Entscheidungsstichwort (Thema)
Auswirkung der Forderungsabtretung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach Erlass eines vorläufigen Verfügungsverbots auf den Drittschuldner
Leitsatz (amtlich)
Tritt der Schuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach Erlass eines vorläufigen Verfügungsverbots eine ihm zustehende Forderung an einen anderen ab, wird der Drittschuldner durch die Zahlung an den Scheinzessionar nicht von seiner Verbindlichkeit befreit.
Normenkette
InsO § 81 Abs. 1 S. 1, § 82; BGB § 407 Abs. 1, § 408 Abs. 1, § 409 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Hamburg (Urteil vom 29.11.2011; Aktenzeichen 9 U 69/11) |
LG Hamburg (Entscheidung vom 24.03.2011; Aktenzeichen 326 O 99/10) |
Tenor
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des 9. Zivilsenats des Hanseatischen OLG vom 29.11.2011 wird auf Kosten der Nebenintervenientin zurückgewiesen.
Der Streitwert wird auf 1.942.909,15 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Kläger ist Verwalter in dem auf den Antrag vom 1.8.2003 über das Vermögen des N. P. (nachfolgend: Schuldner) am 11.9.2003 eröffneten Insolvenzverfahren. Bereits am 14.8.2003 hatte das Insolvenzgericht den Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt. Diese Maßnahmen wurden am 1.9.2003 veröffentlicht.
Rz. 2
Dem Schuldner standen aus der Verwertung von Urheberrechten Forderungen erheblicher Höhe gegen die Nebenintervenientin zu, die nur in deren Einverständnis übertragen werden durften. Diese Forderungen trat der Schuldner nach dem 14.8.2003 an die Beklagte, seine Ehefrau, ab. Nach Vorlage der Abtretungsurkunde erklärte die Nebenintervenientin am 28.8.2003 ihr Einverständnis mit der Forderungsabtretung. Im Zeitraum der Jahre 2005/2006 zahlte die Nebenintervenientin 1.942.909,15 EUR an die Beklagte aus.
Rz. 3
Der Kläger verlangt gestützt auf § 816 Abs. 2 BGB, § 82 InsO von der Beklagten Erstattung dieses Betrages. Er macht ausdrücklich geltend, durch die Erhebung der vorliegenden Klage, den Zahlungsvorgang nicht genehmigen zu wollen. Das OLG hat die erstinstanzlich erfolgreiche Klage abgewiesen. Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision verfolgt die Nebenintervenientin für den Kläger dessen Begehren weiter.
II.
Rz. 4
Die Beschwerde deckt keinen Zulassungsgrund auf. Die Sache ist im Übrigen nach der eindeutigen Rechtslage zutreffend entschieden. Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte aus § 816 Abs. 2 BGB scheidet aus, weil die Nebenintervenientin durch die Zahlung an die Beklagte nicht mit Wirkung gegenüber dem Kläger von ihrer Verbindlichkeit befreit wurde.
Rz. 5
1. Der Zahlung der Nebenintervenientin an die Beklagte kommt im Verhältnis zu dem Kläger keine schuldbefreiende Wirkung zu. Der zu beurteilende Leistungsvorgang wird nicht durch die Vorschrift des § 82 Satz 1 InsO erfasst, die infolge des hier gegen den Schuldner angeordneten vorläufigen Verfügungsverbots nach §§ 24 Abs. 1, 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO grundsätzlich anwendbar ist.
Rz. 6
a) Die Bestimmung des § 82 InsO schützt den Leistenden in seinem Vertrauen auf die Empfangszuständigkeit seines Gläubigers, wenn ihm die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über dessen Vermögen solange unbekannt geblieben ist, wie er den Leistungserfolg noch zu verhindern vermag (BGH, Urt. v. 16.7.2009 - IX ZR 118/08, BGHZ 182, 85 Rz. 9). Der Schutz des § 82 InsO beschränkt sich allerdings auf den guten Glauben des Leistenden in den Fortbestand der zum Zeitpunkt des Entstehens der Verbindlichkeit noch gegebenen, durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder den Erlass eines vorläufigen Verfügungsverbots nachträglich entfallenden Empfangszuständigkeit des Schuldners. Die Vorschrift greift hingegen nicht zugunsten des Leistenden ein, wenn durch eine von dem Schuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach Erlass eines vorläufigen Verfügungsverbots getroffene Verfügung - gleich ob im Wege einer Forderungsabtretung (§§ 398 ff. BGB) oder einer Einziehungsermächtigung (§§ 362 Abs. 2, 185 Abs. 1 BGB) - die Einziehungsbefugnis eines Dritten begründet werden soll. Verfügungen des Schuldners nach Verfahrenseröffnung oder nach Erlass eines vorläufigen Verfügungsverbots sind - abgesehen von Fällen eines grundbuchmäßigen Gutglaubensschutzes - gem. § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO schlechthin unwirksam. Beruht das Einziehungsrecht eines Dritten auf einer solchen Verfügung, ist die Regelung des § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO mit der dort enthaltenen Nichtigkeitsfolge gegenüber § 82 InsO vorrangig.
Rz. 7
Ermächtigt danach der noch uneingeschränkt verfügungsbefugte Schuldner einen anderen zum Empfang einer Leistung (§§ 362 Abs. 2, 185 Abs. 1 BGB), wird ein Drittschuldner im Falle einer nach Verfahrenseröffnung an den Ermächtigten bewirkten Leistung gem. § 82 Satz 1 InsO von seiner Schuld befreit, wenn er keine Kenntnis von der Verfahrenseröffnung hatte. Erteilt der Schuldner die Ermächtigung hingegen erst nach Verfahrenseröffnung oder nach Erlass eines Verfügungsverbots (§§ 81 Abs. 1 Satz 1, 24 Abs. 1, 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO), ist die Ermächtigung als Verfügung unwirksam. Dann kommt einer Leistung auch des gutgläubigen Drittschuldners an den vermeintlich Ermächtigten keine schuldbefreiende Wirkung zu (MünchKomm/InsO/Ott/Vuia, 2. Aufl., § 82 Rz. 3b; Jaeger/Windel, InsO, § 82 Rz. 11; Lüke in Kübler/Prütting/Bork, InsO 2010, § 82 Rz. 5; BK-InsO/v. Olshausen, 2011, § 82 Rz. 6).
Rz. 8
b) Daran anknüpfend ist im Streitfall für eine schuldbefreiende Leistung der Nebenintervenientin an die Beklagte kein Raum, weil es an einem rechtsbeständigen Forderungserwerb durch diese fehlt (vgl. B. Schäfer, ZInsO 2008, 16, 17 f.). Die von dem Schuldner zugunsten der Beklagten erklärte Abtretung der gegen die Nebenintervenientin gerichteten Forderung ging infolge des ihm zuvor auferlegten Verfügungsverbots ins Leere (§§ 81 Abs. 1 Satz 1, 24 Abs. 1, 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO). Zahlungen der Nebenintervenientin als Drittschuldnerin an die Beklagte als vermeintliche Zessionarin konnten mangels eines gültigen Forderungserwerbs ebenso wie bei einer unwirksamen Ermächtigung keine Schuldbefreiung entfalten (vgl. RGZ 83, 184, 189; RG LZ 1913 Nr. 5 Sp. 395, 398; B. Schäfer, a.a.O.; MünchKomm/InsO/Ott/Vuia, a.a.O., § 82 Rz. 3d; Jaeger/Henckel, KO, 9. Aufl., § 7 Rz. 20; Lüke in Kübler/Prütting/Bork, a.a.O., § 82 Rz. 4; BK-InsO/v. Olshausen, a.a.O., § 82 Rz. 7; Piekenbrock in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, § 82 InsO Rz. 6).
Rz. 9
2. Die Nebenintervenientin ist weder gem. §§ 407 Abs. 1, 408 Abs. 1 und 2 BGB noch nach Maßgabe des § 409 Abs. 1 BGB durch die Zahlung an die Beklagte von ihrer Verbindlichkeit frei geworden.
Rz. 10
a) Nach Insolvenzeröffnung oder dem Erlass eines Verfügungsverbots (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO) kommt eine Schuldbefreiung nach Maßgabe der §§ 407, 408 BGB nur in Betracht, soweit diese Regelungen nicht mit §§ 81 Abs. 1 Satz 1, 82 Satz 1 InsO kollidieren. § 82 InsO bietet wie die im Wesentlichen inhaltsgleiche (BT-Drucks. 12/2443, 136) Vorgängerregelung des § 8 KO eine besondere, abschließende Vergünstigung (BGH, Urt. v. 12.11.1998 - IX ZR 145/98, BGHZ 140, 54, 59; vom 16.7.2009, a.a.O., Rz. 13). Sonstige Befreiungstatbestände sind darum nach Eingreifen insolvenzrechtlicher Verfügungsverbote grundsätzlich nicht mehr beachtlich (vgl. BGH, Urt. v. 24.4.1986 - VII ZR 248/85, ZIP 1986, 720).
Rz. 11
b) Auch aus § 409 Abs. 1 BGB kann die Nebenintervenientin im Blick auf die Zahlung an die Beklagte keine Rechte herleiten.
Rz. 12
Diese Vorschrift geht davon aus, dass der Gläubiger, der die Abtretungsanzeige oder Abtretungsurkunde ausstellt, über die Forderung verfügen kann; nur dann ist es nämlich gerechtfertigt, ihn trotz der Unwirksamkeit der angezeigten Abtretung an seiner Erklärung festzuhalten. Die Erklärung eines nicht verfügungsberechtigten Gläubigers kann diese Wirkung ebenso wenig haben wie eine Erklärung, die ein Nichtgläubiger abgibt (BGH, Urt. v. 5.2.1987 - IX ZR 161/85, BGHZ 100, 36, 46). Die Regelung des § 409 BGB ist also unanwendbar, wenn der angezeigten Abtretung ein Abtretungsverbot entgegensteht (BGH, Urt. v. 5.7.1971 - II ZR 176/68, BGHZ 56, 339, 345). Im Streitfall ist § 409 Abs. 1 BGB danach nicht anwendbar, weil der Schuldner infolge der Anordnung nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO nicht mehr verfügungsbefugt war (MünchKomm/InsO/Ott/Vuia, a.a.O.; Piekenbrock, a.a.O.; BK-InsO/v. Olshausen, a.a.O.; a.A. Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 82 Rz. 10).
Rz. 13
3. Vor diesem Hintergrund scheitert die Rüge einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG bereits an der fehlenden Entscheidungserheblichkeit, weil die Nebenintervenientin auch im Falle ihrer Gutgläubigkeit nicht schuldbefreiend an die Beklagte geleistet hat.
Fundstellen
Haufe-Index 3207268 |
DB 2012, 1808 |
DStR 2012, 12 |
DStR 2012, 1971 |
EBE/BGH 2012 |
NJW-RR 2012, 1130 |
EWiR 2012, 671 |
WM 2012, 1553 |
ZIP 2012, 1565 |
ZIP 2012, 5 |
DZWir 2012, 2 |
DZWir 2012, 524 |
JZ 2012, 608 |
MDR 2012, 1187 |
NZI 2012, 7 |
NZI 2012, 807 |
ZInsO 2012, 1417 |
GWR 2012, 496 |
GuT 2013, 137 |
NJW-Spezial 2012, 629 |
ZVI 2012, 344 |