Entscheidungsstichwort (Thema)
Körperschaftsteuer Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Die Förderung der "Freikörperkultur" ist gegenwärtig nach der Volksanschauung nicht als Verfolgung eines gemeinnützigen Zwecks anzusehen. KStG § 4 Abs. 1 Ziff. 6; StAnpG § 17.
Normenkette
KStG § 4 Abs. 1 Nr. 6; StAnpG § 17
Tatbestand
Das Finanzamt hat die Körperschaftsteuer des Bf., eines eingetragenen Vereins, für das Streitjahr 1959 auf 0 DM festgestellt, da er im Steuerabschnitt kein Einkommen erzielt hatte. Das Verlangen des Bf., seine Steuerpflicht auf Grund des § 4 Abs. 1 Ziff. 6 KStG zu verneinen, weil er nach seiner Satzung und tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen Zwecken diene, hat das Finanzamt abgelehnt. Der Streit geht um die Anerkennung der Gemeinnützigkeit des Bf. Durch die Bejahung der Steuerpflicht durch das Finanzgericht, das auf die Sprungberufung des Bf. der Auffassung des Finanzamts beigetreten ist, ist der Bf. im Sinne von § 232 Abs. 1 Ziff. 2 AO beschwert. Die Vorinstanzen haben zutreffend das Rechtsmittel als zulässig angesehen. Hierzu wird auf das Urteil des Bundesfinanzhofs I 181/55 U vom 29. Januar 1957 (BStBl 1957 III S. 151, Slg. Bd. 64 S. 404) verwiesen.
Der Zweck des Bf. ergibt sich aus § 2 seiner Satzung. Dieser lautet:
"ß 2 Ziele und Wege.
)Der Bund ist ein Freundeskreis gleichgesinnter Menschen zur Pflege der körperlichen und sittlichen Ertüchtigung sowie aller kulturellen und ideellen Güter. Er will helfen, das Wissen von Natur und Gesundheit auszubreiten und vertiefen.
)Der Bund ist konfessionell und parteipolitisch neutral.
3a) Der Bund bekämpft den Mißbrauch von Alkohol und Nikotin. Zur körperlichen Ertüchtigung betreibt der Bund Ball- und Bewegungsspiele, Gymnastik und Turnen sowie Saunabaden und Schwimmen.
Der Bund verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke durch Förderung des Volkssportes.
)Der Bund fordert von seinen Mitgliedern Wahrhaftigkeit nach innen und außen. Er erstrebt ein naturgemäßes, einfaches Leben im Sinne der Freikörperkultur. Seine besondere Aufmerksamkeit gilt Familie und Erziehung".
Der Bf. ist außer dem Deutschen Verband für Freikörperkultur e. V. auch dem Deutschen Turnerbund e. V. angeschlossen. An vom Deutschen Turnerbund veranstalteten Wettkämpfen können auch Mitgliedergruppen des Bf. als solche teilnehmen.
Im Verfolg dieser Zwecke werden von dem Bf. insbesondere verschiedene Sportarten und Leibesübungen betrieben, an denen auch Jugendliche unter 18 Jahren teilnehmen, die mit Genehmigung ihrer Erziehungsberechtigten Mitglied geworden sind. Im Sinne der in § 2 der Satzung herausgestellten sogenannten Freikörperkultur wird bei den internen Veranstaltungen des Bf. der bezeichneten Art von den Teilnehmern keine Bekleidung getragen. Die Vorinstanzen haben die Gemeinnützigkeit des Bf. deswegen verneint, weil eine große Mehrheit der Bevölkerung der Ausübung von Leibesübungen in unbekleidetem Zustand ablehnend gegenüberstehe.
Das Finanzgericht hat im wesentlichen ausgeführt: Die Satzung des Bf. besage ausdrücklich, daß der Verein ein naturgemäßes einfaches Leben im Sinne der Freikörperkultur erstrebe, und daß dabei seine besondere Aufmerksamkeit der Familie und Erziehung gelte. Dieser Zweck, ein Leben im Sinne der Freikörperkultur, sei nicht unter den im § 17 Abs. 3 Ziff. 1 und 2 StAnpG bezeichneten gemeinnützigen Zwecken aufgeführt und derartig allgemein unbestimmt gehalten, daß nicht erkennbar werde, inwiefern dadurch die Allgemeinheit gefördert werde. Möge auch die eine oder andere Betätigung des Vereins gemeinnützig sein, so genüge dies nicht allein zur Anwendung der Befreiungsvorschrift des § 4 Abs. 1 Ziff. 6 KStG. Es fehle an der nach § 12 der Gemeinnützigkeitsverordnung (GemV) erforderlichen Klarheit der Satzungsbestimmungen, die die ausschließliche Gemeinnützigkeit der Vereinszwecke zum Ausdruck bringen müssen. Selbst wenn man nicht im Streitfall zwei nebeneinanderliegende Zwecke, nämlich einen steuerbegünstigten und einen nicht begünstigten annehmen wollte, wie sich aus dem eigenen Vortrag des Bf., seine Zielsetzung gehe über die eines Sportvereins hinaus, ergeben könnte, sondern dem Bf. darin folgen würde, daß der Verein ausschließlich die Ertüchtigung des Volkes durch Leibesübungen zum Ziele habe, so könne doch der Verein wegen der Art seiner Betätigung, mit der er die Förderung der Volksgesundheit zu nützen suche, nicht als gemeinnützig anerkannt werden. Der Zweck und das zu seiner Verwirklichung angewandte Mittel, nämlich Turnen, Spiele und Sport im Sinne der Freikörperkultur ausgeübt, seien bei der Beurteilung unter dem Gesichtspunkt der Gemeinnützigkeit nicht voneinander zu trennen. Nicht durch den Spruch des Steuergerichts werde bestimmt, ob Zweck und Mittel gemeinnützig seien. Das Gericht könne nur deklaratorisch feststellen, ob ein Zweck gemeinnützig sei. Nach herrschender Meinung könne eine dahingehende tatsächliche Feststellung nur auf Grund der Volksanschauung getroffen werden. Von der Mehrheit der Bevölkerung werde aber die "Freikörperkultur" abgelehnt. Die Versagung der Steuerbefreiung bedeute kein Werturteil über die im Einzelfall zu beurteilenden Ziele und Zwecke und nicht das Ergreifen von Partei in einem Meinungsstreit hierüber.
Weiter stehe die Tatsache, daß der Bf. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren zu seinen erörterten Veranstaltungen zuließe, seiner Anerkennung als gemeinnützig entgegen, weil darin eine Gefährdung der Jugendlichen zu erblicken sei. Diese Auffassung komme in der Stellungnahme des Ausschusses des Bundestags für Jugendfürsorge (vgl. Verhandlungen des Deutschen Bundestags I. Wahlperiode 1949, 230. Sitzung, Stenographische Berichte Bd. 13 S. 10 534) bei den Beratungen über das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften vom 9. Juni 1953 (BGBl 1953 I S. 377) und vom 29. April 1961 (BGBl 1961 I S. 498) zum Ausdruck. Nach dem Bericht des Ausschusses seien durch das Bild für Nacktkultur werbende Schriften generell als jugendgefährdend anzusehen. Auch die Bundesregierung habe zur Begründung des Gesetzes vom 9. Juni 1953 (Bundestagsdrucksache Nr. 1101) ausgeführt, daß zwar die Darstellung des nackten menschlichen Körpers an sich weder unanständig noch obszön sei, aber berücksichtigt werden müsse, daß die Anschauung der überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes die Verneinung eines natürlichen Schamgefühls durch ungeniertes Zurschaustellen des nackten Körpers im täglichen Leben ablehne.
Schließlich stehe der Versagung der Steuerbefreiung auch nicht der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) entgegen. Wesentlich sei bei der Betätigung des Vereins die Pflege der Freikörperkultur, er sei daher mit einem Sportverein, in dem bei Ausübung gleichartiger Leibesübungen von den Teilnehmern entsprechende Sportkleidung getragen werde, nicht zu vergleichen. Soweit man die Pflege der Freikörperkultur als Ausdruck einer bestimmten Weltanschauung betrachten würde, geben die §§ 17 bis 19 StAnpG keine Handhabe, den Bf. von der Steuerpflicht zu befreien.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vereins ist nicht begründet.
Als gemeinnützig können solche Körperschaften die Steuerbefreiung nach § 4 Abs. 1 Ziff. 6 KStG in Verbindung mit § 17 Abs. 1 StAnpG in Anspruch nehmen, die Zwecke verfolgen, durch deren Erfüllung ausschließlich und unmittelbar die Allgemeinheit gefördert wird. Nach Absatz 2 der letzteren Bestimmung ist eine Förderung der Allgemeinheit nur dann anzunehmen, wenn die Tätigkeit der Körperschaft dem allgemeinen Besten auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet nutzt. Damit, daß eine Körperschaft nur ideelle und keinerlei materielle Zwecke verfolgt, erfüllt sie noch nicht die Voraussetzungen, an die das Gesetz die Gewährung der Steuerfreiheit wegen Gemeinnützigkeit knüpft.
In der Förderung der öffentlichen Gesundheitspflege sowie der körperlichen Ertüchtigung des Volkes durch Leibesübungen (Turnen, Spiel, Sport), die nach § 17 Abs. 3 Ziff. 1 StAnpG ausdrücklich als Förderung der Allgemeinheit anzuerkennen ist und wie sie auch von dem Bf. sowohl satzungsgemäß als auch tatsächlich betrieben wird, erschöpfen sich aber auch dessen Bestrebungen. Wesentlich für den Bf. ist die Förderung der sogenannten Freikörperkultur, in deren Sinne bei seinen internen Veranstaltungen, auf denen Leibesübungen, Spiele und Sport betrieben werden, die Teilnehmer keinerlei Bekleidung tragen, während sonst bei derartigen Veranstaltungen allgemein sportliche Bekleidung getragen wird. Leibesübung, Spiele und Sport bedeuten für den Bf. ein Mittel für die Pflege der von ihm zu fördernden Freikörperkultur, deren Sinn in der erstrebten Unbefangenheit der Menschen gegenüber der Nacktheit des menschlichen Körpers in der Natur und im Zusammensein unter gleichgesinnten Personen zu erblicken ist. Die Freikörperkultur ist somit der Ausdruck einer bestimmten Lebenshaltung, die auf einer Art Weltanschauung beruht. Die Bedeutung der Freikörperkultur für die Bestrebungen des Bf. tritt insbesondere in § 2 Ziff. 4 und § 3 Ziff. 5 seiner Satzung in Erscheinung, wo den Mitgliedern ein der "Bewegung", d. h. der Freikörperkultur entsprechendes Verhalten innerhalb und außerhalb des Bundes zur Pflicht gemacht wird. Diese über die Förderung von Leibesübungen, Spiel und Sport hinausgehenden Bestrebungen des Vereins im Sinne der Freikörperkultur lassen es, wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, nicht zu, ihm, wie den üblichen Sport- und Turnvereinen, ohne weiteres die Steuerbefreiung wegen Förderung ausschließlich gemeinnütziger Zwecke zu gewähren.
Die Entscheidung hängt vielmehr davon ab, ob auch die Förderung der Freikörperkultur als dem allgemeinen Besten im Sinne des § 17 Abs. 2 StAnpG nutzend anerkannt werden kann. Die Vorinstanzen haben dies verneint, weil die Idee der Freikörperkultur von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt werde. Diese Ansicht, daß bei einer Prüfung der Frage, ob eine Förderung der Allgemeinheit vorliegt, die Auffassung der Allgemeinheit, d. h. der Mehrheit des Volkes, berücksichtigt werden müsse, entspricht der Anschauung des Reichsfinanzhofs, der mit dieser Begründung in den Entscheidungen I A 547/29 vom 5. November 1929 (RStBl 1929 S. 670), I A a 175/29 vom 11. November 1929 (RStBl 1930 S. 62) und I A 42/34 vom 10. Juli 1934 (RStBl 1935 S. 324) die Bekämpfung des Alkoholgenusses, sowie der Förderung einer bestimmten Heilmethode und der Feuerbestattung nicht als gemeinnützig anerkannt hat. § 1 StAnpG schreibt auch in seiner geltenden Fassung für die Auslegung der Steuergesetze und die Beurteilung von Tatbeständen die Berücksichtigung der Volksanschauung vor.
Den gegen die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs gerichteten Bedenken von Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, Anm. 47 zu § 4 KStG, wird allerdings in der Weise Rechnung zu tragen sein, daß es auf die zudem kaum zu ermittelnde Ansicht der Mehrheit des Volkes nicht ankommen kann. Nach § 17 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG werden z. B. die Förderung von Kunst und Religion auch dann grundsätzlich als gemeinnützig anerkannt, wenn es sich etwa um bestimmte Kunstrichtungen oder um nicht christliche Religionen handelt. Auch hinsichtlich der in § 17 Abs. 3 StAnpG nicht ausdrücklich benannten Zwecke ist die Entwicklung im Fluß. Wenn aber, wie es hinsichtlich der Freikörperkultur gegenwärtig der Fall ist, bestimmte Bestrebungen von weiten Kreisen der Bevölkerung abgelehnt werden und ihre Betätigung vom Staate zwar toleriert, aber nur unter bestimmten Voraussetzungen unter Ausschluß der öffentlichkeit zugelassen wird, so ist nicht anzunehmen, daß sie nach der Volksanschauung als dem allgemeinen Besten auf geistigem oder sittlichem Gebiete nützlich anzusehen sind. Daran kann der Umstand, daß diese Zwecke ohne aufs Materielle gerichtete Absichten verfolgt werden, daß es auch im Ausland Gruppen gibt, die den gleichen Zwecken dienen und daß eine diese Gruppen zusammenfassender internationaler Verband besteht, nichts ändern. Mit der Versagung der Steuerbefreiung wegen Gemeinnützigkeit aus diesen Gründen soll im übrigen kein Werturteil über die Bestrebungen des Bf. ausgesprochen werden, was auch schon das Finanzgericht betont hat.
Ohne daß der Senat den Ausführungen des Finanzgerichts in allen Einzelheiten, insbesondere was die Heranziehung des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften angeht, beipflichten möchte, kann dem Bf. hiernach die Steuerbefreiung nach § 4 Abs. 1 Ziff. 6 KStG nicht zuerkannt werden, da er infolge seiner auf die Förderung der Freikörperkultur ausgerichteten Bestrebungen nicht ausschließlich gemeinnützige Zwecke verfolgt.
Fundstellen
Haufe-Index 424252 |
BStBl III 1964, 83 |
BFHE 1964, 212 |
BFHE 78, 212 |
DB 1964, 247 |