei seiner Unterschrift unter die Rechnung alle für die Inanspruchnahme nach § 14 Abs. 3 UStG wesentlichen Umstände bekannt gewesen, denn er habe sich in der letzten mündlichen Verhandlung sehr genau an die Umstände der Unterzeichnung der Rechnung erinnern können. Er müsse die gesondert ausgewiesene und vereinnahmte Umsatzsteuer an das FA auch dann abführen, wenn er bei der ―nachträglichen― Ausstellung der Rechnung tatsächlich geschäftsunfähig gewesen sein sollte.
Der Kläger habe im Übrigen bis jetzt gegenüber seiner Geschäftspartnerin die Geschäftsunfähigkeit bei Ausstellung der Rechnung nicht geltend gemacht. Auch deshalb müsse er die Rechnung gegen sich gelten lassen.
Mit der Revision rügt der Kläger Abweichung vom Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21. Februar 1980 V R 146/73 (BFHE 129, 569, BStBl II 1980, 283).
Er beantragt, das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung sowie den Umsatzsteuerbescheid für 1994 vom 1. April 1998 aufzuheben.
Das FA beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass der Aussteller einer Rechnung die zu Unrecht ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 UStG bis zur Berichtigung der Rechnung auch dann schuldet, wenn er bei Ausstellung der Rechnung nicht geschäftsfähig war.
1. Nach § 14 Abs. 3 Satz 1 UStG schuldet, wer in einer Rechnung einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er zum gesonderten Ausweis der Steuer nicht berechtigt ist, den ausgewiesenen Betrag. Das Gleiche gilt, wenn jemand in einer anderen Urkunde, mit der er wie ein leistender Unternehmer abrechnet, einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er nicht Unternehmer ist oder eine Lieferung oder sonstige Leistung nicht ausführt (§ 14 Abs. 3 Satz 2 UStG). § 14 Abs. 3 UStG geht auf Art. 21 Nr. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) ―in der im Streitjahr geltenden Fassung― zurück. Nach dieser Bestimmung schuldet "jede Person, die die Mehrwertsteuer in einer Rechnung oder einem ähnlichen Dokument ausweist", diese Steuer.
Zweck der Regelung in § 14 Abs. 3 UStG sowie Art. 21 Nr. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG ist es, Missbräuche durch Ausstellung von Rechnungen mit offenem Steuerausweis zu verhindern (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 17. Mai 2001 V R 77/99, BFHE 194, 552; Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ―EuGH―, Urteil vom 19. September 2000 Rs. C-454/98 ―Schmeinck & Cofreth/Manfred Strobel―, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht ―UVR― 2000, 424, Umsatzsteuer-Rundschau ―UR― 2000, 470). Ist die Gefährdung des Steueraufkommens nicht eingetreten oder vollständig beseitigt worden, darf auch die entsprechende Rechnung berichtigt werden; ist die Rückabwicklung des gewährten Steuerabzuges nicht mehr möglich, ist eine Rechnungsberichtigung nur zu berücksichtigen, wenn der Aussteller bei der Ausstellung in gutem Glauben war.
2. § 14 Abs. 3 UStG setzt lediglich voraus, dass jemand eine Rechnung oder andere Urkunde (vgl. § 14 Abs. 4 UStG) ausstellt, in der zu Unrecht Mehrwertsteuer ausgewiesen wird, und deren Verwendung durch den Adressaten ermöglicht (Ausgabe der Rechnung, vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 4 UStG). § 14 Abs. 3 UStG greift nur ein, wenn die Urkunde ―wie im Streitfall― nach ihrem Inhalt zum Vorsteuerabzug geeignet ist, d.h. alle insoweit erforderlichen Angaben enthält (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 6. Juni 2002 V R 20/99, BFH/NV 2002, 1620; vom 27. Juli 2000 V R 55/99, BFHE 193, 156, BStBl II 2001, 426, und vom 18. Januar 2001 V R 83/97, BFHE 194, 483, BFH/NV 2001, 874).
3. Offen bleiben kann, ob eine Rechnung grundsätzlich als rechtsgeschäftsähnliche Handlung, d.h. als eine auf einen tatsächlichen Erfolg gerichtete Erklärung zu beurteilen ist, deren Rechtsfolgen kraft Gesetzes eintreten (vgl. z.B. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 62. Aufl. 2002, vor § 104 Rz. 6, m.w.N.), oder ob es sich um einen Realakt handelt, weil in ihr im Regelfall keine rechtserheblichen Willenserklärungen abgegeben und Rechtsfolgen ausgelöst werden (vgl. BFH-Urteile vom 4. März 1982 V R 59/81, BFHE 135, 130, BStBl II 1982, 315; vom 4. März 1982 V R 107/79, BFHE 135, 118; Stadie, Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer), Kommentar, § 14 Rz. 22, 37); auch für Realakte sind die für Rechtsgeschäfte und rechtsgeschäftsähnliche Handlungen anwendbaren Regelungen nicht schlechthin unanwendbar; entsprechend anwendbar sind sie z.B., wenn durch einen Realakt eine Haftung begründet werden kann (vgl. z.B. Urteil des Bundesgerichtshofs ―BGH― vom 12. Oktober 1976 VI ZR 172/75, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1977, 622; Palandt, a.a.O., vor § 104 Rz. 10, m.w.N.). Hiervon ging im Ergebnis auch der BFH in BFHE 129, 569, BStBl II 1980, 283 aus. An dieser Entscheidung hält der erkennende Senat jedoch nicht mehr fest, soweit eine "Haftung" nach § 14 Abs. 3 UStG verneint wurde, wenn sich der Aussteller nachweislich im Zeitpunkt der Ausstellung der Rechnung in einem die freie Willensentschließung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit (§ 104 Nr. 2 BGB) befunden hat.
Rechtsfolge der Anwendbarkeit der Regeln über die Geschäftsfähigkeit ist zivilrechtlich zwar die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts; steuerrechtlich ist nach § 41 der Abgabenordnung (AO 1977) die Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts jedoch unbeachtlich, solange und soweit die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis dieses Rechtsgeschäfts gleichwohl eintreten oder bestehen lassen. Für Erklärungen und Handlungen, für die zivilrechtlich die für Rechtsgeschäfte geltenden Vorschriften sinngemäß anwendbar sind, gilt dies in gleicher Weise jedenfalls dann, wenn deren wirtschaftliches Ergebnis rückgängig gemacht werden kann, sei es durch den gesetzlichen Vertreter (vgl. § 34 Abs. 1 AO 1977) oder ―bei nur vorübergehender Geschäftsunfähigkeit― ggf. nach (Wieder-)Erlangung der Geschäftsfähigkeit durch den Geschäftsfähigen selbst. Im Urteil in BFHE 129, 569, BStBl II 1980, 283 war noch nicht berücksichtigt, dass diese Möglichkeit auch bei Ausstellung einer Rechnung mit zu Unrecht ausgewiesener Umsatzsteuer besteht; denn bei richtlinienkonformer Auslegung des § 14 Abs. 3 UStG kann auch die nach § 14 Abs. 3 UStG zu Unrecht in Rechnung gestellte Umsatzsteuer berichtigt werden, wenn der Vorsteuerabzug beim Leistungsempfänger rückgängig gemacht worden ist (BFH-Urteile vom 11. April 2002 V R 26/01, BFHE 198, 238, BFH/NV 2002, 1006; vom 22. März 2001 V R 11/98, BFHE 194, 528, BFH/NV 2001, 1088 im Anschluss an die Entscheidung des EuGH in UVR 2000, 424, UR 2000, 470). Berichtigt der Aussteller die Rechnung mit zu Unrecht ausgewiesener Umsatzsteuer nicht im Besteuerungszeitraum der Ausgabe der Rechnungen, sondern erst in einem späteren Besteuerungszeitraum, entfällt der Steueranspruch nicht rückwirkend, sondern erst in dem Besteuerungszeitraum der Berichtigung bzw. Rückgabe der Rechnungen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 10. Juni 2002 V B 41/02, BFH/NV 2002, 1505). Der Aussteller einer Rechnung schuldet deshalb die zu Unrecht ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 UStG bis zur Berichtigung der Rechnung.
4. Die Entscheidung des FG erweist sich deshalb im Ergebnis als zutreffend. Das FG konnte demnach offen lassen, ob der Kläger im Zeitpunkt der Ausstellung der Rechnung im Streitjahr geschäftsfähig war. Nach den nicht mit Verfahrensrügen angefochtenen Feststellungen hat der Kläger die Rechnung bis zum Schluss der Tatsacheninstanz und damit auch im Streitjahr nicht berichtigt.
Fundstellen
Haufe-Index 930816 |
BFH/NV 2003, 871 |
BStBl II 2003, 498 |
BFHE 2003, 550 |
BFHE 201, 550 |
BB 2003, 1263 |
DB 2004, 525 |
DStR 2003, 830 |
DStRE 2003, 704 |
HFR 2003, 801 |
UR 2003, 298 |