Entscheidungsstichwort (Thema)
Verstoß gegen § 31 Berufsordnung der Rechtsanwälte
Leitsatz (amtlich)
Das Verbot der Sternsozietät unter Einbeziehung der nichtanwaltlichen Mitglieder wird durch die Bundesrechtsanwaltsordnung nicht gedeckt.
Normenkette
BRAO § 59a Abs. 1 S. 1, § 59b Abs. 2, 8, § 59e Abs. 2; BORA § 31 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluß des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen vom 19. Juni 1998 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen sowie die dem Antragsteller im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren beträgt 10.000 DM.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist Rechtsanwalt in D. und Kammermitglied der Antragsgegnerin. Er ist Sozius eines Steuerberaters sowie eines Wirtschaftsprüfers und Steuerberaters. Nachdem dieser mit einem Steuerberater in G. eine weitere Sozietät eingegangen war, forderte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 13. Januar 1998 den Antragsteller unter Berufung auf § 31 Berufsordnung der Rechtsanwälte (BORA) auf, aus der Sozietät in D. auszuscheiden. Dem hiergegen gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Anwaltsgerichtshof durch Beschluß vom 19. Juni 1998 (veröffentlicht in NJW 1999, 66 f) stattgegeben. Mit der zugelassenen sofortigen Beschwerde begehrt die Antragsgegnerin die Aufhebung des Beschlusses des Anwaltsgerichtshofs und die Zurückweisung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung.
II.
Das gemäß § 223 Abs. 3 Satz 1 BRAO zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg. Der Anwaltsgerichtshof hat zu Recht entschieden, daß die Berufsordnung der Rechtsanwälte den Antragsteller nicht verpflichtet, die Sozietät mit dem Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in D. aufzugeben.
1. Allerdings ist mit der sofortigen Beschwerde – entgegen der Ansicht des Antragstellers – davon auszugehen, daß die Berufsordnung der Rechtsanwälte wirksam in Kraft getreten ist.
a) Nach § 191 d Abs. 5 BRAO treten die von der Satzungsversammlung gefaßten Beschlüsse mit dem ersten Tag des dritten Monats in Kraft, der auf die Veröffentlichung in den für Verlautbarungen der Bundesrechtsanwaltskammer bestimmten Presseorganen folgt. Die Satzung, die ebenfalls von der Satzungsversammlung beschlossen wird, tritt gemäß § 191 e BRAO drei Monate nach Übermittlung an das Bundesministerium der Justiz in Kraft, soweit nicht dieses die Satzung oder Teile derselben aufhebt. Im Gesetzgebungsverfahren wurde nicht erörtert, in welchem Verhältnis § 191 d Abs. 5 zu § 191 e BRAO steht. Die Satzungsversammlung hat diese beiden Normen so verstanden, daß beide Fristen nebeneinander laufen und bei unterschiedlichem Beginn der spätere Endzeitpunkt maßgebend ist (§ 35 Abs. 1 BORA; § 26 Abs. 1 FAO). Dem ist zuzustimmen; denn nur so ergibt die gesetzliche Regelung einen vernünftigen Sinn (ebenso Kleine-Cosack NJW 1997, 1257).
b) Die Berufsordnung der Rechtsanwälte wurde von der Satzungsversammlung am 29. November 1996 beschlossen, am 10. Dezember 1996 ausgefertigt und noch an diesem Tage an das Bundesministerium der Justiz übermittelt. Veröffentlicht wurde die Berufsordnung in den Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer vom 18. Dezember 1996. Mit Bescheid vom 7. März 1997 hob das Bundesministerium der Justiz lediglich die Bestimmung des § 21 Abs. 2 BORA auf; im übrigen wurde die Berufsordnung nicht beanstandet. Damit waren die Voraussetzungen der §§ 191 d Abs. 5, 191 e BRAO am 11. März 1997 erfüllt.
c) In Literatur und Rechtsprechung wird teilweise die Auffassung vertreten, die Berufsordnung der Rechtsanwälte sei dennoch nicht in Kraft getreten, weil die vor der Prüfung der Satzung durch das Bundesministerium der Justiz vorgenommene Ausfertigung unwirksam sei. Ausfertigung und Veröffentlichung hätten erst erfolgen dürfen, nachdem das Bundesministerium der Justiz die Prüfung abgeschlossen gehabt habe oder die ihm zur Beanstandung gesetzlich eingeräumte Frist verstrichen gewesen sei. Dies folge aus der Legalitätsfunktion der Ausfertigung. Vor dem Abschluß einer für das Rechtsetzungsverfahren vorgeschriebenen aufsichtsrechtlichen Mitwirkung könne der ordnungsgemäße Verfahrensgang (Legalitätsnachweis) nicht bezeugt werden (AnwG Düsseldorf NJW 1998, 2296; Hartung AnwBl. 1997, 65 ff; ders. MDR 1998, 1059 f; ders., in: Hartung/Holl, Anwaltliche Berufsordnung § 35 BORA Rdnr. 4 ff).
Dieser Ansicht ist nicht zu folgen (ebenso AGH Rheinland-Pfalz NJW 1999, 66; Kleine-Cosack NJW 1997, 1257; Schlosser NJW 1998, 2794; Zuck MDR 1997, 325, 326). In der Bundesrechtsanwaltsordnung ist nicht vorgeschrieben, daß die Ausfertigung und Veröffentlichung der Satzung nach Abschluß des aufsichtsrechtlichen Prüfungsverfahrens zu erfolgen habe. Aus § 191 e BRAO läßt sich im Gegenteil schließen, daß der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, die Satzung werde im Zeitpunkt der Entscheidung des Ministeriums bereits verkündet und ausgefertigt sein. Denn diese Vorschrift ermächtigt das Bundesministerium der Justiz zur „Aufhebung” der Satzung. Aufgehoben werden kann nur eine bereits existente Norm. Das setzt jedenfalls die Ausfertigung voraus (wegen der Veröffentlichung vgl. auch Redeker AnwBl. 1995, 217, 220). Für diese Auslegung spricht ferner, daß die Satzung nach § 191 e BRAO auch dann in Kraft tritt, wenn das Bundesministerium der Justiz nach Erhalt des ihm amtlich übermittelten Satzungstextes drei Monate lang schweigt. Wäre die Satzung nicht bereits vorher ausgefertigt und veröffentlicht worden, könnte sie nicht, wie in § 191 e BRAO vorausgesetzt, ohne weiteres in Kraft treten.
Das Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG zwingt ebenfalls nicht dazu, die Ausfertigung so auszugestalten, daß sie die Legalität des Verfahrens bestätigt. Wie das Bundesverwaltungsgericht bei der Prüfung der Wirksamkeit von genehmigungsbedürftigen Bebauungsplänen ausgeführt hat, gehört der Legalitätsnachweis nicht notwendig zu einem rechtsstaatlichen Normsetzungsverfahren (BVerwGE 88, 204, 208 f; BVerwG NVwZ 1994, 1010, 1011; NVwZ-RR 1996, 630). Zwar hat der Notarsenat des Bundesgerichtshofs (BGHZ 126, 16, 21 = DtZ 1995, 51, 53) die Meinung vertreten, die aufsichtsrechtliche Genehmigung oder Bestätigung gehe „der Ausfertigung notwendig voraus”. Das bezog sich auf die Abgabensatzung der Ländernotarkasse in Leipzig gemäß § 39 Abs. 6 der Verordnung der DDR über die Tätigkeit von Notaren in eigener Praxis vom 20. Juni 1990 (VONot) in der Fassung vom 22. August 1990 (GBl. DDR I, 1328 ff). Diese Satzung wird aber erst mit der aufsichtsbehördlichen Bestätigung wirksam. Dadurch unterscheidet sie sich grundlegend von der Berufsordnung der Rechtsanwälte. Im übrigen wird auf den Beschluß des Senats vom heutigen Tage in der Sache AnwZ (B) 85/98 verwiesen.
2. Der sofortigen Beschwerde ist ferner darin Recht zu geben, daß § 59 a Abs. 1 Satz 1 BRAO dem Rechtsanwalt verbietet, mehr als einer Sozietät anzugehören (ebenso Henssler ZIP 1998, 2121, 2123 f; Zuck NJW 1999, 263, 265; Feuerich/Braun, BRAO 4. Aufl. § 59 a Rdnr. 4, § 31 BORA Rdnr. 1, 4; Hartung, in: Henssler/Prütting, BRAO § 59 a Rdnr. 20; Kleine-Cosack, BRAO 3. Aufl. § 59 a Rdnr. 3). Das wird zwar im Schrifttum teilweise bestritten (Römermann NJW 1998, 2249, 2252; ders., in: Hartung/Holl, § 31 BORA Rdnr. 20 ff, 30 ff), indes zu Unrecht. Nach § 59 a Abs. 1 BRAO dürfen sich Rechtsanwälte in „einer” Sozietät zur gemeinschaftlichen Berufsausübung verbinden. Das Wort „einer” ist hier nicht als unbestimmter Artikel, sondern als Zahlwort zu verstehen. Dies ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 12/4993, S. 33) und ist vom Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 59 e Abs. 2 BRAO bestätigt worden. Danach ist es den Gesellschaftern einer Anwalts-GmbH „untersagt, ihren in der Rechtsanwaltsgesellschaft ausgeübten Beruf in einem weiteren beruflichen Zusammenschluß auszuüben”. Diese – eindeutige – Vorschrift ist als Parallelregelung zu § 59 a Abs. 1 Satz 1 BRAO konzipiert worden (BR-Drucks. 1002/97).
3. Die Regelung in § 59 a Abs. 1 Satz 1 BRAO ermächtigt nach der zutreffenden Ansicht des Anwaltsgerichtshofs den Satzungsgeber nicht dazu, dem Rechtsanwalt die Beteiligung an einer Sternsozietät mit nichtanwaltlichen Sozien zu verbieten, wie dies in § 31 Satz 1 BORA ausgesprochen ist.
Diese Vorschrift lautet: Ein Rechtsanwalt darf sich mit Angehörigen nach § 59 a Abs. 1 BRAO sozietätsfähiger Berufe nur dann zu einer Sozietät, zur gemeinschaftlichen Berufsausübung in sonstiger Weise oder in einer Bürogemeinschaft verbinden, wenn diese nicht daneben einer weiteren Sozietät, Verbindung zur gemeinschaftlichen Berufsausübung in sonstiger Weise oder Bürogemeinschaft angehören. Demgegenüber enthält § 59 a Abs. 1 Satz 1 BRAO keine Regelung der Mehrfachbeteiligung an Sozietäten unterschiedlicher Berufe (Henssler ZIP 1998, 2121, 2124). Wenn den anwaltlichen Mitgliedern solcher Sozietäten die Beteiligung an weiteren Sozietäten verboten wird, so folgt nach dem Wortlaut daraus nicht, daß sie sich auch nicht an Sozietäten beteiligen dürfen, deren nichtanwaltliche Mitglieder an weiteren Sozietäten beteiligt sind. Es wird auch nicht der Zweck der in § 59 a Abs. 1 Satz 1 BRAO enthaltenen Regelung verfehlt, wenn diese nicht in der Weise „konkretisiert” wird, wie es sich aus § 31 BORA ergibt. Das Verbot der Zugehörigkeit zu mehr als einer Sozietät soll vornehmlich eine „Vermehrung” oder „Teilung” der anwaltlichen Berufstätigkeit verhindern (BT-Drucks. 12/4993, S. 33). Dieser Zweck wird nicht berührt, wenn die nichtanwaltlichen Mitglieder einer Sozietät gleichzeitig noch anderen Sozietäten angehören, weil „ein jedes Mitglied einer interprofessionellen Sozietät nur im Rahmen seiner eigenen beruflichen Befugnis tätig werden darf” (BT-Drucks. 12/4993, S. 33). Außerdem, so wird geltend gemacht, bezwecke die Regelung den Schutz der Mandanten vor der Ungewißheit, mit wem bzw. mit welcher Sozietät sie einen Mandatsvertrag geschlossen haben (Feuerich/Braun, § 31 BORA Rdnr. 2). Die Mandanten des Antragstellers betrifft das nicht, weil insofern nur ein Rechtsanwalt bzw. eine Sozietät als Auftragnehmer in Betracht kommt. Es bedarf also nicht einmal des Rückgriffs auf die allgemeinen Regeln der anwaltlichen Außendarstellung (dazu Henssler ZIP 1998, 2121, 2125 f). Endlich werde durch das Verbot der Sternsozietät die Überschaubarkeit hinsichtlich eventueller Tätigkeitsverbote aus §§ 45, 46 BRAO und § 3 Abs. 2 BORA gesichert (Feuerich/Braun, aaO). Mit wem der Mandatsvertrag geschlossen wird, läßt sich aber unschwer im voraus bestimmen. Nur um in Einzelfällen verbleibenden Auslegungszweifeln oder Beweisschwierigkeiten zu begegnen, ist es nicht gerechtfertigt, die Sternsozietät schlechthin zu verbieten (im Ergebnis ebenso Henssler ZIP 1998, 2121, 2124 f).
Ob § 59 a Abs. 1 Satz 1 BRAO mit diesem Inhalt – wie im Schrifttum (Henssler, ZIP 1998, 2121, 2124 f) geltend gemacht wird – verfassungswidrig ist, braucht der Senat danach nicht zu entscheiden.
4. Die Antragsgegnerin macht geltend, die Ermächtigung für das in § 31 Satz 1 BORA ausgesprochene erweiterte Verbot der Sternsozietät finde sich nicht in § 59 a Abs. 1 Satz 1 BRAO, sondern in § 59 b Abs. 2 Nr. 8 BRAO. Auf die zuletzt genannte Vorschrift kann sich das Verbot aber ebensowenig stützen. Darin ist dem Satzungsgeber die Befugnis eingeräumt worden, die „Pflichten bei beruflicher Zusammenarbeit” zu konkretisieren.
Die Zulässigkeit einer Mitgliedschaft in einer Berufsausübungsgesellschaft ist für die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten der Anwälte von wesentlicher Bedeutung. Bei der Überantwortung der Regelungskompetenz an den Satzungsgeber muß der Gesetzgeber die Einschränkungen der Assoziierungsfreiheit um so deutlicher vorgeben, je empfindlicher die Anwaltschaft in dieser Assoziierungsfreiheit beeinträchtigt wird. Das in § 31 der Berufsordnung der Rechtsanwälte ausgesprochene Verbot der Sternsozietät mit nicht anwaltlichen Angehörigen einer assoziierungsfähigen Berufsgruppe läuft praktisch auf das Verbot einer Assoziierung mit den betreffenden Personen hinaus. Ein solches Verbot hat zur Voraussetzung, daß der Gesetzgeber die gefährdeten Rechtsgüter bestimmt, ihre Schutzwürdigkeit bewertet und die Mittel zu ihrem Schutz angibt (Henssler ZIP 1998, 2121, 2123). Die nach diesen Grundsätzen erforderliche gesetzliche Vorgabe ist nicht in § 59 b Abs. 2 Nr. 8 BRAO, sondern in § 59 a Abs. 1 Satz 1 BRAO enthalten, der aber inhaltlich – wie oben ausgeführt – das Verbot des § 31 BORA nicht deckt.
5. Entgegen der Ansicht der sofortigen Beschwerde kann sich die Antragsgegnerin auch nicht auf § 30 BORA stützen. Danach darf sich ein Rechtsanwalt mit Angehörigen anderer nach § 59 a Abs. 1 BRAO sozietätsfähiger Berufe nur dann zu einer gemeinschaftlichen Berufsausübung verbinden, wenn jene bei ihrer Tätigkeit auch das anwaltliche Berufsrecht beachten. Ob das Gebot, das anwaltliche Berufsrecht zu beachten, dem nichtanwaltlichen Angehörigen eines anderen, nach § 59 a Abs. 1 BRAO sozietätsfähigen Berufs verbietet, mehreren Sozietäten anzugehören, erscheint zweifelhaft. Dies kann aber offenbleiben. Denn wenn § 30 BORA so zu verstehen wäre, wie die sofortige Beschwerde dies befürwortet, fehlte für diese Regelung – nicht anders als für § 31 BORA – ebenfalls die Ermächtigungsgrundlage in der Bundesrechtsanwaltsordnung.
Unterschriften
Geiß, Fischer, Basdorf, Ganter, Kieserling, Müller, Christian
Fundstellen
BB 1999, 1730 |
DB 1999, 1898 |
DStRE 1999, 774 |
NJW 1999, 2970 |
NWB 1999, 3280 |
EBE/BGH 1999, 247 |
NZG 1999, 1054 |
NZG 1999, 1095 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 1999, 1849 |
WuB 1999, 1425 |
WuB 1999, 1429 |
ZAP 1999, 866 |
ZIP 1999, 1360 |
AnwBl 1999, 553 |
JZ 2000, 416 |
MDR 1999, 1160 |
NJ 1999, 559 |
Consultant 1999, 12 |
MittRKKöln 1999, 233 |
BRAK-Mitt. 1999, 234 |
WPK-Mitt. 1999, 247 |