Leitsatz (amtlich)
Wird der Inhalt einer Berufungsbegründungsschrift mittels Telefax vollständig durch elektrische Signale vom Sendegerät des Prozeßbevollmächtigten zum Empfangsgerät des Rechtsmittelgerichts übermittelt, dort aber infolge technischer Störungen (etwa eines Papierstaus) nicht vollständig und fehlerfrei ausgedruckt, so ist dennoch von einem im Zeitpunkt der Telefaxübermittlung erfolgten Eingang des Schriftsatzes auszugehen, wenn sein der Übertragung zugrundeliegender Inhalt anderweit einwandfrei ermittelbar ist.
Normenkette
ZPO §§ 519, 519b
Verfahrensgang
BezirksG Cottbus (Beschluss vom 21.10.1993) |
KreisG Cottbus |
Tenor
I. Dem Kläger wird für den Beschwerderechtszug Prozeßkostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Dr. N. beigeordnet. Zugleich wird angeordnet, daß der Kläger auf die Prozeßkosten des Beschwerdeverfahrens monatliche Raten in Höhe von 240 DM an die zuständige Landeskasse zu leisten hat.
II. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluß des 1. Zivilsenats des Bezirksgerichts Cottbus vom 21. Oktober 1993 in Ziff. II und III des Beschlußtenors aufgehoben.
Insoweit wird die Sache zur anderweiten Entscheidung an das Brandenburgische Oberlandesgericht in Brandenburg zurückverwiesen.
Der Beschwerdewert wird auf 90.000 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Der Kläger hat gegen das ihm am 25. Juni 1993 zugestellte klageabweisende Urteil des Kreisgerichts vom 16. Juni 1993 am 22. Juli 1993 Berufung eingelegt. Nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zum 22. September 1993 verlängert worden war, ging die vollständige schriftliche Berufungsbegründung des Klägers am 23. September 1993 beim Bezirksgericht ein; sie war am 22. September 1993 zur Post gegeben worden.
Bereits am 21. September 1993 war eine Übermittlung der Berufungsbegründung sowie eines Prozeßkostenhilfegesuchs über den Telefaxanschluß der zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten des Klägers an das Bezirksgericht vorgenommen worden. Zu den Gerichtsakten gelangten jedoch nur unvollständige, teilweise unleserliche und zerknitterte Ausdruckblätter der Telefaxübertragung; die Seite der Berufungsbegründung, welche die Unterschritt der Prozeßbevollmächtigten trägt, fehlt. Dies wurde dem Kläger durch am 5. Oktober 1993 bei seiner Prozeßbevollmächtigten eingegangene Verfügung des Bezirksgerichts mitgeteilt. Am 11. Oktober 1993 wies der Kläger darauf hin, daß das Telefax vom Anschluß seiner Prozeßbevollmächtigten ohne Fehleranzeige abgesandt worden sei, und beantragte vorsorglich Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist; die Berufungsbegründung wie auch der Prozeßkostenhilfeantrag seien am 21. September 1993 jeweils mit Unterschrift seiner Prozeßbevollmächtigten per Telefax übermittelt worden, ohne daß eine Störung des Übertragungsablaufs zu erkennen gewesen sei.
Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Gegen diesen ihm am 3. November 1993 zugestellten Beschluß richtet sich die am 9. November 1993 eingegangene sofortige Beschwerde des Klägers.
Entscheidungsgründe
II.
Das zulässige Rechtsmittel des Klägers führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache. Das Berufungsgericht hat die Feststellung, daß der Kläger die Berufungsbegründungsfrist des § 519 Abs. 2 ZPO versäumt habe, nicht verfahrensfehlerfrei getroffen.
1. Gemäß § 519 b Abs. 1 ZPO hat das Berufungsgericht von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung fristgerecht begründet worden ist. Prüfung von Amts wegen in diesem Sinne bedeutet zwar nicht Amtsermittlung der Tatsachen und Ausforschung der Wahrheit wie beim Untersuchungsgrundsatz, gebietet aber andererseits eine umfassende Prüfung des dem Gericht vorliegenden oder offenkundigen Prozeßstoffs (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 1982 – III ZR 39/81 – VersR 1982, 492). Das Berufungsgericht mußte daher alle aus dem Akteninhalt ersichtlichen Anhaltspunkte prüfen und würdigen, die für die Entscheidung der Frage von Bedeutung sein konnten, ob die Berufungsbegründung rechtzeitig eingegangen ist oder nicht. Diesem Erfordernis ist das Berufungsgericht bei Beantwortung der Frage, ob durch das am 21. September 1993 beim Bezirksgericht eingegangene Telefax die Berufungsbegründungsfrist gewahrt worden ist, nicht gerecht geworden.
2. Das Berufungsgericht hat insoweit einen Fehler in seinem eigenen Geschäftsbetrieb lediglich deswegen verneint, weil ein Verlust der fehlenden Seiten des Telefaxausdruckes der Berufungsbegründung auf dem Weg vom Empfangsgerät zur Geschäftsstelle ausgeschlossen sei. Offen läßt das Berufungsgericht jedoch, ob der fehlerhafte und unvollständige Ausdruck des Telefax seine Ursache lediglich in einer Störung des Ausdruckverfahrens im Empfangsgerät des Bezirksgerichtes hatte, nachdem zuvor die vom Sendegerät übermittelten elektrischen Signale ordnungsgemäß beim Empfangsgerät eingegangen waren. Sollte letzteres der Fall sein, könnte die Berufungsbegründung trotz des verstümmelten Ausdrucks als am 21. September 1993 beim Bezirksgericht eingegangen anzusehen sein.
a) Grundsätzlich ist eine fernschriftlich (oder per Telefax) übermittelte Rechtsmittel-(Begründungs-)Schrift in dem Zeitpunkt eingegangen, in dem sie im Empfängerapparat ausgedruckt wird (vgl. BGHZ 101, 276, 280). Dies setzt jedoch nicht unbedingt voraus, daß der Ausdruck fehlerlos und vollständig ist. In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß eine unlesbar oder verstümmelt zu den Akten gelangte fernschriftliche Begründungsschrift, deren Inhalt sich erst nachträglich feststellen läßt, mit ihrem vollständigen Inhalt (einschließlich der Unterzeichnung durch den Rechtsanwalt) als eingegangen anzusehen ist, wenn die Ursache für den Mangel der Lesbarkeit und Vollständigkeit in der Sphäre des Empfängers gelegen hat (vgl. für eine Einspruchsbegründung im Patentverfahren BGHZ 105, 40, 44). Entsprechendes gilt auch bei der Übermittlung per Telefax (vgl. BGH, Beschluß vom 12. Dezember 1990 – XII ZB 64/90 – VersR 1991, 894, 895).
Dies findet seine Rechtfertigung darin, daß im Hinblick auf den aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Grundsatz rechtsstaatlicher Verfahrensgestaltung Risiken und Unsicherheiten, deren Ursache allein in der Sphäre des Gerichts liegen, bei der Entgegennahme fristgebundener Schriftsätze nicht auf den rechtssuchenden Bürger abgewälzt werden dürfen (vgl. BVerfGE 69, 381, 386 f. m.w.N.; vgl. hierzu auch Ebnet, NJW 1992, 2986, 2987).
b) Sollte daher der Inhalt des Berufungsbegründungsschriftsatzes am 21. September 1993 zwar vollständig durch elektrische Signale vom Sendegerät der Prozeßbevollmächtigten des Klägers zum Empfangsgerät des Bezirksgerichts übermittelt worden sein, dort aber lediglich infolge technischer Störungen (etwa eines Papierstaus) nicht vollständig fehlerfrei und unverstümmelt ausgedruckt worden sein, so wäre dennoch von einem rechtzeitigen Eingang dieses fristgebundenen Schriftsatzes am 21. September 1993 auszugehen, soweit sein Inhalt, der der Übertragung zugrundelag, einwandfrei ermittelbar ist, was hier aufgrund des am 23. September 1993 eingegangenen Originals des Schriftsatzes möglich sein dürfte. Etwas anderes würde allerdings dann gelten, wenn ein Papierstau am Empfangsgerät dazu geführt hätte, daß die Verbindung während der Übermittlung abgebrochen ist, so daß auch die vollständige Signalübermittlung nicht stattfinden konnte (vgl. zu einer solchen Fallgestaltung BGH, Urteil vom 2. Oktober 1991 – IV ZR 68/91 – WM 1991, 2080, 2081).
c) Das Berufungsgericht hätte aufgrund des ihm vorliegenden Akteninhalts im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen von Amts wegen Untersuchungen darüber anstellen müssen, ob der unvollständige und verstümmelte Ausdruck des Telefax lediglich auf einer Störung des Empfangsgeräts (trotz vollständiger Übermittlung der Signale) beruhte. Denn die bei den Akten befindlichen Seiten des Telefaxausdruckes legen eine solche Annahme durchaus nahe. Die Blätter sind teilweise unregelmäßig abgerissen und im oberen oder unteren Teil zerknittert; ein Ausdruck des Prozeßkostenhilfegesuchs weist eine Knitterfaltung auch in der Mitte auf, wobei in diesem Bereich der Druck unterbrochen ist; gerade letzteres legt die Annahme nahe, daß hier ein Papierstau im Empfangsgerät stattgefunden hat. Für einen Fehler lediglich im Ausdrucksbereich des Telefaxanschlusses des Bezirksgerichtes trotz vollständiger Signalübertragung seitens des Sendegerätes spricht auch, daß bei letzterem der nach der Bedienungsstellung vorgesehene „Ausdruck nach Fehlerbedingung” unterblieben ist.
Daß das Berufungsgericht diese nähere Prüfung der Fehlerursachen unterlassen hat, stellt einen Verfahrensfehler dar.
3. Der angefochtene Beschluß ist daher aufzuheben. Da die Sache ohne die dargelegten weiteren tatsächlichen Feststellungen, die den Bereich des Bezirksgerichts betreffen, nicht entscheidungsreif ist, macht der Senat von der auch im Beschwerdeverfahren gegebenen Möglichkeit der Zurückverweisung Gebrauch.
Sollte die weitere Sachprüfung ergeben, daß auch unter Berücksichtigung der aufgezeigten Grundsätze von einem rechtzeitigen Eingang der Berufungsbegründungsschrift nicht ausgegangen werden kann, so wird im Rahmen der erneuten Prüfung des Wiedereinsetzungsgesuches des Klägers unter Berücksichtigung des Beschwerdevortrags und der vorgelegten Urkunden und Glaubhaftmachungsmittel näher zu untersuchen sein, ob die in der Kanzlei der Prozeßbevollmächtigten versäumte Einstellung des Sendegerätes auf „Ausdruck nach jeder Übertragung” technisch überhaupt geeignet war, die Prozeßbevollmächtigte von dem hier aufgetretenen Fehler in Kenntnis zu setzen.
Unterschriften
Dr. Steffen, Bischoff, Dr. v. Gerlach, Dr. Müller, Dr. Dressler
Fundstellen
Haufe-Index 947876 |
BB 1994, 1457 |
NJW 1994, 1881 |
Nachschlagewerk BGH |