Entscheidungsstichwort (Thema)
Untreue
Leitsatz (amtlich)
Die Wertung des Tatrichters, eine Kreditvergabe sei pflichtwidrig im Sinne des § 266 StGB, setzt eine umfassende Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kreditnehmers, der beabsichtigten Verwendung des Kredits und der Einschätzung der Risiken durch die Entscheidungsträger voraus.
Normenkette
StGB § 266 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Augsburg (Aktenzeichen 3 KLs 501 Js 20780/93) |
Tenor
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 29. September 1998 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Angeklagten Dr. B., S. und der frühere Mitangeklagte St. verurteilt sind.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Untreue schuldig gesprochen; Dr. B. wurde unter Vorbehalt der Verurteilung zu einer Geldstrafe verwarnt, S. zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten bei Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Ihre Revisionen haben mit der Sachrüge Erfolg; auf die vom Angeklagten Dr. B. erhobenen Verfahrensrügen kommt es nicht an.
1. a) Die Angeklagten Dr. B., S. und der frühere Mitangeklagte St. waren Vorstände der Sparkasse N., Dr. B. Vorstandsvorsitzender. Durch Vorstandsbeschluß vom 18. Juni 1991 erhöhten sie das Kreditlimit der Firma HR-Warenhandels GmbH und ihres alleinigen Gesellschafters, des Kaufmanns W. R., die eine Kreditnehmereinheit nach § 19 Abs. 2 KWG bildeten, um 2.980.000 DM. Die Mittel dienten dem Erwerb eines Lagers nicht mehr aktueller Textilien, das die Kreditnehmer weiterverkaufen wollten. Der Blankoanteil der Kreditgewährung betrug 1.779.900 DM, bei Berücksichtigung einer Zusatzsicherheit aus dem Warenlager 1.046.000 DM. Das Gesamtengagement der Sparkasse gegenüber den Kreditnehmern belief sich damit auf 4.281.600 DM; dem standen Sicherheiten von maximal 2.501.700 DM entgegen. Den Kreditnehmern gelang es in der Folgezeit nicht, das Warenlager zu verkaufen. Letztlich wurden die sicherungsübereigneten Waren zu einem Erlös von lediglich 406.500 DM veräußert.
b) Zu den Sicherheiten hat das Landgericht ausgeführt, daß gemäß § 9 Nr. 3 SparkassenO ein Sicherheitsansatz von nur maximal 66 2/3 % des Einkaufspreises der Waren erlaubt gewesen wäre. Hinsichtlich der davon abweichenden, höheren Sicherheitsbewertung des Warenlagers wird den Angeklagten jedoch nicht angelastet, daß sie eine Gefährdung des Sparkassenvermögens billigend in Kauf genommen hätten.
2. Den strafrechtlichen Vorwurf der Untreue leitet die Strafkammer daraus her, daß die drei Angeklagten gegen die Pflicht gemäß § 18 Satz 1 KWG verstoßen hätten, nach der sich die Bank von Kreditnehmern, denen Kredite von insgesamt mehr als 500.000 DM gewährt werden, die wirtschaftlichen Verhältnisse offenlegen lassen muß.
a) Ein Verstoß gegen § 18 Satz 1 KWG kommt hier jedoch nur insoweit in Frage, als den Angeklagten der Jahresabschluß 1989 des Einzelkaufmanns W. R. bei ihrer Entscheidung nicht vorlag. Für das Geschäftsjahr 1989 fand sich jedoch in der umfangreichen Beschlußvorlage für die Vorstandssitzung vom 18. Juni 1991, die das Urteil wörtlich mitteilt, die Information, daß R. mit Schreiben seines Steuerberaters vom 6. Juli 1990 für das Jahr 1989 Provisionserlöse in Höhe von 230.000 DM attestiert wurden.
Eine Verpflichtung, auch für das Jahr 1990 die Jahresabschlüsse der HR-Einzelhandels GmbH und der Einzelfirma beizuziehen, bestand dagegen nur, wenn diese tatsächlich bereits erstellt waren. Feststellungen dazu hat das Landgericht nicht getroffen. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Sparkassenvorstandes mußten diese von den Kreditnehmern noch nicht erstellt sein (§ 264 Abs. 1 Satz 3 HGB; § 243 Abs. 2 HGB - zu letzteren Baumbach/Hopt, HGB 29. Aufl. § 242 Rdn. 10); noch darüber hinausgehend hat das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen in seinem – freilich späteren – Rundschreiben vom 7. Juli 1998 den Hinweis gegeben, daß für kleine Kapitalgesellschaften im Sinne von § 267 Abs. 1 HGB und sonstige nichtprüfungspflichtige, aber bilanzierungspflichtige Kreditnehmer eine Frist zur Vorlage der Jahresabschlüsse von zwölf Monaten gilt (mitgeteilt bei Nack in Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht 3. Aufl. S. 1821, 1823).
b) Unabhängig davon trägt die – hier allenfalls geringfügige – Verletzung der sich aus § 18 Satz 1 KWG ergebenden Informationspflicht für sich die Annahme einer Pflichtverletzung im Sinne des § 266 StGB nicht (vgl. BGH, Urt. vom 31. Mai 1960 - 1 StR 106/60). Entscheidend dafür ist vielmehr, ob die Entscheidungsträger ihrer Prüfungs- und Informationspflicht bezüglich der Vermögensverhältnisse des Kreditnehmers insgesamt ausreichend nachgekommen sind. Aus der Nichtbeachtung oder Verletzung der Vorschrift des § 18 Satz 1 KWG können sich freilich Anhaltspunkte dafür ergeben, daß dieser Pflicht nicht ausreichend Genüge getan wurde. Wird jedoch eine fehlende Information wie hier der fehlende Jahresabschluß 1989 durch andere, gleichwertige Informationen ersetzt, liegt im Ergebnis eine Pflichtwidrigkeit nicht vor.
c) Hier enthielt die sehr umfangreiche Beschlußvorlage für die Kreditentscheidung eine Vielzahl von Informationen zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Kreditnehmer. Danach war R. alleiniger Gesellschafter der HR-Warenhandels GmbH mit einem eingezahlten Stammkapital von 300.000 DM. Wie bereits erwähnt, wurden ihm in einem Schreiben seines Steuerberaters vom 6. Juli 1990 für das Jahr 1989 Provisionserlöse in Höhe von 230.000 DM und für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Mai 1990 in Höhe von 331.000 DM attestiert. Nach eigenen Angaben hat er im Jahre 1990 aus einem Umsatz von 7,2 Mio. DM eine Provision von 10 % erzielt. Seinen bisherigen Verpflichtungen aus Bankverbindlichkeiten von über 2 Mio. DM war er bis dahin ordnungsgemäß nachgekommen; einen Teil seiner Erlöse aus dem Jahre 1990 hatte er in Sparkassenbriefen angelegt oder zur Erhöhung der Stammeinlage der GmbH verwendet. Das sicherungsübereignete Warenlager war vorhanden und von dem Angeklagten S. besichtigt worden.
Neben diesen Informationen aus der Beschlußvorlage hat das Landgericht weiter festgestellt, es habe ein von einem Steuerberater erstellter Zwischenabschluß der GmbH für den Zeitraum vom 1. Juli bis 30. September 1990 vorgelegen, der bei Umsatzerlösen von 243.000 DM einen Überschuß von 151.000 DM ausweise. Bei einer Bilanzsumme von 541.000 DM betrug das Eigenkapital 100.000 DM, jedoch waren Forderungen gegen den Gesellschafter in Höhe von 90.000 DM ausgewiesen. Das, was das Landgericht zu diesem Abschluß mitteilt, steht jedoch im Widerspruch zu der anderweitigen Feststellung des Urteils, daß die GmbH erst am 23. August 1990 gegründet wurde und daß laut Beschlußvorlage das eingezahlte Stammkapital 300.000 DM betrug.
Das Landgericht geht auf diese zusätzlichen Informationen nicht ein. Das wäre jedoch in doppelter Hinsicht geboten gewesen. Einmal hätte sich aus dieser Prüfung ergeben können, daß der Vorstand der Sparkasse seiner Informationspflicht ausreichend nachgekommen ist. Zum anderen erschienen die Informationen grundsätzlich geeignet, den Eindruck zu vermitteln, R. und seine H. R. Handels GmbH arbeiteten durchgehend mit Gewinn und kämen ihren Verpflichtungen ordnungsgemäß nach. Insbesondere die zuletzt genannte Aussage hatte dabei Gewicht; sie stammte aus dem Wissen der Sparkasse selbst und belegte, daß die erforderlichen Erlöse erzielt wurden, die bereits bestehenden erheblichen Verbindlichkeiten zu bedienen. Demgegenüber führt das Landgericht Gründe, warum die Vorstandsmitglieder an der Richtigkeit der vom zuständigen Kreditsachbearbeiter zusammengetragenen Informationen und dessen Beurteilung hätten zweifeln müssen, nicht an, auch wenn sich solche aus der Beschlußvorlage ergaben. Danach war es zu Kontoüberziehungen gekommen und der Weiterverkauf des Warenlagers konnte keinesfalls als gesichert angesehen werden.
Der Schluß, eine Kreditbewilligung sei pflichtwidrig gewesen, setzt aber voraus, daß sich das Tatgericht eingehend mit allen dafür maßgeblichen Umständen, insbesondere den Vermögensverhältnissen des Kreditnehmers, der beabsichtigten Verwendung des Kredits und den Aussichten des geplanten Geschäftes, auseinandersetzt. Daran fehlt es hier.
Schon aus diesem Grunde kann das landgerichtliche Urteil daher keinen Bestand haben.
3. Die Urteilsgründe geben Anlaß zu folgenden Hinweisen:
a) Jede Kreditbewilligung ist ihrer Natur nach ein mit einem Risiko behaftetes Geschäft (BGH wistra 1985, 190, 191). Bei einer Kreditvergabe sind auf der Grundlage umfassender Information diese Risiken gegen die sich daraus ergebenden Chancen abzuwägen. Ist diese Abwägung sorgfältig vorgenommen worden, kann eine Pflichtverletzung nicht deshalb angenommen werden, weil das Engagement später notleidend wird.
Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, daß die Risikoprüfung nicht ausreichend vorgenommen worden ist, können sich nach der Erfahrung des Senats insbesondere daraus ergeben, daß
b) Auch wenn eine Pflichtverletzung vorliegt und der Kredit später notleidend wird, führt dies allein noch nicht zur Annahme einer Untreue. Voraussetzung wäre, daß ein bei Vertragsschluß oder bei Darlehensausreichung in Gestalt einer Vermögensgefährdung eingetretener Vermögensnachteil auf die Pflichtwidrigkeit zurückzuführen ist. Ist danach etwa die erforderliche Befugnis der Entscheidungsträger nicht vorhanden, steht die Bonität des Kreditnehmers aber außer Zweifel, fehlt es an diesem Zusammenhang (BGH wistra 1989, 142).
c) Für die Feststellung des subjektiven Tatbestandes sind gleichfalls eingehende Erörterungen erforderlich. Ohne sie sind Rückschlüsse auf den Vorsatz nicht möglich (BGH NJW 1979, 1512). Dabei ist zu beachten, daß der Entscheidungsträger eine über das allgemeine Risiko bei Kreditgeschäften hinausgehende Gefährdung des Rückzahlungsanspruchs der Bank erkannt und gebilligt haben muß. Bei Bankvorständen und Bankmitarbeitern versteht sich das auch bei problematischen Kreditvergaben jedoch nicht von selbst (vgl. BGH wistra 2000, 60), wenn nicht die bereits angeführten Anhaltspunkte für eine Pflichtverletzung vorliegen. Vielmehr ist eine sorgfältige und strenge Prüfung der Frage erforderlich, ob – zumindest – bedingt vorsätzliches Verhalten tatsächlich vorliegt. Zu unterscheiden ist zwischen den begrifflichen Voraussetzungen des dolus eventualis und den Anforderungen, die an seinen Beweis zu stellen sind (vgl. Cramer in Schönke/Schröder, 26. Aufl. § 15 Rdn. 87). Dabei soll nach den dazu entwickelten Grundsätzen die Annahme einer Billigung des Erfolges beweisrechtlich naheliegen, wenn der Täter ein Vorhaben trotz äußerster Gefährlichkeit durchführt; in solchen Fällen soll er sich nicht auf die vage Hoffnung berufen können, jene Gefahr werde sich wider Erwarten doch nicht verwirklichen (st. Rspr.; vgl. z.B. BGH NStZ 1984, 19; 1986, 550). Doch können derartige Umschreibungen, die weitgehend für den Bereich der Tötungsdelikte entwickelt worden sind, nicht formelhaft auf Fälle offener, mehrdeutiger Geschehen angewendet werden (BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 8; vgl. auch BGHSt 36, 1, 9). Der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts allein kann kein Kriterium für die Entscheidung der Frage sein, ob der Angeklagte mit dem Erfolg auch einverstanden war. Es kommt vielmehr immer auf die Umstände des Einzelfalles an, bei denen insbesondere die Motive und die Interessenlage des Angeklagten zu beachten sind (BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 1; StPO § 127 Festnahme 1).
d) Wird die Entscheidung über eine Kreditvergabe wie hier von einem mehrköpfigen Gremium getroffen, kommen auch für den Fall des Einstimmigkeitsprinzips unterschiedliche Verantwortlichkeiten der Beteiligten in Frage. So wird sich der Vorstandsvorsitzende, es sei denn, es gehe um besonders hohe Risiken, auf den Bericht des Kreditsachbearbeiters und des Kreditvorstandes verlassen dürfen. Nur wenn sich daraus Zweifel oder Unstimmigkeiten ergeben, ist Rückfrage oder eigene Nachprüfung geboten. Das gleiche gilt für weitere Beteiligte wie die Mitglieder eines Kreditausschusses.
4. Gemäß § 357 StPO war die Aufhebung des Urteils auf den früheren Mitangeklagten St. zu erstrecken, der keine Revision eingelegt hatte.
In Anbetracht der Tatsache, daß die den Angeklagten vorgeworfene Tat fast neun Jahre zurückliegt und schon das Landgericht die Schuld der Angeklagten im einzelnen zwar unterschiedlich, aber insgesamt eher gering eingestuft hat, liegt eine Sachbehandlung nach § 153 oder § 153a StPO nahe.
Unterschriften
Schäfer, Maul, Granderath, Boetticher, Schluckebier
Fundstellen
Haufe-Index 540044 |
BGHSt |
BGHSt, 30 |
NJW 2000, 2364 |
EWiR 2001, 391 |
JR 2000, 515 |
NStZ 2000, 655 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2000, 1256 |
WuB 2000, 959 |
ZIP 2000, 1210 |
wistra 2000, 305 |
StV 2000, 483 |
ZBB 2000, 270 |