Leitsatz (amtlich)
An der Rechtsprechung, nach der es mit den guten kaufmännischen Sitten im Wettbewerb nicht zu vereinbaren ist, wenn ein Abschleppunternehmer am Unfallort Unfallbeteiligte von sich aus mit dem Ziel anspricht, sie zum Abschluß eines Abschleppvertrages zu bewegen, wird ungeachtet der Regelungen des Haustürwiderrufsgesetzes festgehalten. Auf die Umstände des Einzelfalls kommt es dabei nicht an (BGH, Urt. v. 14.12.1979 - I ZR 29/78, GRUR 1980, 790 - Werbung am Unfallort III).
Normenkette
UWG § 1; HausTWG § 1 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 10. April 1997 aufgehoben.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) – 3. Zivilkammer – vom 6. August 1996 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Beklagte verurteilt wird, es zu unterlassen, ohne vorhergehende Bestellung am Unfallort Unfallbeteiligten Kfz-Abschleppleistungen anzubieten.
Der Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittel.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien stehen als Abschleppunternehmen miteinander in Wettbewerb.
Nach einem Unfall am 19. Dezember 1995 erhielt die Klägerin von dem Zeugen M., der auf der B 309 mit seinem Pkw nebst Anhänger in einen Straßengraben geraten, jedoch unverletzt geblieben war, den Auftrag, das Fahrzeug zu bergen und abzuschleppen. Der Beklagte, der in Nähe der Unfallstelle seinen Betrieb unterhält, kam mit seinem Pkw ebenfalls zur Unfallstelle. Er war mit einem Arbeitskittel, auf dem sich das ADAC-Zeichen befand, bekleidet.
Die Klägerin hat vorgetragen, der Beklagte habe sich an der Unfallstelle wettbewerbswidrig verhalten, da er den Zeugen M. unaufgefordert angesprochen und diesem seine Abschleppdienste angeboten habe.
Die Klägerin hat beantragt,
- den Beklagten unter Androhung gesetzlicher Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen,
- ohne vorhergehende Bestellung außerhalb seiner gewerblichen Niederlassung Kfz-Abschleppleistungen anzubieten.
Der Beklagte ist dem entgegengetreten. Er hat behauptet, seine Ehefrau sei von dem Fahrer eines anderen Unternehmens angerufen und aufgefordert worden, den unfallbeschädigten Pkw abzuschleppen, da dieses Unternehmen den Auftrag nicht selbst erledigen könne. Daraufhin sei er zur Unfallstelle gefahren, habe aber dort nicht für sein Abschleppunternehmen geworben.
Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt.
Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen.
Mit der – zugelassenen – Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin den Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat ein wettbewerbswidriges Verhalten des Beklagten verneint. Es hat dazu ausgeführt:
Für die Beurteilung sei davon auszugehen, daß kein Auftrag des Zeugen M. an den Beklagten zum Bergen und Abschleppen des Unfallfahrzeuges vorgelegen habe, der Beklagte vielmehr aufgrund der Mitteilung eines Dritten zu der Unfallstelle gefahren sei. Dort habe er den Unfallfahrer lediglich gefragt, ob er helfen könne, und sei nach dessen abschlägiger Antwort – wie andere Personen auch – an der Unfallstelle geblieben, um sich den schlimm aussehenden Schaden zu betrachten. Nach der Ablehnung des Angebots zum Abschleppen habe der Beklagte dem Zeugen M. weder weitere Angebote gemacht noch auf ihn eingeredet.
Dieses Verhalten sei nicht wettbewerbswidrig. Ein gewerbliches Abschleppunternehmen müsse bei einem Unfall in seiner Nachbarschaft einen Betroffenen befragen dürfen, ob er helfen könne, wenn dieser in der Lage sei, klare Entscheidungen zu treffen. Das UWG habe nicht die Aufgabe, das Angebot jeglicher Hilfeleistungen durch einen Gewerbetreibenden zu verhindern, sondern nur wettbewerbswidriges Verhalten. Ein solches liege nicht vor. Anders als in der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 14. Dezember 1979 - I ZR 29/78 - (GRUR 1980, 790 - Werbung am Unfallort III) habe der Beklagte nicht das Auftragsgespräch des Hilfesuchenden mit einem Wettbewerber unterbrochen. Es sei auch nicht mehr zeitgemäß, das unaufgeforderte Ansprechen am Unfallort ohne Berücksichtigung des Einzelfalls nur wegen möglicher Auswüchse generell zu verbieten. Zum Zeitpunkt der vorgenannten Entscheidung des Bundesgerichtshofes habe das Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften noch nicht gegolten, das zwischenzeitlich einen wesentlichen Bereich beim Abschluß solcher Geschäfte regele. Wenn der Beklagte, wie auch andere Kraftfahrer, die die Unfallsituation gesehen hätten, lediglich frage, ob er helfen könne, und der Betroffene diese Hilfe im Vollbesitz seiner Kräfte ohne Schock ablehne, bewege er sich damit nur im allgemeinen Rahmen der Pflicht zur Hilfeleistung bei Unfällen. Es fehle schon ein Werben, das über ein normales Anbieten hinausgehe. Daß sich der Beklagte – wie andere Schaulustige – noch an der Unfallstelle aufgehalten habe und daß dies dem Unfallgeschädigten lästig gewesen sei, sei für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung ohne Bedeutung.
II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg. Sie führen zur Wiederherstellung des der Klage stattgebenden Urteils des Landgerichts.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts verstößt das beanstandete Verhalten des Beklagten gegen § 1 UWG.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist es grundsätzlich wettbewerbswidrig, Unfallbeteiligte am Unfallort mit dem Ziel anzusprechen, sie zum Abschluß eines Rechtsgeschäfts zu veranlassen, sei es ein Reparaturauftrag, ein Kfz-Mietvertrag oder ein Abschleppauftrag (BGH, Urt. v. 22.11.1974 - I ZR 23/74, GRUR 1975, 264 = WRP 1975, 212 - Werbung am Unfallort I; Urt. v. 22.11.1974 - I ZR 50/74, GRUR 1975, 266 = WRP 1975, 213 - Werbung am Unfallort II; Urt. v. 14.12.1979 - I ZR 29/78, GRUR 1980, 790 = WRP 1980, 392 - Werbung am Unfallort III). Hinsichtlich des Abschleppens hat der Bundesgerichtshof berücksichtigt, daß zwar ein aktuelles Bedürfnis zum Vertragsabschluß bereits am Unfallort entstehen kann. Demgegenüber hat er jedoch die Gefahr stärker gewertet, die damit verbunden ist, daß Unfallbeteiligte bereits kurze Zeit nach dem Unfall und noch unter dem Unfallschock stehend einer belästigenden massierten Werbung von Abschleppunternehmen oder deren „Schleppern” gegenüberstehen, die sie bei der Frage, ob sie ihr Fahrzeug überhaupt abschleppen sollen, ob dies durch ein gewerbliches Unternehmen erfolgen solle und gegebenenfalls welches Unternehmen die günstigsten Bedingungen biete, der Gefahr der Überrumpelung aussetzt. Dieser Gefahr kann nur mit einem generellen Verbot des unaufgeforderten Ansprechens von Unfallbeteiligten zum Zweck der Erlangung von Abschleppaufträgen begegnet werden. Der Bundesgerichtshof hat dabei auch berücksichtigt, daß in einer Anzahl von Fällen ein solches Ansprechen nicht als Belästigung empfunden wird. Gleichwohl hat er auch in diesen Fällen die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit lästigen und wettbewerbswidrigen Vorgehens als so überwiegend sowie den Mißbrauch und die Umgehungsmöglichkeiten als so naheliegend gesehen, daß zum Schutze der Allgemeinheit und der beteiligten Mitbewerber eine auf den Einzelfall abstellende Beurteilung nicht ausreichen würde, Wettbewerbsauswüchsen wirksam entgegenzutreten. Insoweit hat er es auch als erheblich gewertet, daß sich angesichts der Vielfalt denkbarer Situationen klar abgrenzbare, dem Gebot der Rechtssicherheit entsprechende Fallgruppen nicht bilden lassen, auch nicht von einer längeren lediglich fallbezogenen Rechtsprechung erwartet werden könnten. Im Blick auf die offen zutage tretenden Mißbrauchsmöglichkeiten bleibe keine andere Entscheidung als die für ein generelles Verbot, um den Zwecken des § 1 UWG gerecht zu werden.
An diesen Grundsätzen hält der Senat auch nach erneuter Überprüfung fest.
2. Im Streitfall sind keine Umstände ersichtlich, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten.
a) Ohne Erfolg beruft sich die Revisionserwiderung darauf, die angeführten Rechtsprechungsgrundsätze seien schon deshalb nicht anzuwenden, weil der Beklagte nur gefragt habe, ob er helfen könne; Kfz-Abschleppleistungen habe er nicht angeboten. Die Revisionserwiderung läßt insoweit unberücksichtigt, daß der Beklagte unstreitig in einem Arbeitskittel an der Unfallstelle erschien, der ihn als Mitarbeiter eines ADAC-Betriebes auswies (BU 6 unten), von denen allgemein bekannt ist, daß sie gewerblich Abschlepphilfe leisten. Unter diesen Umständen konnte die Frage des Beklagten, ob er helfen könne, aus der Sicht des unfallgeschädigten Zeugen nur als Angebot von Abschleppdiensten verstanden werden.
b) Für die Annahme des Berufungsgerichts, ein – ohne Berücksichtigung des Einzelfalls – generelles Verbot des unaufgeforderten Ansprechens von Unfallgeschädigten mit dem Ziel, einen Auftrag für eine gewerbliche Leistung zu erhalten, sei heute nicht mehr zeitgemäß, werden keine tragfähigen Gründe angeführt.
Die Revision verweist zu Recht darauf, daß das Berufungsgericht in tatsächlicher Hinsicht keine Umstände – wie beispielsweise Veränderungen im Verhalten Unfallgeschädigter – festgestellt hat, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten. Aufgrund der weiten Verbreitung von Mobilfunktelefonen sind Unfallbeteiligte heute sogar eher in der Lage, für erforderlich gehaltene Hilfe gewerblicher Unternehmen herbeizurufen, und damit in geringerem Maße auf das unaufgeforderte Anbieten von Abschleppleistungen am Unfallort angewiesen.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat auch das am 1. Mai 1986 in Kraft getretene Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften (Haustürwiderrufsgesetz) keinen Einfluß auf die wettbewerbsrechtliche Beurteilung des beanstandeten Verhaltens. Der Anwendungsbereich dieses Gesetzes ist auf die von § 1 Abs. 1 HausTWG typischerweise erfaßten Fallgestaltungen beschränkt. In die Wertung dieses Gesetzes ist die Ausnahmesituation eines Personenkreises, der infolge Unerfahrenheit oder aufgrund einer Notlage einer besonderen Überrumpelungsgefahr ausgesetzt ist, nicht einbezogen (vgl. auch BGH, Urt. v. 7.5.1998 - I ZR 85/96, GRUR 1998, 1041, 1042 = WRP 1998, 1068 - Verkaufsveranstaltung in Aussiedlerwohnheim). In einer solchen Situation, in der eine weitaus stärkere Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit in Betracht zu ziehen ist, befinden sich – wie oben unter II. 1. ausgeführt – Unfallgeschädigte, die bereits kurze Zeit nach dem Unfall von gewerblichen Anbietern angesprochen werden. Durch die im Haustürwiderrufsgesetz vorgesehene Widerrufsmöglichkeit wird im übrigen die mit der Ansprache am Unfallort verbundene Gefahr der Belästigung und Überrumpelung, die sowohl den Interessen der Betroffenen als auch der Mitbewerber zuwiderläuft, auch nicht ausgeräumt. Der nachträgliche Widerruf der Vertragserklärung beseitigt nur die zivilrechtlichen Folgen und nicht auch die wettbewerbsrechtliche Unlauterkeit, für die andere Kriterien als für die zivilrechtliche Beurteilung maßgebend sind (vgl. Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 21. Aufl., § 1 UWG Rdn. 82).
Auch sonst sind keine Gründe ersichtlich, die es rechtfertigen könnten, von dem generellen Verbot des unaufgeforderten Anbietens gewerblicher Leistungen gegenüber Unfallgeschädigten am Unfallort abzurücken. Auf die vom Berufungsgericht angeführten Unterschiede zu dem der Senatsentscheidung „Werbung am Unfallort III” (BGH GRUR 1980, 790) zugrundeliegenden Sachverhalt kommt es danach nicht an. Der Senat hat seinerzeit selbst nicht auf den Umstand abgestellt, daß der Beklagte des damaligen Verfahrens ein telefonisches Auftragsgespräch der Unfallgeschädigten mit einem anderen Abschleppunternehmen unterbrochen hatte.
Im übrigen machen die Ausführungen des Berufungsgerichts selbst deutlich, daß durchgreifende Bedenken gegen eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls bestehen. Denn das Berufungsgericht will von einem Verbot nur dann absehen, wenn der Unfallgeschädigte in der konkreten Situation – nicht unter Schock stehend – im Vollbesitz seiner Kräfte und damit in der Lage sei, klare Entscheidungen zu treffen (BU 7 oben und BU 8 oben). Damit wird die Beurteilung, ob der Unfallgeschädigte sich in einem solchen Zustand befunden hatte, zunächst dem Abschleppunternehmer überlassen. Kommt es zu einem gerichtlichen Verfahren der vorliegenden Art, müßte geklärt werden, ob der Unternehmer den Zustand des Unfallopfers richtig beurteilt hat, d.h., ob und gegebenenfalls wie lange ein Unfallopfer nach dem Unfall noch unter Schock stand. Die mit einer solchen Feststellung verbundenen Schwierigkeiten liegen auf der Hand und lassen im Interesse der Rechtssicherheit eine generalisierende Betrachtung geboten erscheinen.
III. Danach war das Berufungsurteil aufzuheben und unter Zurückweisung der Berufung des Beklagten das landgerichtliche Urteil wiederherzustellen. Dabei war zur Klarstellung auszusprechen, daß dem Beklagten untersagt wird, Unfallbeteiligten am Unfallort Abschleppleistungen anzubieten. Die Klägerin hat im Verlaufe des Rechtsstreits, insbesondere auch in der Berufungserwiderung, unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß sie das Verhalten des Beklagten nur deshalb angreift, weil dieser Unfallbeteiligte am Unfallort angesprochen hat. Ein weitergehendes Verbot, wie es dem von der Klägerin gestellten Antrag entnommen werden könnte, hat sie nicht verfolgt, so daß mit der Klarstellung keine teilweise Abweisung der Klage zu erfolgen hatte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 und § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Erdmann, Mees, v. Ungern-Sternberg, Starck, Pokrant
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 08.07.1999 durch Walz Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
BB 2000, 373 |
NJW 2000, 586 |
EBE/BGH 1999, 394 |
GRUR 2000, 235 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2000, 157 |
ZIP 2000, 254 |
DAR 2000, 116 |
GewArch 2000, 162 |
MDR 2000, 344 |
NZV 2000, 251 |
VRS 2000, 273 |
VersR 2000, 1518 |
WRP 2000, 168 |
ZfS 2000, 106 |
RdW 2000, 86 |