Leitsatz (amtlich)
›Auch Verfügungen über Eigentumsrechte können eine ordnungsgemäße Verwaltung darstellen und unter § 745 Abs. 2 BGB fallen, wenn die begehrte Regelung nach billigem Ermessen dem Interesse der Teilhaber entspricht und die Grenze des § 745 Abs. 3 BGB gewahrt, insbesondere eine übermäßige finanzielle Belastung des Anspruchsgegners vermieden wird. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG wird dadurch nicht verletzt.‹
Verfahrensgang
OLG München |
LG München II |
Tatbestand
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Flur-Nr. 4525/2 in der Gemarkung A in E., das mit der Straße Am Lindenhain durch das langgestreckte Grundstück Flur-Nr. 4525/5 verbunden ist. An letzterem hat der Kläger einen Miteigentumsanteil von 1/6, die Beklagten, die in ehelicher Gütergemeinschaft leben, haben einen Miteigentumsanteil von 2/6. Dem Kläger und der Beklagten zu 1 wurden ebenso wie den anderen Miteigentümern A R , Th W und E Sch ihr Anteil an dem gemeinschaftlichen Grundstück sowie das Eigentum an je einem daran angrenzenden Grundstück in den Jahren 1970 und 1974 von den Voreigentümern (den Eltern) jeweils durch notariellen Vertrag übertragen. Die einzelnen Grundstücke sind hufeisenförmig um das gemeinschaftliche Grundstück angeordnet, wobei das des Klägers die Unterseite des Hufeisens bildet.
In dem Vertrag zwischen den Voreigentümern und der Beklagten zu 1 wurde u.a. vereinbart, daß das Grundstück Flur-Nr. 4525/5 als Privatstraße ausgebaut werden sollte. Dies ist auch geschehen. Die Privatstraße wird von den Anliegern genutzt. Sie mündet in die Straße Am Lindenhain. Bebaut sind allerdings nur die an dieser Straße gelegenen Grundstücke.
Im August 1984 stellte der Kläger beim Landratsamt E einen Bauantrag für sein Grundstück Flur-Nr. 4525/2. Das Landratsamt E teilte ihm mit Schreiben vom 3. Oktober 1984 mit, die Gemeinde E werde ihr Einvernehmen mit der Baugenehmigung nur erteilen, wenn der Weg zu seinem Grundstück öffentlich gewidmet werde. Sonst müsse der Bauantrag ab.gelehnt werden. Diesen Standpunkt haben die Stadt Erding und das Landratsamt E in den folgenden Verhandlungen beibehalten. Die Eintragung einer Grunddienstbarkeit zugunsten der Stadt auf dem Weggrundstück haben sie als nicht ausreichend angesehen. Das Landratsamt hat sich nur bereit erklärt, die Entscheidung über die Baugenehmigung bis zum Abschluß dieses Verfahrens aufzuschieben.
Die Beklagten weigern sich, ihr Einverständnis mit der Widmung des Weges zu erteilen. Der Kläger verlangt von ihnen die Erklärung gegenüber der Stadt E, daß sie der Widmung der Flur-Nr. 4525/5 in der Gemarkung A, vorgetragen im Grundbuch des Amtsgerichts E für A , Band 78, Blatt 2099, als öffentlich-rechtlichen Eigentümerweg gemäß Art. 53 Nr. 3 Bayerischen Straßen- u. Wegegesetz zustimmen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, verfolgen die Beklagten ihren Antrag, die Klage abzuweisen, weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Zurückverweisung.
1. Dem Berufungsgericht ist darin zu folgen, daß die Frage, ob das im Miteigentum der Parteien und weiterer Teilhaber stehende Grundstück Flur-Nr. 4525/5 der Gemarkung A als privater Weg oder als Eigentümerweg und damit als öffentliche Straße im Sinne des Art. 1 des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes (BayStrWG) seine Aufgabe, den Zugang zu den anliegenden Grundstücken der Teilnehmer zu sichern, zu erfüllen hat, nach § 745 BGB zu beurteilen ist.
a) Bei der Widmung einer Straße nach dem Bayerischen Straßen- und Wegegesetz handelt es sich um eine Verfügung über das Eigentumsrecht des Grundstücksinhabers.
Unter einer Verfügung ist ein Rechtsgeschäft zu verstehen. durch das der Verfügende auf ein Recht unmittelbar einwirkt, es also entweder auf einen Dritten überträgt oder mit einem Recht belastet oder das Recht aufhebt oder es sonstwie in seinem Inhalt verändert (vgl. BGHZ 75, 221, 226). Diese Voraussetzung erfüllt die Widmung einer Straße nach bayerischem Recht. Sie ist eine Verfügung, durch die eine Straße die Eigenschaft einer öffentlichen Straße erhält (Art. 6 Abs. 1 BayStrWG), und setzt voraus, daß der Träger der Straßenbaulast das dingliche Recht hat, über das der Straße dienende Grundstück zu verfügen, oder daß der Eigentümer der Widmung zugestimmt hat (Art. 6 Abs. 3 BayStrWG). Bei einer Eigentümerstraße hat die Widmung zur Folge, daß zwar das private Eigentumsrecht nicht untergeht, aber durch die öffentlich-rechtliche Funktion des Grundstücks überlagert wird, der Eigentümer also mit dem Grundstück nicht mehr gemäß § 903 BGB verfahren kann. Hierin liegt eine inhaltliche Änderung des Eigentumsrechts.
b) Auch Verfügungen können jedoch eine ordnungsgemäße Verwaltung darstellen und deshalb unter § 745 Abs. 2 BGB fallen, wenn die begehrte Regelung nach billigem Ermessen dem Interesse aller Teilhaber entspricht und die Grenze des § 745 Abs. 3 BGB gewahrt, insbesondere eine übermäßig finanziellen Belastung des Anspruchsgegners vermieden wird (vgl. statt aller Mü-Ko.-Karsten Schmidt, BGB 2. Aufl. Rdnr. 31 zu §§ 744, 745).
c) Liegen diese Voraussetzungen vor, so steht dem Umstand, daß eine Verfügung über ein Miteigentumsrecht begehrt wird, der Anwendung des § 745 Abs. 2 BGB nicht entgegen. Der Ansicht der Revision, hierin liege eine Verletzung des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG kann nicht gefolgt werden. Richtig ist, daß die Grundrechte nicht nur Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat sind, sondern auch als objektive Normen ein Wertsystem statuieren, das auch das bürgerliche Recht beeinflußt; keine bürgerlich-rechtliche Vorschrift darf in Widerspruch zu ihm stehen, jede muß in seinem Geiste ausgelegt werden (vgl. BVerfGE 7, 198, 205; 18, 85, 92). Deshalb muß bei der Auslegung einfachrechtlicher Normen auch die Bedeutung berücksichtigt werden, die der grundgesetzliche Schutz des Eigentums hat (vgl. BVerfGE 18, 85, 93; Papier in Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG Rdnr. 205 zu Art. 14). Die Revision übersieht jedoch, daß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dem Gesetzgeber die Befugnis einräumt, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen. Dabei geht die Befugnis des Gesetzgebers um so weiter, je mehr das Eigentumsobjekt sozialgebunden ist. Maßgebend ist der auch in Art. 14 Abs. 2 GG Ausdruck findende Gesichtspunkt, daß Nutzung und Verfügung in jedem Fall nicht lediglich innerhalb der Sphäre des Eigentümers bleiben, sondern Belange anderer Rechtsgenossen berühren, die auf die Nutzung des Eigentumsobjekts angewiesen sind. Hierauf folgt das Gebot der Rücksichtnahme auf denjenigen, der seinerseits der Nutzung des Eigentumsobjekts zu seiner Freiheitssicherung und verantwortlichen Lebensgestaltung bedarf (vgl. BVerfGE 68, 361, 368 m.w.N.). Dieses Gebot der Rücksichtnahme verstärkt sich noch, wenn die betroffenen Parteien in besonderen Rechtsbeziehungen stehen, die sie in Bezug auf ein bestimmtes Eigentumsrecht verbinden. Eine solche besondere Rechtsbeziehung stellt die im bürgerlichen Recht geregelte Gemeinschaft nach Bruchteilen (§§ 741 ff. BGB) dar. Dieses Gebot der Rücksichtnahme kann so weit gehen, daß ein Teilhaber gehalten ist, im Interesse aller Teilhaber einer Verfügung über das (Mit-)Eigentumsrecht zuzustimmen.
2. Unter den dargelegten Voraussetzungen hat der Kläger einen Anspruch darauf, daß die Beklagten einer Widmung des Grundstücks Flur-Nr. 4525/5 der Gemarkung A als Eigentümerweg gemäß Art. 53 Nr. 3 BayStrWG zustimmen. Daß diese Voraussetzungen vorliegen, hat das Berufungsgericht jedoch nicht rechtsfehlerfrei festgestellt.
a) Der Zweck dieses Grundstücks besteht darin, den Zugang zu den anliegenden, im Alleineigentum der Teilhaber stehenden Grundstücke zu eröffnen. Dementsprechend wird es von den Anliegern als Privatstraße genutzt. Da es sich bei den anliegenden Grundstücken um Bauland handelt - wie sich schon aus dem Schreiben des Landratsamtes E vom 3. Oktober 1984 ergibt -, liegt es im Interesse aller Teilhaber, daß dieser Privatweg so ausgestaltet wird, daß eine Bebauung der anliegenden Grundstücke möglich wird. Ist hierzu die Widmung des Privatweges als Eigentümerweg erforderlich, so liegt diese Widmung im Interesse aller Teilhaber und die Zustimmung hierzu kann von den Beklagten nach billigem Ermessen verlangt werden. Eine wesentliche Veränderung im Sinne des § 745 Abs. 3 BGB erfährt das Grundstück Flur-Nr. 4525/5 durch die vorgesehene Widmung zu einem Eigentümerweg nicht. Eine wesentliche Veränderung liegt nur dann vor, wenn durch die Widmung die,Zweckbestimmung des Grundstücks oder dessen Gestalt in einschneidender Weise geändert werden wurde (vgl. Sen.Urt. v. 20. Dezember 1982 II ZR 13/82, WM 1983, 314, 315). Davon kann keine Rede sein. Das Grundstück war von Anfang an als Straßengrundstück vorgesehen und wird von allen Beteiligten als solches einvernehmlich genutzt. Diese Zweckbestimmung wird durch die beabsichtigte Widmung noch verstärkt. Die von den Beteiligten vorgesehene und praktizierte Nutzung bleibt im wesentlichen unverändert. Durch die Widmung ändert sich allerdings die rechtliche Einordnung des Weges: Aus einem Privatweg wird eine öffentliche Straße, mit der Folge, daß sie jedermann benutzen kann (Art. 14 Abs. 1 BayStrWG) und die Grundstückseigentümer Träger der Straßenbaulast werden (Art. 55 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG). Die tatsächlichen Auswirkungen des Gemeingebrauchs sind jedoch, wie sich aus der Lage der Grundstücke ergibt, gering. Gefordert wird die Widmung des bestehenden Privatweges als Eigentümerweg im Sinne des Art. 53 Nr. 3 BayStrWG. Damit bleibt der Charakter des Weges als Stichweg gewahrt. Die Straßenbaulast beschränkt sich auf die Unterhaltung des Weges in dem Umfang, in dem er bei seiner Errichtung für den Verkehr bestimmt war (Art. 55 Abs. 1 Satz 2 BayStrWG). Demnach erweist sich die Befürchtung der Revision als unbegründet, die Widmung eröffne die Gefahr, daß später eine Durchgangsstraße entstehe. Die Errichtung einer Ortsstraße, also einer Straße, die dem Verkehr innerhalb der Gemeinde dient (Art. 46 Nr. 2 BayStrWG), ist gerade nicht beabsichtigt.
b) Jedoch steht bisher nicht fest, daß die Widmung des Weges als Eigentümerweg die einzige Möglichkeit darstellt, das Grundstück des Klägers zu bebauen.
Das Berufungsgericht hat hierzu ausgeführt, das Verlangen der Beklagten, der Kläger solle den Verwaltungsrechtsweg beschreiten, stelle keine billigem Ermessen entsprechende Verwaltung dar. Die Verwaltungsbehörde beharre auf ihrem Standpunkt, eine Widmung sei erforderlich. Ein womöglich langjähriges Verfahren verspreche im Ergebnis keinen Erfolg, da ein Rechtsanspruch des Klägers auf Erteilung einer Baugenehmigung oder Widmung des Weges nicht bestehe. Hiergegen wendet sich die Revision mit Erfolg.
Allerdings bestimmt Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 der Bayerischen Bauordnung (BayBO), daß Gebäude nur errichtet werden dürfen, wenn das Grundstück in einer angemessenen Breite an einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche liegt. Der Hinweis der Revision auf die Vollzugsbekanntmachung vom 21. August 1982 (MABl. S. 474) zu Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 BayBO geht in diesem Zusammenhang fehl. Art. 4 Abs. 2 BayBO setzt voraus, daß ein Bebauungsplan vorliegt. Ein Bebauungsplan existiert aber unstreitig nicht. Doch können außerhalb des räumlichen Geltungsbereiches eines Bebauungsplanes und außerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles Ausnahmen von Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 BayBO gestattet werden, wenn das Grundstück eine befahrbare, rechtlich gesicherte Zufahrt zu einem befahrbaren öffentlichen Weg hat (Art. 4 Abs. 3 BayBO). Eine solche rechtliche Sicherung der Zufahrt bieten die Beklagten durch die Bestellung einer Grunddienstbarkeit an. Es ist nicht ersichtlich, warum das Landratsamt E diese Möglichkeit für nicht ausreichend hält. Hierzu hat auch der Kläger bisher nichts vorgetragen. Damit fehlt es an jeder geeigneten Beurteilungsgrundlage für die Frage, ob dem Kläger ein Verwaltungsstreit zumutbar wäre oder nicht. Der Hinweis des Berufungsgerichts, Art. 4 Abs. 3 Satz 1 BayBO räume der Verwaltungsbehörde ein Ermessen ein, das lediglich gebunden sei, aber keinen Anspruch gebe, geht jedenfalls fehl. Stehen öffentliche Belange einem Bauvorhaben nicht entgegen, so hat der Baubewerber im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG einen Rechtsanspruch auf Zulassung des Bauvorhabens (vgl. BVerwG 18, 247, 250; BGH, Urt. v. 5. Februar 1981 III ZR 119/79, NJW 1981, 982).
Um den Parteien, insbesondere dem Kläger, Gelegenheit zu geben, ihren Sachvortrag in geeigneter Form zu ergänzen, und um dem Berufungsgericht zu ermöglichen, die erforderlichen Feststellungen zu treffen, wird die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Bei der Abwägung ist gegebenenfalls auch zu berücksichtigen, in welchem Umfang zusätzliche Kosten auf die Beteiligten zukommen (vgl. Sen.Urt. v. 20. Dezember 1982 - II ZR 13/82, WM 1983, 314, 315 m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 2992900 |
BGHZ 101, 24 |
BGHZ, 24 |
NJW 1987, 3177 |
BGHR BGB § 745 Abs. 2 Verfügung 1 |
BGHR GG Art. 14 Abs. 1 Satz 2 Bruchteilsgemeinschaft 1 |
DRsp I(138)534b-c |
WM 1987, 1220 |
DNotZ 1988, 359 |
MDR 1987, 1001 |