Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Steuerberaters für Vermögensschäden des Mandanten aufgrund falscher Auskunft über Verlustverrechnungsmöglichkeiten bei Wertpapiergeschäften
Leitsatz (amtlich)
Macht der Mandant die Entscheidung über einen Wertpapierverkauf erkennbar davon abhängig, dass entstandene Kursverluste mit Gewinnen verrechnet werden können und erteilt der Steuerberater daraufhin eine rechtlich fehlerhafte Auskunft, die den Mandanten veranlasst, von der Veräußerung abzusehen, so haftet der Berater dem Mandanten grundsätzlich für weitere Kursverluste.
Leitsatz (redaktionell)
Steuervorteile, die dem Geschädigten in adäquatem Zusammenhang mit der Pflichtverletzung des Steuerberaters zufließen, sind auf den Schadensersatzanspruch grundsätzlich anzurechnen. Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des Vorteilsausgleichs trägt der Schädiger.
Normenkette
BGB §§ 675, 249; EStG § 23 Abs. 3 S. 9
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 17. Zivilsenats des OLG Karlsruhe vom 25.5.2004 aufgehoben.
Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen das Urteil der 3. Zivilkammer des LG Mannheim vom 4.4.2002 abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 121.045,98 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 9.4.2001 zu zahlen.
Die weitergehende Klage bleibt abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1] Die Beklagte ist für den Kläger als Steuerberaterin tätig. Anfang des Jahres 2001 waren dem Kläger in seinem Wertpapierdepot Verluste i.H.v. etwa 370.000 DM entstanden. Nach Beratung seiner Bank erwog der Kläger, die Verluste durch Veräußerung der Wertpapiere noch innerhalb der Spekulationsfrist zu begrenzen. Hierbei sollte der für 2001 anzusetzende Verlust mit dem Spekulationsgewinn von etwa 350.000 DM des Jahres 2000 sowie künftigen Spekulationsgewinnen verrechnet werden. Am 1.2.2001 rief der Kläger in Beisein des Wertpapierberaters die Beklagte an, um sich bei ihr zu vergewissern, ob eine solche Verrechnung möglich sei. Der Kläger machte hierbei der Beklagten deutlich, dass seine Entscheidung, die Wertpapiere zu veräußern, allein davon abhängig sei, ob der Vorjahresgewinn von 350.000 DM mit den Verlusten verrechnet werden könne. Die Beklagte teilte unter Verkennung von § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG mit, dass ein Verlustrücktrag auf das Jahr 2000 nicht möglich und deshalb die beabsichtigte Maßnahme wirtschaftlich nicht sinnvoll sei. Daraufhin sah der Kläger davon ab, seine Wertpapiere zu veräußern. Nachdem der Kläger am 14.3.2001 anderweitig über die tatsächliche Rechtslage unterrichtet worden war, informierte er unverzüglich die Beklagte. Diese räumte am 15.3.2001 ein, dass sie sich geirrt habe und tatsächlich bereits zum 1.2.2001 eine Veräußerung der Wertpapiere unter Verrechnung der entstandenen Spekulationsverluste mit den Gewinnen des Vorjahres möglich gewesen sei. Hierauf veräußerte der Kläger seine Wertpapiere noch am 15.3.2001. Durch den zwischenzeitlich eingetretenen weiteren Wertverfall ist ihm ein Verlust von 236.745,36 DM [= 121.045,98 EUR] entstanden, den er mit der vorliegenden Klage geltend macht.
[2] Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Schadensersatzbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
[3] Die Revision hat Erfolg und führt zur Abänderung der instanzgerichtlichen Entscheidungen.
I.
[4] Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Beklagte habe zwar ihre aus dem Beratungsvertrag obliegenden Pflichten verletzt, indem sie unter Verkennung von § 23 Abs. 3 EStG mitgeteilt habe, ein Verlustrücktrag auf das Jahr 2000 sei nicht zulässig. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger bei zutreffender Auskunft seine Wertpapiere am 1.2.2001 veräußert hätte und der später entstandene Kursverlust vermieden worden wäre. Der Zweck der Vertragspflicht der Beklagten sei darauf gerichtet gewesen, den Kläger darüber zu unterrichten, ob die beabsichtigte Wertpapierveräußerung auch unter Einbeziehung steuerlicher Gesichtspunkte wirtschaftlich sinnvoll sei. Sinn und Zweck dieser Pflicht sei es jedoch nicht gewesen, den Kläger vor Vermögensschäden zu bewahren, die sich aus anderen als steuerlichen Gründen hätten einstellen können. Der geltend gemachte Vermögensschaden des Klägers in Form der Kursverluste sei nicht vom Schutzzweck der eingegangenen Verpflichtung umfasst.
II.
[5] Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
[6] 1. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Beklagte den ihr obliegenden Verpflichtungen aus dem mit dem Kläger bestehenden steuerlichen Beratungsvertragsverhältnis nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist. Die von ihr erteilte Auskunft, die beabsichtigte Verrechnung des Verlustes mit den im Vorjahr erzielten Gewinnen sei nicht möglich, stand in Widerspruch zur Vorschrift des § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG.
[7] 2. Die Ansicht des Berufungsgerichts, der geltend gemachte Schaden werde vom Schutzzweck der verletzten Beratungsverpflichtung nicht erfasst, ist rechtlich nicht zutreffend.
[8] a) Grundsätzlich haftet derjenige, der für ein schädigendes Ereignis verantwortlich ist, dem Geschädigten für alle dadurch ausgelösten rechtlichen und wirtschaftlichen Nachteile. Jedoch darf dem Anspruchsgegner nur der Schaden zugerechnet werden, der innerhalb des Schutzbereichs der verletzten Norm eingetreten ist. Dieser auch im Vertragsrecht geltende Grundsatz bedeutet für den Bereich der Anwalts- und Steuerberaterhaftung, dass der Berater nur für solche Nachteile einzustehen hat, zu deren Abwendung er die aus dem Mandat folgenden Pflichten übernommen hat (BGH v. 3.12.1991 - XI ZR 300/90, BGHZ 116, 209, 213 = MDR 1992, 342; BGH, Urt. v. 6.2.2002 - III ZR 206/01, BGHReport 2002, 825 = MDR 2002, 1191 = NJW 2002, 2459, 2460; v. 13.2.2003 - IX ZR 62/02, MDR 2003, 687 = BGHReport 2003, 657 = WM 2003, 1621, 1622). Der Steuerberater, der dem Anlageinteressenten nur hinsichtlich eines bestimmten für das Vorhaben bedeutsamen Einzelpunktes Aufklärung schuldet, hat daher im Falle eines Fehlers lediglich für die Risiken einzustehen, für deren Einschätzung die geschuldete Aufklärung maßgeblich war (BGH, Urt. v. 13.2.2003, a.a.O.).
[9] b) Die Revision rügt jedoch zu Recht, dass die Beklagte trotz dieser die Schadenszurechnung begrenzenden Regeln für die finanziellen Nachteile einzustehen hat, die dem Kläger aus ihrer fehlerhaften Rechtsauskunft entstanden sind.
[10] Nach den von der Revisionserwiderung nicht in Frage gestellten Feststellungen des Berufungsgerichts war der Beklagten bei Auskunftserteilung bekannt, dass die beabsichtigte Wertpapierveräußerung nur von der Frage abhing, ob der eingetretene Verlust mit den im Vorjahr erzielten Gewinnen verrechnet werden könne. Die von der Beklagten erbetene steuerliche Auskunft diente folglich für diese erkennbar allein dazu, dem Kläger die für das in Betracht kommende Wertpapiergeschäft gewünschte steuerrechtliche Information zu geben. Der Kläger hatte ihr gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass er die Papiere verkaufen wolle, wenn er auf diesem Wege eine steuerliche Verrechnung bewirken könne. In diesem Falle war der Kläger willens, die Papiere nicht länger zu halten. Die Aufgabe der Steuerberaterin bestand demnach gerade darin, den Kläger darüber zu belehren, ob die steuerliche Voraussetzung gegeben war, unter welcher der Kläger die Papiere veräußern wollte mit der Folge, dass das Risiko weiterer Verluste entfiel. Der dem Kläger infolge des von der Beklagten zu verantwortenden Beratungsfehlers entstandene Kursverlust stellt damit den Nachteil dar, der nach dem Inhalt der von der Beklagten übernommenen Pflicht gerade vermieden werden sollte. Anders als in der vom Berufungsgericht herangezogenen Fallgestaltung im Urteil des BGH vom 30.1.1990 (XI ZR 63/89, MDR 1990, 715 = NJW 1990, 2057, 2058) scheidet hier ein Ersatzanspruch des Mandanten nicht deshalb aus, weil ihm kein steuerlicher Schaden entstanden ist. Der geltend gemachte weitere Kursverlust fällt nach Art und Entstehungsweise unmittelbar unter den Schutzzweck der durch die Falschauskunft verletzten Beratungspflicht der Beklagten. Daher hat die Beklagte für den eingetretenen Schaden aufzukommen.
[11] 3. Entgegen der von der Revisionsbeklagten in der mündlichen Verhandlung geäußerten Ansicht entfällt der Zurechnungszusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schadensereignis nicht deshalb, weil das Unterlassen der Wertpapierveräußerung auf einem Willensentschluss des Klägers beruhte.
[12] Es entspricht gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass ein eigener selbständiger Willensakt des Geschädigten es nicht ausschließt, demjenigen die Schadensfolge zuzurechnen, der die Kausalkette in Gang gesetzt hat. Wurde die Handlung des Mandanten durch das haftungsbegründende Ereignis geradezu herausgefordert, so bleibt der Zurechnungszusammenhang mit dem Verhalten des Beraters bestehen (BGH, Urt. v. 28.6.1990 - IX ZR 209/89, BRAK 1990, 251 = MDR 1991, 240 = WM 1990, 1917, 1922; v. 17.6.1993 - IX ZR 206/92, MDR 1993, 1126 = WM 1993, 1798, 1800; v. 20.10.1994 - IX ZR 116/93, BRAK 1995, 130 = WM 1995, 398, 402; v. 13.3.2003 - IX ZR 181/99, MDR 2003, 742 = BGHReport 2003, 729 = NJW-RR 2003, 850, 855; ferner Fischer in Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung 2. Aufl. Rz. 1018; Zugehör WM Sonderbeilage Nr. 3/2006, S. 22). Der eingetretene weitere Kursverlust ist der Beklagten haftungsrechtlich zuzurechnen. Ihr war bekannt, dass der Kläger willens war, den Verkaufsauftrag zu erteilen, falls die Möglichkeit, Kursgewinne und -verluste zu verrechnen, bestand. Damit hat sie den Entschluss des Klägers, die Papiere nicht zu veräußern, herausgefordert, indem sie den bei Kenntnis der Rechtslage veräußerungsbereiten Kläger durch ihre Auskunft davon abhielt, seine Verkaufsabsichten zu verwirklichen.
[13] 4. Dem Kläger ist ein Schaden in Höhe des Klagebetrages entstanden.
[14] a) Steuervorteile, die dem Geschädigten in adäquatem Zusammenhang mit der Pflichtverletzung des Steuerberaters zufließen, sind auf den Schadensersatzanspruch grundsätzlich anzurechnen (BGH, Urt. v. 11.10.2001 - III ZR 288/00, MDR 2002, 80 = BGHReport 2002, 94 = NJW 2002, 888, 890; Urt. v. 13.1.2004 - XI ZR 355/02, BGHReport 2004, 598 = MDR 2004, 520 = NJW 2004, 1868, 1870; ferner Fischer, a.a.O. Rz. 1082; Zugehör WM a.a.O. S. 26). Als Steuervorteil im vorgenannten Sinn kommt auch die Möglichkeit in Betracht, die dem Kläger nach dem 1.2.2001 entstandenen Kursverluste im Rahmen eines steuerlichen Verlustvortrages zur Minderung der künftigen Steuerschuld nach § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG einzusetzen.
[15] b) In der Rechtsprechung des BGH ist anerkannt, dass die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des Vorteilsausgleiches der Schädiger trägt (BGH v. 24.4.1985 - VIII ZR 95/84, BGHZ 94, 195, 217 = MDR 1985, 754; BGH, Urt. v. 23.6.1992 - XI ZR 247/91, MDR 1993, 140 = NJW-RR 1992, 1397; Urt. v. 17.10.2003 - V ZR 84/02, NJW-RR 2004, 79, 81). Dies gilt auch im Rahmen eines steuerlichen Beratungsvertrages (BGH, Urt. v. 31.1.1991 - IX ZR 124/90, MDR 1991, 727 = WM 1991, 814; Urt. v. 23.10.2003 - IX ZR 249/02, BGHReport 2004, 231 = MDR 2004, 276 = WM 2004, 475, 477). Danach hat der Steuerberater darzutun, dass und ggf. in welcher Höhe der Geschädigte einen auszugleichenden Vermögensvorteil erlangt hat. Das trifft auch dann zu, wenn dem Geschädigten, wie im Streitfall, kein entsprechend § 255 BGB abtretbarer anderweitiger Anspruch erwachsen ist.
[16] c) Diesen Anforderungen genügt der Vortrag der Beklagten nicht. Sie hat lediglich allgemein auf die rechtliche Möglichkeit einer Anrechnung gem. § 23 Abs. 3 EStG hingewiesen, ohne dies für die vorliegende Fallgestaltung näher zu konkretisieren. Da sie weiterhin die steuerlichen Angelegenheiten des Klägers betreut, war sie jedenfalls in der Lage, die wirtschaftlichen Auswirkungen eines derartigen Vorteils nachvollziehbar darzustellen, insb. vorzutragen, ob die in Rede stehenden Verluste angemeldet und eine konkrete Anrechnung bereits erfolgt oder in nächster Zeit zu erwarten ist. Hieran fehlt es.
Fundstellen
BFH/NV Beilage 2007, 311 |
DB 2007, 569 |
DStR 2007, 738 |
DStRE 2007, 659 |
DStZ 2007, 234 |
WPg 2007, 355 |
Inf 2007, 252 |
NWB 2007, 1760 |
BGHR 2007, 395 |
EBE/BGH 2007, 82 |
NJW-RR 2007, 742 |
EWiR 2007, 357 |
GI 2007, 73 |
StuB 2007, 598 |
WM 2007, 567 |
WuB 2007, 435 |
ZAP 2007, 386 |
ZIP 2007, 1911 |
MDR 2007, 621 |
VersR 2007, 702 |
GuT 2007, 176 |
KP 2007, 55 |
NWB direkt 2007, 11 |
NWB direkt 2007, 12 |
RÜ 2007, 573 |
ZBB 2007, 143 |
BFH/NV-Beilage 2007, 311 |
MBP 2007, 112 |
SJ 2007, 40 |