Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts
Leitsatz (amtlich)
1. Die Wirksamkeit eines in der mündlichen Verhandlung im Anschluß an die Verkündung des Urteils erklärten Rechtsmittelverzichts ist nicht davon abhängig, daß er ordnungsgemäß protokolliert wird.
2. Sind das Protokoll oder die vorläufigen Protokollaufzeichnungen unter Verstoß gegen § 162 Abs. 1 ZPO den Beteiligten nicht vorgelesen und von ihnen nicht genehmigt worden, fehlt dem Protokoll insoweit die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde. Der Rechtsmittelverzicht kann in diesem Fall aber auf andere Weise bewiesen werden.
Normenkette
ZPO § 160 Abs. 3 Nr. 9, § 162 Abs. 1, § 514
Verfahrensgang
OLG Hamm (Entscheidung vom 18.03.1983) |
AG Essen |
Tenor
Die weitere Beschwerde gegen den Beschluß des 2. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm vom 18. März 1983 wird auf Kosten der Antragsgegnerin zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 4.618,20 DM.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 17. September 1980, zu der die Parteien und ihre Verfahrensbevollmächtigten erschienen waren, ein Verbundurteil verkündet, durch das die Ehe der Parteien geschieden, die elterliche Sorge für den gemeinsamen Sohn M. der Ehefrau (Antragsgegnerin) übertragen und der Versorgungsausgleich geregelt worden ist. Im Anschluß daran wurden Rechtsmittelverzichtserklärungen abgegeben. Die Sitzungsniederschrift stellt hierzu fest:
„Die Parteien und ihre Vertreter verzichten auf Rechtsmittel Anschlußrechtsmittel und die Anträge aus § 629c ZPO sowie auf Urteilsbegründung.”
Einen Vermerk, daß diese Erklärungen vorgelesen und genehmigt worden sind, enthält das Protokoll nicht.
Die Ehefrau hat gegen die Regelung des Versorgungsausgleichs Beschwerde eingelegt, wobei sie die Auffassung vertreten hat, ihr Rechtsmittelverzicht habe sich nur auf den Scheidungsausspruch bezogen. Das Oberlandesgericht hat nach einer Beweisaufnahme über den Inhalt der Verzichtserklärungen die Beschwerde als unzulässig verworfen.
Mit der weiteren Beschwerde macht die Ehefrau geltend, ihr Rechtsmittelverzicht sei unwirksam, weil er nicht formgerecht protokolliert worden sei.
II.
Die weitere Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Das Oberlandesgericht hat aufgrund der Beweisaufnahme festgestellt, daß die Rechtsanwälte der Parteien im Anschluß an die Verkündung des Verbundurteils vor dem Familiengericht uneingeschränkt auf Rechtsmittel verzichtet haben. Es hat offengelassen, ob die entsprechenden Protokollaufzeichnungen gemäß § 162 Abs. 1 ZPO den Beteiligten vorgelesen und von ihnen genehmigt worden sind, weil die Wirksamkeit der darin liegenden Prozeßhandlungen nicht von einer ordnungsgemäßen Protokollierung abhängig sei.
Diese Beurteilung hält den Angriffen der weiteren Beschwerde stand.
a) Zutreffend hat das Oberlandesgericht den Rechtsmittelverzicht in der vorliegenden Sache als Prozeßhandlung eingeordnet, da er in einer mündlichen Verhandlung vor dem Prozeßgericht abgegeben worden ist (vgl. BGHZ 2, 112, 116; Senatsbeschluß vom 8. Juli 1981 – IVb ZB 660/80 – NJW 1981, 2816 = FamRZ 1981, 947). Voraussetzung für seine Wirksamkeit ist damit u.a. die Postulationsfähigkeit der Erklärenden. Da es sich um ein Verfahren mit Anwaltszwang handelte (§ 78 Abs. 1 Satz 2 ZPO), kommt es nur auf die Bandlungen der Parteivertreter an und waren die gleichzeitig von den Parteien persönlich abgegebenen Verzichtserklärungen ohne rechtliche Bedeutung. Daß die letzteren, wären sie außerhalb der mündlichen Verhandlung gegenüber der anderen Partei abgegeben worden, formlos wirksam gewesen wären (BGH, Urteil vom 3. April 1974 – IV ZR 83/73 – NJW 1974, 1248, 1249), steht dem nicht entgegen.
b) In § 160 Abs. 3 ZPO ist die Feststellung einiger bedeutsamer Prozeßhandlungen im Protokoll vorgeschrieben, darunter auch diejenige des Rechtsmittelverzichts (Nr. 9). Dies ist im vorliegenden Fall auch geschehen. Jedoch enthält das Protokoll entgegen § 162 Abs. 1 Satz 3 ZPO keinen Vermerk darüber, daß die vorläufigen Aufzeichnungen (hier: Stenogramm) insoweit den Beteiligten vorgelesen und von ihnen genehmigt worden sind. Da das Oberlandesgericht zum tatsächlichen Ablauf der Verhandlung auch nichts anderes festgestellt hat, ist davon auszugehen, daß die durch § 162 Abs. 1 Satz. 2 ZPO vorgeschriebene Verlesung unterblieben ist und die beteiligten Rechtsanwälte sich nicht zur Genehmigung geäußert haben.
In Rechtsprechung und Schrifttum ist umstritten, welche Folgen derartige Verstöße gegen Protokollierungsvorschriften für die Wirksamkeit der betroffenen Prozeßhandlungen haben. Die wohl herrschende Meinung geht dahin, daß deren Wirksamkeit – abgesehen vom Fall des Prozeßvergleichs – von der ordnungsgemäßen Protokollierung nicht abhängt (vgl. BSG MDR 1981, 612; LSG Baden-Württemberg Justiz 1980, 453 – für die Klagerücknahme; Baumbach/Lauterbach/Hartmann ZPO 42. Aufl. Einf. 3 zu §§ 159 – 165 und § 162 Anm. 1; Thomas/Putzo ZPO 12. Aufl. § 159 Anm. 4; Zöller/Vollkommer ZPO 13. Aufl. Anm. IV vor § 306 – für das Anerkenntnis und den Verzicht; Rosenberg/Schwab Zivilprozeßrecht 13. Aufl. § 65 II 1 S. 364, § 107 IV 2 S. 619 und – für das Anerkenntnis – § 134 IV 4 S. 804; Blomeyer Zivilprozeßrecht – 1963 – § 53 IV 3 S. 258; s.a. Baumgärtel, Wesen und Begriff der Prozeßhandlung einer Partei im Zivilprozeß – 1957 – S. 202 Fn. 124). Demgegenüber wird in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zunehmend die Auffassung vertreten, daß die Protokollierungsvorschriften zwingende Förmlichkeiten enthielten, deren Nichtbeachtung die Prozeßhandlung unwirksam mache (so für den Rechtsmittelverzicht OLG Celle NdsRpfl. 1981, 197 und OLG Hamm Rpfl. 1982, 111, dem Baumbach/Lauterbach/Albers a.a.O. § 514 Anm. 2 Aa und Thomas/Putzo a.a.O. § 514 Anm. 3a zustimmen; für das Anerkenntnis vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 1983, 721, 723). Auch Wieczorek (ZPO 2. Aufl. § 162 C I) meint, daß bei Verstößen gegen § 162 Abs. 1 ZPO, insbesondere bei fehlender Verlesung, die betroffenen Parteierklärungen unwirksam seien.
c) Der Senat schließt sich der erstgenannten Auffassung an.
aa) Wie das Bundessozialgericht (a.a.O.) mit Recht ausführt, fehlt jeder Anhalt im Gesetz dafür, daß die Wirksamkeit der in § 162 Abs. 1 Satz 1 ZPO aufgezählten – einseitigen – Parteihandlungen von einer ordnungsgemäßen Protokollierung abhängig sein soll. Grundsätzlich werden derartige Prozeßhandlungen in der mündlichen Verhandlung allein durch die Erklärung gegenüber dem Gericht vollzogen und damit perfekt (Rosenberg/Schwab a.a.O. S. 364). Die Sitzungsniederschrift, die alle wesentlichen Vorgänge der Verhandlung zutreffend wiedergeben soll, dient im wesentlichen Beweiszwecken, wie in den §§ 165, 314 ZPO zum Ausdruck kommt. Daß ein Vorgang nur durch das Protokoll bewiesen werden kann, ist nach § 165 Satz 1 ZPO die Ausnahme und gilt lediglich für die Beachtung der „für die mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten”, zu denen diese Parteihandlungen nicht gehören (so schon RGZ 10, 367 für den Klageverzicht). Das in Bezug auf diese durch § 162 Abs. 1 ZPO vorgeschriebene Verfahren (Verlesung und Genehmigung ist nicht im Sinne eines Formerfordernisses zu verstehen, sondern es soll für die Richtigkeit des Protokolls zusätzliche Gewähr bieten. Im Stadium des Verlesens ist die Sitzungsniederschrift noch Entwurf (vgl. § 163 ZPO); da es sich um besonders bedeutsame Parteierklärungen handelt, soll urkundlich geklärt werden, inwieweit das Gericht und die Beteiligten in diesem Punkt über die Richtigkeit des Protokolls übereinstimmen (so zutreffend Baumbach/Lauterbach/Hartmann a.a.O. § 162 Anm. 1). Diese Auslegung wird durch folgende Überlegung bestätigt: Wird nach dem Verlesen die Genehmigung verweigert, ergibt sich aus § 162 Abs. 1 Satz 3 ZPO, daß die betroffene Prozeßhandlung nicht allein deswegen unwirksam ist. In diesem Falle sind vielmehr die erhobenen Einwendungen im Protokoll zu vermerken, d.h., es ist in ihm aufzunehmen, warum die Genehmigung nicht erteilt worden ist. Über den Wert der Einwendungen hat später das Gericht frei zu befinden; es kann also die Einwendungen zurückweisen und die nicht genehmigte Prozeßhandlung als wirksam ansehen (vgl. Stein/Jonas/Pohle ZPO 19. Aufl. § 162 Anm. II).
bb) Die Oberlandesgerichte Düsseldorf und Celle (a.a.O.) sehen demgegenüber den Zweck des § 162 Abs. 1 ZPO darin, die Parteien vor Übereilung zu schützen und ihnen noch einmal genau vor Augen zu führen, was sie erklärt haben. Abgesehen davon, daß – wie ausgeführt – eine Verweigerung der Genehmigung die Wirksamkeit des bereits Erklärten nicht immer berührt, wird hierbei aber nicht berücksichtigt, daß prozessuale und materiell-rechtliche Formvorschriften verschiedene Aufgaben haben. Die ersteren sollen den sicheren Ablauf des Verfahrens gewährleisten, während nur für die letzteren Zwecke wie der Schutz vor Übereilung, die Abschluß- und Inhaltsklarheit, die fachmännische Beratung usw. typisch sind (vgl. Baumgärtel a.a.O. S. 110). Auch wenn man § 162 Abs. 1 ZPO als Formvorschrift ansehen wollte, handelte es sich um eine solche des Prozeßrechts, die jedenfalls bei reinen Prozeßhandlungen nicht den Schutz vor Übereilung bezwecken würde. Das hier vertretene Verständnis der Norm führt nicht dazu, daß Verstöße sanktionslos bleiben, wie das OLG Düsseldorf (a.a.O.) meint. Die Sanktion besteht darin, daß in Bezug auf die betroffene Prozeßhandlung dem Protokoll die Beweiskraft als öffentliche Urkunde fehlt. Entsteht Streit darüber, muß gegebenenfalls eine Klärung im Wege der Beweisaufnahme erfolgen, wie sie im vorliegenden Fall das Oberlandesgericht zu Recht vorgenommen hat.
cc) Daß beim Prozeßvergleich die Einhaltung des § 162 Abs. 1 ZPO nach allgemeiner Ansicht Wirksamkeitsvoraussetzung ist (BGHZ 16, 388, 390; BAG 8, 228, 232 f.; KG FamRZ 1981, 193, 194 m.w.N.; Rosenberg/Schwab a.a.O. § 132 I 3 S. 773 f.), ist vornehmlich in dessen Doppelnatur begründet; er ist sowohl Prozeßhandlung als auch Rechtsgeschäft im materiell-rechtlichen Sinne (BGHZ 79, 71, 74 m.w.N.). Erfordert das materiell-rechtliche Rechtsgeschäft die notarielle Beurkundung, wird diese Form nach § 127a BGB durch die Aufnahme der Erklärungen in ein nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung errichtetes Protokoll ersetzt. Wie aus § 13 Abs. 1 Satz 1 BeurkG folgt, ist bei der notariellen Beurkundung das Verlesen der Niederschrift und die anschließende Genehmigung durch die Beteiligten ein zwingendes Erfordernis, dessen Nichteinhaltung die Unwirksamkeit der Beurkundung nach sich zieht. Beim Abschluß des Prozeßvergleichs müssen die Protokollierungsvorschriften der ZPO auch die Zwecke miterfüllen, die sonst materiell-rechtlichen Formvorschriften zugrundeliegen (vgl. dazu oben bb). Auch stellt der Prozeßvergleich einen Vollstreckungstitel dar (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO); eine Vollstreckung ist aber praktisch nur möglich, wenn eine ordnungsgemäße Beurkundung erfolgt. All dies gilt nicht für einseitige Prozeßhandlungen, wie sie Rechtsmittelverzichte, Zurücknahmen der Klage oder eines Rechtsmittels sowie Klageanerkenntnisse und – verzichte darstellen. Es ist somit nicht gerechtfertigt, auf diese die für Prozeßvergleiche geltenden Grundsätze zu übertragen.
dd) Aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes ergeben sich entgegen der Auffassung der weiteren Beschwerde keine Gesichtspunkte, die gegen die Richtigkeit der hier vertretenen Auffassung sprechen könnten. Als durch das Gesetz vom 20.12.1974 (BGBl. I 3651) das Verfahren nach § 162 Abs. 1 ZPO auf die Fälle der Zurücknahme der Klage oder eines Rechtsmittels und des Rechtsmittelverzichts ausgedehnt wurde, hat der Gesetzgeber dies allein damit begründet, daß die Protokollierung dieser für das Verfahren entscheidenden Erklärungen im Interesse der Klarheit und Rechtssicherheit notwendig erscheine und einer weitgehend geübten Praxis entspreche (vgl. BT-Drucks. 6/790 S. 42 und 7/2769 S. 5). Bereits damals entsprach es der herrschenden Meinung, daß die Wirksamkeit des prozessualen Anerkenntnisses, dessen Feststellung im Protokoll nebst Verlesung und Genehmigung schon vorgeschrieben war, von einer ordnungsgemäßen Protokollierung nicht abhängig ist (vgl. z.B. Stein/Jonas/Schumann/Leipold a.a.O. – 1972 – § 307 Anm. II 5; Zöller/Vollkommer a.a.O. 12. Aufl. 1972 Anm. IV vor §§ 306, 307; Baumbach/Lauterbach a.a.O. 30. Aufl. 1970 § 307 Anm. 2 B; Rosenberg/Schwab a.a.O. 10. Aufl. 1969 § 134 IV 4a S. 750; München OLGE 35, 127), Der Gesetzgeber hat indessen weder bei der Formulierung der Gesetzesänderungen noch sonst zum Ausdruck gebracht, von dieser Auffassung abrücken zu wollen.
2. Nach alledem hat das Oberlandesgericht zu Recht den vom Verfahrensbevollmächtigten der Ehefrau abgegebenen Rechtsmittelverzicht als wirksam angesehen und daraus die Unzulässigkeit der Beschwerde hergeleitet. Seine Ausführungen, daß der Verzicht uneingeschränkt erklärt wurde und sich daher auch auf die Entscheidung über den Versorgungsausgleich bezogen hat, werden von der weiteren Beschwerde nicht angegriffen. Sie stehen im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats, wonach es auf den objektiven Sinn derartiger Verzichtserklärungen ankommt (Senatsbeschluß vom 8. Juli 1981 a.a.O.).
Fundstellen
Haufe-Index 609553 |
JZ 1984, 391 |