Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Schadensersatzpflicht eines Steuerberaters wegen unzureichender Beratung über die Risiken einer Beteiligung an Abschreibungsgesellschaften
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Pflichten des Steuerberaters richten sich in Inhalt und Umfang in erster Linie nach dem ihm im jeweiligen Einzelfall erteilten Auftrag. Er muß auch ungefragt wesentliche, steuerlich bedeutsame Einzelheiten darlegen und über ihre Folgen belehren.
2. Den aus Anlaß einer Anlagevermittlung in Abschreibungsgesellschaften vom Anlageinteressenten hinzugezogenen Fachberater treffen besonders weitgehende Beratungspflichten.
Normenkette
BGB § 675; StBerG § 33; BerlinFG; EntwHStG
Verfahrensgang
OLG Braunschweig (Urteil vom 14.01.1981; Aktenzeichen 3 U 98/78) |
LG Braunschweig (Urteil vom 08.11.1980; Aktenzeichen 5 O 132/78) |
Tatbestand
Mit der Begründung, der Beklagte, sein Steuerberater, habe ihn vor der Beteiligung an Abschreibungsgesellschaften unzureichend beraten, verlangt der Kläger von ihm Schadenersatz.
Der Beklagte war seit 1969 Steuerberater des Klägers. Am 5. Dezember 1972 beschrieb ein Vermittlungsagent dem Kläger die Beteiligung an bestimmten Abschreibungsgesellschaften im Beisein des Beklagten. Der Kläger rechnete mit hohen Einkünften insbesondere für die Jahre 1971 und 1972. Deshalb kam es ihm auf Verlustzuweisungen für diese Jahre an. Auf entsprechende Frage des Klägers erklärte der Beklagte ihm die steuerlichen Auswirkungen solcher Beteiligungen. Dafür erstellte er eine Beispielsrechnung. Daraufhin zeichnete der Kläger am selben Tag Kommanditanteile von insgesamt 80.000 DM zuzüglich insgesamt 4.000 DM Agio bei drei verschiedenen Firmen. Er ging davon aus, daß diese Beteiligungen bis auf einen kleinen Restbetrag aus Steuereinsparungen durch Verlustzuweisungen entsprechend der Beispielsrechnung des Beklagten finanziert werden könnten. Nachdem zwei der Beteiligungsfirmen zahlungsunfähig geworden waren, gingen dem Kläger ursprünglich gewährte Steuervorteile in Höhe von insgesamt 22.506,75 DM verloren, weil später Verlustzuweisungen von geringerer Höhe angesetzt wurden.
In erster Instanz hat der Kläger die Feststellung begehrt, daß der Beklagte zum Ersatz des durch die Beteiligung entstandenen Schadens verpflichtet sei, soweit dieser Schaden das am 5. Dezember 1972 vom Beklagten aufgezeigte Risiko übersteige. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz ist der Kläger zur Leistungsklage übergegangen und hat Zahlung von 22.506,75 DM verlangt.
Gegen das diesem Antrag entsprechende Berufungsurteil wendet sich der Beklagte mit der zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision des Beklagten ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht hat zwar mit Recht eine Verletzung der dem Beklagten obliegenden Beratungspflicht bejaht. Es hat jedoch keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob dem Kläger dadurch ein Schaden in der verlangten Höhe entstanden ist.
1. Jedenfalls im Ergebnis zu Recht wird im Berufungsurteil die Haftung des Beklagten dem Grunde nach bejaht.
a) Das Berufungsgericht geht davon aus, daß zwischen den Parteien am 5. Dezember 1972 jedenfalls ein Beratungsvertrag geschlossen worden sei, der den Beklagten zu einer umfangreichen Aufklärung und Beratung über alle Risiken verpflichtet habe, die in steuerlicher Hinsicht mit einer Beteiligung an einer Abschreibungsgesellschaft verbunden gewesen seien. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Entgegen der Ansicht der Revision konnte offenbleiben, ob der Beklagte entsprechend seiner Meinung lediglich Beratungspflichten in steuerlicher Hinsicht oder ob er sich – weitgehend – zu einer Anlageberatung verpflichtet hatte. Nur wegen eines Verstoßes gegen Beratungspflichten in steuerlicher Hinsicht wird im Berufungsurteil nämlich die Haftung des Beklagten bejaht. Zumindest solche Beratungspflichten hatte der Beklagte nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts übernommen. Er war jedenfalls in seiner Eigenschaft als Steuerberater des Klägers von diesem zur Beratung hinzugezogen und dafür auch honoriert worden. Er wußte, daß es dem Kläger, der ihn nach den steuerlichen Auswirkungen einer Beteiligung fragte, auf möglichst hohe Verlustzuweisungen für die Jahre 1971 und 1972 ankam. Dann aber hatte der Beklagte dem Kläger nicht nur ein unverbindliches Rechenbeispiel über die steuerliche Funktion von Verlustzuweisungen vorzuführen, wie die Revision meint. Vielmehr gehörte zu der vom Kläger gewünschten Beratung eine umfassende Aufklärung über die Arten und Möglichkeiten der bei solchen Beteiligungen zu erzielenden Verlustzuweisungen und über deren steuerliche Vorteile, Nachteile und insbesondere Risiken. Diese Aufklärung war abzustellen auf die steuerliche Situation des Klägers in den Jahren 1971 und 1972.
Inhalt und Umfang der Pflichten des Steuerberaters richten sich in erster Linie nach dem ihm im jeweiligen Einzelfall erteilten Auftrag. Er muß auch ungefragt wesentliche, steuerlich bedeutsame Einzelheiten darlegen und über ihre Folgen belehren (BGH Urteil vom 6. Dezember 1979 – VII ZR 19/79 – VersR 1980, 264, 265 mwN). Den aus Anlaß einer Anlagevermittlung vom Anlageinteressenten hinzugezogenen Fachberater treffen besonders weitgehende Beratungspflichten. Das gilt hier für den Beklagten. Er war für den auf diesem Gebiet unkundigen Kläger erkennbar der individuelle Berater, dem besonderes persönliches Vertrauen entgegengebracht wurde (vgl. dazu Senatsurteil vom 25. November 1981 – IVa ZR 286/80 – zur Veröffentlichung bestimmt).
b) Jedenfalls im Ergebnis zu Recht hat demgemäß das Berufungsgericht eine schuldhafte Verletzung der dem Beklagten obliegenden umfassenden Beratungspflicht angenommen.
aa) Die steuerlichen Vorteile einer Beteiligung an den Abschreibungsgesellschaften, deren Anteile der Kläger erwarb, ergaben sich Ende 1972 aus dem Entwicklungshilfe-Steuergesetz vom 15. März 1968 (BGBl I, 217, geändert = verlängert durch Gesetz vom 3. November 1972, BGBl I, 2061) und aus dem Berlinförderungsgesetz idF vom 29. Oktober 1970 (BGBl I, 1482). Jedenfalls über Nachteile oder Risiken, die für die vom Kläger beabsichtigten Beteiligungen nach diesen Gesetzen erkennbar bestanden, hatte der Beklagte umfassend und ungefragt aufzuklären. Deshalb mußte er unter anderem auch auf die im Rechtsstreit als „Sperrfristen” bezeichneten Zeiträume und deren Bedeutung hinweisen. Zum Beispiel mußten gemäß § 14 Abs. 2 Ziff. 1 des Berlinförderungsgesetzes bewegliche Wirtschaftsgüter mindestens drei Jahre nach ihrer Anschaffung oder Herstellung in einer in Berlin (West) belegenen Betriebsstätte verbleiben, wenn die erhöhten Absetzungen in Anspruch genommen werden sollten. Eine ähnliche Vorschrift bestand in § 3 Abs. 1 Satz 3 Entwicklungshilfe-Steuergesetz. Nach § 1 Abs. 3 dieses Gesetzes kam es für die danach möglichen Bewertungsabschläge bzw gewinnmindernden Rücklagen – diese waren vom sechsten auf ihre Bildung folgenden Wirtschaftsjahr an gewinnerhöhend aufzulösen – auf das Jahr an, in welchem die Mittel dem Betrieb zugeführt waren; nach § 5 konnten unter bestimmten Umständen, zB beim Wegfall sachlicher Voraussetzungen, die Steuervergünstigungen wegfallen (vgl. näher dazu Haver BB 1967, 341ff; Runge BB 1971, 906, 909f). Nach § 14 Abs. 5 des Berlinförderungsgesetzes mußten Gebäude, für die besonders hohe Absetzungen nach § 14 des Berlin-Hilfegesetzes idF vom 19. August 1964 (BGBl I, 674) in Anspruch genommen werden sollten, vor dem 1. Januar 1970 begonnen und vor dem 1. Januar 1975 fertiggestellt worden sein.
Danach liegt auf der Hand, daß zB ein wirtschaftlicher Zusammenbruch der Abschreibungsgesellschaft vor Ablauf des jeweils maßgeblichen Zeitraumes oder die Mittelzuführung erst in einem späteren als dem angekündigten Zeitraum erhebliche steuerliche Folgen haben mußte. Nach der eigenen Aussage des Beklagten als Partei – diese ist im Berufungsurteil in Bezug genommen – hat er mögliche Steuernachzahlungen bei vorzeitigem Konkurs mit dem Kläger nicht erörtert.
bb) Das Berufungsgericht hat eine schuldhafte Verletzung der Beratungspflicht mit der Begründung angenommen, der Beklagte habe den Kläger nicht darüber aufgeklärt, daß die vom Kläger gerade für 1971 und 1972 gewünschten Verlustzuweisungen sich auf spätere Jahre verschieben konnten. Schon deshalb, weil nach den bereits erwähnten gesetzlichen Bestimmungen solche Verschiebungen – mangels rechtzeitiger Mittelzuführung, Fertigstellung usw. – sich ohne weiteres ergeben konnten, ist diese vom Berufungsgericht festgestellte Unterlassung dem Beklagten vorzuwerfen. Als Steuerberater hätte er dieses sich schon beim Nachlesen der für die fraglichen Abschreibungsgesellschaften maßgeblichen Gesetze erkennbare Risiko erkennen und von sich aus den Kläger darauf hinweisen müssen. Deshalb kommt es auf die dazu vom Berufungsgericht aufgrund eines Sachverständigengutachtens getroffene weitere Feststellung und die diesbezügliche Revisionsrüge nicht an.
c) Eine Haftung des Beklagten entfällt nach den bisherigen Feststellungen auch nicht wegen der von ihm erhobenen Einrede der Verjährung. Das Berufungsgericht hat mit Recht § 68 StBerG als für die Verjährung in diesem Falle maßgeblich angesehen.
2. Das Urteil kann jedoch nicht bestehen bleiben, weil nach den darin enthaltenen Feststellungen unklar ist, ob überhaupt und ggf. in welcher Höhe dem Kläger infolge der Pflichtverletzung des Beklagten ein Schaden entstanden ist.
a) Der Kläger wollte offenbar zunächst den Schaden ersetzt bekommen, der ihm dadurch entstanden ist, daß er den Angaben des Beklagten zu den steuerlichen Auswirkungen seiner Beteiligung vertraut hat. Sein ursprünglicher Klageantrag und seine Klagebegründung ließen erkennen, daß er so gestellt werden wollte, als habe sich höchstens das Risiko verwirklicht, welches der Beklagte in seinem Berechnungsbeispiel genannt hatte. Dieses Risiko bestand in dem Verlust desjenigen Spitzenbetrages der Beteiligung (zuzüglich Agio), der nicht durch die bei „planmäßigem” Verlauf zu erwartende Steuerersparnis abgedeckt war. Bei diesem Ausgangspunkt war aber von vorneherein der Schadensumfang fraglich.
b) Im Tatbestand des Berufungsurteils wird zum Schaden als unstreitig wiedergegeben, aufgrund der nunmehr bestandskräftigen Steuerveranlagung müsse der Kläger insgesamt 22.506,75 DM mehr Einkommensteuer zahlen, als er zu zahlen gehabt hätte, wenn er sich nicht an den drei Gesellschaften beteiligt hätte. Dies würde auf einem Vergleich der steuerlichen Belastung des Klägers, wie sie ohne die Beteiligung an allen drei Abschreibungsgesellschaften gewesen wäre, mit der nach den bestandskräftigen Steuerbescheiden tatsächlich vorhandenen Steuerschuld beruhen.
c) In den Entscheidungsgründen auf Seite 12/13 seines Urteils hat das Berufungsgericht dagegen die von den Parteien schließlich übereinstimmend vorgetragene Schadensberechnung zugrundegelegt. Diese geht von anderen Voraussetzungen aus. Sie stellt die jetzige, bestandskräftig festgestellte Steuerbelastung des Klägers derjenigen Steuerbelastung gegenüber, die eingetreten wäre, wenn die aufgrund der Beratung des Beklagten angesetzten Verlustzuweisungen in voller Höhe anerkannt worden wären. Die Revision bezeichnet diesen Schadensbetrag als den Differenzbetrag zwischen den ursprünglich beantragten – und auch zunächst vom Finanzamt angenommenen – Verlustzuweisungen und den nach den bestandskräftigen Steuerbescheiden letztlich gewährten Verlustzuweisungen. Diesem im Berechnungsweg übereinstimmenden Parteivortrag folgt die Darlegung zur Schadenshöhe auf Seite 12/13 des Berufungsurteils, der Kläger habe aufgrund der inzwischen bestandskräftig gewordenen Steuerbescheide für die Jahre 1971 – 1975 nachträgliche Steuervorteile in Höhe von 22.506,75 DM verloren, die ursprünglich gewährt worden seien. Dieser Teil der Entscheidungsgründe enthält die Wiedergabe tatsächlichen Parteivorbringens, ist aber mit dem zu b) erwähnten Teil des Tatbestandes nicht vereinbar.
d) Angesichts der Widersprüche und Lücken im angefochtenen Urteil fehlt es an einer klaren tatsächlichen Grundlage für die Beurteilung der Frage, ob dem Kläger überhaupt ein Schaden entstanden ist, und weiter, ob und in welchem Ausmaß ein evtl. entstandener Schaden darauf zurückzuführen ist, daß der Kläger auf die schuldhaft unvollständige Beratung des Beklagten vertraut hat. Deshalb muß auf die Revision des Beklagten das Berufungsurteil aufgehoben und der Rechtsstreit in die Vorinstanz zurückverwiesen werden.
e) Wie hoch die Steuerbelastung des Klägers für die Jahre 1971 bis 1975 ohne jegliche Beteiligung gewesen wäre, ist dem Berufungsurteil nämlich auch nicht zu entnehmen. Feststellungen dazu, ob und in welcher Höhe die Beteiligung des Klägers an der dritten Abschreibungsgesellschaft (Fa J. u Co) verloren ist, hat das Berufungsgericht ebenfalls nicht getroffen. Nach dem im Berufungsurteil erwähnten Beschluß des Berufungsgerichts vom 30. Mai 1979 ist nicht einmal die Möglichkeit auszuschließen, daß die Beteiligung an dieser Gesellschaft dem Kläger nicht nur die gewünschte Steuerersparnis, sondern sogar Gewinn gebracht hat.
f) Der Senat ist deshalb zu einer abschließenden Entscheidung nicht in der Lage. Insbesondere kann die Klage trotz des unklaren Vortrags des Klägers zum Schaden nicht ohne weiteres abgewiesen werden. Das Berufungsgericht hätte gemäß § 139 ZPO jedenfalls dann auf eine Klärung dieser Frage hinwirken müssen, als nach dem Übergang zur Leistungsklage beide Parteien ein übereinstimmendes Zahlenwerk vorbrachten und ein Schaden des Klägers immerhin möglich war. Die Möglichkeit, daß dem Kläger letztlich ein Schaden entstanden ist, kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, weil er seine Einlagen ganz oder teilweise verloren haben kann und weil die ihm letztlich entstandenen Steuervorteile ganz oder zumindest teilweise bei der Schadensberechnung außer Betracht zu bleiben haben (vgl. BGHZ 74, 103, 113ff).
Fundstellen