Leitsatz (amtlich)
a) Ein Ehegatte kann auch nach Scheidung der Ehe familienrechtlich verpflichtet sein, der Übertragung des ihm zustehenden hälftigen Kinder- und Ausbildungsfreibetrages für gemeinschaftliche Kinder auf den anderen Elternteil zuzustimmen, wenn sich dieser zum Ausgleich der dadurch entstehenden Nachteile verpflichtet (Fortführung des Senatsurteils vom 24. Februar 1988 – IVb ZR 29/87 – FamRZ 1988, 607). Zu den ausgleichspflichtigen Nachteilen gehören nicht Steuerersparnisse, die nur aufgrund steuerlicher Zusammenveranlagung mit einem neuen Ehepartner erwachsen.
b) Der Anspruch auf Zustimmung kann für die Vergangenheit nur unter den Voraussetzungen des § 1613 Abs. 1 BGB geltend gemacht werden; außerdem unterliegt er der vierjährigen Verjährung analog § 197 BGB.
Normenkette
EStG §§ 32, 33a; BGB §§ 242, 1613 Abs. 1, § 197
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird unter Zurückweisung ihres weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des 12. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm vom 8. März 1995 teilweise aufgehoben und in Absatz 2 des Entscheidungssatzes wie folgt neu gefaßt:
Die Beklagte wird verurteilt, gegenüber dem Finanzamt W. ihre Zustimmung dazu zu erklären, daß die auf die beiden gemeinsamen Kinder Oliver und Michaela im Jahre 1992 und auf Oliver in den Jahren 1993 und 1994 entfallenden Kinderfreibeträge (§ 32 Abs. 6 EStG) sowie die auf Oliver in den Jahren 1992 bis 1994 entfallenden Ausbildungsfreibeträge (§ 33a Abs. 2 EStG) in voller Höhe, also einschließlich des auf die Beklagte entfallenden Anteils, allein bei der steuerlichen Erfassung der Einkünfte des Klägers berücksichtigt werden, sowie dazu erforderliche schriftliche und gemeinsame Anträge beider Parteien zu unterzeichnen.
Die Revision des Klägers wird zurückgewiesen.
Von den Kosten erster Intanz trägt der Kläger 6/7, die Beklagte 1/7. Die Kosten der Rechtsmittelverfahren werden zu 2/3 dem Kläger zu 1/3 der Beklagten auferlegt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Aus ihrer Ehe stammen die Kinder Oliver, geboren am 19. Januar 1967, und Michaela, geboren am 16. Juni 1972. Oliver studiert noch, während Michaela ihre Ausbildung im Laufe des Jahres 1992 abschloß. Die Beklagte ist seit 1983 in zweiter Ehe verheiratet. Sie ist nicht erwerbstätig. Mit ihrem jetzigen Ehemann ist sie in den Jahren 1986 bis 1992 steuerlich zusammenveranlagt worden, wobei zu ihren Gunsten für Oliver und Michaela jeweils, soweit die Voraussetzungen vorlagen, die hälftigen Freibeträge gemäß § 32 EStG (Kinderfreibetrag) sowie gemäß § 33a EStG (Ausbildungsfreibetrag) berücksichtigt wurden. Der Kläger, der für die beiden Kinder allein Barunterhalt geleistet hat, hat die Beklagte im Jahre 1987 erfolglos aufgefordert, der Übertragung der in Betracht kommenden Steuerfreibeträge für das Jahr 1986 auf sich allein zuzustimmen. In der Folge hat er die ihm gegenüber ergangenen Steuerbescheide jeweils angefochten, um eine nachträgliche Berücksichtigung der vollen Freibeträge offenzuhalten.
Nachdem eine erneute Aufforderung an die Beklagte für die Zeit ab 1986 mit Schreiben vom 28. Januar 1993 fruchtlos geblieben war, erhob der Kläger im April 1993 Klage und beantragte zuletzt, die Beklagte zu verpflichten, dem für ihn zuständigen Finanzamt gegenüber zuzustimmen, daß der auf die beiden Kinder der Parteien entfallende Kinder- und Ausbildungsfreibetrag für die Jahre 1986 bis 1992 ihm allein gewährt wird.
Das Amtsgericht wies die Klage ab. Mit der hiergegen eingelegten Berufung verfolgte der Kläger in teilweise abgewandelter Form sein Begehren weiter, und zwar in bezug auf die Kinderfreibeträge für beide Kinder in den Jahren 1986 bis 1992, allein für Oliver in den Jahren 1993 und 1994, in bezug auf die Ausbildungsfreibeträge für Oliver in den Jahren 1986 bis 1988 sowie 1992 bis 1994. Er erklärte sich bereit, die der Beklagten selbst infolge der Abgabe der verlangten Erklärungen entstehenden Nachteile zu ersetzen, nicht hingegen solche Nachteile, die deren jetzigem Ehemann infolge der Nichtberücksichtigung der Freibeträge im Rahmen der Zusammenveranlagung entstehen würden.
Das Oberlandesgericht gab dem Berufungsbegehren teilweise statt, und zwar in bezug auf die Kinderfreibeträge für beide Kinder in den Jahren 1990 bis 1992, allein für Oliver in den Jahren 1993 und 1994 sowie in bezug auf die Ausbildungsfreibeträge für Oliver in den Jahren 1992 bis 1994. Im übrigen wies es die Berufung zurück und die Klage ab. Das Urteil ist veröffentlicht in FamRZ 1995, 1486.
Beide Parteien legten gegen dieses Urteil die zugelassene Revision ein. Die Beklagte begehrt die vollständige Abweisung der Klage, der Kläger verfolgt sein Berufungsbegehren weiter, soweit er damit nicht durchgedrungen ist.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten hat teilweise Erfolg, während diejenige des Klägers unbegründet ist.
1. Die für die Streitjahre geltenden Vorschriften der §§ 32 Abs. 6, 33a Abs. 2 EStG sehen vor, daß bei geschiedenen Ehegatten der an sich jedem Elternteil hälftig zustehende Kinderfreibetrag bzw. Ausbildungsfreibetrag voll auf einen Elternteil übertragen werden kann, wenn der andere Elternteil zustimmt bzw. an der erforderlichen Antragstellung mitwirkt. Das Berufungsgericht geht mit Recht davon aus, daß ein einklagbarer Anspruch auf eine solche Zustimmung bzw. Mitwirkung insbesondere dann in Betracht kommt, wenn ein Elternteil – wie hier die Beklagte – über kein zu versteuerndes Einkommen verfügt und sich der begünstigte Elternteil verpflichtet, die dem anderen Teil entstehenden Nachteile zu ersetzen. Grundlage des Anspruchs ist eine sich als Nachwirkung der Ehe ergebende familienrechtliche Verpflichtung, die dahin geht, die finanziellen Lasten des anderen Teils nach Möglichkeit zu vermindern, soweit dies ohne Verletzung eigener Interessen möglich ist. Nicht erforderlich ist dabei, daß zwischen den Elternteilen ein Unterhaltsrechtsverhältnis besteht (vgl. Senatsurteil vom 24. Februar 1988 – IVb ZR 29/87 – BGHR BGB vor § 1569 Verpflichtung, familienrechtliche 1 = FamRZ 1988, 607, 608; ebenso Kalthoener/Büttner Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts 5. Aufl. Rdn. 868; Schwab/Borth Handbuch des Scheidungsrechts 3. Aufl. IV Rdn. 821; Wendl/Haußleiter Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 3. Aufl. § 1 Rdn. 481; Herrmann/Heuer/Raupach, Loseblattkommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer § 32 EStG Rdn. 192; Schmidt/Glanegger EStG 14. Aufl. § 32 Rdn. 58; Altfelder, Steuerliche Gestaltung des Ehegatten- und Kmdesunterhalts – 1987 – § . 86; Ehlers/Arens FamRZ 1996, 385, 389, 391). Hierbei können weitgehend die Grundsätze herangezogen werden, die für das sog. begrenzte Realsplitting unter Ehegatten entwickelt worden sind (vgl. Soergel/Häberle BGB 12. Aufl. § 1578 Rdn. 42 a.E.; Herrmann/Heuer/Raupach aao).
2. Vorliegend hat sich der Kläger verpflichtet, die der Beklagten selbst im Falle der Abgabe der begehrten Erklärungen entstehenden Nachteile auszugleichen, nicht aber solche, die damit zusammenhängen, daß sie mit ihrem jetzigen Ehemann die Zusammenveranlagung (§§ 26, 2Gb EStG) gewählt hat und künftig wählen wird. Das Berufungsgericht hat diese Verpflichtungserklärung mit Recht als ausreichend erachtet. Für die Fälle des begrenzten Realsplittings hat der Senat bereits entschieden, daß der durch die Zustimmung begünstigte Ehegatte nur zum Ausgleich der steuerlichen Nachteile verpflichtet ist, die dem anderen Ehegatten bei getrennter Veranlagung (§ 26a EStG) entstehen würden, während die Vorteile, die durch das Splittingverfahren infolge des Fehlens eigener Einkünfte letztlich dem neuen Ehegatten des anderen Teils erwachsen, außer Betracht zu bleiben haben (Urteile vom 29. Januar 1992 – XII ZR 248/90 – BGHR BGB vor § 1569 Realsplitting 2 = FamRZ 1992, 534 und vom 29. April 1992 – XII ZR 50/91 – FamRZ 1992, 1050, 1051). Entsprechendes hat auch in Fällen der vorliegenden Art zu gelten. Da die Beklagte unstreitig in den streitgegenständlichen Zeiträumen kein steuerpflichtiges Einkommen erzielt hat, entstehen ihr selbst durch die Übertragung der strittigen Freibeträge auf den Kläger jedenfalls keine steuerlichen Nachteile.
3. Das Berufungsgericht hat dem Übertragungsbegehren des Klägers nur zum Teil stattgegeben und die Klage abgewiesen, soweit sie die Jahre von 1986 bis 1989 betrifft. Zur Begründung hat es ausgeführt, die an die Beklagte und ihren jetzigen Ehemann gerichteten Steuerbescheide für diese Jahre seien bereits bestandskräftig. Mit der Geltendmachung der auf sie entfallenden hälftigen Freibeträge habe sich die Beklagte steuerlich korrekt verhalten. Ihr könne nicht zugemutet werden, die bereits abschließend zu ihren Gunsten berücksichtigten Freibeträge zur erneuten Geltendmachung dem Kläger zuzuwenden.
Die Revision des Klägers macht geltend, daß das Berufungsgericht zu Unrecht in der Bestandskraft von Steuerbescheiden ein Hindernis für das Klagebegehren gesehen habe. Die Bestandskraft könne nämlich nach Maßgabe der §§ 172 ff AO durchbrochen werden. Gebe die Beklagte die verlangten Erklärungen für die Jahre 1986 bis 1989 jetzt noch ab, könnten die sie betreffenden bestandskräftigen Steuerbescheide aufgrund von § 173 Abs. 1 Ziff. 1 AO oder § 174 Abs. 2 AO geändert werden. Dies trifft an sich zu. Als mögliche Rechtsgrundlage für Änderungen von Steuerbescheiden bei nachträglicher Abgabe von Zustimmungserklärungen der hier erörterten Art wird im steuerrechtlichen Schrifttum neben den von der Revision genannten Vorschriften insbesondere § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO angeführt, wonach in der nachträglichen Zustimmung ein Ereignis zu sehen ist das im Sinne dieser Vorschrift „steuerliche Wirkungen für die Vergangenheit” hat (vgl. Schmidt/Glanegger aaO § 32 EStG Rdn. 58; Altfelder aaO S. 80; FinG Rheinland Pfalz EFG 1991, 327). Was die gegen den Kläger bereits ergangenen Steuerbescheide angeht, hat das Berufungsgericht ohnehin festgestellt, daß sie für die Zeit ab 1986 noch nicht bestandskräftig sind. Es würde ihm daher zugute kommen, wenn die Beklagte im jetzigen Zeitpunkt zur Abgabe der in der Berufungsinstanz noch begehrten Erklärungen verurteilt würde (vgl. Herrmann/Heuer/Raupach aao § 32 EStG Rdn. 192). Diese steuerrechtlichen Gesichtspunkte sind aber nicht allein maßgebend.
Für den familienrechtlichen Ausgleichsanspruch eines Elternteils, der ein eheliches Kind allein unterhalten hat, gegen den ebenfalls unterhaltspflichtigen anderen Elternteil gelten nach der Rechtsprechung die vierjährige Verjährung des § 197 BGB (BGHZ 31, 329) sowie die Beschränkung des § 1613 Abs 1 BGB, d.h. der Anspruch kann für die Vergangenheit nur von der Zeit an geltend gemacht werden, zu dem der Verpflichtete in Verzug gekommen oder der Anspruch rechtshängig geworden ist (Senatsurteil vom 9. Mai 1984 – IVb ZR 84/82 – FamRZ 1984, 775). Auch der Anspruch eines Elternteils auf Ausgleich des dem anderen Elternteil gewährten staatlichen Kindergeldes unterliegt der Schranke des 5 1613 Abs. 1 BGB (Senatsurteil vom 11. Mai 1988 – Ivb ZR 89/87 – BGHR BGB 5 1613 I Kindergeldausgleich 1 – FamRZ 1988, 834). Grundgedanke dieser Rechtsprechung ist, daß der Schuldner in diesen Fällen vor Forderungen größeren Umfangs zu schützen ist, auf die er sich, weil er vom Berechtigten nicht zeitnah in Anspruch genommen wurde, durch seine Lebensführung oder in sonstiger Weise nicht eingerichtet hat. Für Ansprüche der vorliegenden Art, die die Verteilung des staatlichen „Familienlastenausgleichs” auf geschiedene Ehegatten betreffen, wird ebenfalls die Anwendung von § 1613 Abs. 1 BGB für gerechtfertigt erachtet (vgl. OLG Köln FandtZ 1993, 806, 807; zustimmend Palandt/Diederichsen BGB 55. Aufl. § 1613 Rdn. 1). Dem pflichtet der Senat bei; wie beim Ausgleich des staatlichen Kindergeldes ist hier letztlich von einem Unterfall des familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs auszugehen. Infolge – dessen ist nicht nur die Schranke des § 1613 Abs. 1 BGB zu beachten; vielmehr darüber hinaus gilt auch die vierjährige Verjährungsfrist des § 197 BGB (BGHZ 31 aaO).
Vorliegend hat der Kläger mit Schreiben vom 28. Januar 1993 seinen Zustimmungsanspruch geltend gemacht und damit die Verzugsvoraussetzungen für den Veranlagungszeitraum 1992 geschaffen, da Steuererklärungen im Folgejahre abzugeben sind. Für die Jahre 1993 und 1994 ist die Voraussetzung der Rechtshängigkeit gegeben. Was hingegen das Begehren des Klägers für die Veranlagungszeiträume 1987 bis 1991 betrifft, wird ein familienrechtlicher Ausgleichsanspruch für die Vergangenheit geltend gemacht, ohne daß nach der jeweiligen Fälligkeit gemahnt worden ist und damit die Voraussetzungen des § 1613 Abs. 1 BGB erfüllt sind. Deswegen ist das Verlangen des Klägers insoweit unbegründet. Besonderer Betrachtung bedarf das Jahr 1986, da der Kläger durch seine Zustimmungsaufforderung im Folgejahr die Beklagte insoweit zunächst in Verzug gesetzt hat. Nach der Feststellung des Berufungsgerichts hat die Beklagte diese Aufforderung durch Schreiben vom 11. September 1987 abgelehnt. Der damit begründete Verzug endete aber durch die mit Ablauf des Jahres 1991 eingetretene Verjährung gemäß § 197 BGB (vgl. BGHZ 34, 191, 197; 104, 6, 11 f). Die Beklagte hat sich im Prozeß wegen der verstrichenen Zeit auf Verwirkung berufen, worin zugleich die Geltendmachung der Verjährungseinrede gesehen werden kann (vgl. MünchKomm/von Feldmann 3. Aufl. § 222 Rdn. 3). Daher steht letztlich auch dem Zustimmungsanspruch für das Jahr 1986 die Vorschrift des § 1613 Abs. 1 BGB entgegen.
Es ergibt sich somit, daß der Anspruch des Klägers auf Zustimmung der Beklagten nur für die Veranlagungszeiträume ab 1992 begründet ist. Soweit das Oberlandesgericht Ansprüche bereits für die Jahre 1990 und 1991 als gerechtfertigt angesehen hat, kann sein Urteil keinen Bestand haben und ist entsprechend zu ändern. Die Revision des Klägers, mit der Zustimmungserklärungen über das bereits zuerkannte Ausmaß erstrebt werden, ist zurückzuweisen, weil er seine Rechte nicht rechtzeitig wahrgenommen hat.
Unterschriften
Blumenröhr, Krohn, Zysk, Hahne, Sprick
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 03.04.1996 durch Küpferle Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
NJW 1996, 1894 |
Nachschlagewerk BGH |