Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Hat ein FA sich Forderungen des Steuerschuldners abtreten lassen und war es nicht in der erforderlichen Weise um die Durchsetzung der abgetretenen Forderungen bemüht, die dadurch uneinbringlich wurden, so verstößt es gegen Treu und Glauben, wenn das FA nunmehr von dem Steuerschuldner die ausgefallenen Beträge fordert. Auch ein Abrechnungsbescheid nach § 125 AO hat dem Rechnung zu tragen.
Normenkette
AO § 125
Gründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Bestehen zwischen dem Steuerpflichtigen - hier: dem Kläger - und dem FA Meinungsverschiedenheiten darüber, ob eine Zahlungsverpflichtung erloschen ist, so hat gemäß § 125 AO das FA dem Steuerpflichtigen auf Antrag einen Abrechnungsbescheid zu erteilen. Im Streitfall wendet sich der Kläger nicht gegen die rechnungsmäßige Behandlung in dem von ihm beantragten Abrechnungsbescheid, sondern dagegen, daß die in dem Bescheid ausgewiesenen Restforderungen des FA von 42.500 DM noch als bestehend betrachtet und geltend gemacht werden.
Soweit sich der Kläger dagegen wendet, daß die Restforderungen von 42.500 DM noch als bestehend angesehen wurden, vermag der erkennende Senat seiner Meinung nicht zu folgen.
Die beiden Forderungen, die der Kläger wegen seiner Steuerschulden am 14. April 1956 an das FA "mit allen Rechten" abgetreten hat, sind nicht an Zahlungs Statt, also mit schuldbefreiender Wirkung für den Kläger, sondern nur fiduziarisch abgetreten worden (vgl. dazu Kommentar von Reichsgerichtsräten und Bundesrichtern zum BGB 1953, 1 zu § 398 BGB). Es kann dahingestellt bleiben, ob eine Finanzverwaltungsbehörde nach den Verwaltungsbestimmungen überhaupt eine private Forderung im Wege einer Abtretung an Zahlungs Statt zur Tilgung einer Steuerforderung annehmen dürfte; jedenfalls ist der Meinung des FG darin beizutreten, daß die beiden Forderungen des Klägers nicht an Zahlungs Statt abgetreten worden sind. Ein anderes ergibt sich, wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, auch nicht daraus, daß die Forderungen "mit allen Rechten" abgetreten wurden. Das FG hat auch zutreffend dargelegt, daß das FA weder bei Annahme der Abtretungserklärungen des Klägers noch später eine Erklärung abgegeben hat daß es die Abtretungen der beiden Forderungen "an Zahlungs Statt" annehme oder angenommen habe. Das FA hat im Gegenteil dem Kläger mehrfach mitgeteilt, daß es die Forderungsabtretungen vom 14. April 1956 nicht an Zahlungs Statt angenommen habe (vgl. u. a. die Schreiben des FA an den Kläger vom 12. Juni 1957 und vom 20. Mai 1958). Teilzahlungen als solche hat das FA den Drittschuldnern nicht ohne Zustimmung des Klägers bewilligt. Entgegen den Ausführungen des Klägers enthält die Vorentscheidung insofern keinen tatsächlichen oder rechtlichen Fehler. Es trifft nicht zu, daß das FA durch Gewährung von Teilzahlungen an die Drittschuldner über die abgetretenen Forderungen so verfügt habe, wie es nur hätte verfügen können, wenn es die Abtretung an Zahlungs Statt angenommen hätte. Unerheblich - somit auch beweisunerheblich - ist es, ob der Vertreter des Klägers der Gewährung von Teilzahlungen an die Drittschuldner nicht zugestimmt habe; denn der Kläger selbst hat in seinem Schreiben vom 29. Mai 1956 die Zustimmung erklärt, die in dem Bestätigungsschreiben der Drittschuldner-GmbH vom 1. Juni 1956 an das FA als Voraussetzung für das Inkrafttreten der Vereinbarung auch hinsichtlich der Teilzahlungen mit dem FA ausdrücklich bezeichnet wurde. In dem Schreiben vom 29. Mai 1956 an das FA hatte der Kläger erklärt:
"Wie mir durch ... mitgeteilt wurde, hat das Finanzamt ... mit ... ein Abkommen getroffen, wonach obige Beträge in Raten dem Finanzamt durch die Schuldner bezahlt werden können. Gegen dieses Abkommen habe ich nichts einzuwenden und erkläre mich damit einverstanden, da ich durch die Abtretungserklärung vom 14. April 1956 mit allen Rechten seit diesem Zeitpunkt auf die Zahlungen der Schuldner keinen Einfluß mehr nehmen konnte und kann. Die Forderungen waren ... seit dem 9. April 1956 fällig". Es ist dem Kläger zuzugeben, daß er mit diesem Schreiben vom 29. Mai 1956 gemeint haben mag, gegen das "Abkommen" des FA mit den Drittschuldnern könne er nichts einwenden und er müsse sich damit einverstanden erklären, weil er infolge der Abtretungserklärungen vom 14. April 1956 mit allen Rechten ... keinen Einfluß mehr habe nehmen können und könne; auch insofern bedurfte es nicht der Vernehmung des vom Kläger als Zeugen benannten damaligen Bevollmächtigten. Auch bei dieser Sinngebung hat jedoch der Kläger in seinem Schreiben die Zustimmung zu dem "Abkommen" einschließlich der Gewährung von Teilzahlungen erteilt. Sollte der Kläger mit dem Schreiben vom 29. Mai 1956, wie er vorgetragen hat, klarstellend als wesentlichen Punkt zum Ausdruck haben bringen wollen, daß er mit den Erklärungen vom 14. April 1956 die beiden Forderungen "an Zahlungs Statt" abgetreten habe, so könnte das Vorliegen eines "versteckten Dissenses" in Betracht kommen - vgl. dazu Erman, Handkommentar zum BGB 1. Bd. 1962 Bem. 1 zu § 119 BGB (Westermann), 1, 2, 6 zu § 155 BGB (Hefermehl); Enneccerus- Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15. Aufl., 1960, Bd. I 2 § 163 II S. 1003 -; der Abtretungsvertrag als bürgerlich-rechtlicher Vertrag wäre dann nicht zustande gekommen. Auch dann wäre durch ihn die Zahlungsverpflichtung des Klägers nicht erloschen.
Der Kläger legt dar, das Bestehen seiner Steuerschulden von 42.500 DM dürfte das FA auch im Sinne des § 125 AO aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nach den besonderen Umständen des Streitfalls nicht ihn geltend machen. Ihm ist zuzugeben, daß in dieser Hinsicht gegen die Vorentscheidung Bedenken bestehen. Zwar beruft sich der Kläger in diesem Zusammenhang u. a. auch darauf, daß die Steuerforderungen, deretwegen gegen ihn vollstreckt worden sei, zu hoch angesetzt gewesen seien. Dieser Einwand gegen den Anspruch war jedoch außerhalb des Vollstreckungsverfahrens nach § 327 AO zu verfolgen. Die weiteren vom Kläger im Hinblick auf den Grundsatz von Treu und Glauben dargelegten Gesichtspunkte hat das FG in wenigen Sätzen erörtert und abgelehnt. Es hat hervorgehoben, daß der Kläger selbst "durch sein steuerunehrliches Verhalten" die Maßnahmen des FA ausgelöst und eine Geldstrafe im Unterwerfungsverfahren (§ 445 AO) anerkannt habe. Das FG hat dann festgestellt: "Die von ihm - dem Bf. - im einzelnen beanstandeten Beitreibungsmaßnahmen waren unter diesen Umständen vertretbar." Es ist die Einwendung in der Revisionsbegründung nicht von der Hand zu weisen, daß das FG dem Umstand des früheren steuerunehrlichen Verhaltens des Klägers zu erhebliches Gewicht beigemessen habe. Wenn es auch richtig ist, daß es häufig angebracht sein wird, in Ermessensfragen gegenüber einem steuerehrlichen Steuerpflichtigen einen wohlwollenderen Standpunkt einzunehmen als einem Steuerpflichtigen gegenüber, der sich steuerunehrlich verhalten hat, so gilt der Grundsatz von Treu und Glauben, der ein Ausfluß der Rechtssicherheit ist (vgl. dazu auch Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2 BvL 6/59 vom 19. Dezember 1961, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGE - 13, 261, 271, sowie Mattern-Messmer, Reichsabgabenordnung, Tz. 15 und 125), doch auch im gesamten Steuerrecht, selbst im Steuerstrafrecht; auch einem Steuerpflichtigen gegenüber, der sich einmal als steuerunehrlich erwiesen hat, muß der Grundsatz von Treu und Glauben gewahrt werden. Beide Seiten, die Finanzverwaltung wie der Steuerpflichtige, haben den Grundsatz von Treu und Glauben zu wahren. Das FG hat in der Vorentscheidung ausgeführt, weder die Gewährung von Ratenzahlungen an die Drittschuldner der abgetretenen Forderungen noch die Erwirkung eines Zahlungsbefehls seien zu beanstanden. Das ist an sich auch richtig, wenn hinsichtlich der Gewährung von Ratenzahlungen nur diese Teilzahlungen als solche betrachtet werden. Es ist aber in diesem Zusammenhang nicht unbeachtlich, daß der Kläger in seinem Schreiben vom 29. Mai 1956 an das FA durch die oben erwähnte Fassung zum Ausdruck gebracht hatte, daß er auf die Zahlungen der Drittschuldner keinen Einfluß mehr nehmen könne, daß er somit die volle Verantwortung in dieser Hinsicht dem FA auflud, ferner, daß er das FA in diesem Schreiben darauf hinwies, daß die Forderungen bereits seit über 1 1/2 Monaten fällig seien. Das mußte das FA, das die mit einem Risiko ohnehin schon belasteten Forderungsabtretungen angenommen hatte, zu erhöhter Vorsicht auch in der Richtung einer Sicherung der abgetretenen Forderungen veranlassen. Drei Monate später hat das FA selbst darauf hingewiesen, daß eine Abtretungserklärung ungesichert sei, "weil ein bestehender Hypothekenbrief nicht hinterlegt worden ist und sobald dieser beliehen sein sollte, nicht zu übersehen ist, ob der tatsächliche Kaufpreis die Abtretung realisierbar macht". Es trifft zwar zu, daß das FA nicht im Verwaltungszwangsverfahren den Drittschuldner zur Herausgabe des Grundpfandbriefs hätte veranlassen können, aber es hätte aufgeklärt werden müssen, weshalb das FA in Anbetracht des zur Vorsicht mahnenden Briefes des Klägers vom 29. Mai 1956 bei der Gewährung von Teilzahlungen nicht Sicherheiten von den Drittschuldnern verlangte oder etwa angebotene sich übertragen ließ, ob im Fall eines solchen Verlangens mit hoher Wahrscheinlichkeit der Grundpfandbrief hergegeben worden wäre und ob damit ein Uneinbringlichwerden einer der abgetretenen Forderungen oder beider hätte vermieden werden können. Es wäre auch zu klären gewesen, wann der Kläger von der Möglichkeit der Sicherung durch Hergabe des Grundpfandbriefs erfahren hatte und ob er alsbald das FA von dieser Möglichkeit verständigt hatte. Es hätte auch der Klärung bedurft, weshalb der vom Kläger gegen einen der beiden Drittschuldner erwirkte Arrestbefehl nicht habe vollzogen werden können, nachdem die auf Grund der Arrestanordnung des FA vom 4. April 1956 in das Vermögen des Klägers durchgeführten Pfändungsmaßnahmen durch Verfügung vom 12. April 1956 aufgehoben worden waren. Da diese Klärungen in der Vorentscheidung nach entsprechender Aufklärung des Sachverhalts nicht getroffen worden sind, war die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO an das FG zurückzuverweisen. Sollte sich nach erneuter Prüfung und Klärung des Sachverhalts ergeben, daß das FA es unterlassen hat, die dargelegten Möglichkeiten, insbesondere einer Sicherung (einer) der abgetretenen Forderungen zu nutzen und dadurch ein Uneinbringlichwerden werden dieser Forderungen zu vermeiden, so läge in dem Geltendmachen des Nichterlöschens der Steuerschulden des Klägers auch im Sinne des § 125 AO eine Verletzung von Treu und Glauben; der Kläger könnte allerdings auch dann keinen Erfolg haben, wenn er es unterlassen hätte, auf erkannte Möglichkeiten der Sicherung der abgetretenen Forderungen das FA rechtzeitig hinzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 412447 |
BStBl III 1967, 232 |
BFHE 1967, 554 |
BFHE 87, 554 |