Leitsatz (amtlich)
1. § 130d Satz 2 ZPO stellt auf die vorübergehende technische Unmöglichkeit im Zeitpunkt der beabsichtigten Übermittlung des elektronisch einzureichenden Dokuments ab. Der Prozessbevollmächtigte, der aus technischen Gründen gehindert ist, einen fristwahrenden Schriftsatz elektronisch einzureichen, ist, nachdem er die zulässige Ersatzeinreichung veranlasst hat, nicht mehr gehalten, sich vor Fristablauf weiter um eine elektronische Übermittlung zu bemühen.
2. Der Käufer, der von dem Verkäufer im Rahmen des kleinen Schadensersatzes gemäß § 437 Nr. 3, § 280, § 281 Abs. 1 BGB Ausgleich des mangelbedingten Minderwerts der Kaufsache verlangt, kann jedenfalls dann nicht auf wesentlich geringere Mängelbeseitigungskosten verwiesen werden, wenn der Mangel damit nicht ohne Zweifel behoben werden kann.
Normenkette
ZPO § 130d S. 2; BGB §§ 280, 281 Abs. 1, § 437 Nr. 3
Verfahrensgang
OLG Celle (Entscheidung vom 17.06.2022; Aktenzeichen 4 U 72/21) |
LG Hannover (Entscheidung vom 23.10.2020; Aktenzeichen 16 O 113/19) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 17. Juni 2022 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 23. Oktober 2020 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelinstanzen trägt die Beklagte.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger erwarb von der Beklagten auf der Grundlage eines notariellen Kaufvertrags vom 5. Juli 2017 einen 190/1000 Miteigentumsanteil an einem Grundstück verbunden mit dem Sondereigentum an der Wohnung im Dachgeschoss nebst Spitzboden zu einem Kaufpreis von 469.300 €. Die Beklagte übernahm eine Bauverpflichtung, nach welcher der Kaufgegenstand neu ausgebaut zu übergeben war. Die den Vertragsschluss vermittelnde Maklerin händigte dem Kläger ein Exposé aus, das als Anlage 1 zum notariellen Kaufvertrag mitbeurkundet wurde und in dem das Kaufobjekt als Maisonette mit zwei Ebenen und einer Wohnfläche von insgesamt 103,50 m² angeboten wurde. Von der Wohnfläche sollten 26,89 m² auf den Raum im Spitzboden entfallen. Nach Abschluss des notariellen Kaufvertrags wurde die von der Beklagten beantragte Baugenehmigung für den „Umbau und Sanierung Dachgeschoss; Ausbau Spitzboden zu einer Wohnung“ mit der Nebenbestimmung erteilt, dass der Spitzboden wegen des Fehlens eines zweiten Rettungswegs nicht als Aufenthaltsraum geeignet und bestimmt sei.
Rz. 2
Mit der Klage verlangt der Kläger von der Beklagten nach erfolgloser Aufforderung zur Nacherfüllung die Zahlung von Schadensersatz zum Ausgleich des sich aus der fehlenden Genehmigung des Spitzbodens zu Wohnzwecken ergebenden Minderwerts. Das Landgericht hat der Klage - soweit von Interesse - in Höhe von 54.000 € nebst Zinsen stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat dieses Urteil auf die Berufung der Beklagten insoweit abgeändert, als die Beklagte zur Zahlung von mehr als 11.000 € nebst Zinsen verurteilt worden ist, und die diesen Betrag übersteigende Klage abgewiesen. Mit der von dem Oberlandesgericht hinsichtlich der Höhe des Schadensersatzes zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, will der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erreichen.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 3
Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Beklagte dem Kläger gemäß § 437 Nr. 3, § 280, § 281 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet. Allerdings bemesse sich die Schadenshöhe nicht nach dem von dem Landgericht festgestellten Minderwert in Höhe von 54.000 €, sondern lediglich nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten von 11.000 €. Der geschädigte Käufer, der den Minderwert geltend mache, sei zumindest dann auf den für die Mängelbeseitigung notwendigen Betrag zu verweisen, wenn dieser - wie hier - weniger als die Hälfte des Minderwerts ausmache. Soweit der Kläger einwende, die Errichtung eines weiteren Fluchtwegs sei baurechtlich nicht genehmigungsfähig, widerspreche dies schon dem erteilten Bauvorbescheid. Nach der Teilungserklärung sei zudem davon auszugehen, dass die Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer zu der Errichtung des zweiten Rettungswegs entbehrlich sei.
II.
Rz. 4
Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 5
1. Die Revision ist zulässig; insbesondere hat der Kläger sie innerhalb der verlängerten Frist formgerecht begründet.
Rz. 6
a) Gemäß § 551 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist die Revisionsbegründung in einem Schriftsatz bei dem Revisionsgericht einzureichen, auf welchen die allgemeinen Vorschriften über vorbereitende Schriftsätze anzuwenden sind (§ 551 Abs. 4, § 549 Abs. 2 ZPO). Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die - wie hier - durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, sind als elektronisches Dokument zu übermitteln (§ 130d Satz 1 ZPO). Die durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 (BGBl. I, S. 3786) neu geschaffene Bestimmung des § 130d ZPO ist am 1. Januar 2022 in Kraft getreten (Art. 26 Abs. 7 des Gesetzes). Sie ist damit auf ab diesem Zeitpunkt gegenüber den Gerichten abgegebene Erklärungen von Rechtsanwälten anwendbar. Die zwingende Einreichung von Erklärungen in der elektronischen Form gemäß § 130d Satz 1 ZPO betrifft die Frage ihrer Zulässigkeit. Die Einhaltung der vorgeschriebenen Form ist deshalb von Amts wegen zu prüfen. Ein Formverstoß führt zur Unwirksamkeit der Prozesserklärung (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2022 - IX ZB 17/22, NJW 2023, 456 Rn. 6 mwN). Die Voraussetzungen des § 130d Satz 1 ZPO sind vorliegend nicht erfüllt, da der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Revisionsbegründung binnen der verlängerten Revisionsbegründungsfrist dem Revisionsgericht nicht wie gesetzlich gefordert als elektronisches Dokument übermittelt hat, sondern nach den allgemeinen Vorschriften (§§ 129 ff. ZPO) in Schriftform.
Rz. 7
b) Allerdings waren die Voraussetzungen für eine Ersatzeinreichung gemäß § 130d Satz 2 und 3 ZPO erfüllt.
Rz. 8
aa) Nach § 130d Satz 2 ZPO bleibt die Übermittlung eines Schriftsatzes nach den allgemeinen Vorschriften zulässig, wenn die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen (§ 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO).
Rz. 9
bb) Vorliegend ist eine durch den Ausfall des Systems des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) bedingte vorübergehende technische Unmöglichkeit im Sinne von § 130d Satz 2 ZPO anzunehmen. Aufgrund einer Störung stand das System den Anwendern nicht zur Verfügung, so dass der Zugriff auf beA-Dienste, insbesondere das Postfach, nicht möglich war. Eine Störung des besonderen Anwaltspostfachs führt grundsätzlich zu einer vorübergehenden technischen Unmöglichkeit (vgl. Biallaß, NJW 2023, 25 Rn. 8).
Rz. 10
cc) Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat die vorübergehende Unmöglichkeit der Übermittlung der Revisionsbegründung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen mit der Ersatzeinreichung ausreichend glaubhaft gemacht (§ 294 ZPO). Dass er seine weitere Erklärung, er habe danach bis zum Büroschluss die Funktionsfähigkeit des beA weiterhin überprüft, nicht glaubhaft gemacht hat, ist unschädlich. § 130d Satz 2 ZPO stellt auf die vorübergehende technische Unmöglichkeit im Zeitpunkt der beabsichtigten Übermittlung des elektronisch einzureichenden Dokuments ab. Nur diese muss glaubhaft gemacht werden (vgl. OLG Braunschweig, NJOZ 2022, 1497 Rn. 29; jurisPK-ERV/Biallaß, Band 2, 2. Aufl., § 130d ZPO Rn. 66). Der Prozessbevollmächtigte, der aus technischen Gründen gehindert ist, einen fristwahrenden Schriftsatz elektronisch einzureichen, ist, nachdem er die zulässige Ersatzeinreichung veranlasst hat, nicht mehr gehalten, sich vor Fristablauf weiter um eine elektronische Übermittlung zu bemühen. Ein elektronisches Dokument ist nach § 130d Satz 3 Halbsatz 2 ZPO bei ausreichender Ersatzeinreichung zusätzlich nur auf gerichtliche Anforderung nachzureichen.
Rz. 11
2. Die Revision ist auch begründet. Sie führt zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Rz. 12
a) Das Berufungsgericht hat die Zulassung der Revision wirksam auf die Anspruchshöhe beschränkt (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 11. März 2022 - V ZR 35/21, NJW 2022, 2685 Rn. 8; BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2017 - VII ZR 46/17, BeckRS 2017, 135869 Rn. 4; Urteil vom 27. September 2011 - II ZR 221/09, NZG 2011, 1352 Rn. 18). Ob sich die Beschränkung auf die zugrunde gelegte Anspruchsgrundlage erstreckt, kann dahinstehen. Dass dem Kläger gegen die Beklagte dem Grunde nach ein kaufrechtlicher Schadensersatzanspruch gemäß § 437 Nr. 3, § 280, § 281 Abs. 1 BGB zusteht, zieht nämlich auch die Revision nicht in Zweifel und ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Rz. 13
b) Keinen Bestand haben kann aber die Annahme, der kaufvertragliche Anspruch des Klägers auf Schadensersatz statt der Leistung (kleiner Schadensersatz) gemäß §§ 437 Nr. 3, § 280, § 281 Abs. 1 BGB könne nur anhand der voraussichtlich erforderlichen Mängelbeseitigungskosten und nicht anhand des Minderwerts der Kaufsache bemessen werden, da die Mängelbeseitigungskosten weniger als die Hälfte des Minderwerts der Kaufsache ausmachten.
Rz. 14
aa) Nach § 437 Nr. 1, § 439 Abs. 1 BGB hat der Käufer bei Vorliegen eines Mangels einen Anspruch auf Nacherfüllung, welche nach seiner Wahl in Form der Beseitigung des Mangels oder der Lieferung einer mangelfreien Sache erfolgen kann. Unterbleibt die Nacherfüllung, kann der Käufer nach Ablauf einer dem Verkäufer erfolglos gesetzten Frist zur Nacherfüllung Schadensersatz verlangen. Die Primärleistung kann aufgrund der Ausübung des Wahlrechts gemäß § 281 Abs. 4 BGB nicht mehr beansprucht werden. Aus dieser Norm ergibt sich, dass nunmehr Ersatz in Geld geschuldet ist (vgl. Senat, Beschluss vom 13. März 2020 - V ZR 33/19, NZBau 2021, 40 Rn. 16). Nach der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung kann der Käufer im Rahmen des von dem Kläger geforderten kleinen Schadensersatzes gemäß § 437 Nr. 3, § 280, § 281 Abs. 1 BGB entweder Ausgleich des mangelbedingten Minderwerts der Kaufsache oder Ersatz der voraussichtlich erforderlichen Mängelbeseitigungskosten verlangen (vgl. Senat, Urteil vom 12. März 2021 - V ZR 33/19, BGHZ 229, 115 Rn. 8; Urteil vom 4. April 2014 - V ZR 275/12, BGHZ 200, 350 Rn. 33 jeweils mwN).
Rz. 15
bb) Der Schadensersatz statt der Leistung dient dem Ausgleich des Äquivalenzinteresses; geschützt wird im Bereich der kaufrechtlichen Sachmängelhaftung die Erwartung des Käufers, Wert und Nutzungsmöglichkeit einer vertragsgemäßen Sache zu erhalten (vgl. Senat, Beschluss vom 13. März 2020 - V ZR 33/19, NZBau 2021, 40 Rn. 13). Da der Schadensersatz gemäß § 437 Nr. 3, § 280, § 281 Abs. 1 BGB „statt der Leistung“ gewährt wird, kann der Gläubiger verlangen, wirtschaftlich so gestellt zu werden, wie er stehen würde, wenn der Schuldner den Vertrag ordnungsgemäß erfüllt hätte (sog. positives Interesse, vgl. Senat, Beschluss vom 13. März 2020 - V ZR 33/19, NZBau 2021, 40 Rn. 34). Entscheidet sich der Käufer - wie hier - für den Ausgleich des mangelbedingten Minderwerts, ist der Schadensersatzanspruch, wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend erkennt, auf den Ausgleich des Wertunterschieds zwischen der mangelfreien und der mangelhaften Sache gerichtet (vgl. Senat, Urteil vom 16. November 2007 - V ZR 45/07, NJW 2008, 436 Rn. 11 mwN). Der Käufer bemisst daher seinen Schaden nach allgemeinen schadensrechtlichen Grund-sätzen in der Weise, dass er im Wege einer Vermögensbilanz die Differenz zwischen dem hypothetischen Wert der Kaufsache ohne Mangel und dem tatsächlichen Wert der Sache mit Mangel ermittelt (vgl. Senat, Beschluss vom 13. März 2020 - V ZR 33/19, NZBau 2021, 40 Rn. 34). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts beträgt der mangelbedingte Minderwert 54.000 €.
Rz. 16
cc) Ob der Käufer - wie das Berufungsgericht meint - im Rahmen des kleinen Schadensersatzes gemäß § 437 Nr. 3, § 280, § 281 Abs. 1 BGB den Ausgleich des mangelbedingten Minderwerts der Kaufsache nicht verlangen kann, wenn die Mängelbeseitigungskosten weniger als die Hälfte des Minderwerts der Kaufsache ausmachen, ist allerdings zweifelhaft.
Rz. 17
(1) Zwar kann nach der Rechtsprechung des Senats bei Grundstückskaufverträgen als erster Anhaltspunkt davon ausgegangen werden, dass die Kosten der Mängelbeseitigung unverhältnismäßig sind, wenn sie den Verkehrswert des Grundstücks in mangelfreiem Zustand oder 200 % des mangelbedingten Minderwerts übersteigen (vgl. Senat, Urteil vom 4. April 2014 - V ZR 275/12, BGHZ 200, 350 Rn. 41 ff.). Dieser Rechtsprechung liegt die Erwägung zugrunde, dass sowohl der Nacherfüllungsanspruch als auch der auf den Ersatz der fiktiven Mängelbeseitigung gerichtete Schadensersatzanspruch Grenzen unterliegen. Der Senat hat den Nacherfüllungsanspruch begrenzt, indem er in entsprechender Anwendung von § 251 Abs. 2 Satz 1 BGB aus § 439 Abs. 4 Satz 2 BGB Vorgaben für die Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung abgeleitet hat (vgl. Senat, Urteil vom 4. April 2014 - V ZR 275/12, BGHZ 200, 350 Rn. 41 ff.). Diese Begrenzung wirkt sich unmittelbar auf die Höhe des nachfolgenden Schadensersatzanspruchs aus und verhindert eine Überkompensation des Käufers. Kann nämlich der Verkäufer die Nacherfüllung verweigern, weil sie mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden ist, beschränkt sich der Schadensersatzanspruch des Käufers auf den Ersatz des mangelbedingten Minderwerts (vgl. Senat, Urteil vom 13. Mai 2022 - V ZR 231/20, NJW 2022, 2328 Rn. 21; Urteil vom 12. März 2021 - V ZR 33/19; BGHZ 229, 115 Rn. 30). Denn der Verkäufer, der die Mängelbeseitigung wegen unverhältnismäßiger Kosten verweigern darf, kann nicht im Wege des Schadensersatzes verpflichtet sein, diese Kosten zu tragen (vgl. Senat, Urteil vom 4. April 2014 - V ZR 275/12, BGHZ 200, 350 Rn. 36).
Rz. 18
(2) Diese Rechtsprechung lässt sich auf den hier zu betrachtenden Fall aber nicht ohne weiteres übertragen. Das Gesetz sieht - anders als bei der Nacherfüllung durch Beseitigung des Mangels - keinen Ausschluss des Ausgleichs des mangelbedingten Minderwerts der Kaufsache wegen Unverhältnismäßigkeit vor. Maßstab der Schadensbemessung ist die durch den Mangel der Kaufsache verursachte Störung des Äquivalenzverhältnisses (vgl. oben Rn. 15). Eine Beschränkung auf die Mängelbeseitigungskosten könnte zu einer vertraglich nicht geschuldeten und nicht gerechtfertigten Einschränkung des Wahlrechts des Käufers bei der Bemessung seines Vermögensschadens führen. Gegen eine Verweisung des Käufers auf die geringeren Mängelbeseitigungskosten spricht ferner ein Vergleich mit seinem gemäß § 437 Nr. 2 BGB wahlweise zur Verfügung stehenden Recht auf Minderung. Eine Begrenzung des Minderungsbetrags auf die Mängelbeseitigungskosten sieht das Gesetz - anders als es das Berufungsgericht für den Schadensersatz statt der Leistung annimmt - auch dann nicht vor, wenn die Mängelbeseitigungskosten erheblich geringer sind als der mangelbedingte Minderwert.
Rz. 19
(3) Andererseits muss die Schadensbemessung das vertragliche Leistungsdefizit zutreffend abbilden. Sie darf nicht zu einer Überkompensation und damit einer nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen (vgl. Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl., S. 9 f.) nicht gerechtfertigten Bereicherung des Gläubigers führen. Im Kaufrecht ist richtiger Bezugspunkt für die Schadensermittlung die Nacherfüllung, zu der der Verkäufer vorrangig verpflichtet ist, und deren Ausbleiben der Schadensersatzanspruch kompensieren soll (vgl. Senat, Beschluss vom 13. März 2020 - V ZR 33/19, NZBau 2021, 40 Rn. 34). Dies könnte dafür sprechen, dass zur Vermeidung einer Überkompensation eine Schadensbemessung nach dem mangelbedingten Minderwert der Kaufsache nicht verlangt werden kann, wenn dieser weitaus höher ist als der Nacherfüllungsaufwand.
Rz. 20
dd) Letztlich kann aber dahinstehen, ob überhaupt und ggf. ab welcher Grenze der Käufer auf die zu der Mängelbeseitigung erforderlichen Kosten verwiesen werden kann, wenn diese wesentlich geringer sind als der mangelbedingte Minderwert der Kaufsache. Der Schadensersatzanspruch soll das Ausbleiben der Nacherfüllung kompensieren (vgl. Senat, Beschluss vom 13. März 2020 - V ZR 33/19, NZBau 2021, 40 Rn. 34). Der Käufer, der von dem Verkäufer im Rahmen des kleinen Schadensersatzes gemäß § 437 Nr. 3, § 280, § 281 Abs. 1 BGB Ausgleich des mangelbedingten Minderwerts der Kaufsache verlangt, kann daher jedenfalls dann nicht auf wesentlich geringere Mängelbeseitigungskosten verwiesen werden, wenn der Mangel damit nicht ohne Zweifel behoben werden kann. Dass eine Mangelbehebung möglich ist, hat der Schuldner darzulegen und ggf. zu beweisen. An diesen Voraussetzungen fehlt es hier, ohne dass es weiterer Feststellungen bedarf. Die Mängelbeseitigungskosten stellen keine volle Kompensation dar, denn sie bilden das erhebliche (Prozess-)Risiko des Klägers nicht ab, der eine Nutzung des Spitzbodens zu Wohnzwecken nicht ohne Zustimmung der anderen Wohnungseigentümer erreichen kann.
Rz. 21
(1) Anders als das Berufungsgericht meint, bedarf die Nutzung des Spitzbodens zu Wohnzwecken einer Änderung der Teilungserklärung, die für den Kläger nicht rechtssicher zu erreichen ist.
Rz. 22
(a) Nach den von dem Berufungsgericht getroffenen Feststellungen und der in Bezug genommenen Teilungserklärung dient der Spitzboden nicht zu Wohnzwecken. Der Zweckbestimmung nach handelt es sich um einen Wohnnebenraum, der zwar zu der Wohneinheit des Klägers gehört, aber nicht zu Wohnzwecken genutzt werden darf, sondern nur untergeordneten Zwecken - etwa als Lager- oder Abstellraum - dient (sog. „unselbstständiges Teileigentum"; vgl. zum Begriff Senat, Beschluss vom 4. Dezember 2014 - V ZB 7/13, DNotZ 2015, 362 Rn. 10; Bärmann/Suilmann, WEG, 15. Aufl., § 13 Rn. 71). Anders als selbstständiges Teileigentum, welches auch jede gewerbliche Nutzung erlaubt, die - wie etwa eine Büronutzung - bauordnungsrechtlich nur in Aufenthaltsräumen vorgenommen werden darf (vgl. Senat, Urteil vom 23. Juni 2017 - V ZR 102/16, NJW-RR 2017, 1042 Rn. 8), muss das unselbstständige Teileigentum nicht dazu geeignet sein, zu Aufenthaltszwecken zu dienen. Unzutreffend ist vor diesem Hintergrund die Annahme des Berufungsgerichts, es bedürfe zur Herbeiführung einer Wohnnutzung keiner Änderung der Teilungserklärung, weil der Spitzboden bereits im Sondereigentum des Klägers stehe. Vielmehr kann ein Sondereigentümer sein Teileigentum nicht ohne Mitwirkung der übrigen Eigentümer in Wohnungseigentum umwandeln, es sei denn, in der Gemeinschaftsordnung ist ein entsprechender Vorbehalt enthalten (Änderungsvorbehalt; vgl. Senat, Urteil vom 16. Juli 2021 - V ZR 284/19, ZWE 2021, 451 Rn. 21).
Rz. 23
(b) Einen solchen Änderungsvorbehalt enthält die Teilungserklärung nicht. Er ergibt sich insbesondere nicht aus § 18. Danach ist die Beklagte u.a. ermächtigt und bevollmächtigt, mit Wirkung für alle - auch zukünftigen - Wohnungs- und Teileigentümer Miteigentumsquoten mehrerer Sondereigentumseinheiten zu einer Sondereigentumseinheit zu vereinigen, das Sondereigentum an einer Sondereigentumseinheit in mehrere Sondereigentumseinheiten zu unterteilen sowie im Wege der Auflassung im Gemeinschaftseigentum stehende Flächen einzelnen Sondereigentumsbereichen zuzuordnen bzw. im Sondereigentum stehende Flächen in Gemeinschaftseigentum zu überführen und die Teilungserklärung entsprechend zu ändern. Bei der baulichen Ausführung solcher Änderungen zur Schaffung von Wohnraum ist die Beklagte ferner unter anderem berechtigt, den Ausbau des Spitzbodens vorzunehmen. Es kann dahinstehen, ob daraus überhaupt die Ermächtigung zu einer Umwandlung von Teileigentum in Wohnungseigentum hervorgeht, und ob die erteilte Vollmacht nach Veräußerung aller Wohnungseigentumseinheiten weiterhin gültig ist. Denn bevollmächtigt ist jedenfalls allein die Beklagte, welche die ihr eingeräumten Befugnisse zur Mangelbeseitigung nicht genutzt hat, nicht aber der Kläger als Erwerber. § 18 der Teilungsordnung versetzt den Kläger daher nicht in die Lage, den Sachmangel selbstständig zu beseitigen. Ob die übrigen Wohnungseigentümer gemäß § 10 Abs. 2 WEG verpflichtet wären, einer Änderung der Teilungserklärung zuzustimmen, kann dahinstehen; es besteht jedenfalls ein ganz erhebliches Prozessrisiko für den Kläger, das in den von dem Berufungsgericht zugrunde gelegten Mängelbeseitigungskosten nicht annähernd abgebildet wird.
Rz. 24
(2) Das gilt umso mehr, als die Anlegung des nach öffentlichem Baurecht erforderlichen zweiten Rettungswegs als bauliche Veränderung i.S.v. § 20 Abs. 1 WEG dem Beschlusszwang unterliegt (vgl. Senat, Urteil vom 17. März 2023 - V ZR 140/22, NZM 2023, 370 Rn. 25 f.).
Rz. 25
(a) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist ein Beschluss nicht aufgrund der Regelung in § 9 der Teilungserklärung entbehrlich. Danach sind unter den dort näher aufgeführten Voraussetzungen bauliche Veränderungen im Bereich des Sondereigentums ohne Zustimmung der übrigen Miteigentümer auch insoweit zulässig, als im Miteigentum stehende Bauteile verändert oder beseitigt werden. Die Auslegung des Berufungsgerichts hält der uneingeschränkten Nachprüfung durch das Revisionsgericht. (st. Rspr., vgl. nur Senat, Urteil vom 13. Dezember 2019 - V ZR 203/18, NZM 2020, 667 Rn. 7 mwN) nicht stand. Die Regelung in § 9 der Teilungserklärung betrifft bei gebotener objektiver und nächstliegender Auslegung nur Änderungen im räumlichen Bereich des Sondereigentums. Werden dort im Miteigentum stehende Bauteile verändert oder beseitigt, sind die baulichen Veränderungen ohne weiteres zulässig. Die Regelung dient der Vereinfachung baulicher Veränderungen, von der die anderen Miteigentümer in der Regel ohnehin nicht betroffen sind. Sie erfasst dagegen nicht die Errichtung eines zweiten Rettungswegs einschließlich der Anbringung eines dafür erforderlichen Balkons, denn diese bauliche Maßnahme betrifft nicht den räumlichen Bereich des Sondereigentums, sondern die äußere Gestaltung des Gebäudes.
Rz. 26
(b) Aus den vorstehend bereits dargelegten Gründen (vgl. Rn. 23) kann sich der Kläger im Hinblick auf die erforderlichen baulichen Maßnahmen zur Errichtung eines zweiten Rettungswegs auch nicht rechtssicher auf die der Beklagten in § 18 der Teilungserklärung erteilte Ermächtigung berufen.
Rz. 27
(3) Nach alledem kommt es auf den weiteren Einwand des Klägers nicht mehr an, der Anbau eines weiteren Fluchtweges sei baurechtlich nicht genehmigungsfähig.
III.
Rz. 28
Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben und ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil weitere Feststellungen nicht zu treffen sind und der Rechtsstreit zur Entscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Berufung ist insgesamt zurückzuweisen mit der Folge, dass es bei dem Urteil des Landgerichts verbleibt.
IV.
Rz. 29
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Brückner |
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Haberkamp |
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Hamdorf |
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Malik |
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Laube |
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Fundstellen
Haufe-Index 15765111 |
DStR 2023, 12 |