Entscheidungsstichwort (Thema)
Verdacht der Beihilfe zum Totschlag und zur schweren Körperverletzung
Leitsatz (amtlich)
Die Mitwirkung bei der Erstellung der Befehle zur Grenzsicherung der früheren DDR ist für sich allein noch keine strafbare Beihilfe zu der an der Grenze erfolgten Tötung und Verletzung von Personen durch die dort verlegten Minen.
Normenkette
StGB §§ 27, 212, 224 a.F.
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Stendal vom 7. März 2000 wird verworfen.
2. Die Kosten des Rechtsmittels und die den Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagten vom Vorwurf des Totschlags, der (schweren) Körperverletzung sowie der hierzu in mehreren Fällen begangenen Beihilfe freigesprochen. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision, die sie (rechtswirksam) auf die Freisprüche der Angeklagten vom Vorwurf der Beihilfe zum Totschlag bzw. zur Körperverletzung in den Fällen 4 bis 7 der Urteilsgründe beschränkt hat. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet, das Landgericht sei von einem zu engen Begriff des Hilfeleistens im Sinne von § 27 StGB ausgegangen. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
Das Landgericht hat festgestellt:
Der AngeklagteH. war im Zeitraum vom 24. Oktober 1979 bis 15. September 1983 Stellvertreter des Kommandeurs für Ausbildung des Grenzkommandos Nord der Grenztruppen der DDR. Ihm oblag in dieser Eigenschaft im wesentlichen die Planung, Organisation und Durchführung der Aus- und Weiterbildung der Grenzsoldaten; die Ausbildung der die Minen- und Selbstschußanlagen an der Grenze verlegenden, wartenden und bedienenden Soldaten fiel jedoch nicht in seinen Verantwortungsbereich. Der AngeklagteSch. war in der Zeit vom 24. Oktober 1979 bis zum 26. Juni 1984 Stellvertreter des Kommandeurs für technische Ausrüstung des Grenzkommandos Nord. In seinen Zuständigkeitsbereich fiel hauptsächlich die Planung, Organisation und Sicherstellung der Einsatz- und Gefechtsbereitschaft des Kraftfahrzeug- und Panzerdienstes im Grenzkommando. Mit Aufgaben im Zusammenhang mit der Verlegung, Wartung oder Instandsetzung der Minen- und Selbstschußanlagen war er ebenfalls nicht betraut.
Die konkrete Durchführung der Grenzsicherung an der innerdeutschen Grenze durch die Grenztruppen der DDR (vgl. hierzu BGHSt 45, 270, 272 – 274) erfolgte im Tatzeitraum auf den verschiedenen Kommandoebenen durch jährliche Grundsatzbefehle. Hierbei verlief der Befehlsweg dergestalt, daß der Minister für Nationale Verteidigung in der Regel jährlich an den Chef der Grenztruppen den Befehl 101 gab; der Chef der Grenztruppen setzte diesen Befehl um durch den Befehl mit der Nr. 80 an die Chefs der drei Grenzkommandos; diese erließen auf dessen Grundlage Befehle mit der Nr. 40 an die Kommandeure der einzelnen Grenzregimenter, die diese ihrerseits durch Befehle mit der Nr. 20 umsetzten. Die Befehle waren auf den verschiedenen Ebenen so abgefaßt, daß von allgemeinen Regelungen in den Befehlen 101 bis zu konkreten Festlegungen einzelner Bereiche in den Befehlen 40 und 20 eine zunehmende Konkretisierung erfolgte. Sämtliche Handlungen der Grenztruppen, insbesondere auch die Verminung des Grenzgebietes, beruhten auf dieser Befehlskette.
Der Erlaß des Jahresbefehls 40, der jeweils vom 1. Dezember des Erlaßjahres bis zum 30. November des Folgejahres Gültigkeit hatte, erfolgte in dem hier maßgeblichen Zeitraum für das Grenzkommando Nord wie folgt: Jeder der insgesamt fünf Stellvertreter des Kommandeurs, also auch die Angeklagten, hatten zu ihrem jeweiligen Aufgabenbereich einen Teilbeitrag zu einem Befehlsentwurf zu erarbeiten. Diesen Teilbeitrag mußten sie bis zu einem bestimmten Termin dem Stellvertreter des Kommandeurs und Stabschef übergeben, der daraus unter Hinzufügung eines eigenen Teilbeitrags für seinen Aufgabenbereich den Entwurf des Befehls fertigte und diesen dem Kommandeur vorlegte, der ihn schließlich in seinen Befehl umsetzte.
Beide Angeklagten wirkten in der beschriebenen Weise an der Erstellung der Befehle 40 des Grenzkommandos Nord der Jahre 1979, 1981 und 1982 mit, der Angeklagte Sch. darüber hinaus auch an der Erstellung des Jahresbefehls 1983. Eine weiter gehende Mitwirkung der Angeklagten bei der Anfertigung der Jahresbefehle, insbesondere im Hinblick auf die in diesen enthaltenen Anordnungen über die Verlegung, Instandhaltung und Bedienung der entlang der Grenze verlegten Minensperren, konnte das Landgericht nicht feststellen; ebensowenig konnte der genaue Inhalt der Teilbeiträge der Angeklagten ermittelt werden.
Im Geltungszeitraum der Befehle 40 der Jahre 1979, 1981, 1982 und 1983 (letzterer betrifft ausschließlich den Angeklagten Sch.) wurden im Bereich des Grenzkommandos Nord bei der Flucht aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland durch detonierende Minen im April 1980 eine Person getötet sowie im Januar und Februar 1982 zwei Personen, im Oktober und Dezember 1983 je eine weitere Person und im Juni 1984 eine Person schwer verletzt. Diese Fälle sind Gegenstand des Revisionsverfahrens.
II.
Das Landgericht hat die Angeklagten insoweit aus Rechtsgründen vom Vorwurf der Beihilfe zum Totschlag bzw. zur (schweren) Körperverletzung freigesprochen und zur Begründung ausgeführt:
Beide Angeklagte hätten sowohl unter Zugrundelegung des Strafrechts der DDR als auch bei Anwendung des StGB keine die jeweilige Rechtsgutverletzung in einem nicht nur unerheblichen Maße erleichternde oder fördernde Hilfeleistung erbracht. Zwar hätten sie den Erlaß der hier relevanten Jahresbefehle 40 des Kommandeurs des Grenzkommandos Nord durch ihre Zuarbeit erleichtert und dadurch auch im weitesten Sinne die in den Grenztruppen der DDR bestehende Organisationsstrukturen aufrecht erhalten. Ihre Mitwirkung an den Jahresbefehlen sei jedoch nicht von einer solchen Qualität gewesen, daß sie als eine hinlängliche Hilfeleistung qualifiziert werden könne, die die Tötung oder Verletzung der betroffenen Personen adäquat kausal erleichtert oder gefördert hätte.
III.
Diese Ausführungen halten im Ergebnis der rechtlichen Nachprüfung stand. Das Landgericht hat in Bezug auf die den Verfahrensgegenstand bildenden Tötungs- und Verletzungshandlungen zu Recht ein Hilfeleisten durch die Angeklagten im Sinne des § 27 StGB verneint, so daß bereits aus diesem Grund eine Strafbarkeit der Angeklagten wegen Beihilfe zum Totschlag bzw. zur (schweren) Körperverletzung ausscheidet (§§ 315 Abs. 1 EGStGB, 2 Abs. 3 StGB; vgl. BGHSt 40, 169, 174).
1. Allerdings teilt der Senat nicht die Auffassung des Landgerichts, durch die Mitwirkung der Angeklagten bei der Erstellung der Jahresbefehle 40 sei die Tötung oder Verletzung der betroffenen Personen im Sinne des § 27 StGB nicht „adäquat kausal erleichtert oder gefördert” worden.
a) Gehilfe ist, wer vorsätzlich dem Täter zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe leistet (§ 27 Abs. 1 StGB). Hierbei leistet auch derjenige dem Täter Hilfe, der seinerseits die Tatförderung eines (weiteren) Gehilfen unterstützt (sog. „Beihilfe zur Beihilfe”, vgl. Roxin in LK-StGB 11. Aufl. § 27 Rdnr. 61 m.N.). Für die rechtliche Bewertung der Tatbeiträge der Angeklagten bedarf es daher hier nicht der Entscheidung, ob die für den Erlaß der Jahresbefehle 40 verantwortlichen Kommandeure des Grenzkommandos Nord in Bezug auf die Tötung oder Verletzung von Flüchtlingen durch Minensperren in ihrem Grenzbereich als (mittelbare) Täter (vgl. hierzu BGHSt 40, 218; 44, 204; 45, 270) oder ihrerseits (nur) als Gehilfen anzusehen sind.
b) Als Hilfeleistung im Sinne des § 27 StGB ist grundsätzlich jede Handlung anzusehen, welche die Herbeiführung des Taterfolges durch den Täter in irgendeiner Weise objektiv gefördert hat (vgl. BGHSt 42, 135, 136; BGH StV 1981, 72, 73; 2000, 492, 493), ohne daß sie für den Erfolg ursächlich gewesen sein muß (st. Rspr., vgl. nur BGHR StGB § 27 Abs. 1 Vorsatz 8; BGH StV 2000, 492, 493 jeweils m.w.N.). Die Hilfeleistung muß auch nicht zur Ausführung der Tat selbst geleistet werden, es genügt schon die Unterstützung bei einer vorbereitenden Handlung (BGHSt 28, 346, 348; BGH StV 2000, 492, 495 m.w.N.)
Nach den getroffenen Feststellungen hat zwar keiner der Angeklagten einen Tatbeitrag geleistet, der unmittelbar auf den Eintritt des Taterfolges, das heißt auf die Tötung oder Verletzung von Flüchtlingen durch Splitterminen, gerichtet war: Die Teilbeiträge der Angeklagten zu den Jahresbefehlen 40 bezogen sich ausschließlich auf ihre engeren Aufgabenbereiche, die weder mit der Installation noch der Wartung oder Bedienung der Minensperren im Zusammenhang standen.
Die Teilbeiträge der Angeklagten zu den Befehlen 40 haben sich aber jedenfalls insoweit auf den Eintritt des Taterfolges ausgewirkt, als sie dem Kommandeur des Grenzkommandos Nord die Abfassung der Jahresbefehle, die – wie sie wußten – jeweils auch Anordnungen über die Verlegung und Instandhaltung von Minen im Grenzbereich enthielten, erleichterten. Dadurch ist die Tatbestandsverwirklichung – hier: die Tötung oder Verletzung der Flüchtlinge durch die im Grenzbereich verlegten Splitterminen – gefördert worden. Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann der Tatbeitrag der Angeklagten, den sie in ihrer Eigenschaft als Stellvertreter des Kommandeurs des Grenzkommandos geleistet haben, auch nicht als derart untergeordnet angesehen werden, daß ihm bereits aus diesem Grund die Qualität als Beihilfehandlung abgesprochen werden könnte.
2. Es ist jedoch anerkannt, daß nicht jede Handlung, die sich im Ergebnis objektiv tatfördernd auswirkt, als (strafbare) Beihilfe gewertet werden kann. Vielmehr bedarf es insbesondere in Fällen, die sog. „neutrale” Handlungen (vgl. hierzu Roxin aa0 § 27 Rdnr. 16 ff; Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 27 Rdnr. 2 a; Wohlleben, Beilhilfe durch äußerlich neutrale Handlungen, 1996; Wohlers NStZ 2000, 169) betreffen, einer bewertenden Betrachtung im Einzelfall. So stellt beispielsweise nicht jede Mitwirkung eines Arbeitnehmers beim Umsatz in Kenntnis der diesem nachfolgenden Umsatzsteuerhinterziehung durch den Steuerpflichtigen (vgl. BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 3) oder jede Tätigkeit eines Bankangestellten im Zusammenhang mit einem Kapitaltransfer ins Ausland zugunsten von Kunden, die ihre Kapitalerträge den Finanzbehörden gegenüber verheimlichen (vgl. BGH StV 2000, 492), bereits Beihilfe zu dem Steuervergehen dar (vgl. auch BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 20 zur Tätigkeit eines Rechtsanwaltes bei der Erstellung eines Anlageprospektes, der zu betrügerischen Zwecken verwendet wird). Der Bundesgerichtshof hat daher in Fällen derartiger berufstypisch „neutraler” Handlungen folgende Grundsätze aufgestellt: Zielt das Handeln des Haupttätersausschließlich darauf ab, eine strafbare Handlung zu begehenund weiß dies der Hilfeleistende, so ist sein Tatbeitrag in jedem Fall als strafbare Beihilfehandlung zu werten (BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 3, 20; BGH StV 2000, 493). Denn unter diesen Voraussetzungen verliert sein Tun stets den „Alltagscharakter”; es ist als „Solidarisierung” mit dem Täter zu deuten (Roxin aaO § 27 Rdnr. 19). Anderenfalls kommt straflose Mitwirkung in Betracht.
3. Diese Grundsätze lassen sich auch auf den hier zu entscheidenden Fall übertragen (vgl. hierzu auch Rogall, Bewältigung von Systemkriminalität, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft Bd. IV, S. 383, 397/398). Ihre Anwendung führt zur Verneinung einer Beihilfestrafbarkeit der Angeklagten:
Die Jahresbefehle 101 bis 20 betrafen nicht ausschließlich strafrechtlich relevantes Verhalten gegenüber sog. „Grenzverletzern”, sondern auch legitime Belange der Landesverteidigung der ehemaligen DDR sowie deren Grenzsicherung nach Außen. Die Mitwirkung der beiden Angeklagten bei der Erstellung der Befehle 40 beschränkte sich zudem auf die ihnen zugewiesenen, in keinem Zusammenhang mit der Verminung des Grenzgebietes stehenden militärischen Aufgabenbereiche; sie war damit „berufstypisch” und bezogen auf die den Verfahrensgegenstand bildenden Rechtsgutsverletzungen „neutral”. Zwar wußten die Angeklagten, daß die Jahresbefehle auch Anordnungen über die Verlegung, Instandhaltung und Bedienung von Minen enthalten würden. Ihre eigenen Beiträge hatten jedoch jeweils eine eigenständige Bedeutung; sie blieben auch ohne die strafbaren Handlungen der Haupttäter „sinnvoll” (vgl. Roxin aaO § 27 Rdnr. 17) und können hiervon losgelöst rechtlich beurteilt werden (vgl. auch BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 3; BGH StV 2000, 492, 494). Bei der gebotenen bewertenden Betrachtungsweise stellt sich daher das Verhalten dieser Angeklagten bei der Erstellung der Jahresbefehle nur als straflose Mitwirkung dar.
4. Da weitere tatfördernde Handlungen der Angeklagten – wie auch die Revision einräumt – nicht festgestellt werden konnten, erweist sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft im Ergebnis als unbegründet.
Unterschriften
Meyer-Goßner, Maatz, Kuckein, Athing, Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 584848 |
NJW 2001, 2409 |
NStZ 2001, 364 |
Nachschlagewerk BGH |
wistra 2001, 215 |
JuS 2001, 1128 |
NJ 2001, 322 |
LL 2001, 782 |