Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensbemessung bei Schwarzlohnzahlungen
Leitsatz (redaktionell)
Die Höhe des an Arbeitnehmer ausbezahlten Schwarzlohns ist zur Bestimmung des Beitragsschadens bei Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) bzw. der hinterzogenen Lohnsteuer zu schätzen, soweit zu einer konkreteren Bestimmung – etwa anhand erbrachter Arbeitszeiten und konkreter, branchenüblicher oder tarifvertraglicher Stundenlöhne – keine zuverlässigen Beweismittel zur Verfügung stehen oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand und ohne nennenswerten zusätzlichen Erkenntnisgewinn zu beschaffen wären. Es darf dann eine branchenübliche Lohnquote – und zwar eine Nettolohnquote – des jeweils verfahrensgegenständlichen Gewerbes ermittelt und diese als Schätzgrundlage der weiteren Berechnung zugrunde gelegt werden. In Fällen illegaler Beschäftigung kann der Tatrichter dabei in der Regel verhältnismäßig höhere Nettolohnquoten zu Grunde legen, als sie bei legaler Beschäftigung branchenüblich sind.
Normenkette
AO § 370 Abs. 1 Nr. 2; StGB § 266a; SGB IV § 14 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
LG Essen (Urteil vom 09.05.2012) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 9. Mai 2012 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben:
- in den Fällen 89 und 90 der Urteilsgründe insgesamt,
in den Fällen 21 bis 39, 45 bis 80 und 82 bis 88 der Urteilsgründe im Ausspruch über die jeweilige Einzelstrafe
(die Numerierung der Fälle folgt jeweils der Numerierung der Anklageschrift),
- im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Aufrechterhalten bleiben die Feststellungen zu den auf UA S. 12 bis UA S. 22 aufgelisteten Ausgangsrechnungen, auch soweit festgestellt ist, ob und ggf. in welchem Umfang diesen Rechnungen Leistungen zu Grunde lagen.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Der Angeklagte wurde wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 14 Fällen und wegen Steuerhinterziehung in 55 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine auf die Sachrüge gestützte Revision hat den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO), im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
I.
Rz. 2
Dem Urteil liegen folgende Feststellungen und Wertungen zugrunde:
Rz. 3
1. Die Strafkammer hat festgestellt:
Rz. 4
Der Angeklagte ging im Essener Raum ab dem Jahr 2006 als eingetragener Kaufmann („P.”) gewerblicher Tätigkeit nach; später fungierte er darüber hinaus als Geschäftsführer der gemeinsam mit der Zeugin Sa. gegründeten haftungsbeschränkten „Pr.”. Mit beiden Unternehmen betätigte er sich im Wesentlichen im Bereich der Sicherheitsbranche, indem er als Subunternehmer anderen Unternehmen, u.a. den Firmen St. GmbH, Pro … GmbH, I. und S. GmbH Personal für Überwachungsdienste und Detektivarbeiten für Messen, Veranstaltungen oder Kaufhäuser bereitstellte. Zur Erfüllung solcher Aufträge setzte er eine im Einzelnen unbekannt gebliebene Anzahl von Personen, jedoch mindestens sieben, möglicherweise auch zumindest zeitweise weitaus mehr, ein. Hierbei bestimmte der Angeklagte, wer jeweils zum Einsatz kam und instruierte die jeweiligen Personen hinsichtlich Auftragsort, -datum und -zeit sowie im Einzelfall, welche Kleidung bei der Ausübung des Auftrags zu tragen ist. Soweit Auftraggeber des Angeklagten unmittelbar mit den vom Angeklagten für den jeweiligen Auftrag vorgesehenen Personen Kontakt aufnahmen, erfolgte dies im Einverständnis und in Abstimmung mit dem Angeklagten.
Rz. 5
Die Arbeitsleistungen der eingesetzten Personen wurden überwiegend per Überweisung, teilweise auch in bar entlohnt.
Rz. 6
Im Verhältnis zum Auftraggeber Pro … GmbH rechnete der Angeklagte nicht nur tatsächlich erbrachte Leistungen ab; vielmehr erstellte er für diese Gesellschaft näher bezeichnete Scheinrechnungen bzw. Rechnungen, in denen zum Schein mehr als die tatsächlich erbrachten Leistungen abgerechnet waren (sog. Teilscheinrechnungen).
Rz. 7
a) Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (Taten Nr. 21 bis 34 der Urteilsgründe)
Rz. 8
Überwiegend meldete der Angeklagte in den Beitragszeiträumen Juni 2006 bis Juni 2007 und im August 2007 Arbeitnehmer überhaupt nicht und in einigen wenigen Fällen lediglich als geringfügig Beschäftigte an, obwohl diese Personen in größerem Umfang beschäftigt wurden. Insoweit meldete der Angeklagte lediglich für die Monate Mai und Juni 2007 jeweils Entgelte in Höhe von 1.760,17 Euro und für den Monat August 2007 in Höhe von 2.325,17 Euro. Hierdurch wurden der Einzugsstelle (AOK R.) Sozialversicherungsbeiträge (Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge) in einer Höhe von insgesamt 40.121,65 Euro vorenthalten.
Rz. 9
b) Hinterziehung von Umsatzsteuer (Taten Nr. 35 bis 44 der Urteilsgründe)
Rz. 10
Der Angeklagte gab für die Jahre 2006 bis einschließlich 2008 keine Umsatzsteuerjahreserklärung sowie für die Voranmeldungszeiträume Januar bis einschließlich Juli 2009 keine Umsatzsteuervoranmeldungen ab. Hierdurch verkürzte er Umsatzsteuern in einer Gesamthöhe von 289.043 Euro.
Rz. 11
c) Hinterziehung von Lohnsteuer (Taten Nr. 45 bis 80 und 82 bis 90 der Urteilsgründe)
Rz. 12
Der Angeklagte unterließ es in der Zeit von Januar 2006 bis einschließlich September 2009 bewusst pflichtwidrig, jeweils am zehnten Tag des auf den „Veranlagungszeitraum” folgenden Monats Lohnsteueranmeldungen bei dem zuständigen Festsetzungsfinanzamt einzureichen. Hierdurch verkürzte er Lohnsteuern von insgesamt 101.464,93 Euro.
Rz. 13
2. Der Angeklagte hat eingeräumt, mehrere Arbeitnehmer „offiziell” beschäftigt und für diese auch Lohnabrechnungen erstellt zu haben. Von ihm selbst namentlich benannte Personen hätten zumindest zeitweise für ihn gearbeitet, eine weitere Person sei zeitweise als Aushilfe für ihn tätig gewesen. Insgesamt sei ihm selbst aber keine Arbeitgeberfunktion im Verhältnis zu den für seine Firmen tätigen Arbeitern zugekommen, da ihm die Leitungsfunktion gefehlt habe.
Rz. 14
Dem ist die Strafkammer nicht gefolgt. Vielmehr habe der Angeklagte durchaus eine Leitungsfunktion gegenüber den Mitarbeitern innegehabt und auch ausgeübt. Aus dem Umstand, dass der Angeklagte kein Personal von anderen Detektivbüros angefordert habe, sei zu folgern, dass keine Subunternehmer für den Angeklagten zum Einsatz gekommen seien.
Rz. 15
Da unter anderem weder Lohnbuchhaltung noch Ausgangsrechnungen der Unternehmen des Angeklagten vollständig vorlagen, hat die Strafkammer die Nettolohnsummen, hinsichtlich derer Sozialversicherungsbeiträge vorenthalten und Lohnsteuern hinterzogen worden waren, geschätzt.
Rz. 16
Die so ermittelten Lohnsummen hat das Landgericht für die Berechnung der vorenthaltenen Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherungsbeiträge (Taten nach § 266a StGB) nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV auf ein „fiktives” Bruttogehalt hochgerechnet.
Rz. 17
Hinsichtlich der Lohnsteuer errechnete das Landgericht, ohne eine Hochrechnung nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV vorzunehmen, den Verkürzungsbetrag unter Anlegung eines pauschalen Durchschnittssteuersatzes von 15 %.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 18
Die Verfahrensrügen haben aus den vom Generalbundesanwalt zutreffend dargelegten Gründen keinen Erfolg.
III.
Rz. 19
Das Urteil hält im Schuld- und Einzelstrafausspruch rechtlicher Überprüfung stand, soweit der Angeklagte in den Fällen 40 bis 44 der Urteilsgründe wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer verurteilt ist (hierzu nachfolgend unter 1.c).
Rz. 20
In den Fällen 35 bis 39 der Urteilsgründe (weitere Taten der Hinterziehung von Umsatzsteuer) sowie in den Fällen 21 bis 34 (Taten nach § 266a StGB) und 45 bis 80 sowie 82 bis 88 der Urteilsgründe (Taten der Hinterziehung von Lohnsteuer) tragen die Feststellungen jeweils den Schuldspruch; jedoch hält die Ermittlung der Höhe hinterzogener Umsatzsteuer (hierzu nachfolgend 1.b) bzw. Lohnsteuer (hierzu nachfolgend 2.b [1]) und damit des Schuldumfangs jeweils rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Feststellungen zum Schuldumfang bei den Taten nach § 266a StGB widersprechen den Feststellungen, die – bei deckungsgleichen Tatzeiträumen – zur Hinterziehung von Lohnsteuer getroffen wurden (hierzu nachfolgend 2.b [2]). Dies führt zur Aufhebung sämtlicher Einzelstrafaussprüche in den Fällen 21 bis 39, 45 bis 80 und 82 bis 88 der Urteilsgründe.
Rz. 21
In den Fällen 89 und 90 der Urteilsgründe (weitere Taten der Hinterziehung von Lohnsteuer) tragen die Feststellungen bereits den Schuldspruch nicht (hierzu nachfolgend unter 3.).
Rz. 22
Die Aufhebung der Verurteilung in den Fällen 89 und 90 der Urteilsgründe sowie der Einzelstrafaussprüche in den Fällen 21 bis 39, 45 bis 80 sowie 82 bis 88 der Urteilsgründe bedingt darüber hinaus die Aufhebung des Gesamtstrafausspruchs.
Rz. 23
1. Die Feststellungen tragen den Schuldspruch, soweit der Angeklagte in den Fällen 35 bis 44 der Urteilsgründe wegen Umsatzsteuerhinterziehung verurteilt worden ist. Jedoch hält in den Fällen 35 bis 39 der Urteilsgründe – dies betrifft die Jahre 2006 bis 2008 sowie die Voranmeldungszeiträume Januar und Februar 2009 – die Ermittlung der Höhe der verkürzten Umsatzsteuer rechtlicher Überprüfung nicht in vollem Umfang stand.
Rz. 24
a) Es bedarf keiner näheren Erörterung, dass der Angeklagte sich durch die Nichtabgabe von Umsatzsteuerjahreserklärungen bzw. -voranmeldungen der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO schuldig gemacht hat. Nach den insoweit rechtsfehlerfrei anhand näher bezeichneter Ausgangsrechnungen getroffenen Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte in jedem der betreffenden Anmeldungszeiträume gegenüber diversen Abnehmern Leistungen erbracht, teilweise daneben Scheinrechnungen mit gesondertem Umsatzsteuerausweis erteilt (vgl. hierzu § 14c Abs. 2 UStG).
Rz. 25
b) Jedoch hält in den Fällen 35 bis 39 der Urteilsgründe (dies betrifft die Jahre 2006 bis 2008 und die Voranmeldungszeiträume Januar und Februar 2009) – anders als in den Fällen 40 bis 44 der Urteilsgründe – die Ermittlung verkürzter Umsatzsteuer und damit des Schuldumfangs rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Rz. 26
(1) Im Ausgangspunkt zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass nicht nur Lieferungen und sonstige Leistungen der Umsatzsteuer unterliegen, sondern auch die in Scheinrechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer (vgl. § 14c Abs. 2 UStG) vom Aussteller geschuldet und anzumelden ist (vgl. § 18 Abs. 4a und b UStG). Auch die in Scheinrechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer konnte daher in die Steuerverkürzungsberechnung einbezogen werden. Unter diesen Umständen errechnet sich der Verkürzungsbetrag aus der Gesamtsumme des Entgelts für getätigte Umsätze (hieraus 16 % bzw. 19 %) zuzüglich der in den Scheinrechnungen ausgewiesenen Umsatzsteuer. Das Landgericht hat diese Positionen vorliegend „ausgehend von (…) Ausgangsrechnungen und Belegen des Angeklagten” bestimmt und hierzu die Ausgangsrechnungen des Angeklagten (einschließlich der Scheinrechnungen) in tabellarischen Aufstellungen zusammengefasst. Eine Addition der einzelnen vom Landgericht – rechtsfehlerfrei – festgestellten Rechnungsbeträge bzw. der darin ausgewiesenen Umsatzsteuer ergibt jedoch keinen Betrag, aus dem sich die vom Landgericht letztlich angenommenen „Gesamtumsätze” bzw. die geschuldete Umsatzsteuer und daraus folgend der Verkürzungsbetrag auch nur annähernd erklären könnte.
Rz. 27
(2) Nichts anderes würde unter Berücksichtigung einer weiteren tabellarischen Auflistung gelten. Es handelt sich hierbei um eine Darstellung weiterer Zahlungen der Pro … GmbH in den Jahren 2006 und 2008 an das Unternehmen des Angeklagten, für die keine Ausgangsrechnungen des Angeklagten vorlagen. Diese Zahlungen waren einer Kontenliste der Firma Pro … GmbH entnommen worden. Dass das Landgericht auch diese Erkenntnisse bei der Steuerverkürzungsberechnung berücksichtigt haben könnte, liegt hier zwar zunächst deswegen nicht fern, weil diese Zahlungen einen Bezug zu den Unternehmen des Angeklagten aufweisen: ihnen waren lt. Buchungstext Rechnungsnummern des Unternehmens des Angeklagten zugeordnet. Jedoch hat das Landgericht nicht aufgeklärt, ob den Zahlungen tatsächliche Leistungen oder aber zumindest vom Angeklagten erstellte Scheinrechnungen zu Grunde lagen. Im Übrigen verbleiben selbst unter Einbeziehung dieses Zahlenwerks zum Teil erhebliche Abweichungen zum Nachteil des Angeklagten, die, da nicht weiter erörtert, nicht erklärlich sind.
Rz. 28
(3) Dass das Landgericht insoweit – wie unter freilich anderem Gesichtspunkt bei den Taten der Hinterziehung von Lohnsteuer und den Straftaten nach § 266a StGB – eine (Teil-)schätzung vorgenommen haben könnte, liegt fern. Zwar wäre mit Blick auf die Feststellung, dass nicht alle Ausgangsrechnungen des Angeklagten aufgefunden werden konnten, eine Hinzuschätzung weiterer nicht angemeldeter Leistungen u.U. möglich gewesen (vgl. BGH, Urteile vom 11. August 2010 – 1 StR 199/10 und vom 28. Juli 2010 – 1 StR 643/09). Dann wäre aber darzulegen gewesen, wie der Tatrichter zu den Schätzungsergebnissen gelangt ist (BGH, Urteil vom 28. Juli 2010 – 1 StR 643/09). Jedenfalls hieran fehlt es vorliegend.
Rz. 29
(4) Die aufgezeigte rechtsfehlerhafte Bestimmung des Verkürzungsbetrages berührt insoweit den Schuldspruch nicht; denn auch unter Berücksichtigung lediglich derjenigen Beträge, die sich aus der Addition der im einzelnen festgestellten Ausgangsrechnungen bzw. der darin ausgewiesenen Umsatzsteuer ergeben, verbleibt jeweils ein Verkürzungsbetrag.
Rz. 30
c) Anders als in den Fällen 35 bis 39 der Urteilsgründe enthält die Darstellung der Fälle 40 bis 44 der Urteilsgründe (dies betrifft die Voranmeldungszeiträume März bis Juli 2009) mit Blick auf die einzelnen festgestellten Ausgangsrechnungen noch ausreichende Feststellungen, um eine revisionsgerichtliche Nachprüfung des Schuldumfangs zu ermöglichen. Der Senat weist jedoch darauf hin, dass eine nach sachgerechten Gesichtspunkten vorgenommene Gliederung des Urteils die Überprüfung wesentlich erleichtert hätte.
Rz. 31
2. In den Fällen 21 bis 34 der Urteilsgründe (Taten des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt) sowie in den Fällen 45 bis 80 sowie 82 bis 88 der Urteilsgründe (Taten der Hinterziehung von Lohnsteuer) tragen die Feststellungen den Schuldspruch. Jedoch halten die Einzelstrafaussprüche im Hinblick auf den angenommenen Schuldumfang rechtlicher Überprüfung nicht stand. Bei der Berechnung hinterzogener Lohnsteuer hat das Landgericht schon im Ansatzpunkt nicht nachvollziehbares Zahlenwerk (hier: die Nettoausgangsumsätze) zu Grunde gelegt. Bei den Taten nach § 266a StGB stehen die auf den Schuldumfang bezogenen Feststellungen im Widerspruch zu denjenigen Feststellungen, die zu den Taten der Lohnsteuerhinterziehung getroffen sind.
Rz. 32
a) Allerdings tragen die Feststellungen insoweit den Schuldspruch. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Wertung des Landgerichts, der Angeklagte sei „Arbeitgeber” der eingesetzten Personen gewesen, nicht zu beanstanden.
Rz. 33
Hierzu führt der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 16. November 2012, dort S. 4, aus:
„Die Angriffe der Revision gegen die Beweiswürdigung des Urteils (RB S. 27f.) zeigen Rechtsfehler allerdings nicht auf. Die Strafkammer hat die einschlägige Rechtsprechung zum Arbeitgeberbegriff (vgl. nur BGH, Beschl. vom 07.10.2009 – 1 StR 478/09) ersichtlich beachtet. Dass der Angeklagte diese Stellung tatsächlich ausübte, hat eine Vielzahl von Zeugen bestätigt. Zudem hat er sich in einer Reihe von Urkunden selbst als Arbeitgeber dargestellt. Die hypothetische Überlegung der Revision, „dieDoormen hätten Befehle und Weisungen des Angeklagten … abgelehnt” (RB S. 27) vermögen dieses Beweisergebnis nicht in Frage zu stellen.”
Diesen zutreffenden Ausführungen schließt der Senat sich an. Ergänzend wird bemerkt:
Rz. 34
(1) Für die Beurteilung, ob ein sozialversicherungs- und lohnsteuerpflichtiges Arbeitsverhältnis vorliegt, ist eine umfassende Würdigung der Gesamtverhältnisse erforderlich (vgl. hierzu BFH, Urteil vom 22. Juli 2008 – VI R 51/05 mwN; sowie BSG, Urteil vom 4. Juni 1998 – B 12 KR 5/97 R; jeweils mwN).
Rz. 35
Das Landgericht hat, wie dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnommen werden kann, diese Würdigung vorgenommen. Dabei durfte es in seine Überlegungen ergänzend einbeziehen, dass der Angeklagte sich in diversen Urkunden selbst als Arbeitgeber dargestellt hatte. Bei der Beurteilung, ob ein Arbeitsverhältnis vorliegt, sind zwar allein die tatsächlichen Verhältnisse entscheidend (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2009 – 1 StR 478/09; Urteil vom 2. Dezember 2008 – 1 StR 416/08). Das Landgericht hat aber diese Urkunden nicht zu einer von den tatsächlichen Verhältnissen abweichenden Beurteilung herangezogen, sondern sich lediglich in seiner Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse bestätigt gesehen.
Rz. 36
(2) Der Senat hat geprüft, ob das Landgericht zu Recht angenommen hat, dass der Angeklagte neben den Arbeitgeberbeiträgen (§ 266a Abs. 2 StGB) auch sog. Arbeitnehmerbeiträge (§ 266a Abs. 1 StGB) vorenthalten hat. Voraussetzung hierfür ist, dass nicht nur geringfügige Beschäftigungsverhältnisse im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV in der im Tatzeitraum geltenden Fassung vorgelegen hatten (zur Bestimmung des dann jedenfalls strafrechtlich relevanten Beitragsschadens vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2010 – 1 StR 199/10, NStZ-RR 2010, 376; auch zu den Auswirkungen auf die Höhe der geschuldeten Beiträge; zur lohnsteuer[strafrecht]lichen Auswirkung vgl. Ransiek/Schauf in Kohlmann, Steuerstrafrecht, 34. Lfg., § 370 AO Rn. 1342).
Rz. 37
Hiervon brauchte die Strafkammer nicht auszugehen.
Rz. 38
Die Annahme geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse im Sinne dieser Vorschrift (sog. Entgeltgeringfügigkeit) setzt voraus, dass der Beschäftigte einer berufsmäßigen und damit regelmäßigen Tätigkeit nachgeht und dass – bei prognostischer Betrachtungsweise – sein regelmäßiges Arbeitsentgelt 400 Euro im Monat nicht übersteigt, wobei gelegentliche Überschreitungen unschädlich sind (vgl. Rolfs in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 13. Aufl., § 8 SGB IV Rn. 9).
Rz. 39
Nach den Feststellungen des Landgerichts waren jedoch, soweit im Mai und Juni sowie August 2007 überhaupt vereinzelt Arbeitnehmer als geringfügig Beschäftigte gemeldet wurden, diese tatsächlich in größerem Umfang tätig geworden. Auch hatten im Jahr 2009 drei Arbeitnehmer in einem Monat entgegen monatlicher Lohnabrechnungen nicht nur geringfügig, sondern ausweislich von Stundenlisten in weitaus größerem Umfang gearbeitet. Bei dieser Sachlage spricht nichts dafür, dass der Angeklagte die nicht gemeldeten Arbeitnehmer – anders als die „offiziell” geringfügig Beschäftigten – tatsächlich in geringfügigem Umfang im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV aF beschäftigt haben könnte. Fernliegendes braucht jedoch nicht erörtert zu werden; eine Aufklärungsrüge ist insoweit nicht erhoben.
Rz. 40
b) Die Verkürzungsberechnung ist in den Fällen 45 bis 80 sowie 82 bis 88 der Urteilsgründe (Taten der Hinterziehung von Lohnsteuer) schon im Ausgangspunkt (hier bei der Bestimmung des Lohnaufwandes) nicht nachvollziehbar. Darüber hinaus stehen diese Feststellungen im Widerspruch zu den Feststellungen, die das Landgericht in den Fällen 21 bis 34 (Taten nach § 266a StGB) bei deckungsgleichen Zeiträumen getroffen hat. Die Einzelstrafaussprüche können daher insoweit insgesamt nicht bestehen bleiben.
Rz. 41
(1) In den Fällen 45 bis 80 sowie 82 bis 88 der Urteilsgründe hält die Ermittlung verkürzter Lohnsteuer rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Rz. 42
Das Landgericht hat seine Lohnsteuerverkürzungsberechnung ausgehend von einem geschätzten Lohnaufwand von zwei Drittel der „getätigten” Nettoausgangsumsätze vorgenommen. Dabei hat es Scheinvorgänge ([Teil]scheinrechnungen an die Firma Pro … GmbH) gänzlich bzw. anteilsmäßig unberücksichtigt gelassen.
Rz. 43
Zur Bestimmung der getätigten Nettoausgangsumsätze hat es sich ersichtlich an den Geldbeträgen orientiert, die der Angeklagte seinen Abnehmern in Rechnung gestellt hatte. Die (auch) zu diesem Zwecke erstellten Auflistungen von Ausgangsrechnungen ergeben jedoch in Summe nicht diejenigen Beträge, die das Landgericht letztlich bei seiner weiteren Verkürzungsberechnung zu Grunde gelegt hat. Vielmehr ergibt eine Addition der um Scheinvorgänge „bereinigten” Rechnungsbeträge einen – teilweise erheblich – niedrigeren Betrag. Dass das Landgericht ohne nähere Erörterung Weiteres eingerechnet haben könnte, liegt hier eher fern. Zwar hat es, wie dargelegt, anhand einer Kontenliste der Pro … GmbH festgestellt, dass weitere Zahlungen der Pro … GmbH an die Unternehmen des Angeklagten geleistet worden waren, für die keine Ausgangsrechnungen des Angeklagten vorlagen. Dagegen, dass das Landgericht auch diese Beträge berücksichtigt haben könnte, spricht hier aber schon, dass nach den Urteilsfeststellungen der Angeklagte der Pro … GmbH in großem Umfang Scheinrechnungen erteilt hatte. Lägen, was das Landgericht bezogen auf diese Zahlungen nicht erörtert hat, auch insoweit Scheinvorgänge zu Grunde, bestünde jedenfalls auf Grundlage der bisherigen Feststellungen kein erkennbarer unmittelbarer Zusammenhang zwischen den Zahlungen an den Angeklagten und den Lohnzahlungen an seine Arbeitnehmer.
Rz. 44
(2) Die in den Fällen 21 bis 34 (Taten nach § 266a StGB) getroffenen Feststellungen stehen im Widerspruch mit den Feststellungen, die das Landgericht bei deckungsgleichen Zeiträumen zur Bestimmung der Höhe der Lohnsteuerverkürzung getroffen hat. Das Landgericht geht nämlich bei den Taten nach § 266a StGB von anderen Grundlagen aus. Angesichts dieser Widersprüchlichkeit können auch die Strafaussprüche in den Fällen 21 bis 34 der Urteilsgründe keinen Bestand haben.
Rz. 45
Das Landgericht ist zwar, im Ausgangspunkt zutreffend, bei der Bestimmung der Höhe der Beitragsschäden nach § 266a StGB von derselben Prämisse wie bei der Bestimmung der Lohnsteuerverkürzung ausgegangen, indem es auch hier den monatlichen Lohnaufwand jeweils auf zwei Drittel der getätigten Nettoumsätze geschätzt hat.
Rz. 46
Bei den Taten nach § 266a StGB hat es aber, insoweit abweichend von der Verkürzungsberechnung bei der Lohnsteuer, für jeden Beitragsmonat jeweils getrennte Berechnungen der getätigten Nettoumsätze vorgenommen, indem es hier einzelne im jeweiligen Monat angefallene Ausgangsrechnungsbeträge separat aufaddiert hat. Insoweit ist das Landgericht also in jedem Beitragsmonat zu anderen Nettoausgangsumsätzen und zu einem anderen Lohnaufwand gelangt.
Rz. 47
Bei der Berechnung der Lohnsteuerverkürzung hat das Landgericht hingegen ausgehend von Jahresumsätzen die pro Jahr verkürzte Lohnsteuer errechnet und diesen Betrag durch Division gleichmäßig auf die einzelnen Monate „umgelegt”. Der Sache nach ist es bezogen auf die Lohnsteuer für jeden Anmeldungszeitraum eines Kalenderjahres von einem identischen Lohnaufwand ausgegangen.
Rz. 48
Diese unterschiedliche Vorgehensweise bei der Bestimmung der monatlichen Lohnaufwendungen führt dazu, dass das Landgericht bei den weiteren Berechnungen bei identischen Zeiträumen einander widersprechende Ausgangszahlen zu Grunde gelegt hat. Schon infolge dieser Widersprüchlichkeit ist der vom Landgericht bei den Taten nach § 266a StGB angenommene Schuldumfang nicht nachvollziehbar: Somit sind auch die für diese Taten verhängten Einzelstrafaussprüche aufzuheben.
Rz. 49
c) Die aufgezeigten Rechtsfehler betreffen allein die Bestimmung des Schuldumfangs. Sie berühren den Schuldspruch insoweit nicht. Der Senat kann ausschließen, dass in einzelnen Monaten Sozialversicherungsbeiträge nicht vorenthalten bzw. Lohnsteuer nicht hinterzogen worden sind.
Rz. 50
3. In den Fällen 89 bis 90 der Urteilsgründe (Taten der Hinterziehung von Lohnsteuer in den Monaten August und September 2009) tragen die bisherigen Feststellungen den Schuldspruch nicht. Die Urteilsgründe verhalten sich nicht eindeutig zum Ende der tatsächlichen Geschäftstätigkeit des Angeklagten; Ausgangsrechnungen, die auf eine fortdauernde Geschäftstätigkeit des Angeklagten schließen lassen könnten, sind jedenfalls bislang nicht festgestellt. Es ist daher nicht auszuschließen, dass es insoweit zu keiner Hinterziehung von Lohnsteuer mehr kam.
Rz. 51
4. Damit haben lediglich in den Fällen 40 bis 44 der Urteilsgründe die Schuld- und die Einzelstrafaussprüche Bestand, wohingegen in den Fällen 89 bis 90 der Urteilsgründe bereits der Schuld- und damit auch der zugehörige Einzelstrafausspruch entfällt.
Rz. 52
In den Fällen 21 bis 39, 45 bis 80 und 82 bis 88 der Urteilsgründe entfallen bei bleibendem Schuldspruch die Einzelstrafaussprüche; die zu den Strafaussprüchen gehörigen getroffenen Feststellungen werden ebenfalls aufgehoben. Hiervon ausgenommen sind die Feststellungen zu von dem Angeklagten erstellten, auf UA S. 12 bis UA S. 22 aufgelisteten Ausgangsrechnungen, auch soweit festgestellt ist, ob und in welchem Umfang diesen Rechnungen Leistungen zu Grunde lagen.
Rz. 53
Die Aufhebung der genannten Einzelstrafaussprüche und der Verurteilung in den Fällen 89 und 90 zieht die Aufhebung des Gesamtstrafausspruchs nach sich.
IV.
Rz. 54
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat ergänzend auf Folgendes hin:
Rz. 55
1. Es ist dem Tatrichter grundsätzlich gestattet, bei der Bestimmung des Beitragsschadens nach § 266a StGB bzw. der hinterzogenen Lohnsteuer die Höhe des an Arbeitnehmer ausbezahlten Schwarzlohns zu schätzen, soweit zu einer konkreteren Bestimmung – etwa anhand erbrachter Arbeitszeiten und konkreter, branchenüblicher oder tarifvertraglicher Stundenlöhne – keine zuverlässigen Beweismittel zur Verfügung stehen oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand und ohne nennenswerten zusätzlichen Erkenntnisgewinn zu beschaffen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2009 – 1 StR 283/09, NStZ 2010, 635, 636). Er darf dann eine branchenübliche Lohnquote – und zwar eine Nettolohnquote – des jeweils verfahrensgegenständlichen Gewerbes ermitteln und diese als Schätzgrundlage der weiteren Berechnung zugrunde legen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2009 – 1 StR 283/09, NStZ 2010, 635, 636; Urteil vom 2. Dezember 2008 – 1 StR 416/08, NJW 2009, 528, 529). In Fällen illegaler Beschäftigung kann der Tatrichter dabei in der Regel verhältnismäßig höhere Nettolohnquoten zu Grunde legen, als sie bei legaler Beschäftigung branchenüblich sind (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2009 – 1 StR 283/09, NStZ 2010, 635, 636 f.). Das Landgericht hat bislang angesichts der Lohn- und Dienstleistungsintensität der Branche des Angeklagten eine Nettolohnquote von 66 % veranschlagt und sich insoweit an den Verhältnissen der ebenfalls lohnintensiven Baubranche orientiert. Diese Vorgehensweise erscheint jedenfalls auf Grundlage der bisherigen Erkenntnisse als tragfähig.
Rz. 56
2. Wird in den Urteilsgründen eine Vielzahl von Rechnungen tabellarisch aufgeführt, so kann es sinnvoll sein, eine Darstellungsweise zu wählen, die sich an den jeweiligen Straftaten und den Tatzeiträumen orientiert. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Zahlenwerk – abhängig von der jeweiligen Straftat – in unterschiedlichem Umfang herangezogen werden soll. Eine summarische Zusammenfassung (ebenfalls orientiert am Tatzeitraum und Tatvorwurf) ist ebenfalls hilfreich.
Rz. 57
3. Will der Tatrichter neben tabellarisch aufgelisteten Rechnungen namentlich für denselben Tatzeitraum weitere Beträge berücksichtigen, die hierin nicht enthalten sind, ist es geboten, dies in den Urteilsgründen näher zu erläutern.
Unterschriften
Herr RiBGH Dr. Wahl ist urlaubsabwesend und deshalb an der Unterschrift gehindert. Nack, Nack, Graf, Jäger, Radtke
Fundstellen
Haufe-Index 3707832 |
BFH/NV 2013, 1213 |
wistra 2013, 277 |
PStR 2013, 167 |
StBp 2015, 349 |
ZWH 2013, 274 |