Entscheidungsstichwort (Thema)
Unberechtigter Umsatzsteuerausweis
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Umsatzsteuerrecht unterscheidet weder bei den umsatzsteuerrechtlichen Erklärungspflichten noch bei der Auferlegung der Pflichten des Verfügungsberechtigten zwischen der nach § 14c Abs. 2 UStG geschuldeten Umsatzsteuer und der Umsatzsteuer im Übrigen. Beide sind gegebenenfalls in derselben – einheitlichen – Steuererklärung anzugeben. Die besondere Behandlung der Umsatzsteuer nach § 14c Abs. 2 UStG bei der Einziehung beruht allein auf einziehungsrechtlichen Erwägungen.
2. Eine ausreichende Verfügungsbefugnis im Sinne von § 35 AO ist auch für den anzunehmen, der aufgrund eines gemeinsamen Tatplans, mit dem die Beteiligten stillschweigend eine Weisungsmacht und -gebundenheit vereinbaren, den Vertretenen steuern und über seine Mittel verfügen kann.
3. Das Regelbeispiel des schweren Falls der Steuerhinterziehung wird begründet von der treibenden Kraft bei der Etablierung einer Umsatzsteuerbetrugskette und ebenfalls bei Steuerverkürzungen in drei Fällen von über 7,3 Mio. EUR, über 1,2 Mio. EUR und fast 1,8 Mio. EUR.
4. Derjenige, dessen Steuerschuld sich nur aus § 14c Abs. 2 UStG ergibt, hat keine abschöpfbaren Vermögensvorteile in der Form von Steuerersparnissen erzielt. Damit unterliegt nur ein etwaiger vereinnahmter Tatlohn der Einziehung.
Normenkette
UStG § 14c Abs. 2; AO § 370 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2. Nr. 1, S. 2. Nr. 5, § 35; StGB § 73c S. 1
Verfahrensgang
LG München I (Entscheidung vom 24.05.2022; Aktenzeichen 5 KLs 501 Js 2/22) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 24. Mai 2022 - auch zugunsten der Mitangeklagten J. - im Ausspruch über die Einziehung dahin geändert, dass gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 320.000 € und gegen die Mitangeklagte in Höhe von 28.000 € angeordnet wird; die weitergehenden Einziehungen entfallen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Die notwendigen Auslagen des Angeklagten, die die Einziehung betreffen, und die insoweit entstandenen weiteren Kosten trägt die Staatskasse; die insoweit angefallene Gerichtsgebühr entfällt. Die weiteren Kosten seines Rechtsmittels hat der Angeklagte zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt, die erlittene Auslieferungshaft im Verhältnis 1:1 auf die Strafe angerechnet und ebenso wie gegen die nichtrevidierende Mitangeklagte unter Bestimmung einer Gesamtschuld die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe der verkürzten Umsatzsteuer mit einem Betrag von 10.345.014,89 € angeordnet. Die gegen seine Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts beanstandet, hat nur zur Vermögensabschöpfung Erfolg.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts vereinbarte der Angeklagte Ende Januar 2018 u.a. mit dem bereits rechtskräftig verurteilten S., mit dem anderweitig Verfolgten R. als dem Verantwortlichen der Em. GmbH (Sitz in H.; nachfolgend: E. GmbH) sowie mit der von ihm eingesetzten Geschäftsführerin der von ihm gegründeten und gesteuerten G. C. (Sitz in B.; nachfolgend: G. ), der nichtrevidierenden Mitangeklagten J., der E. GmbH durch den Scheinhandel mit Platinmünzen ungerechtfertigte Vorsteuerüberhänge zu verschaffen. Alle Beteiligten waren vollständig über das gesamte Hinterziehungssystem informiert. S. übergab R. zunächst unter seinem Einzelunternehmen und ab Mitte November 2018 unter der W. GmbH erstellte Scheinrechnungen über die angebliche Lieferung von Platinmünzen an die E. GmbH. In den Rechnungen, deren Inhalt ihm der Angeklagte vorgab, wies S. jeweils 19 % Umsatzsteuer aus, insgesamt 10.345.014,89 € von Januar 2018 bis einschließlich Februar 2019. Die E. GmbH machte zu Unrecht die Vorsteuer aus diesen Rechnungen geltend. Zudem behandelte sie die „Weiterveräußerung“ der Platinmünzen an die G. als innergemeinschaftliche und daher umsatzsteuerbefreite Lieferungen. Gleichzeitig stellte R. für die E. GmbH Gegenrechnungen an die Unternehmen des S. in vergleichbarer Rechnungshöhe über die angebliche Lieferung von Gold, und zwar nach § 25c Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 UStG ohne den Ausweis von Umsatzsteuer. Im Ergebnis ergab sich für die E. GmbH aus ihren Umsatzsteuererklärungen jeweils ein Vorsteuerguthaben. Tatsächlich lieferte die G. auf Geheiß des Angeklagten die Platinmünzen im Kreislauf an die E. GmbH. Im Gegenzug übernahmen die vom Angeklagten entsandten und zur Bande gehörenden Kuriere der G. das Gold.
Rz. 3
S. gab auf Anweisung des Angeklagten für seine Unternehmen keine Steuererklärungen ab; auch der Angeklagte als der tatsächlich verantwortliche Unternehmer unterließ dies. Die Festsetzung von Umsatzsteuer gegenüber dem Einzelunternehmen S. und der W. GmbH unterblieb daher. Die G. veräußerte das Gold weiter. Die nichtrevidierende Mitangeklagte vereinnahmte für ihre Beteiligung am „Umsatzsteuerbetrugssystem“ von Januar 2018 bis Februar 2019 monatlich zumindest 2.000 €; dem Angeklagten verblieb ein Gewinn in Höhe von 320.000 €.
Rz. 4
2. Die Überprüfung des Urteils hat im Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (dazu unter a]). Die Einziehungsentscheidung hat dagegen überwiegend keinen Bestand (dazu unter b]).
Rz. 5
a) Die Verurteilung des Angeklagten wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) in drei Fällen (Nichtabgabe der Umsatzsteuerjahreserklärungen 2018 zugunsten des Einzelunternehmens und der W. GmbH sowie der ersten Quartalsanmeldung 2019 zugunsten der W. GmbH) ist frei von Rechtsfehlern.
Rz. 6
aa) S. und die W. GmbH schuldeten in den verfahrensgegenständlichen Besteuerungszeiträumen insgesamt 10.345.014,89 € Umsatzsteuer aus den Scheinrechnungen; diese beiden Unternehmen waren vorgeschobene „Strohfirmen“ (§ 13 Abs. 1 Nr. 3, § 13a Abs. 1 Nr. 4, § 14c Abs. 2 Satz 2, § 18 Abs. 1, 3 und 4b UStG; vgl. BGH, Beschluss vom 23. August 2017 - 1 StR 33/17 Rn. 10 mwN). Den entgeltlichen Erwerb der Platinmünzen zu eigener Verfügungsgewalt wollten die Beteiligten ersichtlich nicht (§ 41 Abs. 2 Satz 1 AO). Für die Abgabe der Umsatzsteuererklärungen war (auch) der Angeklagte verantwortlich (§ 35 AO).
Rz. 7
(a) Nach § 35 AO hat derjenige, der als Verfügungsberechtigter im eigenen oder fremden Namen auftritt, die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 34 Abs. 1 AO), soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann. Jeder, der nach dem Gesamtbild der Verhältnisse rechtlich und wirtschaftlich über Mittel, die einem anderen zuzurechnen sind, verfügen kann und als solcher nach außen auftritt, ist ein solcher Verfügungsberechtigter. Auftreten bedeutet eine Teilnahme am Wirtschafts- und Rechtsverkehr, die über die Beziehungen zum Rechtsinhaber hinausgeht. Keine Voraussetzung ist ein Auftreten gerade gegenüber den Finanzbehörden oder in steuerlichen Angelegenheiten. Nimmt etwa ein faktischer Geschäftsführer eines Unternehmens Geschäftsführungsaufgaben tatsächlich wahr, so reicht es aus, wenn er lediglich gegenüber einer „begrenzten Öffentlichkeit“ zu erkennen gibt, dass er als solcher über das Vermögen verfügen kann, das Auftreten gegenüber der „allgemeinen Öffentlichkeit“ aber weisungsabhängigen Personen überlässt (BGH, Urteil vom 9. April 2013 - 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218 Rn. 77-85; Beschluss vom 23. August 2017 - 1 StR 33/17 Rn. 15-18). Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs reicht eine rein tatsächliche Verfügungsmacht zwar nicht aus (vgl. BFH, Urteil vom 16. März 1995 - VII R 38/94 Rn. 22, BFHE 177, 209, 215; Beschluss vom 27. Mai 2009- VII B 156/08 Rn. 9). Eine ausreichende Verfügungsbefugnis im Sinne von § 35 AO ist auch für den anzunehmen, der aufgrund eines gemeinsamen Tatplans, mit dem die Beteiligten stillschweigend eine Weisungsmacht und -gebundenheit vereinbaren, den Vertretenen steuern und über seine Mittel verfügen kann (vgl. BGH, Urteil vom 9. April 2013 - 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218 Rn. 80; Beschluss vom 23. August 2017 - 1 StR 33/17 Rn. 17).
Rz. 8
(b) Hier folgt das Auftreten nach außen und damit eine Verfügungsbefugnis im Sinne des § 35 AO bereits daraus, dass der wichtigste Vertragspartner, die E. GmbH, vertreten durch R., eingeweiht war. Der Angeklagte band mit R. s Wissen und Wollen S. in die Platin- und Goldgeschäfte als abhängigen „Strohmann“ ein. Auch S. s Verhalten gegenüber den Finanzbehörden steuerte der Angeklagte, indem er S. anwies, keine Steuererklärungen abzugeben. Der Angeklagte war auch in der Lage, der Verpflichtung zur Abgabe richtiger Umsatzsteuererklärungen nachzukommen. Denn er bestimmte den Inhalt der Rechnungen, die S. als sein Schreibgehilfe erstellte.
Rz. 9
Das Umsatzsteuerrecht unterscheidet weder bei den umsatzsteuerrechtlichen Erklärungspflichten (§ 18 Abs. 1 und 3 UStG) noch bei der Auferlegung der Pflichten des Verfügungsberechtigten (§ 35 AO) zwischen der nach § 14c Abs. 2 UStG geschuldeten Umsatzsteuer und der Umsatzsteuer im Übrigen. Beide sind gegebenenfalls in derselben - einheitlichen - Steuererklärung anzugeben. Die besondere Behandlung der Umsatzsteuer nach § 14c Abs. 2 UStG bei der Einziehung (vgl. dazu sogleich unter b]) beruht allein auf einziehungsrechtlichen Erwägungen.
Rz. 10
bb) Auch der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung stand. Insbesondere ist nicht gegen das sogenannte Doppelverwertungsverbot (§ 46 Abs. 3 StGB) verstoßen worden. Das Landgericht hat nicht - wie von der Revision beanstandet - den verschärften Strafrahmen allein durch die Gesamtschau beider verwirklichter Regelbeispiele (großes Ausmaß nach § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO und bandenmäßige Begehung nach § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 AO) begründet. Nach der im Rahmen der Gesamtwürdigung der Strafkammer dargestellten Rolle des Angeklagten als treibende Kraft bei der Etablierung der Umsatzsteuerbetrugskette und seiner führenden Rolle in der Hierarchie der Bande, trägt dies - so sind die Strafzumessungserwägungen der Strafkammer zu verstehen - bereits für sich das Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 AO. Bei § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO begründet die Steuerverkürzung von über 7,3 Mio. € (Fall 1), über 1,2 Mio. € (Fall 2) und fast 1,8 Mio. € (Fall 3) ebenfalls jeweils bereits für sich dieses Regelbeispiel.
Rz. 11
b) Die Einziehungsentscheidung hat demgegenüber überwiegend keinen Bestand.
Rz. 12
aa) Sie scheitert bereits daran, dass derjenige, dessen Steuerschuld sich nur aus § 14c Abs. 2 UStG ergibt, keine abschöpfbaren Vermögensvorteile in der Form von Steuerersparnissen erzielt (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 2. Mai 2023 - 1 StR 77/23 Rn. 7; vom 8. März 2023 - 1 StR 22/23 Rn. 7 und vom 25. März 2021 - 1 StR 28/21, BGHR StGB § 73c Satz 1 Erlangtes 6 Rn. 8-10).
Rz. 13
bb) Damit unterliegt nur der vom Angeklagten vereinnahmte Tatlohn in Höhe von 320.000 € der Einziehung (§ 73 Abs. 1 Alternative 2, § 73c Satz 1 StGB; § 354 Abs. 1 StPO entsprechend). Diese Entscheidung ist auf die Mitangeklagte zu erstrecken (§ 357 Satz 1 StPO).
Rz. 14
Zwar erlangten beide Angeklagte - stets (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 2022 - 1 StR 481/21 Rn. 6-9) - Verfügungsgewalt über das Gold; dies ist jedoch auf das Erschleichen der unberechtigten Vorsteuervergütungen durch Abgabe der unrichtigen Umsatzsteuererklärungen zugunsten der E. GmbH (§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 2, § 150 Abs. 1 Satz 3, § 168 Satz 2 AO; § 18 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG) zurückzuführen. Das entsprach zwar dem Tatplan (§ 25 Abs. 2 StGB), ändert aber nichts daran, dass die Angeklagten diese Gegenstände mittelbar durch materiell-rechtlich andere Taten (§ 53 StGB) erlangten, die nach Verfahrenseinstellung (§ 154 StPO) nicht Gegenstand der Verurteilung sind und auf die eine Einziehung aufgrund des Verbots der Schlechterstellung (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) nicht gestützt werden kann (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 2. März 2023 - 2 StR 168/22 Rn. 3 mN). Die in § 73 Abs. 1 StGB enthaltenen Alternativen „durch“ und „für“ schließen sich nach ständiger Rechtsprechung aller Strafsenate des Bundesgerichtshofs gegenseitig aus (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2023 - 1 StR 376/22 Rn. 9; vom 7. Februar 2023 - 2 StR 67/22 Rn. 14 und vom 7. Juni 2022 - 5 StR 331/21 Rn. 11; je mwN).
Rz. 15
3. Die Kostenentscheidung bezüglich der Einziehung beruht auf § 473 Abs. 4, § 465 Abs. 2 StPO analog (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Februar 2021 - 1 StR 423/20, BGHR StPO § 473 Abs. 4 Quotelung 8 Rn. 6 ff. und vom 6. Oktober 2021 - 1 StR 311/20 Rn. 9 ff.).
Jäger |
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Fischer |
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Bär |
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Leplow |
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Allgayer |
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Fundstellen
BFH/NV 2023, 1295 |
NJW 2024, 98 |
wistra 2023, 2 |
wistra 2024, 298 |
NStZ-RR 2023, 279 |
Umsatzsteuer direkt digital 2023, 4 |
NZWiSt 2023, 463 |