Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Entschädigung bei seuchenpolizeilichen Tätigkeitsverbot
Leitsatz (amtlich)
Steht einem Arbeitnehmer, gegen den ein seuchenpolizeiliches Tätigkeitsverbot erlassen worden ist, ein Anspruch auf Fortzahlung des Lohns nach HGB § 63, GewO § 133c zu, so besitzt er keinen Entschädigungsanspruch nach BSeuchG § 49 Abs 1. Auch sein Arbeitgeber kann dann eine Erstattung des fortgezahlten Lohns nach BSeuchG § 49 Abs. 4 S. 2 nicht verlangen.
Verfahrensgang
Tatbestand
In den Jahren 1974 und 1975 untersagte die Beklagte durch ihre Gesundheitsämter insgesamt sieben in Lebensmittelbetrieben beschäftigten gewerblichen oder kaufmännischen Angestellten für die Dauer von jeweils höchstens 5 Wochen ihrer Tätigkeit nachzugehen, da sie ansteckungsverdächtig, Ausscheider oder ausscheidungsverdächtig im Sinn von § 2 Bundesseuchengesetz seien. Andere gesundheitliche Gründe standen der Beschäftigung dieser Arbeitnehmer nicht entgegen. Während der Dauer der Tätigkeitsverbote zahlten die Betriebe die Gehälter weiter, insgesamt einen Betrag von 7.916,85 DM. Die Betriebe haben ihre Forderungen dem Kläger, dem Verband B. L.-F. eV, abgetreten.
Der Kläger hat vorgetragen, die Beklagte müsse den geltend gemachten Betrag nebst Zinsen erstatten, weil es sich dabei nicht um die Fortzahlung von Gehältern nach § 133c Gewerbeordnung, § 63 HGB, § 616 BGB, sondern um die Leistung von Entschädigungen im Sinne von § 49 Bundesseuchengesetz gehandelt habe. Bei der Auslegung der arbeitsrechtlichen Vorschriften müsse berücksichtigt werden, daß die Erfüllung staatsbürgerlicher Pflichten zu Lasten der Allgemeinheit gehen solle. Eine Ladung als Zeuge oder Schöffe begründe daher keinen Anspruch auf Fortzahlung des Lohns. Dasselbe müsse für ein auf Grund des Bundesseuchengesetzes erlassenes Tätigkeitsverbot gelten.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Klageanspruch weiter. Die Beklagte bittet, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Der Senat hat in dem Urteil vom 30. November 1978 (III ZR 43/77, für BGHZ vorgesehen), auf dessen Begründung wegen der Einzelheiten verwiesen wird, zu dem in diesem Verfahren geltend gemachten Erstattungsanspruch nach § 49 Abs 4 Satz 2 Bundesseuchengesetz – BSeuchG – vom 18. Juli 1961 (BGBl I S 1012, 1300) idF des Zweiten Änderungsgesetzes vom 25. August 1971 (BGBl I S 1401) ausgeführt: Dem Arbeitgeber stehe ein Erstattungsanspruch zu, wenn er einem Arbeitnehmer während der Dauer eines seuchenpolizeilichen Tätigkeitsverbots Leistungen erbracht habe, die eine Entschädigung im Sinne von § 49 Abs 4 Satz 1 BSeuchG darstellten. Die betroffenen Arbeitnehmer müßten also eine Entschädigung nach § 49 Abs 1 BSeuchG als Ausscheider, als Ausscheidungsverdächtige oder Ansteckungsverdächtige beanspruchen können.
2. Das Berufungsgericht hat von dieser Auffassung ausgehend gemeint, dem Kläger stehe ein Erstattungsanspruch nicht zu, weil die von dem Tätigkeitsverbot betroffenen Arbeitnehmer entweder nach § 133c Gewerbeordnung oder nach § 63 HGB die Fortzahlung ihrer Gehälter hätten verlangen können. Die dagegen von der Revision erhobenen Bedenken greifen nicht durch.
a) Die Revision berücksichtigt nicht hinreichend, daß ein seuchenpolizeiliches Tätigkeitsverbot, wie der Senat im einzelnen in dem erwähnten Urteil ausgeführt hat, die von dem Betroffenen ausgehende Ansteckungsgefahr für Dritte beseitigen soll und ihn daher nicht im Interesse der Allgemeinheit mit einem Sonderopfer belastet, sondern vielmehr in die Schranken seiner Rechtsstellung zurückweist. Ein Ansteckungsverdächtiger muß solche Anordnungen grundsätzlich entschädigungslos hinnehmen, selbst wenn er durch sie wirtschaftliche Nachteile erleidet. § 49 Abs 1 BSeuchG gewährt nur aus Billigkeitsgründen eine Entschädigung, durch die dem Betroffenen eine gewisse Sicherung vor materieller Not verschafft werden soll. Wegen dieser Zweckrichtung des Anspruchs ist es entgegen der Auffassung der Revision nicht angemessen, eine auf dem Arbeitsverhältnis beruhende Verpflichtung des Arbeitgebers, für die Dauer eines Beschäftigungsverbots das Arbeitsentgelt weiterzuzahlen, auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Ein Verdienstausfall im Sinne von § 49 Abs 1 BSeuchG als Voraussetzung einer Entschädigung liegt hiernach nicht vor, wenn dem Arbeitnehmer für den fraglichen Zeitraum ein gesetzlicher oder vertraglicher Anspruch auf Fortzahlung seines Lohns oder Gehalts gegen den Arbeitgeber zusteht.
b) Der Revision ist zuzugeben, daß einem selbständig Tätigen mangels eines Lohnfortzahlungsanspruchs regelmäßig eine Entschädigung nach § 49 Abs 1 BSeuchG zusteht, wenn ihm seine berufliche Tätigkeit aus seuchenpolizeilichen Gründen untersagt wird und deshalb ein Verdienstausfall eintritt. Darin liegt jedoch kein willkürlicher Unterschied zur Rechtslage bei Arbeitnehmern. Falls ein Arbeitnehmer durch den Anspruch auf Lohnfortzahlung während der Dauer eines seuchenpolizeilichen Tätigkeitsverbots vor materieller Not geschützt ist, besteht kein Anlaß, ihn aus Billigkeitsgründen zu entschädigen. Besitzt er dagegen einen solchen Anspruch nicht, etwa wegen einer Beendigung seines bisherigen Arbeitsverhältnisses, so erwächst ihm ebenso wie einem selbständigen Tätigen ein Entschädigungsanspruch nach § 49 Abs 1 BSeuchG.
3. Der Senat hat in dem schon erwähnten Urteil, auf das auch insoweit wegen der Einzelheiten zu verweisen ist, weiter ausgeführt, die in § 616 Abs 1 BGB begründete Vergütungspflicht bei vorübergehenden Dienstbehinderungen gelte auch bei Tätigkeitsverboten auf Grund einer seuchenpolizeilichen Anordnung und schließe mithin einen Verdienstausfall und damit zugleich einen Entschädigungsanspruch nach § 49 Abs 2 BSeuchG aus.
Diese Grundsätze gelten entsprechend bei Arbeitnehmern, denen, wie es hier der Fall ist, Ansprüche nach § 133c GewO oder § 63 HGB zustehen.
a) Nach § 133c GewO behalten technische Angestellte, nach § 63 HGB Handlungsgehilfen, den Anspruch auf die vertragsmäßige Leistung des Arbeitgebers bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn sie durch unverschuldetes Unglück an der Verrichtung ihrer Dienste verhindert sind. Dieser Anspruch kann nicht durch Vertrag ausgeschlossen oder beschränkt werden.
Wenn ein Mensch ansteckungsverdächtig oder ausscheidungsverdächtig oder Ausscheider nach § 2 BSeuchG ist, so stellt dies regelmäßig für ihn ein „unverschuldetes Unglück” im Sinne der eben genannten Bestimmungen dar, also ein nachteiliges Ereignis, das ihn abweichend vom normalen Lebenslauf unerwartet und hart trifft (RAG 10, 343, 347; Würdinger in Großkomm HGB 3. Aufl § 63 Anm 1; Amtsgericht Hamburg BB 1966, 1227; Amtsgericht Köln NJW 1976, 378). Auch wenn er, wie es hier der Fall war, im übrigen arbeitsfähig ist, trifft ihn ein solcher Schicksalsschlag ähnlich wie eine Krankheit. Es entspricht darum dem sozialen Schutzzweck dieser Vorschriften, auch eine auf Grund einer seuchenpolizeilichen Anordnung eingetretene Behinderung an der Ausübung der Arbeit als „unverschuldetes Unglück” anzusehen mit der Folge, daß der Lohn bis zur Dauer von sechs Monaten weiterzuzahlen ist.
b) Entgegen der Auffassung der Revision hindert nicht erst das im Interesse der Allgemeinheit angeordnete Tätigkeitsverbot einen im übrigen arbeitsfähigen Betroffenen an der Fortsetzung seiner beruflichen Tätigkeit. Das eigentliche Arbeitshindernis bildet vielmehr die von dem Betroffenen ausgehende Gefahr. Das seuchenpolizeiliche Tätigkeitsverbot ist, wie in dem schon erwähnten Senatsurteil ausgeführt wurde, – unbeschadet seines auf den Schutz der Allgemeinheit gerichteten Zwecks – lediglich die staatliche Reaktion auf den in der Person des Betroffenen entstandenen und festgestellten Tatbestand einer konkreten (bei Ausscheidern) oder potentiellen (bei Ausscheidungsverdächtigen oder Ansteckungsverdächtigen) Gefahr. Der Arbeitgeber dürfte daher den Betroffenen auch ohne behördliches Verbot für die Dauer der Gefahrenlage nicht beschäftigen, da er nach § 618 BGB gegenüber seinen übrigen Arbeitnehmern und nach § 823 BGB gegenüber jedermann aus Gründen der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht gehalten ist, seinen Betrieb von Ansteckungsgefahren freizuhalten. Er muß daher auch ohne behördliches Beschäftigungsverbot von sich aus gegen die Beschäftigung seuchenverdächtiger Personen einschreiten (vgl auch LG Tübingen AR-Blattei „Krankheit des Arbeitnehmers” Nr 88; Arbeitsgericht Hamburg BB 1966, 1227; Amtsgericht Köln NJW 1976, 378; Nikisch, Arbeitsrecht, Erster Band 3. Aufl S 624f; Fuhr/Stahlhacke GewO § 133c Anm III 2; Landmann/Rohmer GewO 12. Aufl § 133c Rdn 14; Diekhoff DB 1967, 382/383).
c) Entgegen der Meinung der Revision spricht nicht gegen eine Anwendung von § 133c GewO und § 63 HGB auf Seuchenverdächtige, daß die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Pflichten, die alle gemeinsam treffen, wie eine Ladung als Schöffe oder Zeuge, eine Musterung oder eine Bildschirmuntersuchung, auch dann, wenn sie an der Erfüllung des Arbeitsvertrages hindert, nicht als Unglück im Sinne dieser Vorschriften angesehen werden (Würdinger aaO § 63 Anm 1; Baumbach/Duden HGB 23. Aufl § 63 Anm 2 A; Fuhr/Stahlhacke aaO § 133c Anm III 2; Landmann/Rohmer aaO § 133c Rdn 14). Ein seuchenpolizeilicher Verdacht ist ebenso wie eine Erkrankung in der Person des Betroffenen begründet. Die Erfüllung staatsbürgerlicher Pflichten wird dem Betroffenen dagegen im Interesse der Allgemeinheit auferlegt. Ihre Wahrnehmung gehört zum normalen Lebensablauf und stellt auch deshalb kein unverschuldetes Unglück dar.
d) Es kann offenbleiben, ob den betroffenen Arbeitnehmern neben einem Anspruch aus § 133c GewO oder § 63 HGB auch Ansprüche aus § 616 Abs 1 BGB zustehen, denn ihnen gehen die spezielleren und Handelsgesetzbuch vor. Auf die Bedenken der Revision gegen eine Anwendung von § 616 Abs 1 BGB braucht deshalb nicht eingegangen zu werden. § 616 Abs 1 BGB gewährt Arbeitnehmern allgemein und nicht wie § 133c GewO und § 63 HGB allein bestimmten Gruppen von ihnen einen abdingbaren (Bundesarbeitsgericht (GS) 8, 285, 292, BAG NJW 1978, 2318, 2319) Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nur für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit, wenn ein Arbeitnehmer durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert ist. Der Anspruch entfällt anders als nach den beiden erwähnten Vorschriften der Gewerbeordnung und des Handelsgesetzbuches, wenn ein solcher Zeitraum überschritten wird.
Das Bundesarbeitsgericht (NJW 1978, 2318, 2319) hat die Frage aufgeworfen, ob die unterschiedliche Ausgestaltung der Lohnfortzahlungsansprüche für nicht auf Krankheit beruhende Arbeitsverhinderungen nach § 616 Abs 1 BGB einerseits und § 133c GewO, § 63 HGB andererseits mit dem Gleichheitssatz (Art 3 GG) zu vereinbaren ist. Für den erkennenden Senat besteht, ebenso wie in der schon mehrfach erwähnten Sache, kein Anlaß, dieser Frage im vorliegenden Fall nachzugehen. Die Ungleichartigkeit der Regelungen in § 616 Abs 1 BGB einerseits und § 133c GewO, § 63 HGB andererseits wirkt sich hier nicht aus, weil keines der Arbeitsverbote länger als sechs Wochen gedauert hat und die Arbeitgeber wegen des Vorranges von § 133c GewO und § 63 HGB vor § 616 Abs 1 BGB die Gehälter auch dann hätten weiterzahlen müssen, wenn Ansprüche aus § 616 Abs 1 BGB abbedungen worden sein sollten.
4. Die Anwendung der § 133c GewO und § 63 HGB auf Seuchenverdächtige läßt die in § 49 Abs 1 BSeuchG vorgesehene Regelung nicht, wie die Revision meint, „praktisch leer laufen”. Die Revision führt selbst in anderem Zusammenhang aus, daß die Lohnfortzahlungsvorschriften bei selbständig Tätigen nicht eingreifen. Insoweit gilt uneingeschränkt die Entschädigungsregelung nach § 49 Abs 1 BSeuchG. Auch bei Arbeitnehmern kommt ein nach dieser Vorschrift begründeter Anspruch zum Zuge, wenn ein Arbeitsverhältnis schon geendet hatte, als das seuchenpolizeiliche Tätigkeitsverbot erlassen wurde und im übrigen immer dann, wenn Ansprüche nach § 616 Abs 1 BGB abbedungen sind und dem Betroffenen keine Ansprüche nach § 133c GewO oder § 63 HGB zustehen.
5. Die Revision mußte daher erfolglos bleiben.
Fundstellen
BB 1979, 629-629 (LT1) |
DB 1979, 1371-1371 (LT1) |
NJW 1979, 1460-1461 (LT1) |
LM BSeuchenG, Nr. 10 (LT1) |
BGHWarn 1979, Nr. 33 (LT1) |
BG 1979, 464-465 (LT1) |
USK, 7966 (LT1) |
GewArch 1980, 312-312 (L1) |
MDR 1979, 738-738 (LT1) |
StädteT 1980, 35-35 (L1) |
DVBl. 1980, 769 |