Entscheidungsstichwort (Thema)
Formnichtigkeit der durch Telefax übermittelten Bürgschaftserklärung nach deutschem Recht. Formgültigkeit nach deutschem IPR
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Bürgschaftserklärung durch Telefax genügt nicht der Schriftform des BGB § 766 S. 1.
2. Bürgschaftsverträge, zu deren Gültigkeit nach deutschem Recht die schriftliche Erteilung der Bürgschaftserklärung erforderlich ist, können nach EGBGB Art 11 Abs. 2, 3 auch ohne diese Schriftlichkeit formgültig sein.
Orientierungssatz
1. Die Formbedürftigkeit der Bürgschaftserklärung hat ihren gesetzgeberischen Grund im Schutzbedürfnis des Bürgen, der zu größerer Vorsicht angehalten und vor nicht ausreichend überlegten Erklärungen gesichert werden soll. Dieser Schutzzweck verbietet eine Übertragung der Rechtsprechung zur Wahrung von Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen durch Einsatz fernmeldetechnischer Übertragungsmittel, unter anderem Telekopien, auf die Bürgschaft.
2. Zitierungen zu Leitsatz 1: Fortführung BGH, 1957-05-27, VII ZR 223/56, BGHZ 24, 297; Abgrenzung RG, 1929-11-04, VIII 350/29, RGZ 126, 121 und BGH, 1956-11-28, V ZR 77/55, WM IV 1957, 130; Bestätigung OLG Frankfurt, 1990-11-16, 24 U 236/89, NJW 1991, 2154.
Normenkette
BGB § 125 S. 1, § 766 S. 1; BGBEG Art. 11 Abs. 2-3
Verfahrensgang
KG Berlin (Entscheidung vom 30.09.1991; Aktenzeichen 2 U 1964/91) |
LG Berlin (Entscheidung vom 03.12.1990; Aktenzeichen 11 O 65/90) |
Tatbestand
Die Klägerin – eine Gesellschaft englischen Rechts mit Sitz in Gibraltar – schloß am 30. Juli 1989 in Malaga/Spanien mit der R. R. Textilvertriebs GmbH mit Sitz in Bayern (fortan: GmbH) – diese vertreten durch ihren Generalbevollmächtigten Olaf W. – eine handschriftliche Vereinbarung über die Lieferung von 3.000 Stück Jeans. Darin heißt es unter anderem:
„11). Die Verbindlichkeit der Firma R. R. gegenüber der Firma … (Klägerin) wird auf der Basis Lieferung 3.000 Jeans DM 28.– DM 84.000.– betragen.
Dieser Betrag ist zur Zahlung fällig nach 60 Tagen (bzw. 90 Tagen + 1 % auf Warenwert) ab Rechnungsdatum.
…
13). Als zusätzliche Sicherheit erfolgt Abgabe einer selbstschuldnerischen Bürgschaft des Herrn
… (Beklagter)
…”
Bereits am 28. Juli 1989 hatte der Notar Dr. H. in Berlin folgende Erklärung des Beklagten – Alleingesellschafters und -geschäftsführers der GmbH – beurkundet:
„Für die der … (Klägerin) – nachstehend ‚Gläubigerin’ genannt – gegenüber der … (GmbH) aus dem Verkauf von 3.000 Jeans … fob Casablanca, gemäß Pro-forma-Rechnung vom 01.07.1989 zustehende Forderung in Höhe von 84.000,– DM … übernehme ich die selbstschuldnerische Bürgschaft. …”
Mit Einverständnis des Beklagten übermittelte der Notar der Klägerin zu Händen ihres gesetzlichen Vertreters an dessen Wohnsitz in Malaga am 31. Juli 1989 eine Telekopie der beurkundeten Bürgschaftserklärung. Auf einem Briefbogen der Klägerin mit der Absenderangabe Gibraltar teilte deren Vertreter der GmbH unter dem Datum vom 1. August 1989 mit:
„Sehr geehrter Herr W.
Wir beziehen uns auf Ihren Besuch vom 27.-30.7.89 …
Die anstehenden Probleme wurden eingehend erörtert mit folgendem Resultat:
I. Unsere Gesellschaft hat zugestimmt die erste erteilte Order (wir bitten um umgehende Übersendung der Originalorder) – 3000 ca Jeans Mod. I00 = I.800 Teile, Mod. I0I = I.200 Teile anzunehmen, zu fertigen und zu beliefern – das Entsprechende wurde bereits veranlaßt.
2) die Pro-Formarechnung der … (Klägerin) vom 1.7.89 gilt als Bestätigung. …
3) Als Sicherheiten wurden seitens R. R. angeboten:
- Die selbstschuldnerische Bürgschaft des Alleingesellschafters … gemäß Notariatsakt … vom 28.7.89. (Mit Telefax vorab – wir bitten um Herreichung des Originals.) Die Bürgschaft ist angenommen.
- Vertrag zwischen R. R. und … (Klägerin) vom 30.7.89. Der Vertrag ist für R. R. rechtsverbindlich – … (Klägerin) behält sich Ratifizierung vor.
…”
In dem Schreiben der Klägerin vom 2. September 1989 an die GmbH heißt es:
„…
Was hat … (Klägerin) an Sicherheiten? Nach Hik-Hak-0000.
…
RR und Partner haben klare eindeutige Material-resp. Warenbestellungen in verbindlicher Form an … (Klägerin) bisher nicht gegeben. (Nachzuvollziehen) Notariatsakt Dr. H./… (Beklagter) überholt und ohnehin im Original nicht vorliegend. Handschriftlicher Vertrag vom 30.7.89 … (Klägerin)/R.-R. überholt, nicht ratifiziert – nicht ‚up to date’.
…
(Klägerin) wird Olaf W. nicht R.-R. einen Warenkredit limit. einräumen.
Ich erwarte IHRE Vorschläge vor Auslieferung der ersten I.800 Jeans. – oder gegen Sicherheit.
…”
Mit Schreiben vom 8. September 1989 antwortete die GmbH durch Olaf W.:
„… Hinsichtlich Modalitäten Lieferungen folgender Vorschlag:
Original-Bürgschaft bringe ich mit, Neu-Formulierung Vertrag aufbauend auf den ‚Terrassenvertrag’ nehmen wir gemeinsam in Casa vor.
…”
In der Folgezeit wurden von der Klägerin 2.813 Jeans zum Stückpreis von 28 DM übersandt und mit Rechnungen vom 8. und 17. Oktober 1989 mit insgesamt 78.764 DM zum Soll gestellt. Die GmbH zahlte nicht. Die Klägerin hat den Beklagten aus der Bürgschaft vom 28. Juli 1989 auf Zahlung von 79.551 DM (Rechnungsbetrag zzgl. 1 % Zinsen) nebst 4 % Zinsen ab Zustellung der Klageschrift in Anspruch genommen.
Die Klage hatte in beiden Tatsacheninstanzen Erfolg. Mit seiner Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.
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Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, auf die Rechtsbeziehungen der Parteien sei deutsches Recht anwendbar. Zwischen ihnen sei ein wirksamer Bürgschaftsvertrag zustande gekommen. Der Beklagte habe die Bürgschaftsübernahme für die Kaufpreisschuld der GmbH gemäß § 766 Satz 1, § 126 Abs. 3 BGB formwirksam erklärt. Er habe der Klägerin mit der Übersendung der Telekopie den Abschluß eines Bürgschaftsvertrages anbieten wollen. Dieses Angebot habe die Klägerin mit Schreiben vom 1. August 1989 angenommen. Zwar sei die Bürgschaft regelmäßig erst mit der Besitzübertragung der schriftlichen Urkunde erteilt. Doch könne das Zugehen einer Abschrift mit Wissen und Willen des Bürgen genügen. Die Lieferungen der Klägerin an die GmbH seien aufgrund des Vertrages vom 30. Juli 1989 erfolgt. Dem stehe nicht entgegen, daß die Klägerin in ihrem Schreiben vom 2. September 1989 die Ansicht geäußert habe, der Vertrag vom 30. Juli 1989 sei nicht mehr wirksam, weil unter anderem die Bürgschaftserklärung im Original nicht überreicht worden sei. Mangels anderweitiger Angaben der Parteien sei davon auszugehen, daß die Klägerin und die durch Olaf W. vertretene GmbH bei der Besprechung am 13. September 1989 den sogenannten Terrassenvertrag vom 30. Juli 1989 bestätigt hätten.
II.
Die Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Das Berufungsgericht hat die Klageforderung nach deutschem Recht beurteilt. Dies ist im Ergebnis grundsätzlich nicht zu beanstanden. Die Anwendung deutschen Rechts folgt – wenn es an einer Vereinbarung nach Art. 27 EGBGB fehlt – aus Art. 28 Abs. 1, 2, Art. 31 Abs. 1 EGBGB. Bei einem Bürgschaftsvertrag hat der Bürge die charakteristische Leistung zu erbringen. Bürge ist nach dem Klägervorbringen der Beklagte. Dieser hatte im Zeitpunkt der Beurkundung der Bürgschaftserklärung und in der Folgezeit seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Deshalb unterliegt – von Art. 11 Abs. 2, 3 EGBGB abgesehen – sowohl die Frage, ob zwischen den Parteien ein wirksamer Bürgschaftsvertrag zustande gekommen ist, als auch die Frage, welche Ansprüche der Klägerin aus einem solchen Vertrag zustehen, deutschem Recht. Dies entspricht der schon in der Klageschrift geäußerten Meinung der Klägerin. Ob darin, daß diese demzufolge den Klageanspruch auf Normen des deutschen Rechts gestützt und der Beklagte dem nicht widersprochen hat, mit dem Berufungsgericht die Wahl deutschen Rechts durch die Parteien zu sehen und dieses Recht deshalb bereits nach Art. 27 Abs. 1 Satz 1 EGBGB anzuwenden ist, erscheint nicht zweifelsfrei, bedarf aber keiner Entscheidung.
2. Nach deutschem Recht ist zwischen den Parteien ein wirksamer Bürgschaftsvertrag nicht zustande gekommen.
Die Übernahme einer Bürgschaft setzt nach § 766 Satz 1 BGB die schriftliche Erteilung der Bürgschaftserklärung voraus. Die Tatbestandsmerkmale des § 350 HGB, wonach die Bürgschaft der Form des § 766 BGB nicht bedarf, wenn sie auf der Seite des Bürgen ein Handelsgeschäft ist, liegen im Streitfall auf seiten des Beklagten ungeachtet seiner Eigenschaft als Alleingesellschafter und -geschäftsführer der GmbH nicht vor (vgl. BGH, Urt. v. 12. Mai 1986 – II ZR 225/85, WM 1986, 939; v. 17. Januar 1991 – IX ZR 170/90, WM 1991, 536).
Die Voraussetzungen des § 766 Satz 1 BGB sind nicht erfüllt. Der Beklagte hat zwar eine Bürgschaftserklärung notariell beurkunden lassen und mithin – da er die Urkunde eigenhändig unterzeichnet hat – sowohl nach § 126 Abs. 1 als auch nach § 126 Abs. 3 BGB die Schriftform gewahrt (vgl. RGZ 76, 191, 194 f; 142, 303, 307; Staudinger/Dilcher, BGB 12. Aufl. § 126 Rdn. 32). Es fehlt aber an einer formgerechten „Erteilung” dieser Erklärung. Schriftlich erteilt ist die Bürgschaftserklärung nicht bereits mit der Unterzeichnung des sie enthaltenden Schriftstücks. Der Begriff des Erteilens verlangt vielmehr eine Entäußerung gegenüber dem Gläubiger, indem die schriftliche Erklärung diesem – und sei es nur vorübergehend (vgl. BGH, Urt. v. 3. März 1976 – VIII ZR 209/74, WM 1976, 422, 423; v. 30. November 1977 – VIII ZR 69/76, WM 1978, 266, 267) – zur Verfügung gestellt wird (RGZ 61, 414, 415; RG WarnRspr 1909 Nr. 353; JW 1927, 38, 39; SeuffA 80 Nr. 82; HRR 1932 Nr. 1917; auch RG JW 1906, 558 = Gruchot 51, 181, 185 f; LZ 1918 Sp. 1067, 1068 – je zur Erteilung der Abtretungserklärung nach § 1154 BGB). Daran fehlt es.
a) Die Übermittlung des Urkundeninhalts an die Klägerin durch Telefax ist als schriftliche Erteilung der Bürgschaftserklärung nicht anzusehen.
Nach § 126 Abs. 1 BGB ist die durch Gesetz vorgeschriebene Schriftform nur gewahrt, wenn die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet wird. Eine Telekopie enthält keine eigenhändige Unterzeichnung. Die Unterschrift ist nur vom Original übernommen. Dieses bleibt beim Absender. Es entspricht auch nicht dem Sinn und Zweck des § 766 Satz 1 BGB, in der Übermittlung der Telekopie einer Bürgschaftserklärung deren schriftliche Erteilung zu sehen.
Die Formbedürftigkeit der Bürgschaftserklärung hat ihren gesetzgeberischen Grund im Schutzbedürfnis des Bürgen, der zu größerer Vorsicht angehalten und vor nicht ausreichend überlegten Erklärungen gesichert werden soll (vgl. Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch Bd. II S. 1295; BGHZ 24, 297, 301; BGH, Urt. v. 12. Januar 1984 – IX ZR 83/82, WM 1984, 199; v. 7. November 1985 – IX ZR 40/85, WM 1986, 95, 96; v. 2. Februar 1989 – IX ZR 99/88, WM 1989, 559, 560). Dieser Schutzzweck verbietet eine Übertragung der Rechtsprechung zur Wahrung von Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen durch Einsatz fernmeldetechnischer Übertragungsmittel – unter anderem Telekopien (vgl. BGH, Beschl. v. 11. Oktober 1989 – IVa ZB 7/89, WM 1989, 1820 m.w.N.; auch BVerfGE 74, 228, 235) – auf die Bürgschaft. Diese prozeßrechtliche Rechtsprechung findet ihre Rechtfertigung in dem Bestreben, den Rechtsuchenden – sofern dadurch die zuverlässige Feststellung von Inhalt und Rechtsverbindlichkeit der abgegebenen Erklärung sowie der Person des Erklärenden nicht in Frage gestellt wird – zur Wahrung ihrer Rechte die volle Ausnutzung der Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen auch unter Zuhilfenahme der modernen Nachrichtenübermittlungstechnik zu ermöglichen.
Diesem Gesichtspunkt erleichterter und schnellerer Kommunikation durch Gebrauchmachen von fernmeldetechnischen Übertragungsmitteln kann im materiellen Recht für die Erteilung einer Bürgschaftserklärung durch Nichtkaufleute keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden. Dem mit der Schriftform bezweckten Schutz vor Übereilung und unzureichender Folgenabwägung bei Übernahme einer Bürgschaft kommt heute im Vergleich zur Zeit der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches gewiß keine geringere, sondern eher eine vermehrte Bedeutung zu. Aus diesem Grund hat der Bundesgerichtshof es bereits im Jahre 1957 abgelehnt, in der Übermittlung eines Telegramms die Erteilung einer schriftlichen Bürgschaftserklärung zu sehen, und zwar – wegen des Umkehrschlusses aus § 127 Satz 2 BGB – auch dann, wenn das Aufgabeformular eigenhändig unterschrieben ist (BGHZ 24, 297, 302 m. Anm. Rietschel in LM BGB § 766 Nr. 2). Dies entspricht seitdem einhelliger Meinung (vgl. BGB-RGRK/Mormann, 12. Aufl. § 766 Rdn. 2; MünchKomm/Pecher, BGB 2. Aufl. § 766 Rdn. 10; Soergel/Hefermehl, BGB 12. Aufl. § 126 Rdn. 12 mit Fußn. 23; Staudinger/Horn aaO § 766 Rdn. 15). Für die Übermittlung einer Bürgschaft durch Telefax treffen die gleichen Erwägungen zu. Auch sie ist deshalb der Erteilung einer schriftlichen Bürgschaftserklärung nicht gleichzuachten und wird mithin dem Formerfordernis des § 766 Satz 1 BGB nicht gerecht (so auch OLG Frankfurt am Main WM 1991, 1714 f = NJW 1991, 2154 mit zustimmender Anm. Vollkommer in EWiR 1991, 973 f; Palandt/Heinrichs, BGB 52. Aufl. § 126 Rdn. 7; Schürmann NJW 1992, 3005, 3006; vgl. auch OLG Hamburg NJW 1990, 1613; OLG Hamm NJW 1991, 1185 m. Anm. Hensen in EWiR 1991, 123 f; Buckenberger DB 1980, 289, 291; Scherer/Rutke, Telekommunikation und Wirtschaftsrecht 1988 S. 139, 146; Tschentscher CR 1991, 141, 143; nicht ganz eindeutig Ebnet NJW 1992, 2985, 2989 f).
b) Das Berufungsgericht meint, es sei in Rechtsprechung und Lehre anerkannt, daß das Zugehen einer Abschrift mit Wissen und Wollen des Bürgen zur Annahme einer wirksamen Erteilung der Bürgschaft genügen könne, insbesondere dann, wenn das Original – wie hier – dem Bürgen entzogen bleibe. Da die Übermittlung des Urkundentextes durch Telefax der Übermittlung einer Abschrift gleichstehe und der Notar die Telekopie der Bürgschaftserklärung im Einvernehmen mit dem Beklagten an die Klägerin gesandt habe, habe der Beklagte sich seiner Bürgschaftserklärung wirksam entäußert. Dem ist nicht zu folgen.
Allerdings haben Reichsgericht und Bundesgerichtshof in Einzelfällen die Überlassung einer Abschrift der schriftlichen Bürgschaftserklärung zu deren Erteilung ausreichen lassen (RGZ 126, 121; BGH, Urt. v. 28. November 1956 – V ZR 77/55, LM BGB § 766 Nr. 1 = WM 1957, 130). Eine nähere Betrachtung der diesen Entscheidungen zugrundeliegenden Fallgestaltungen zeigt jedoch, daß nicht der Übermittlung einer Abschrift, vielmehr anderen Umständen die für die Annahme einer „Erteilung” entscheidende Bedeutung beizumessen ist.
In dem Urteil RGZ 126, 121 wurde gegenüber dem Kläger im Rahmen einer Sitzung des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft von den Mitgliedern des Aufsichtsrats zur Sicherung von Forderungen des Klägers gegen die Aktiengesellschaft in dem über die Sitzung aufgenommenen Protokoll die selbstschuldnerische Bürgschaft übernommen. Das Protokoll wurde unter anderem von dem beklagten Aufsichtsratsmitglied unterschrieben und von dem ebenfalls anwesenden Kläger mit dem Vermerk unterzeichnet, daß er mit dem Protokoll einverstanden sei. Dieses wurde „zu den Papieren der Aktiengesellschaft genommen”. Dem Kläger wurde entsprechend dem Willen und der Absicht aller Beteiligten mit Einschluß des Beklagten vom Vorstand der Aktiengesellschaft eine Abschrift erteilt. Das Reichsgericht hat angenommen, unter diesen Umständen sei die schriftliche Bürgschaftserklärung mit Willen des Beklagten in die Hand des Klägers gelangt und ihm zur Verfügung gestellt, also „erteilt” worden.
In dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28. November 1956, das jedoch weder in LM BGB § 766 Nr. 1 noch in WM 1957, 130 ff vollständig abgedruckt ist, hatte die Beklagte aus Anlaß eines dem Kläger von einem Dritten gemachten notariellen Angebots auf Abschluß eines Kaufvertrages über ein Grundstück zunächst zu Protokoll des Notars für den Fall des Zustandekommens des Vertrages die Übernahme einer selbstschuldnerischen Bürgschaft für die Kaufpreisschuld erklärt. Nachdem die Urkunde bereits von dem Notar verlesen und unter anderem von dem Kläger und der Beklagten unterschrieben worden war, wurde die Bürgschaftserklärung im Einverständnis der Beteiligten aus Gründen der Kostenersparnis wieder gestrichen und durch eine entsprechende privatschriftliche Bürgschaftserklärung der Beklagten ersetzt. Die Urschrift dieser Erklärung wurde dem Notar von der Beklagten ausgehändigt, damit er sie an den Kläger weiterreiche und ihm schon vorher – was er auch tatsächlich tat – eine Abschrift der Bürgschaftsurkunde aushändige. In diesem Geschehen hat der Bundesgerichtshof unter Hinweis auf RGZ 126, 121, 123 die Erteilung der schriftlichen Bürgschaftserklärung im Sinn des § 766 Satz 1 BGB gesehen, obwohl nicht festgestellt war, daß dem Kläger das Original der Bürgschaftserklärung später übermittelt worden ist.
Diesen Entscheidungen kann ungeachtet ihres Wortlauts, der die Erteilung von Abschriften in den Vordergrund zu stellen scheint, nicht entnommen werden, daß in der Übermittlung einer Abschrift anstelle der Urschrift die Erteilung einer schriftlichen Bürgschaftserklärung liegen kann (vgl. aber das obiter dictum in BGH, Urt. v. 18. März 1968 – VIII ZR 198/66, NJW 1968, 1131, 1132; Soergel/Mühl, BGB 11. Aufl. § 766 Rdn. 1; Staudinger/Horn aaO § 766 Rdn. 17). Bereits in der Entscheidung RG Gruchot 51, 181, 185 f wurde betont, die Erteilung einer Abtretungserklärung nach § 1154 BGB könne auch darin liegen, daß der Zedent sich der schriftlichen Abtretungserklärung dem Zessionar gegenüber entäußert, indem er sie in dessen Gegenwart dem Notar übergibt in der erkennbaren Absicht, sich damit der Verfügung darüber zugunsten des Zessionars zu begeben und sie diesem einzuräumen. Wendet man diesen Gedanken wegen der grundsätzlichen Vergleichbarkeit von § 766 Satz 1 und § 1154 Abs. 1 Satz 1 BGB (vgl. dazu RG SeuffA 80 Nr. 82) auf die wiedergegebenen Urteile an, so wird deutlich, daß die Voraussetzungen einer Erteilung der schriftlichen Bürgschaftserklärung in beiden Fällen auch ohne die Übermittlung einer Abschrift hätte angenommen werden können und daß dieser lediglich die Bedeutung eines Beweismittels für den auf andere Weise wirksam zustande gekommenen Bürgschaftsvertrag beizumessen ist (vgl. in diesem Zusammenhang BGH, Urt. v. 14. November 1991 – IX ZR 20/91, WM 1992, 177, 180; Palandt/Thomas aaO § 766 Rdn. 1; nicht ganz eindeutig MünchKomm/Pecher aaO § 766 Rdn. 17).
Zumindest lassen die Entscheidungen RGZ 126, 121 und BGH, Urt. v. 28. November 1956 erkennen, daß die Übermittlung einer Abschrift allein, d. h. ohne eine Entäußerung der Urschrift zugunsten des Gläubigers, zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 766 Satz 1 BGB nicht ausreicht.
Im Streitfall kann von einer Entäußerung der Urschrift der Bürgschaftserklärung zugunsten der Klägerin nicht die Rede sein. Der Beklagte hat die Bürgschaftserklärung in Abwesenheit eines Vertreters der Klägerin beurkunden lassen und hat die Niederschrift der Klägerin weder in Urschrift noch in Ausfertigung, die die Urschrift im Rechtsverkehr regelmäßig vertritt (§§ 45, 47 BeurkG), jemals zur Verfügung gestellt. Er hat dem Notar lediglich den Auftrag erteilt, der Klägerin eine Telekopie der Niederschrift zukommen zu lassen, ihn aber nicht zur Übermittlung einer Ausfertigung an die Klägerin ermächtigt oder in sonstiger Weise zu deren Gunsten eingeschaltet. Unter diesen Umständen ist den Voraussetzungen des § 766 Abs. 1 BGB nicht Genüge getan (vgl. auch Staudinger/Dilcher aaO § 130 Rdn. 26).
3. Der Beklagte verstößt nicht gegen Treu und Glauben, wenn er seiner Inanspruchnahme durch die Klägerin die Formunwirksamkeit der Bürgschaftserklärung entgegenhält. Ein Formmangel kann – um einer Aushöhlung der Formvorschriften des bürgerlichen Rechts vorzubeugen – nur ausnahmsweise wegen unzulässiger Rechtsausübung unbeachtlich sein (vgl. BGHZ 26, 142, 151; BGH, Urt. v. 27. Mai 1957 – VII ZR 223/56, NJW 1957, 1275, 1276 – insoweit in BGHZ 24, 297 n. abgedr.; v. 17. Januar 1991 – IX ZR 170/90, WM 1991, 536, 537). Ein solcher Ausnahmefall kann vorliegen, wenn eine Partei, die längere Zeit aus dem nichtigen Vertrag Vorteile gezogen hat, sich unter Berufung auf den Formmangel ihrer Verpflichtung entziehen will. Dabei kommt auch ein mittelbarer Vorteil, den ein Gesellschafter durch Leistung an die Gesellschaft erlangt, als Anknüpfungspunkt für treuwidriges Verhalten in Betracht (BGHZ 26, 142, 151; Urt. v. 12. Mai 1986 aaO WM 1986, 939, 940). Voraussetzung ist jedoch, daß der Leistende den Vorteil im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrages erbringt. Hat er aus der Sicht des anderen Vertragsteils im Zeitpunkt der Leistung nicht auf die Einhaltung des Formerfordernisses vertraut, so liegt in der späteren Geltendmachung der Unwirksamkeit kein Rechtsmißbrauch.
Die Klägerin hat sich darauf berufen, sie habe den Liefervertrag mit der GmbH nur im Vertrauen auf das Zustandekommen des Bürgschaftsvertrages geschlossen. Allein der Abschluß des Liefervertrages räumte der GmbH und mittelbar dem Beklagten indes keine das Vertrauen der Klägerin in Anspruch nehmende vorteilhafte Position ein. Da die Erteilung der Bürgschaft als Sicherungsmittel im Liefervertrag vereinbart war, konnte die Klägerin ohne weiteres die Erfüllung der ihr obliegenden Verpflichtung bis zur Übermittlung einer formwirksamen Bürgschaftserklärung verweigern. Erst mit der Warenlieferung selbst erhielt die GmbH den erstrebten Vorteil. Zu diesem Zeitpunkt brauchte der Beklagte jedoch nicht mehr davon auszugehen, daß die Leistungsbereitschaft der Klägerin auf ihrem Vertrauen auf die Wirksamkeit der Bürgschaft beruhte. In dem Schreiben vom 2. September 1989 hatte sie unter anderem ausgeführt, der notarielle Akt sei überholt und liege ohnehin im Original nicht vor. Aufgrund dieser Äußerung bestand für den Beklagten mangels anderer Anhaltspunkte kein Anlaß, irgendwelchen Mißverständnissen über die Einhaltung des Schriftformerfordernisses zu begegnen. Dem Beklagten ist deshalb mit Rücksicht auf die Entgegennahme der Lieferungen durch die GmbH nicht der Vorwurf treuwidrigen Verhaltens zu machen, wenn er sich auf die Formunwirksamkeit der Bürgschaft beruft. Für diesen Vorwurf bietet auch die nach der Behauptung der Klägerin am 12. Dezember 1989 vom Beklagten fernmündlich abgegebene Erklärung, zu seiner Bürgschaft stehen zu wollen, keine geeignete Grundlage. Die Klägerin ist dadurch zu Leistungen an die GmbH nicht veranlaßt worden, denn die Lieferungen waren damals bereits erfolgt.
4. Eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung im Sinn des § 826 BGB ist dem Beklagten ebenfalls nicht anzulasten. Dazu fehlt es an einem hinreichenden Vortrag der Klägerin. Ihre Vermutung, der Beklagte habe sie durch die Übermittlung der Fernkopie über die Erteilung der Bürgschaft betrügerisch getäuscht, reicht nicht aus.
Nach alledem kann die Klage mit der Begründung des Berufungsgerichts keinen Erfolg haben.
5. Gleichwohl ist der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif.
In den Fällen, in denen ein Vertrag zwischen Personen geschlossen wird, die sich in verschiedenen Staaten befinden, ist dieser auch dann formgültig, wenn er die Formerfordernisse eines dieser Staaten erfüllt (Art. 11 Abs. 2 EGBGB). Wird der Vertrag – wie hier – durch einen Vertreter geschlossen, so ist der Staat maßgebend, in dem sich der Vertreter befindet (Art. 11 Abs. 3 EGBGB). Zu den Verträgen im Sinn dieser Vorschriften gehören auch nach § 766 Satz 1 BGB formbedürftige Bürgschaftsverträge (v. Bar, Internationales Privatrecht Zweiter Band Rdn. 605; MünchKomm/Spellenberg aaO Art. 11 EGBGB Rdn. 65). Zwar verlangt § 766 Satz 1 BGB nur die schriftliche Erteilung der Bürgschaftserklärung, nicht auch die schriftliche Vertragserklärung des Gläubigers. Gleichwohl fordert die Bestimmung jene Schriftlichkeit für die Gültigkeit des Bürgschaftsvertrages (RGZ 62, 379, 381), so daß dieser einer bestimmten Form unterliegt. Art. 34 EGBGB steht einer Anwendung von Art. 11 Abs. 2, 3 EGBGB in keinem Fall entgegen. Die erstgenannte Bestimmung bezieht sich nach ihrem mit dem Willen des Gesetzgebers übereinstimmenden Wortlaut (vgl. BTDrucks. 10/504 S. 43) – insoweit bewußt abweichend von der weitergehenden Sonderanknüpfung in Art. 7 Abs. 2 des EG-Schuldvertragsübereinkommens (vgl. BT-Drucks. 10/503 S. 63 zu Nr. 4) – allein auf den Ersten Unterabschnitt des Fünften Abschnitts des Zweiten Kapitels EGBGB und damit nicht auf Art. 11, der zum Zweiten Abschnitt dieses Kapitels gehört.
Ob ein Bürgschaftsvertrag zwischen den Parteien nach dem Recht des Staates, in dem sich der gesetzliche Vertreter der Klägerin befand, als er die ihm durch Telekopie übermittelte Bürgschaftserklärung annahm, formgültig zustande gekommen ist, hat das Berufungsgericht – von seinem Standpunkt aus zutreffend – nicht geprüft. Die Parteien haben sich zu dieser Frage bislang nicht geäußert.
Es erscheint deshalb geboten, die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
III.
Bei der erneuten Verhandlung wird das Berufungsgericht gegebenenfalls auch auf die weiteren Angriffe der Revision gegen das Berufungsurteil, insbesondere gegen die Wertung des Schreibens der Klägerin vom 2. September 1989, einzugehen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 542293 |
BGHZ, 121, 224 |
BGHZ, 224 |
BB 1993, 749 |
NJW 1993, 1126 |
ZIP 1993, 424 |
DNotZ 1994, 440 |
JZ 1993, 1005 |
JuS 1993, 598 |
ZBB 1993, 118 |
IPRspr. 1993, 24 |