Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwangsvollstreckung in schuldnerfremdes Vermögen. Schuldhaft verspätete Freigabe der Pfandsache. Sachlich-rechtliche Verpflichtung des Pfändungsgläubigers zur gewissenhaften Prüfung der von dritter Seite erhobenen Ansprüche. Drittwiderspruchsklage. Sachlichrechtlicher Anspruch des Dritten gegen den Pfändungsgläubiger auf Freigabe. Haftung des Gläubigers für den dem Dritten entstehenden Verzugsschaden gem. § 278 BGB ohne Entlastungsmöglichkeit
Leitsatz (amtlich)
Verzögert der mit der Zwangsvollstreckung beauftragte Rechtsanwalt die Freigabe des Pfandgegenstandes, nachdem ein die Veräußerung hinderndes Recht glaubhaft gemacht ist, dann haftet der Gläubiger für den dem Dritten entstehenden Verzugsschaden ohne Entlastungsmöglichkeit.
Normenkette
ZPO § 771; BGB § 278
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 6. Juli 1970 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte ließ am 19. März 1965 aufgrund eines Titels gegen die Firma P…- Fruchtimport GmbH, als deren Geschäftsführer der Kläger tätig war, den mit der Aufschrift „P…-Fruchtimport GmbH” versehenen Lkw Hanomag Markant mit dem amtlichen Kennzeichen … pfänden. Das Fahrzeug stand jedoch nicht im Eigentum der Schuldnerin; der Kläger persönlich hatte es am 10. September 1964 von dem Bankhaus M… & S… erworben und noch vor der Pfändung an einen Herrn K… zur Sicherung für ein Darlehen übereignet. Am 30. März 1965 übersandte K… dem damaligen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten, Rechtsanwalt Dr. N…, den Sicherungsübereignungsvertrag mit dem Kläger und verlangte die Freigabe des Fahrzeugs. Etwa zur gleichen Zeit forderte auch der Kläger die Beklagte auf, das Fahrzeug freizugeben. Er verhandelte darüber mit dem Prokuristen Sch… der Beklagten und mit Rechtsanwalt Dr. N…, an den er von Sch… verwiesen worden war. Mit Schreiben vom 1.6.1965 an Rechtsanwalt Dr. N… wiederholte der Kläger seine Aufforderung und erklärte, K… habe ihm den Lkw nunmehr zurückübereignet. Zur Glaubhaftmachung fügte er eine eigene eidesstattliche Versicherung über seine Eigentümerstellung bei und bot die Einsichtnahme in den Kfz-Brief des Fahrzeugs an. Als die Beklagte daraufhin den Lkw nicht freigab, erhob der Kläger am 4. August 1965 Drittwiderspruchsklage. In diesem Verfahren (Az.: 26 C 298/65 des Amtsgerichts Hannover) legte der Kläger im September 1965 den Kfz-Brief, eine Quittung des Bankhauses M… & S… vom 10. September 1964 über den Eigentumserwerb an dem Fahrzeug und eine eidesstattliche Versicherung K…s vom 7. September 1965 vor, in der dieser erklärte, daß er den Lkw am 4. Mai 1965 an den Kläger rückübereignet habe. Die Beklagte gab daraufhin mit einem an den Gerichtsvollzieher gerichteten Schreiben vom 13. Oktober 1965 den Lkw frei.
Mit seiner Klage verlangte der Kläger Schadensersatz in Höhe von 19.702.– DM (18.000 DM Nutzungsausfall, 1.642 DM Wertminderung und 60 DM Kosten für ein Sachverständigengutachten) nebst Zinsen wegen der verspäteten Freigabe des Lkw's.
Das Landgericht hat den Schadensersatzanspruch wegen Nutzungsentgangs dem Grunde nach zu 2/3 für gerechtfertigt erklärt. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat es zurückgewiesen.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
1. Das Berufungsgericht geht davon aus, daß sich ein Schadensersatzanspruch des Klägers nur aus den Vorschriften über unerlaubte Handlungen (§§ 823 ff. BGB) herleiten lasse. Zwar handele der Gläubiger, der den Gerichtsvollzieher mit der Pfändung beauftrage, grundsätzlich nicht rechtswidrig, da es nicht angehe die Inanspruchnahme eines staatlichen, gesetzlich eingerichteten und geregelten Verfahrens mit dem Unwerturteil der Rechtswidrigkeit zu belegen. Eine Ausnahme hiervon gelte allerdings dann, wenn der Gläubiger den Gerichtsvollzieher zur Pfändung bestimmter Gegenstände anweise, obwohl er wisse oder wissen müsse, daß sie nicht zum Vermögen des Schuldners gehörten. Eine solche Fallgestaltung habe jedoch nicht vorgelegen. Zwar habe der Prokurist Sch… den Gerichtsvollzieher zur Pfändung des Lkw's angewiesen, dabei aber das entgegenstehende Recht des Klägers weder gekannt noch kennen müssen.
Eine unerlaubte Handlung könne ferner darin liegen, daß der Gläubiger auf die Intervention den Dritten die Freigabe des gepfändeten Gegenstands unterlasse, obwohl der Dritte sein die Veräußerung hinderndes Recht hinreichend glaubhaft gemacht habe. Eine solche Glaubhaftmachung gegenüber dem Prokuristen Sch… sei aber nicht vorstellbar, denn diesem hätten keine schriftlichen Belege für das vom Kläger behauptete Recht vorgelegen. Ob dem Rechtsanwalt Dr. N…, an den Sch… den Kläger zulässigerweise verwiesen habe, derartige Unterlagen vorgelegt worden seien, könne dahinstehen, da die Beklagte für das Verhalten des Rechtsanwalts Dr. N… nur nach § 831 BGB hafte und davon auszugehen sei, daß die Beklagte ein Auswahlverschulden nicht treffe. Vertragliche Beziehungen, aufgrund deren die Beklagte für Rechtsanwalt Dr. N… gemäß § 278 BGB als ihren Erfüllungsgehilfen ohne Entlastungsmöglichkeit einstehen müsse, bestünden zwischen den Parteien nicht. Auch ein gesetzliches Schuldverhältnis liege nicht vor, da die Ansprüche aus den §§ 987 ff. BGB durch § 771 ZPO verdrängt würden.
Eine Haftung der Beklagten für Rechtsanwalt Dr. N… lasse sich ferner weder aus einer entsprechenden Anwendung der im Versicherungsrecht geltenden Repräsentantenhaftung noch aus § 232 Abs. 2 ZPO herleiten. Aus § 232 Abs. 2 ZPO ergebe sich für eine Haftung der Beklagten deswegen nichts, weil dieser Vorschrift nur verfahrensrechtliche Bedeutung zukomme. Auch die Voraussetzungen für eine entsprechende Anwendung des § 717 Abs. 2 ZPO lägen nicht vor.
2. Diesen Erwägungen vermag der Senat in einem Punkte nicht zu folgen, der zur Aufhebung des Berufungsurteiles nötigt. Über die formelle Rechtmäßigkeit der Pfändung besteht kein Streit. Der Kläger macht auch nicht geltend, daß zu diesem Zeitpunkt die Beklagte oder ihre Hilfspersonen sein Eigentum an der Pfandsache bewußt mißachtet oder fahrlässig verkannt hätte. Der Klageanspruch stützt sich vielmehr nur auf die Behauptung, die Pfandsache sei von der Beklagten auch noch in einem Zeitpunkt nicht freigegeben worden, in dem das den Widerspruch nach § 771 ZPO begründende Recht des Klägers bei erforderlicher Sorgfalt ersichtlich gewesen sei. Daß ein solches Verhalten zu Schadensersatzansprüchen (u.a.) aus dem Rechtsgrund der unerlaubten Handlung führen kann, entspricht seit langem der in Rechtsprechung und Schrifttum ganz herrschenden Meinung. (RGZ 61, 430 [432]; 67, 310/312; RG JW 11, 368; RGZ 108, 260 [262]; RG HRR 1925 Nr. 141; RG LZ 26, 1013; RG JW 29, 149; RGZ 156, 395 [400]; RG HRR 1940 Nr. 419; BGH Urteil vom 15. Juni 1965 – VI ZR 35/64 = WM 65, 863; BGHZ 55, 20 Urteil vom 11. November 1970 – VIII ZR 242/68–; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 19. Aufl., § 771 Anm. VII 4 b; Baumbach/Lauterbach, ZPO, 30. Aufl., Einführung §§ 771-774 Anm. 2B; Zöller, ZPO, 10. Aufl. § 771 Anm. 1 i; Sydow/Busch, ZPO, 22. Aufl., § 771 Anm. 4; Rosenberg, Zivilprozeßrecht, 9. Aufl., § 185 III 4; Schönke/Baur, Zwangsvollstreckungs-, Vergleichs- und Konkursrecht 9. Aufl., § 44 1 2 a; Lent/Jauernig, Zwangsvollstreckungs- und Konkursrecht, 11, Aufl., § 11 II; Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, § 15 IV 3, einschränkend Wieczorek, ZPO, Anm. C III b 2: nur § 826 BGB). Dem steht nicht entgegen, daß an die Feststellung eines Gläubigerverschuldens deshalb strenge Anforderungen gestellt werden müssen, weil dem betroffenen Dritten die Darlegung und Glaubhaftmachung seiner Rechte obliegt (BGHZ 55, 20, 30).
Auch das Berufungsgericht geht zutreffend von der Möglichkeit einer solchen Haftung aus. Eine schuldhaft verspätete Freigabe der Pfandsache durch den von der Beklagten beauftragten Anwalt ist, da insoweit auf Feststellungen verzichtet worden ist, für die Revision zu unterstellen.
3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht somit auf der Meinung, daß die Beklagte als Pfändungsgläubigerin nicht nach § 278 BGB für die Entschließungen ihres Anwalts hinsichtlich der Aufrechterhaltung der Pfändung einzustehen habe, obwohl sie ihm diese Entschließungen ohne Vorbehalt überlassen hatte. Dies hält der erkennende Senat nicht für richtig.
a) Die praktischen Auswirkungen dieser Rechtsmeinung müßten den von der Pfändung betroffenen Dritten in kaum tragbarer Weise benachteiligen. Zwar ist nach der erwähnten herrschenden Meinung der Pfändungsgläubiger bei Vermeidung der Schadensersatzpflicht gehalten, die Pfandsache freizugeben, sobald ein hinreichender Anhalt für das die Veräußerung hindernde Recht eines Dritten besteht. Er könnte aber seine Prüfungspflicht auf einen Dritten übertragen, hinsichtlich dessen er sich, wenn es sich um einen beruflich unbescholtenen Anwalt handelt, nicht besonders entlasten müßte, und wäre dann von der Verantwortung für dessen Versäumnisse frei. Andererseits aber bliebe dieser Dritte hinsichtlich der endgültigen Entscheidung immer von der Weisung des Gläubigers abhängig, denn auch ein Anwalt wäre zu einer Pfandfreigabe jedenfalls bei entgegenstehendem Willen des Auftraggebers nie befugt und daher insoweit keiner eigenen Ersatzpflicht für verspätete Freigabe ausgesetzt.
Für den von der Pfändung betroffenen Dritten, der regelmäßig über die Weisungen des Gläubigers an den beauftragten Anwalt nicht informiert ist, ergäbe sich daraus eine erhebliche Erschwerung bei der Durchsetzung seines Ersatzanspruchs. Diese Lage ist schon mißlich genug, wenn der Anwalt durch eine an sich unzulässige Vollstreckungshandlung versehentlich einen Dritten in Mitleidenschaft zieht (vgl. Senatsurteil vom 15. Februar 1957 – VI ZR 335/55 LM BGB § 823 (Hb) Nr. 5). Sie kann aber jedenfalls demjenigen Dritten nicht zugemutet werden, der, wie hier, von einem von der gesetzlichen Regelung zunächst bewußt in Kauf genommenen Eingriff betroffen wurde und dadurch zu Gegenmaßnahmen genötigt ist. In diesen Fällen erscheint auch die persönliche Haftung des Anwalts als Alternative zur Haftung des Auftraggebers kaum sinnvoll, weil die Entschließung über die Freigabe mit einem Risiko verbunden ist, das dem wirtschaftlichen Bereich des Mandanten zugeordnet ist. Auf der anderen Seite wird der Gläubiger durch die Pflicht zur Freigabe auch bei Einschaltung eines Anwalts um so weniger unangemessen belastet, als sie ihn schon als Obliegenheit im prozessualen Kosteninteresse trifft (§ 93 ZPO).
b) Voraussetzung für die Anwendung der Vorschrift des § 278 BGB, die nur im Rahmen von bereits bestehenden Schuldverhältnissen stattfindet (RGZ 160, 315) ist allerdings eine sachlich-rechtliche Verpflichtung des Pfändungsgläubigers zur gewissenhaften Prüfung der von dritter Seite erhobenen Ansprüche und gegebenenfalls zur Freigabe; diese Rechtspflicht muß eben diesem Dritten gegenüber bestehen. Eine solche Verpflichtung ist aber entgegen der Meinung des Berufungsgerichts jedenfalls für die Zeit ab Geltendmachung des Drittrechts zu bejahen.
Allerdings finden sich im Schrifttum und teilweise auch in der Rechtsprechung überwiegend Äußerungen, die eine solche Pflicht des Pfändungsgläubigers zu verneinen scheinen (RGZ 61, 430 [431/32]; 108, 260 [261/62]; Jauernig, ZZP 66, 403 ff.; ders. in Lent/Jauernig, a.a.O., § 13 VII; Rosenberg, a.a.O., § 185 III 3, 4; Stein/Jonas/Münzberg, a.a.O., § 771 VII 1; Baumbach/Lauterbach, a.a.O., Einf. § 771-774 Anm. 2B, 3; Sydow/Busch, a.a.O., § 771 Anm. 4; Böhm, Ungerechtfertigte Zwangsvollstreckung und materiellrechtliche Ausgleichsansprüche, S. 80 ff., der eine materiellrechtliche Klage für „unstatthaft” hält, darüber hinaus aber materiellrechtliche Schadens- oder Ausgleichsansprüche als durch § 771 ZPO schlechthin ausgeschlossen erachtet; zweifelhaft Schönke/Baur, a.a.O.). Sie knüpfen durchweg an die herrschende Beurteilung der Klage aus § 771 ZPO als prozessualer Gestaltungsklage an (andere, darunter Bötticher, Festschrift für Dölle I S. 41 ff.; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 10. Aufl., § 95 I 2, nehmen eine materiellrechtliche Gestaltungsklage an; A. Blomeyer AcP 165, 481 ff. setzt sich für eine materiell-rechtliche Leistungsklage ein). Der herrschenden Auffassung ist darin zuzustimmen, daß die Klage nicht unmittelbar einen Freigabeanspruch gegen den Gläubiger durchsetzt. Es ist auch anzuerkennen, daß das Gesetz den widersprechenden Dritten ausschließlich auf diese Klage verweist, so daß eine statt dessen gewählte Leistungsklage auf Freigabe jedenfalls unstatthaft wäre. Soweit die angeführten Stellungnahmen nur dies besagen wollen (was weitgehend der Fall sein mag), kann ihnen also auf der Grundlage des herrschenden Verständnisses der Drittwiderspruchsklage zugestimmt werden. Dies gilt aber nicht, soweit den Äußerungen weiter entnommen werden muß, daß während des Bestehens der Pfändung eine Verpflichtung nach sachlichem Recht überhaupt nicht bestehen soll.
Wollte man in der Ersetzung der auf einem materiell-rechtlichen Anspruch gestützten Klage auf Freigabe durch die Widerspruchsklage nach § 771 ZPO eine Wertentscheidung des Gesetzgebers zugunsten des Gläubigers dahin sehen, daß diesen eine Pflicht zur Freigabe nicht treffen solle und daß das mit dem summarischen Pfändungsverfahren verbundene Risiko des Eingriffe in schuldnerfremdes Vermögen allein von dem unbeteiligten Dritten zu tragen wäre, dann würde diese Entscheidung des Gesetzgebers auch einem auf Verzögerung der Freigabe gestützten Anspruch aus unerlaubter Handlung die Grundlage entziehen. Diese Konsequenz wird indessen mit Recht nirgends gezogen.
Die Zwangsvollstreckung in schuldnerfremdes Vermögen stellt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (zuletzt BGHZ 55, 20, 26) von Anfang an eine Störung der privaten Rechtslage dar. Dies entsprach schon der Rechtsprechung des Reichsgerichte (soweit ersichtlich mit einziger Ausnahme von RGZ JW 1926, 1013, wo Fahrlässigkeit auch schon für den Beginn der Rechtswidrigkeit gefordert wird; vgl. dort auch die insoweit ablehnende Anmerkung von Oertmann). Auch im Lichte neuerer Rechtswidrigkeitslehren ergibt sich insoweit jedenfalls deshalb nichts anderes, weil der auf eine bewußt formale Prüfung beschränkte Vollstreckungsakt (§§ 808 ff. ZPO) einen Eingriff darstellt, der seine Unvereinbarkeit mit der materiellen Rechtslage zunächst in Kauf nimmt und den betroffenen Dritten insoweit auf das Korrektiv der Widerspruchsklage verweist (vgl. hierzu Wolfram Henkel, Prozeßrecht und materielles Recht S. 236 ff.). Diese Privatrechtswidrigkeit ist mit der Rechtmäßigkeit des Vollstreckungseingriffs aus der Sicht des öffentlichen Verfahrensrechts vereinbar. (BGHZ a.a.O.; Henkel a.a.O., S. 248 ff., 330 ff. Blomeyer a.a.O., S. 483 ff.).
Daraus, daß es dem von der Pfändung Betroffenen versagt ist, seinen sachlich-rechtlichen Anspruch im Wege einer Leistungsklage unmittelbar geltend zu machen, läßt sich nichts Gegenteiliges herleiten, denn § 771 ZPO zwingt nur zur Durchsetzung dieses Anspruchs in einem besonderen, auf ihn zugeschnittenen Verfahren. (Dazu hat schon RGZ 67, 310, 312, mit Recht hervorgehoben, das Eigentumsrecht dürfe, solange die Zwangsvollstreckung schwebt, nur in der Form der Klage aus § 771 ZPO – gemeint: gerichtlich – geltend gemacht werden. Da der Gläubiger, was von keiner Seite bezweifelt wird, in der Lage ist, jedenfalls mittelbar über den Bestand des staatlichen Pfändungsaktes durch Freigabe zu verfügen, da ferner die außergerichtliche Verständigung über die Freigabe die Regel bildet, und da die Freigabe eine schon erhobene Klage aus § 771 ZPO in der Hauptsache erledigt, ist nicht einzusehen, weshalb der Gläubiger gegebenenfalls nicht auch zur Freigabe verpflichtet sein sollte. Daß materiell-rechtliche Ansprüche auch neben einer Gestaltungsklage möglich sind, zeigen – worauf u.a. Schlosser, a.a.O. S. 54 f., 373 zutreffend hinweist – auch Beispiele aus anderen Rechtsbereichen.
Die Frage, ob neben dem prozessualen Gestaltungsrecht des § 771 ZPO ein sachlichrechtlicher Anspruch des Dritten gegen den Pfändungsgläubiger auf Freigabe besteht, kann nach allem nicht nach der Gestaltung der prozessualen Behelfe, sondern nur aus der sachlichen Interessenanlage heraus beantwortet werden. Der Senat ist der Auffassung, daß sich schon allein aus dem erlaubtermaßen auf eine abschließende Prüfung der sachlichen Rechtslage verzichtenden Vollstreckungseingriff eine rechtliche Sonderbeziehung nicht nur zwischen dem Vollstreckungsgläubiger und dem im Titel genannten Schuldner sondern auch zwischen jenem und einem etwaigen Drittberechtigten ergibt, dessen Beeinträchtigung zunächst in Kauf genommen wird. Diese gesetzliche Sonderbeziehung privatrechtlicher Art, die sich aus der Gestaltung des Vollstreckungsrechts ergibt, gewährt dem betroffenen Drittberechtigten als Ausgleich für das zeitweilige Verbot, seine materiellen Abwehransprüche unmittelbar durchzusetzen, zunächst den Anspruch auf sorgfältige Prüfung des dem Pfändungsgläubiger zur Darlegung und Glaubhaftmachung des Drittrechts Unterbreiteten; dieser Anspruch verwandelt sich in einen sachlich-rechtlichen, wenngleich gerichtlich nur im Wege der Klage aus § 771 ZPO durchsetzbaren Anspruch auf Freigabe in dem Augenblick, in dem der Anspruch hinreichend glaubhaft gemacht worden ist. Dafür, wann dieser Grad der Glaubhaftmachung erreicht ist, hat die Rechtsprechung seit langem sowohl im Zusammenhang mit der Frage der Veranlassung der Drittwiderspruchsklage im Sinne des § 93 ZPO als auch bezüglich des deliktischen Schadensersatzanspruches bei verspäteter Freigabe gepfändeter Sachen Maßstäbe herausgearbeitet, die insbesondere auch dem berechtigten Schutzinteresse des Pfändungsgläubigers hinreichend Rechnung tragen. Diese privatrechtliche Sonderbeziehung begründet die Anwendung des § 278 BGB, wenn der Pfändungsgläubiger sich zur Prüfung des Freigabeverlangens des Dritten eines Rechtsanwalts bedient. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung der weiteren Frage, inwieweit sachenrechtliche Rückforderungs- und Abwehransprüche, und wo diese versagen, ein Anspruch aus § 812 BGB (vgl. dazu das in einem etwas anders gelagerten Fall ergangene Urteil des BGH LM BGB § 812 Nr. 90, ferner das Senatsurteil vom heutigen Tage VI ZR 169/70 – zur Veröffentlichung bestimmt) zwar auch während des prozessualen Verbots einer Leistungsklage fortbestehen, aber einer sich aus dem Vollstreckungsrecht ergebenden sachlichen Einrede unterliegen, die bis zur hinreichenden Glaubhaftmachung des Drittrechts vor allem auch den Verzug des Pfändungsgläubigers mit der Freigabe ausschließt.
4. Demnach hat der von der Beklagten beauftragte Anwalt, sofern er die Freigabe trotz hinreichender Glaubhaftmachung verzögert haben sollte, eine aus dieser rechtlichen Sonderbeziehung entspringende Pflicht verletzt, zu deren Erfüllung dem Kläger gegenüber er von der Beklagten bestellt worden war. Die Beklagte haftet dann für den von ihm etwa verursachten Verzugsschaden gem. § 278 BGB ohne Entlastungsmöglichkeit. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben. Bei einer anderweitigen Entscheidung wird das Berufungsgericht auf die Feststellung nicht verzichten dürfen, ob das Verhalten des von der Beklagten bestellten Anwalts auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Pfändungsgläubigers schuldhaft erscheint.
Fundstellen
Haufe-Index 609417 |
BGHZ, 207 |
NJW 1972, 1048 |