Leitsatz (amtlich)
Werden Geräte zur Durchführung der Flurbereinigung eingeführt, so sind sie bei Vorliegen einer entsprechenden Bescheinigung der zuständigen Flurbereinigungsbehörde nach § 108 Abs. 2 FlurbG frei von Eingangsabgaben. Der erkennende Senat hält an seiner im Urteil VII 86/65 vom 8. Oktober 1968 (BFH 94, 38) vertretenen Auffassung fest.
Normenkette
FlurbG § 108; ZG § 36 Abs. 1; UStG 1951 § 1 Nr. 3, § 4 Nr. 1, § 15 Abs. 2
Tatbestand
Bei der Abfertigung eines für den Kläger aus Schweden eingeführten Geodimeters (Entfernungsmesser) mit Zubehör zum freien Verkehr erhob das Zollamt (ZA) neben dem Zoll auch Ausgleichsteuer. Der Kläger hielt den Gegenstand für ausgleichsteuerfrei gemäß § 108 des Flurbereinigungsgesetzes vom 14. Juli 1953 – FlurbG – (BGBl I, 591), weil auch die Umsatzsteuer für inländische Lieferungen nicht erhoben werden dürfe und diese durch die Ausgleichsteuer nicht ausgeglichen werden müsse. Es werde gemäß § 108 Abs. 2 FlurbG versichert, daß die Anschaffung des Geodimeters zur Durchführung von Flurbereinigungsverfahren diene.
Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt.
Das Hauptzollamt (HZA) macht mit der Revision geltend, daß der Grundsatz des Vorrangs des jüngeren Gesetzes vor dem älteren Gesetz nicht gelte, wenn dieses eine Spezialregelung treffe (lex posterior generalis non derogat legi priori speciali). § 4 Nr. 1 letzter Satz UStG 1951 sei nach seinem Wortlaut und Sinn eine solche Regelung, die durch das FlurbG nicht aufgehoben worden sei. Nur wenn nach § 108 Abs. 1 FlurbG auch außertarifliche Zollfreiheit bestünde, wäre auch Ausgleichsteuerfreiheit gegeben. Dies sei aber zu verneinen, weil Eingangsabgaben nicht als Steuern oder Abgaben im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden könnten. Diese sei wie ihr Vorläufer, § 139 Abs. 1 der Reichsumlegungsordnung (RUO) vom 16. Juni 1937 (RGBl 629), älteren Vorschriften, insbesondere § 29 Abs. 1 des Reichssiedlungsgesetzes (RSiedlG) vom 11. August 1919 (RGBl 1429) und dem hierauf zurückgehenden § 34 Abs. 1 des Reichsheimstättengesetzes (RHeimstG) vom 10. Mai 1920 (RGBl 962) nachgebildet worden, die für Geschäfte zur Durchführung von Siedlungsverfahren bzw. zur Begründung und Vergrößerung von Heimstätten Steuerbefreiungen vorsehen. Diese Vorschriften müßten bei der Auslegung des § 108 Abs. 1 FlurbG berücksichtigt werden. Der Steuerbegriff der AO vom 13. Dezember 1919 (RGBl 1993) habe sich auf das ältere RSiedlG und dessen Vorläufer, § 26 der Verordnung (VO) vom 29. Januar 1919 (RGBl 115) ursprünglich nicht beziehen können. Zölle seien nach der ersten Fassung des § 1 Abs. 1 AO Steuern nur „im Sinne dieses Gesetzes” gewesen. Diese Einschränkung sei erst lange nach Inkrafttreten des RSiedlG durch die Notverordnung (NotVO) vom 1. Dezember 1930 – 3. Teil, Kap. IV Art. 1 – (RGBl 517, 545) beseitigt worden. Der Gesetzgeber des Jahres 1919 hätte die Zölle ausdrücklich in § 29 RSiedlG erwähnt, wenn er eine Zollbefreiung hätte gewähren wollen. Daran ändere auch nichts, daß in § 108 Abs. 1 FlurbG zusätzlich „Abgaben” erwähnt sind. Hätte der Gesetzgeber abweichend von § 29 RSiedlG und § 34 RHeimStG Zölle und Ausgleichsteuer in die Regelung des § 139 RUO und § 108 FlurbG einbeziehen wollen, so hätte er den Begriff der Steuer entsprechend erläutert, wie es etwa in § 29 Abs. 1 Satz 2 RSiedlG hinsichtlich der Umsatz- und Wertzuwachssteuern geschehen war. Im übrigen sei die Ausgleichsteuer erst lange nach dem Inkrafttreten des RSiedlG durch die 4. NotVO vom 8. Dezember 1931, 7. Teil, Kap. I, § 1 (RGBl I, 699) eingeführt worden.
Eine außertarifliche Zollfreiheit bestehe auch deshalb nicht, weil im Zusammenhang mit der Wareneinfuhr kein „Geschäft” vorliege. Die Befreiungsvorschrift des § 108 FlurbG betreffe nur rechtliche oder tatsächliche Vorgänge, die ohne die Befreiung einen Besteuerungstatbestand begründen. Denn was schon an sich nicht der Besteuerung unterliege, könne auch nicht von der Steuererhebung befreit werden. Es komme daher darauf an, ob irgendein Vorgang im Zusammenhang mit der Einfuhr und der Abfertigung zum freien Verkehr seinem Wesen nach ein „Geschäft” darstellen könne. Die Einfuhr selbst sei noch kein solcher Vorgang, da sie lediglich die Verstrickung des eingeführten Gutes bewirke, aber die Zollschuld nicht zur Entstehung bringe. Für sich allein bewirke sie jedenfalls die Verzollung nicht. Gegenstand der Zollerhebung sei vielmehr der Übergang von Zollgut in den freien Verkehr. Das Zollrecht knüpfe anders als das andere Steuerrecht nicht an Lebensvorgänge an, die sich ohnehin abspielen, sondern an den Gang des Zollverfahrens (s. Begründung des Entwurfs des Zollgesetzes in BZBl 1962, 53). Die Freigabe als die Abfertigungshandlung, die den Übergang der abgefertigten Ware in die inländische Wirtschaft bewirke, sei allein Sache der Zollstelle. Sie sei weder ein Rechtsgeschäft noch ein Realakt, sondern ein konstitutiver Verwaltungsakt, aber kein „Geschäft”. Die Auffassung des FG, daß die Einfuhr der Ware und deren Abfertigung zum freien Verkehr einheitlich als Geschält anzusehen seien, verkenne, daß die Befreiungsvorschrift auf den Gegenstand der Steuer abstelle. Dies ergebe sich auch aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) II 125/61 U vom 24. Juni 1964 (Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 79 S. 579 – BFH 79, 579 –, BStBl III 1964, 446). Danach umfasse der Geschäftsbegriff des § 108 Abs. 1 FlurbG nicht nur rechtsgeschäftliche Vorgänge, sondern auch sonstige Vorgänge, die eine Steuerpflicht begründen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
Der erkennende Senat hat mit Urteil VII 86/65 vom 8. Oktober 1968 (BFH 94, 38) entschieden, daß sich die Befreiungsvorschrift des § 108 Abs. 1 FlurbG auch auf die Eingangsabgaben erstreckt. An dieser Auffassung hält er nach erneuter Prüfung unter Berücksichtigung der dagegen von der Revision vorgetragenen Gründe fest. Zwar betrifft der Streitfall nur die Erhebung der Ausgleichsteuer, da der Kläger die Zollerhebung nicht angegriffen hat. Dennoch kann die Frage, ob eine Ware aus nicht im Zolltarif liegenden Gründen von der Ausgleichsteuer befreit war, nicht unabhängig von den Zollvorschriften beantwortet werden. Denn nach § 4 Nr. 1 letzter Satz UStG 1951 fanden außer den Steuerbefreiungen nach der Freiliste 1 weitere Befreiungen der Einfuhr nur nach Maßgabe des § 15 UStG statt. Dadurch sollten einerseits die Befreiungsvorschriften für die Umsatzsteuer nach § 4 Nrn. 2 ff. UStG von der Anwendung auf die Erhebung der Ausgleichsteuer ausgeschlossen werden. Andererseits sollte die sinngemäße Anwendung der Zollvorschriften nach § 15 UStG gewährleisten, daß die Ausgleichsteuer zusammen mit dem Zoll wie auch die übrigen Eingangsabgaben auf Grund einer einzigen Abfertigungshandlung erhoben werden (s. Hübschmann-Grabower-Beck-von Wallis-Schwarz, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz 1951, Einleitung S. 16, § 4 Ziff. 1 Anm. 48 ff.). Die eingeführte Ware konnte daher nicht, wie der Kläger meint, deshalb von der Ausgleichsteuer befreit werden, weil ihre Lieferung im Inland nicht der Umsatzsteuer unterlag. Vielmehr war zu prüfen, ob nach § 108 FlurbG außertarifliche Zollfreiheit und damit sinngemäß Freiheit von der Ausgleichsteuer gewährt werden kann.
Im Zollrecht ergeben sich die außertariflichen Zollfreiheitstatbestände aus §§ 24 und 25 ZG. Danach ist der Bundesminister der Finanzen (BdF) ermächtigt, für bestimmte Fälle Zollfreiheit anzuordnen. Diese Bestimmungen hat er in §§ 32 bis 73 der Allgemeinen Zollordnung (AZO) getroffen. Dies schließt jedoch nicht aus, daß andere Gesetze weitere Abgabenbefreiungen vorsehen, wie zahlreiche internationale Vereinbarungen zeigen (s. Bail-Schädel-Hutter, Zollgesetz vom 14. Juni 1961, Kommentar, § 24, Anm. 5; Schwarz-Wockenfoth, Zollgesetz vom 14. Juni 1961, § 24, Anm. 1 b). Gewährt insbesondere ein Gesetz zur Begünstigung eines bestimmten Verfahrens, z. B. zur Durchführung des Siedlungsverfahrens nach § 29 RSiedlG oder zur Begründung oder Vergrößerung von Heimstätten nach § 34 RHeimstG, Befreiung nicht von bestimmt bezeichneten Abgaben, sondern unter bestimmten Voraussetzungen, die weder in der Person noch in der einer Abgabe unterliegenden Ware liegen, Befreiung von allen Steuern und Abgaben, so werden davon auch die Eingangsabgaben betroffen. Dies wäre nur dann ausgeschlossen, wenn dies in dem betreffenden Gesetz bestimmt ist oder wenn die Befreiungsvoraussetzungen wegen der Eigenart dieser Abgaben nicht gegeben sind. Bei solchen Regelungen handelt es sich um eine sachliche (objektive), auf das betreffende Verfahren bezogene Abgabenfreiheit, die insofern als lex specialis zusätzlich zu den in den einzelnen Abgabengesetzen geregelten Begünstigungen gilt (vgl. Haack, Reichssiedlungsgesetz 1935, § 29 Anm. 1 b; Krüger-Wenzel, Reichsheimstättengesetz, § 36 – jetzt § 34 – Anm. 2). Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob eine solche Sonderregelung vor oder nach dem Inkrafttreten des einzelnen Abgabengesetzes getroffen worden ist. Wird allgemein Befreiung von allen Steuern und Abgaben für bestimmte Fälle gewährt, so kann dies durch ein späteres Abgabengesetz nur durch eine ausdrückliche Bestimmung ausgeschlossen werden. § 36 Abs. 1 ZG läßt aber uneingeschränkt Zollfreiheit allgemein „aus anderen Gründen” als nach dem Zolltarif zu.
Nach § 108 Abs. 1 FlurbG sind Geschäfte und Verhandlungen, die der Durchführung der Flurbereinigung dienen, frei von Gebühren, Steuern, Kosten und Abgaben, ausgenommen Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungskreis und auf Landesrecht beruhende Abgaben. Die Zölle und anderen Eingangsabgaben rechnen zu den Steuern und Abgaben in diesem Sinne, wie sich aus § 1 Abs. 1 AO ergibt. Es ist kein Grund dafür zu ersehen, daß darunter in § 108 Abs. 1 FlurbG etwas anderes verstanden werden könne. Denn ausdrücklich sind nur die örtlich wirkenden Steuern und landesrechtliche Abgaben ausgenommen, wozu die Eingangsabgaben nicht gerechnet werden können. Folglich ist für die übrigen Abgaben eine allgemeine Befreiung für die der Durchführung der Flurbereinigung dienenden Geschäfte vorgesehen. Eine andere Auslegung läßt sich auch nicht aus der geschichtlichen Entwicklung dieser Befreiungsvorschrift herleiten. Denn die Befreiung von „Gebühren, Steuern, Kosten und Abgaben” ist derart umfassend, daß damit alle dem Staat oder den Körperschaften des öffentlichen Rechts geschuldeten Geldleistungen erfaßt sind, ohne daß es auf begriffliche Unterschiede z. B. zwischen Gebühren und Steuern oder zwischen Steuern und Verwaltungsabgaben ankommen kann (s. Steuer, FlurbG, 2. Aufl., § 108 Abs. 1, Anm. 8; Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl., S. 419 f.). Solche Geldleistungen wurden auch schon vor dem Inkrafttreten der AO geschuldet und schlossen auch damals die Eingangsabgaben ein, weshalb sie der Gesetzgeber in den älteren Gesetzen, wie dem RSiedlG und der RUO, nicht besonders erwähnen mußte. Soweit die Ausgleichsteuer 1932 erst später als diese vorher erlassenen Gesetze eingeführt worden war, hätte er andererseits in Anbetracht der generellen Befreiung von den öffentlich-rechtlichen Geldleistungen die Befreiung von der Ausgleichsteuer ausdrücklich ausnehmen müssen.
Die Zölle und anderen Eingangsabgaben wären nur dann nicht von § 108 Abs. 1 FlurbG betroffen, wenn und soweit die der Durchführung der Flurbereinigung dienenden „Geschäfte” nicht mit diesen Abgaben belastet sein können. Denn dann bedürfte es auch keiner Befreiung von diesen Abgaben. Wie der erkennende Senat bereits in dem o. a. Urteil VII 86/65 ausgeführt hat, sind unter „Geschäften” nicht nur Rechtsgeschäfte, sondern auch tatsächliche Handlungen zu verstehen, die in unmittelbarer Erfüllung eines Rechtsgeschäfts vorgenommen werden (s. BFH-Entscheidung II 125/61 U vom 24. Juni 1964, BFH 79, 579, BStBl III 1964, 446). Die Einfuhr von Waren und deren Abfertigung zum freien Verkehr sind in diesem Sinn als einheitlicher Vorgang sowohl tatsächlicher wie rechtlicher Art anzusehen. So war auch nach § 1 Nr. 3 UStG 1951 „die Einfuhr” von Gegenständen in das Inland Gegenstand der Ausgleichsteuer – nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 UStG 1967 ist „die Einfuhr” von Gegenständen in das Zollgebiet Gegenstand der Einfuhrumsatzsteuer. Nach § 4 Nr. 1 letzter Satz UStG 1951 fanden weitere „Befreiungen der Einfuhr” nur nach Maßgabe des § 15 statt. Gleichwohl wurde die Ware mit der Einfuhr Zollgut bzw. Ausgleichsteuergut (§ 5 Abs. 1 ZG) und haftete sie dinglich für die auf ihr ruhenden Eingangsabgaben gemäß § 121 AO, war sie zum freien Verkehr abzufertigen (§ 10 Abs. 1 ZG) und konnte sie erst auf Grund der Freigabe durch die Zollstelle in den freien Verkehr treten (§ 36 Abs. 2 ZG). Diese mit der Einfuhr einer Ware aus zollrechtlichen Gründen verknüpften Vorgange dienen der Sicherung und Erhebung der Eingangsabgaben. Sie geschehen damit auch in Erfüllung des der Einfuhr zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts. Mit anderen Worten: Die Beschaffung des eingeführten Gegenstands ist mit der Bezahlung der auf ihn entfallenden Eingangsabgaben belastet. Da aber der Zweck des § 108 Abs. 1 FlurbG darin besteht, alle der Durchführung der Flurbereinigung dienenden Geschäfte von den damit verbundenen Steuern und Abgaben zu befreien, können hiervon auch die auf den zur Durchführung der Flurbereinigung beschafften Gegenständen ruhenden Eingangsabgaben nicht ausgenommen werden.
Im Streitfall steht die Einfuhr des Geodimeters nach der für das ZA verbindlichen Versicherung der oberen Flurbereinigungsbehörde (§ 108 Abs. 2 FlurbG) in unmittelbarem Zusammenhang mit der Durchführung der Flurbereinigung, wie das FG zutreffend festgestellt hat. Das Gerät dient auch offensichtlich nicht etwa dem Geschäftsbetrieb der Behörde selbst.
Fundstellen
Haufe-Index 514695 |
BFHE 1972, 162 |