Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Steuerberaterhaftung wegen Rechtskraft von Steuerbescheiden bei nachträglicher Verfassungswidrigkeit der Besteuerung von Spekulationsgewinnen
Leitsatz (amtlich)
Lässt ein Steuerberater einen Steuerbescheid pflichtwidrig bestandskräftig werden, beginnt die Frist für die Verjährung des Ersatzanspruchs des Mandanten mit der Bestandskraft des Steuerbescheids, auch wenn dieser zunächst der formellen Gesetzeslage entspricht und die zugrunde liegende Steuernorm erst später vom BVerfG für nichtig erklärt wird.
Leitsatz (redaktionell)
Die beklagten Steuerberater sind nicht nach den Grundsätzen der Sekundärverjährung gehindert, sich auf die eingetretene Verjährung des (Primär-)Anspruchs zu berufen. Die Kläger haben zu den Voraussetzungen einer sekundären Hinweispflicht der Beklagten auf einen möglichen Schadensersatzanspruch und dessen kurze Verjährungsfrist nichts vorgetragen.
Normenkette
StBerG § 68 a.F.; EStG § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. b
Verfahrensgang
OLG Köln (Urteil vom 04.09.2008; Aktenzeichen 8 U 14/08) |
LG Köln (Urteil vom 02.01.2008; Aktenzeichen 2 O 330/06) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 8. Zivilsenats des OLG Köln vom 4.9.2008 und das Urteil der 2. Zivilkammer des LG Köln vom 2.1.2008 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden den Klägern auferlegt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Beklagten zu 2) und 3) betreiben eine Steuerberatersozietät in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, der Beklagten zu 1). Die Kläger beauftragten die Beklagten im Frühjahr des Jahres 2000 mit der Erstellung ihrer Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1998. Auf die von den Beklagten eingereichte Steuererklärung erließ das Finanzamt am 27.7.2000 einen Steuerbescheid, der als zu versteuerndes Einkommen Einkünfte der Kläger aus Spekulationsgewinnen i.H.v. 849.759 DM berücksichtigte. Grundlage für die Besteuerung der Spekulationsgewinne war § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe b EStG in der für das Jahr 1998 geltenden Fassung. Die Beklagten legten gegen den Steuerbescheid vom 27.7.2000 nur wegen nicht berücksichtigter Steuerberatungskosten Einspruch ein. Den darauf ergangenen Änderungsbescheid vom 21.8.2000, der unverändert die Spekulationsgewinne als zu versteuerndes Einkommen auswies, ließen sie bestandskräftig werden. Mit Urteil vom 9.3.2004 (2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94) erklärte das BVerfG die der Besteuerung von im Jahr 1998 erzielten Spekulationsgewinnen zugrunde liegende Norm für mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig, soweit sie Veräußerungsgeschäfte bei Wertpapieren betraf. An der Besteuerung der Spekulationsgewinne der Kläger änderte sich dadurch wegen der Bestandskraft des Steuerbescheids nichts.
Rz. 2
Mit ihrer Klage haben die Kläger die Beklagten auf Schadensersatz i.H.v. 314.439,24 EUR in Anspruch genommen. Das LG hat die Beklagten, die sich u.a. auf Verjährung berufen haben, zur Zahlung von 227.541,57 EUR nebst Zinsen verurteilt. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision erstreben die Beklagten die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Rz. 3
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Urteile und zur Abweisung der Klage.
I.
Rz. 4
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Beklagten seien den Klägern nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung zum Schadensersatz verpflichtet. Sie hätten die ihnen aus dem Steuerberatervertrag obliegenden Pflichten verletzt, indem sie die Besteuerung der im Jahr 1998 von den Klägern erzielten Spekulationsgewinne entgegen der von den Klägern erteilten Weisung bestandskräftig werden ließen. Bei pflichtgemäßem Verhalten hätte die Besteuerung der Spekulationsgewinne vermieden werden können. Der Schaden sei vom LG zutreffend berechnet worden. Sofern überhaupt ein Mitverschulden der Kläger berücksichtigt werden könne, sei die vom LG angenommene Quote von 25 v.H. jedenfalls ausreichend. Der Anspruch der Kläger sei auch nicht verjährt. Der Schaden der Kläger sei erst entstanden, als das BVerfG die der Besteuerung der Spekulationsgewinne zugrunde liegende Norm mit Urteil vom 9.3.2004 für verfassungswidrig erklärt habe. Die damit in Lauf gesetzte Verjährungsfrist von drei Jahren nach dem noch anwendbaren § 68 StBerG a.F. sei durch die Erhebung der Klage im Jahr 2006 rechtzeitig unterbrochen worden.
II.
Rz. 5
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sind die geltend gemachten Ansprüche der Kläger verjährt.
Rz. 6
1. Maßgeblich für die Beurteilung der Verjährung ist, wie die Vorinstanzen mit Recht angenommen haben, die durch Art. 16 des Gesetzes vom 9.12.2004 (BGBl. I, 3217) mit Wirkung vom 15.12.2004 aufgehobene, gem. Art. 229 § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 13 und Satz 2, § 6 Abs. 1 EGBGB im Streitfall aber noch anwendbare Bestimmung des § 68 StBerG. Danach verjährt der Anspruch des Auftraggebers auf Schadensersatz aus dem zwischen ihm und dem Steuerberater bestehenden Vertragsverhältnis in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in dem der Anspruch entstanden ist.
Rz. 7
2. Die Verjährungsfrist wurde mit Ablauf des 22.9.2000 in Gang gesetzt. Zu diesem Zeitpunkt ist der von den Klägern geltend gemachte Anspruch auf Schadensersatz entstanden.
Rz. 8
a) Die Entstehung eines Anspruchs auf Schadensersatz setzt voraus, dass ein Schaden eingetreten ist. Nach der vom BGH seit dem Urteil vom 2.7.1992 (IX ZR 268/91, BGHZ 119, 69) in ständiger Rechtsprechung vertretenen Risiko-Schaden-Formel muss der Schaden im Sinne einer objektiven Verschlechterung der Vermögenslage wenigstens dem Grunde nach erwachsen sein; ist dagegen noch offen, ob ein pflichtwidriges, mit einem Risiko behaftetes Verhalten tatsächlich zu einem Schaden führt und liegt deshalb eine bloße Vermögensgefährdung vor, ist der Anspruch noch nicht entstanden, so dass die Verjährungsfrist des § 68 StBerG nicht in Lauf gesetzt wird (Zugehör in Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung, 2. Aufl. Rz. 1342 f m.w.N.). In Steuersachen tritt der Schaden des Steuerpflichtigen in der Regel ein, sobald sich das pflichtwidrige Verhalten des Steuerberaters in einem belastenden Bescheid der Finanzbehörde ausgewirkt hat (BGH, Urt. v. 2.7.1992 - IX ZR 268/91, BGHZ 119, 69 [72]; v. 11.5.1995 - IX ZR 140/94, BGHZ 129, 386 [389 f.]; v. 12.11.2009 - IX ZR 218/08, WM 2010, 138 Rz. 10 m.w.N.). Hat der Steuerberater - wie hier - pflichtwidrig gegen einen Steuerbescheid keinen Einspruch eingelegt, beginnt die Verjährung des Ersatzanspruchs mit Eintritt der Bestandskraft dieses Bescheids (BGH, Urt. v. 20.6.1996 - IX ZR 100/95, WM 1996, 2066 [2067]). Im Streitfall wurde der maßgebliche Steuerbescheid vom 21.8.2000, welcher den Beklagten am 22.8.2000 zuging, mit Ablauf des 22.9.2000 bestandskräftig. Damit begann der Lauf der Verjährungsfrist.
Rz. 9
b) Der Umstand, dass der Steuerbescheid zum Zeitpunkt seines Erlasses dem Wortlaut des Einkommensteuergesetzes entsprach und die maßgebliche Norm erst durch das Urteil des BVerfG vom 9.3.2004 für nichtig erklärt wurde, ändert daran nichts (vgl. BGH, Beschl. v. 29.3.2007 - IX ZR 102/06, DB 2007, 1400; OLG Hamburg DStRE 2007, 1593, 1598).
Rz. 10
aa) Ein Vermögensschaden besteht in der Differenz zwischen der Güterlage, die durch das Schadensereignis geschaffen wurde, und der unter Ausschaltung dieses Ereignisses gedachten Güterlage (sog. Differenzhypothese; vgl. BGH, Urt. v. 19.5.2009 - IX ZR 43/08, WM 2009, 1376 Rz. 18 m.w.N.; Palandt/Grüneberg, BGB, 70. Aufl. vor § 249 Rz. 10). Die Verletzung der den Beklagten übertragenen Pflicht, die Besteuerung der Spekulationsgewinne offen zu halten, hatte die bestandskräftige Belastung der Kläger mit Einkommensteuer auf die im Jahr 1998 erzielten Gewinne zur Folge. Hätten die Beklagten die Besteuerung pflichtgemäß offen gehalten, wären die Kläger mangels Bestandskraft des Steuerbescheids dauerhaft nicht zur Zahlung der Steuer verpflichtet gewesen. Der in der Steuerbelastung liegende, von den Klägern geltend gemachte Schaden ist daher mit der Bestandskraft des Steuerbescheids vom 20.8.2000 eingetreten. Die Entscheidung des BVerfG stellte mit rückwirkender Kraft verbindlich fest, dass die Besteuerungsgrundlage mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig war. Sie brachte nicht den Vermögensnachteil zum Entstehen, sondern erwies, dass der bereits mit Bestandskraft des Steuerbescheids entstandene Vermögensnachteil bei pflichtgemäßem Handeln der Beklagten vermeidbar war, und machte für die Kläger erkennbar, dass es sich bei der Steuerbelastung um einen den Beklagten zuzurechnenden, ersatzfähigen Schaden handelte. Die Erkennbarkeit des Schadens ist aber keine Voraussetzung des Beginns der Verjährungsfrist nach § 68 StBerG a.F. .
Rz. 11
bb) Im Übrigen war auch das in der älteren Rechtsprechung des BGH für den Eintritt des Schadens als maßgeblich angesehene Kriterium, ob der Geschädigte bereits auf Feststellung der Ersatzpflicht Klage erheben konnte (BGH, Urt. v. 23.3.1987 - II ZR 190/86, BGHZ 100, 228 [231 m.w.N.]), entgegen der von den Klägern in der Revisionserwiderung vertretenen Ansicht bereits im Zeitpunkt nach Eintritt der Bestandskraft des Steuerbescheids erfüllt. Die Feststellung einer Schadensersatzpflicht der Beklagten hätte zwar den Nachweis vorausgesetzt, dass die Steuerlast bei pflichtgemäßem Handeln der Beklagten vermieden worden wäre. Die dazu erforderliche Feststellung der Verfassungswidrigkeit der zugrunde liegenden Steuernorm hätte aber im Regressprozess über eine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG erreicht werden können.
Rz. 12
3. Die dreijährige Verjährungsfrist endete mit Ablauf des 22.9.2003. Zum Zeitpunkt der Einreichung der Klage am 22.6.2006 war der Anspruch daher bereits verjährt. Eine Hemmung der Verjährung konnte nicht mehr eintreten.
Rz. 13
4. Die Beklagten sind nicht nach den Grundsätzen der Sekundärverjährung (etwa BGH, Urt. v. 11.5.1995 - IX ZR 140/94, BGHZ 129, 386 [391 m.w.N.]) gehindert, sich auf die eingetretene Verjährung des (Primär-)Anspruchs zu berufen. Die Kläger haben zu den Voraussetzungen einer sekundären Hinweispflicht der Beklagten auf einen möglichen Schadensersatzanspruch und dessen kurze Verjährungsfrist nichts vorgetragen.
III.
Rz. 14
Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da weitere Feststellungen nicht zu treffen sind und die Sache folglich zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Der geltend gemachte Anspruch ist verjährt. Die Klage ist daher unter Aufhebung auch des landgerichtlichen Urteils abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 2643665 |
BFH/NV 2011, 959 |
DB 2011, 586 |
DStR 2011, 1050 |
DStRE 2011, 979 |