Alle in der KW 23 veröffentlichten BGH-Leitsatzentscheidungen

Kompakt und aktuell: Hier finden Sie einen Überblick der in der KW 23 vom Bundesgerichtshof veröffentlichten sog. Leitsatzentscheidungen.

Senat

Leitsatz

Datum und Az.

4. Zivilsenat

Ein Lebensversicherer mit Sitz in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum musste in der Verbraucherinformation gemäß Abschnitt I Nr. 1 Buchst. i) der Anlage Teil D zum Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG a.F.) nicht angeben, dass er dem deutschen Sicherungsfonds für die Lebensversicherung im Sinne von § 124 VAG a.F. nicht angehörte.

BGH-Urteil v. 26.4.2023, IV ZR 300/22

5. Zivilsenat

Die beklagte Partei, deren Beschwer aus einer Verurteilung nicht dem Streitwert der Klage entspricht, ist im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht gehindert, sich zur Glaubhaftmachung ihrer nach § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderlichen Rechtsmittelbeschwer auf neues Vorbringen zu stützen.

BGH-Beschluss v. 27.4.2023, V ZR 118/22

5. Zivilsenat

1. Hat ein Wohnungseigentümer im Wege der einstweiligen Verfügung die vorübergehende Aussetzung eines Beschlusses erwirkt, so können die übrigen Wohnungseigentümer, gegen die die einstweilige Verfügung unter der Geltung des bis zum 30. November 2020 anwendbaren Rechts ergangen ist, den der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer durch die Beschlussaussetzung entstandenen Schaden aufgrund eines Anspruchs aus § 945 ZPO im Wege der Drittschadensliquidation ersetzt verlangen.

2. Seit Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes am 1. Dezember 2020 ist eine auf Suspendierung eines Wohnungseigentümerbeschlusses abzielende einstweilige Verfügung gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zu richten. Damit ist diese auch selbst Inhaberin eines Anspruchs aus § 945 ZPO.

3. Ein der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer in ihrem Verwaltungsvermögen entstandener Schaden entfällt nicht dadurch, dass der Schadensbetrag in die Jahresabrechnung eingestellt und auf die einzelnen Wohnungseigentümer nach dem im Innenverhältnis unter ihnen geltenden Kostenverteilungsschlüssel verteilt wird.

BGH-Urteil v. 21.4.2023, V ZR 86/22

8. Zivilsenat

Zur Frage der "fiktiven" Schadensbemessung im Mietrecht (im Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 26. April 2022 - VIII ZR 364/20, NJW-RR 2022, 1307 Rn. 8 ff.; vom 10. Mai 2022 - VIII ZR 277/20, NJW-RR 2022, 1460 Rn. 14 ff.; Urteil vom 31. März 2021 - XII ZR 42/20, NJW-RR 2021, 803 Rn. 15).

BGH-Urteil v. 19.4.2023, VIII ZR 280/21

3. Zivilsenat

Die Mitarbeiter eines privaten Unternehmens, die im Zuge von Straßenbauarbeiten der öffentlichen Hand neue Fahrzeugrückhaltesysteme (Schutzplanken) montieren, handeln nicht in Ausübung eines ihnen anvertrauten öffentlichen Amtes, wenn das beauftragte Fachunternehmen bei den zu erbringenden Montagearbeiten, die der Daseinsvorsorge dienen und bei denen der hoheitliche Charakter daher nicht im Vordergrund steht, über einen relevanten eigenen Ausführungsspielraum verfügt. Bei schuldhafter Beschädigung fremder Versorgungsleitungen (hier: durch Rammarbeiten) haftet das private Unternehmen nach § 823 Abs. 1 BGB (Bestätigung und Fortführung von Senat, Urteil vom 6. Juni 2019 - III ZR 124/18, NJW-RR 2019, 1163).

BGH-Urteil v. 13.4.2023, III ZR 215/21

12. Zivilsenat

1. Die isolierte Geltendmachung von Auskunfts- und Zahlungsanspruch hinsichtlich des Trennungsunterhalts ist grundsätzlich nicht mutwillig im Sinne von § 114 Abs. 2 ZPO (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 10. März 2005 - XII ZB 20/04, FamRZ 2005, 786).

2. Bei einem zum Zeitpunkt der Antragseinreichung aufgelaufenen - streitwerterhöhenden - Unterhaltsrückstand hat die Prüfung der Mutwilligkeit den jeweiligen Einzelfall in den Blick zu nehmen. Mutwilligkeit scheidet aus, wenn nachvollziehbare und billigenswerte Gründe für ein Zuwarten mit der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs vorliegen.

BGH-Beschluss v. 5.4.2023, XII ZB 2/21

3. Zivilsenat

1. § 37 Abs. 1 Satz 2 WHG ist - wie einige seiner landesrechtlichen Vorgängerbestimmungen - einschränkend dahin auszulegen, dass jedenfalls solche Änderungen der Stärke oder Richtung des Wasserabflusses, die infolge einer üblichen landwirtschaftlichen Nutzung eintreten, grundsätzlich keine unzulässige Veränderung darstellen.

2. Einschränkungen können sich aber aus der Verpflichtung zur gegenseitigen Rücksichtnahme im wasserrechtlichen Nachbarschaftsverhältnis ergeben.

Fortführung und Weiterentwicklung von Senatsurteil vom 18. April 1991 - III ZR 1/90, BGHZ 114, 183 sowie BGH, Urteil vom 2. März 1984 - V ZR 54/83, BGHZ 90, 255.

BGH-Urteil v. 20.4.2023, III ZR 92/22

1. Zivilsenat

Reicht eine Partei eine Rechtsmittelschrift beim unzuständigen Ausgangsgericht ein, so entspricht es regelmäßig dem ordentlichen Geschäftsgang, dass die Geschäftsstelle die richterliche Verfügung der Weiterleitung des Schriftsatzes an das Rechtsmittelgericht am darauf folgenden Werktag ausführt. Die Partei hat darzulegen und glaubhaft zu machen, dass sie wegen eines davon abweichenden üblichen Geschäftsgangs am Ausgangsgericht darauf vertrauen durfte, die richterliche Verfügung werde noch am selben Tag umgesetzt (Fortführung von BGH, Beschluss vom 12. Mai 2016 - IX ZB 75/15, NJOZ 2016, 1582 [juris Rn. 15]).

BGH-Beschluss v. 20.4.2023, I ZB 83/22

13. Zivilsenat

Ein rechtlich schützenswertes Interesse an der Einlegung einer unselbstständigen Anschlussbeschwerde fehlt, wenn mit der Anschließung lediglich das gleiche Ziel wie mit dem Hauptrechtsmittel verfolgt werden soll.

BGH-Beschluss v. 25.4.2023, XIII ZB 11/21

BGH Dienstgericht des Bundes

Eine turnusmäßige oder anlassbezogene Geschäftsprüfung verletzt die richterliche Unabhängigkeit erst dann, wenn sie einen unzulässigen Erledigungsdruck ausübt oder auf eine direkte oder indirekte Weisung oder psychische Einflussnahme hinausläuft, wie der Richter künftig verfahren oder entscheiden soll. Das gilt auch für die Art und Weise, wie der Richter seine Leitungsfunktion als Vorsitzender eines Spruchkörpers ausübt. Maßgebend ist dabei der objektive Eindruck, den die Maßnahme erweckt (Anschluss an BGH, Urteil vom 7. September 2017 - RiZ(R) 3/15, juris).

BGH-Urteil v. 16.5.2023, RiZ (R) 1/19, RiZ (R) 2/19

9. Zivilsenat

1. Für das Kleinbeteiligtenprivileg im Fall der Anfechtung der Rückzahlung eines Darlehens oder einer darlehensgleichen Finanzierungsleistung des Gesellschafters genügt es, dass seine Voraussetzungen in dem Zeitraum von einem Jahr vor Beantragung des Insolvenzverfahrens vorliegen. Auf die Verhältnisse in der Zeit davor, insbesondere zum Zeitpunkt der Finanzierungsentscheidung des Gesellschafters, kommt es grundsätzlich nicht an.

2. Für die Annahme einer der Anwendbarkeit des Kleinbeteiligtenprivilegs entgegenstehenden koordinierten Finanzierung genügt es nicht, dass der geringfügig beteiligte Gesellschafter einer darlehensgleichen Finanzierungsleistung an den Schuldner in der Gesellschafterversammlung nur zustimmt, ohne damit zugleich eine über seine Rolle hinausgehende unternehmerische Verantwortung zu übernehmen.

BGH-Urteil v. 20.4.2023, IX ZR 44/22

9. Zivilsenat

1. Der Rechtsanwalt ist im Grundsatz gehalten, den Mandanten in die Lage zu versetzen, eine eigenverantwortliche und sachgerechte Entscheidung über den Abschluss eines Vergleichs zu treffen; hierzu hat er den Mandanten über die Vor- und Nachteile des Vergleichs zu beraten.

2. Die Beratungsbedürftigkeit des Mandanten entfällt erst dann, wenn der Mandant aus anderen Gründen über die Vor- und Nachteile des Vergleichs im Bilde ist; dies hat der Rechtsanwalt darzulegen und zu beweisen

BGH-Urteil v. 20.4.2023, IX ZR 209/21

12. Zivilsenat

Einvernehmliche Ehescheidungen vor dem italienischen Zivilstandsbeamten bedürfen auch unter Geltung der Brüssel IIa-Verordnung zu ihrer Eintragung im Eheregister keiner Anerkennung nach § 107 Abs. 1 Satz 1 FamFG (Anschluss an EuGH Urteil vom 15. November 2022 - C-646/20, FamRZ 2023, 21).

BGH-Beschluss v. 26.4.2023, XII ZB 187/20


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