Alle in der KW 29 veröffentlichten BGH-Leitsatzentscheidungen

Kompakt und aktuell: Hier finden Sie einen Überblick der in der KW 29 vom Bundesgerichtshof veröffentlichten sog. Leitsatzentscheidungen.

Senat

Leitsatz

Datum und Az.

6a. Zivilsenat

Beauftragt der Hauptbevollmächtigte einer Partei gegen ein Honorar einen Terminsvertreter, um den Anfall von abrechenbaren Kosten in einer das Honorar übersteigenden Höhe zu vermeiden, stellt das vereinbarte Honorar die Gegenleistung allein für die Wahrnehmung des Termins im eigenen Gebühreninteresse des Hauptbevollmächtigten dar und kann der Partei nicht als Aufwendung des Hauptbevollmächtigten in Rechnung gestellt werden (Anschluss an BGH, Beschluss vom 9. Mai 2023 - VIII ZB 53/21, juris).

BGH-Beschluss, v. 22.5.2023, VIa ZB 22/22

12. Zivilsenat

1. Die Einlegung der sofortigen Beschwerde durch einen Rechtsanwalt erfordert im Fall der Einreichung einer Beschwerdeschrift nach §§ 569 Abs. 2, 130d ZPO die elektronische Übermittlung (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 7. Dezember 2022 - XII ZB 200/22, FamRZ 2023, 461).

2. Zur (hier versagten) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Fall der Versäumung der Einlegungsfrist.

BGH-Beschluss, v. 31.5.2023, XII ZB 124/22

2. Zivilsenat

1a. Eine dem Erwerb im Sinne der Absätze 3 bis 5 gleichgestellte Vereinbarung setzt nicht voraus, dass der Bieter die Übereignung von Aktien verlangen kann.

1b. Eine Vereinbarung ist bereits dann eine Grundlage für ein Übereignungsverlangen, wenn sie bei objektiver Betrachtung eine auf den Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft gerichtete rechtsgeschäftliche Disposition des Bieters enthält, in der zum Ausdruck kommt, dass er bereit ist, eine Gegenleistung für den Aktienerwerb zu erbringen, die die nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 WpÜG angebotene Gegenleistung übersteigt.

2. Eine Vereinbarung, mit der sich ein Paketaktionär vor dem Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags verpflichtet, mit seinen Stimmrechten die Zustimmung der Hauptversammlung nach § 293 Abs. 1 Satz 1 AktG zum Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags zu unterstützen, wenn den außenstehenden Aktionären eine dem Betrag nach bestimmte Mindestabfindung angeboten wird, steht nicht im Zusammenhang mit der gesetzlichen Verpflichtung zur Gewährung einer Abfindung an Aktionäre der Zielgesellschaft gemäß § 305 Abs. 1 AktG.

BGH-Urteil, v. 23.5.2023,  II ZR 219/21

10. Zivilsenat

Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist für eine große Ankunftsverspätung verantwortlich, wenn es einem Fluggast unter Verstoß gegen Art. 11 Abs. 1 FluggastrechteVO die Möglichkeit genommen hat, einen direkten Anschlussflug rechtzeitig zu erreichen.

BGH-Urteil, v. 20.6.2023, X ZR 84/22

10. Zivilsenat

Dentalkamera

1. Neuere technische Entwicklungen können Anlass geben, eine neu in den Blickpunkt getretene Komponente als Alternative für eine im Wesentlichen funktionsgleiche Komponente einer im Stand der Technik bekannten Vorrichtung in Betracht zu ziehen (Ergänzung zu BGH, Urteil vom 24. Januar 2012 - X ZR 88/09, GRUR 2012, 475 Rn. 45 - Elektronenstrahltherapiesystem).

2. Eine als neuartig vorgestellte Komponente ist jedenfalls dann grundsätzlich als Alternative nahegelegt, wenn sie erkennbar alle wesentlichen Funktionen erfüllt, die einer vergleichbaren Komponente in einer bereits bekannten Vorrichtung zukommen, und keine grundlegenden Schwierigkeiten oder Wechselwirkungen erkennbar sind, die einem entsprechenden Austausch entgegenstehen.

BGH-Urteil, v. 16.5.2023, X ZR 49/21

2. Zivilsenat

Der Gesellschafter kann gegen die Inanspruchnahme aus einem vor dem 1. November 2008 entstandenen Erstattungsanspruch nach den sog. Rechtsprechungsregeln entsprechend §§ 30, 31 GmbHG in der bis zum 31. Oktober 2008 geltenden Fassung gemäß § 242 BGB einwenden, dass das zu Erstattende im Hinblick auf einen Darlehensrückzahlungsanspruch gleich wieder zurückzugewähren wäre.

BGH-Beschluss, v. 18.4.2023, II ZR 37/22

10. Zivilsenat

Faserstoffbahn

1. Die Modifikation eines vorbenutzten Gegenstandes, der alle Merkmale eines unabhängigen Schutzanspruchs des Klagegebrauchsmusters verwirklicht, kann auch dann von einem Vorbenutzungsrecht gedeckt sein, wenn der vorbenutzte Gegenstand weitere Merkmale, die nach dem Klageantrag zwingend vorgesehen sind, nicht aufgewiesen hat.

2. Dies gilt unabhängig davon, ob lediglich die Verletzungsklage auf eine in der genannten Weise beschränkte Fassung eines unabhängigen Schutzanspruchs gestützt wird oder ob das Gebrauchsmuster in einem Löschungsverfahren entsprechend beschränkt worden ist.

BGH-Urteil, v. 20.6.2023, X ZR 61/21

Senat für Anwaltssachen

Zum Anspruch auf Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer gemäß § 207 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 206 Abs. 1 BRAO im Falle eines ehemaligen ausländischen Rechtsanwalts (hier: Avukat nach türkischem Recht).

BGH-Urteil, v. 22.5.2023, AnwZ (Brfg) 23/22

13. Zivilsenat

Eine Vertrauensperson, die am Haftanordnungsverfahren vor dem Amtsgericht nicht beteiligt war, ist nicht zur Einlegung der Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss befugt, mit dem die Beschwerde des Betroffenen gegen die Haftanordnung zurückgewiesen wird (Klarstellung im Hinblick auf BGH, Beschlüsse vom 20. April 2021 - XIII ZB 36/20, juris Rn. 4; vom 14. Februar 2023 - XIII ZB 58/21, juris Rn. 8).

BGH-Beschluss, v. 9.5.2023, XIII ZB 9/20

8. Zivilsenat

Zur Wirksamkeit der Bevollmächtigung eines registrierten Inkassodienstleisters für die Erhebung einer Rüge gemäß § 556g Abs. 2 BGB aF im Zusammenhang mit der Geltendmachung und Abtretung von Ansprüchen des Mieters aus der sogenannten Mietpreisbremse (hier: Abgrenzung der einem registrierten Inkassodienstleister nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG, § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG aF gestatteten Forderungseinziehung von unzulässigen Maßnahmen der Anspruchsabwehr).

BGH-Urteil, v. 24.5.2023, VIII ZR 373/21

5. Zivilsenat

1. § 130d Satz 2 ZPO stellt auf die vorübergehende technische Unmöglichkeit im Zeitpunkt der beabsichtigten Übermittlung des elektronisch einzureichenden Dokuments ab. Der Prozessbevollmächtigte, der aus technischen Gründen gehindert ist, einen fristwahrenden Schriftsatz elektronisch einzureichen, ist, nachdem er die zulässige Ersatzeinreichung veranlasst hat, nicht mehr gehalten, sich vor Fristablauf weiter um eine elektronische Übermittlung zu bemühen.

2. Der Käufer, der von dem Verkäufer im Rahmen des kleinen Schadensersatzes gemäß § 437 Nr. 3, § 280, § 281 Abs. 1 BGB Ausgleich des mangelbedingten Minderwerts der Kaufsache verlangt, kann jedenfalls dann nicht auf wesentlich geringere Mängelbeseitigungskosten verwiesen werden, wenn der Mangel damit nicht ohne Zweifel behoben werden kann.

BGH-Urteil, v. 25.5.2023, V ZR 134/22

4. Zivilsenat

Ein Lebensversicherungsvertrag mit Einmalprämie ist nicht vom Anwendungsbereich des § 9 Abs. 1 VVG ausgenommen. Falls dessen Voraussetzungen im Übrigen vorliegen, richtet sich die Rückabwicklung des Versicherungsvertrages nach dieser Vorschrift in Verbindung mit § 152 Abs. 2 VVG.

BGH-Urteil, v. 28.6.2023, IV ZR 52/22

7. Zivilsenat

Die im Internet über das Gemeinsame Registerportal der Länder (www.handelsregister.de) aus dem elektronisch geführten Handelsregister ersichtliche Eintragung der Verschmelzung zweier Rechtsträger ist eine allgemeinkundige Tatsache im Sinne von § 727 Abs. 1 und 2 ZPO.

BGH-Beschluss, v. 24.5.2023, VII ZB 69/21

4. Zivilsenat

1. Zum anwendbaren Recht auf den Innenausgleich zwischen den rumänischen Haftpflichtversicherern einer in Rumänien zugelassenen Zugmaschine und eines in Rumänien zugelassenen Aufliegers nach einem Unfall des Gespanns im März 2017 in Deutschland.

2. Zur Überprüfbarkeit des auf die Entscheidung des Rechtsstreits anzuwendenden ausländischen Rechts durch das Revisionsgericht.

BGH-Urteil, v. 5.7.2023, IV ZR 375/21

6. Zivilsenat

1. Die Anerkennung einer Rechtsnorm als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB setzt unter anderem voraus, dass die Schaffung eines individuellen - unter Umständen zusätzlichen - Anspruchs sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheint. Bei dieser Beurteilung ist in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die Norm gestellt ist, zu prüfen, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen konnte, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zugunsten des Geschädigten gegebenen Haftungs- und Beweiserleichterungen zu knüpfen. In diesem Zusammenhang kann es eine Rolle spielen, ob der Geschädigte in ausreichender Weise anderweitig abgesichert und ein deliktischer Schutz derselben Interessen über § 823 Abs. 2 BGB deshalb entbehrlich ist. Ebenso ist zu berücksichtigen, ob ein durch ein Schutzgesetz geschaffener Anspruch im Widerspruch zu allgemeinen Rechtsprinzipien stünde, und zu fragen, ob dieser Widerspruch wirklich gewollt ist.

2. Zur Frage, ob § 353d Nr. 3 StGB ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB darstellt.

3. Private Tagebuchaufzeichnungen, die von den Strafverfolgungsbehörden beschlagnahmt wurden, sind keine amtlichen Dokumente des Strafverfahrens im Sinne von § 353d Nr. 3 StGB.

4. Dem wörtlichen Zitat kommt wegen seiner Belegfunktion ein besonderer Dokumentationswert im Rahmen einer Berichterstattung zu. Es dient dem Beleg und der Verstärkung des Aussagegehalts und hat deshalb eine besondere Überzeugungskraft.

BGH-Urteil, v. 16.5.2023, VI ZR 116/22

11. Zivilsenat

1. Zur Darstellung der mit einer Fremdfinanzierung einhergehenden Risiken in einem Verkaufsprospekt, der einer Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds zugrunde liegt.

2. Zum Erfordernis von Angaben über Bewertungsgutachten und zu ihrer Darstellung in einem Verkaufsprospekt, der einer Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds zugrunde liegt.

BGH-Beschluss, v. 13.6.2023, XI ZB 17/21

11. Zivilsenat

Zur möglichen Umkehr der Zahlungspflichten in einem Swap-Vertrag.

BGH-Urteil, v. 20.6.2023, XI ZR 80/22

6. Zivilsenat

Zum Vorliegen eines Gehörsverstoßes in einem Schadensersatzprozess.

BGH-Beschluss, v. 6.6.2023, VI ZR 197/21

7. Zivilsenat

1. Ansprüche gegen das Versorgungswerk der Architektenkammer Baden-Württemberg sind trotz ihrer Unabtretbarkeit grundsätzlich wie Arbeitseinkommen in den Grenzen von §§ 850c ff. ZPO pfändbar (Fortführung von BGH, Beschluss vom 25. August 2004 - IXa ZB 271/03, BGHZ 160, 197; Beschluss vom 28. März 2007 - VII ZB 43/06, MDR 2007, 907).

2. Die mit einer Pfändung verbundene Beschlagnahme erstreckt sich ohne weiteres auf alle Nebenrechte, die im Fall einer Abtretung oder eines gesetzlichen Forderungsübergangs nach §§ 401, 412 BGB mit auf den neuen Gläubiger übergehen.

3. Mit der Pfändung der Ansprüche auf Zahlung des Altersruhegelds gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 2, § 27 Satzung Versorgungswerk der Architektenkammer Baden-Württemberg (Satzung AK BW) für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wird das Recht, einen Leistungsantrag nach § 24 Abs. 5 Satzung AK BW - auch rückwirkend - zu stellen, umfasst. Dem steht der sozialrechtlich gebotene Schutz des unpfändbaren Stammrechts eines berufsständischen Altersruhegelds nicht entgegen.

BGH-Beschluss, v. 5.7.2023, VII ZB 3/20

8. Zivilsenat

1. Der Anwendungsbereich des Aufwendungsersatzanspruchs gemäß § 439 Abs. 3 BGB ist unter dem Gesichtspunkt des Einbaus der mangelhaften Kaufsache in eine andere Sache auch dann eröffnet, wenn sich ein Sachmangel der Kaufsache bereits im Rahmen eines - ihrer Art und ihrem Verwendungszweck entsprechenden - Vorfertigungsprozesses zeigt und es deshalb nicht mehr zum Abschluss des Einbauvorgangs kommt.

2. Sofern die Kaufsache nicht untrennbar mit einer anderen Sache verbunden wird, sondern in ihrer ursprünglichen Sacheigenschaft noch vorhanden ist, steht es dem Aufwendungsersatzanspruch gemäß § 439 Abs. 3 BGB nicht entgegen, dass durch den Einbauvorgang eine neue Sache hergestellt wird.

BGH-Urteil, v.21.6.2023, VIII ZR 105/22

8. Zivilsenat

Das Amt des Prozesspflegers ist mit dem Verfahrenseintritt eines ordentlichen gesetzlichen Vertreters des Verfahrensbeteiligten beendet, ohne dass es einer gerichtlichen Aufhebung der Bestellung bedarf (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2020 - V ZB 128/19, WM 2021, 346 Rn. 21).

BGH-Beschluss, v. 16.5.2023, VIII ZB 89/22

5. Zivilsenat

1. Das Vertrauen auf eine Fristverlängerung kann eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur dann rechtfertigen, wenn der Fristverlängerungsantrag die erforderliche Form wahrt. Ob ein nach dem 1. Januar 2022 eingegangener Fristverlängerungsantrag formgerecht ist, richtet sich nach § 130d ZPO.

2. Unverzüglich ist die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Übermittlung eines elektronischen Dokuments nur, wenn sie zeitlich unmittelbar erfolgt. Hierbei hängt es von den Umständen des Einzelfalls ab, innerhalb welcher Zeitspanne die Glaubhaftmachung zu erfolgen hat. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls kann auch die Nachholung der Glaubhaftmachung vor Ablauf einer Woche nicht mehr unverzüglich sein (hier: Nachholung nach zwei Tagen).

BGH-Beschluss, v. 21.6.2023, V ZB 15/22


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