Entscheidungsstichwort (Thema)
Verursacherprinzip bei fehlerhafter Steuerberatung und Verzicht auf gebotene Weiterberatung
Leitsatz (amtlich)
Verletzt der steuerliche Berater seine Aufklärungspflicht, so überwiegt in der Regel sein Haftungsanteil gegenüber dem Mitverschulden des Mandanten, der nach Vertragsende keinen weiteren, objektiv gebotenen steuerlichen Rat einholt.
Normenkette
BGB § 254 Abs. 1, § 675; StBerG § 33
Verfahrensgang
KG Berlin (Urteil vom 25.11.1992; Aktenzeichen 24 U 6743/91) |
LG Berlin (Urteil vom 25.04.1990; Aktenzeichen 23 O 377/89) |
Tatbestand
Der Kläger hat vom beklagten Steuerberater Schadensersatz verlangt, weil der Beklagte ihn bei Gründung einer Stiftung im Jahre 1986 fehlerhaft beraten habe (vgl. Senatsurteil vom 7. November 1991 – IX ZR 288/90, WM 1992, 238).
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Kammergericht hat eine Haftung des Beklagten dem Grunde nach bejaht, dem Kläger jedoch wegen eines überwiegenden Mitverschuldens nur Ersatz von 1/4 seines Schadens von 347.584 DM zuerkannt. Mit seiner Revision begehrt der Kläger, soweit der Senat sie angenommen hat, weiteren Ersatz bis zu 3/5 seines Schadens.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg.
I.
1. Nach den unbeanstandeten Feststellungen des Berufungsgerichts haftet der Beklagte, weil er den Kläger vertragswidrig und fahrlässig nicht auf die Steuervergünstigung hingewiesen hat, die sich beim Einbringen des Stiftungskapitals als Durchlaufspende ergeben hätte.
2. Das Berufungsgericht hat jedoch angenommen, der Kläger habe seinen Schaden überwiegend selbst verschuldet, und ausgeführt: Der Kläger hätte die Unterlagen, die der Beklagte ihm im Juni 1986 überreicht habe, gründlich durchlesen und insbesondere wegen möglicher Steuerersparnisse bei diesem rückfragen müssen. Nachdem der Beklagte die Beratung im Oktober 1986 eingestellt gehabt habe, habe der Kläger keinen weiteren steuerlichen Rat eingeholt, obwohl in der entscheidenden Phase bis Ende 1986 die Stiftung errichtet und das Stiftungskapital eingebracht werden sollten; bei der gebotenen Beauftragung eines weiteren Steuerberaters wäre der Kläger darauf hingewiesen worden, daß die Erstausstattung der Stiftung im Wege der Durchlaufspende einen Steuervorteil auslöse. Ferner habe der Kläger damals nicht die Möglichkeit genutzt, die erstrebte Steuervergünstigung durch Spenden an andere gemeinnützige Einrichtungen zu erzielen. Die Abwägung der beiderseitigen Schadensbeiträge ergebe eine deutlich überwiegende Mitverantwortung des Klägers für seinen Schaden, die mit 75 % zu bewerten sei. Dafür sei vor allem maßgeblich, daß der Kläger in vielfacher Hinsicht vorwerfbar Verursachungsbeiträge gesetzt habe; demgegenüber falle dem Beklagten lediglich eine nicht deutlich genug vorgenommene Aufklärung zur Last.
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
1. a) Erfolglos beanstandet die Revision die rechtsfehlerfreie und daher bindende Feststellung des Berufungsgerichts, daß der Kläger an der Schadensentstehung insoweit schuldhaft mitgewirkt hat (§ 254 Abs. 1 BGB), als er nach Beendigung seines Beratungsvertrages mit dem Beklagten im Oktober 1986 keinen weiteren steuerlichen Rat bis zur Vollendung des Stiftungsvorhabens eingeholt hat.
b) Zu Recht wendet sich die Revision jedoch dagegen, daß das Berufungsgericht aus weiteren Gründen ein Mitverschulden des Klägers angenommen hat.
aa) Ein schuldhafter Schadensbeitrag des Klägers entfällt, soweit das Berufungsgericht ihm vorgeworfen hat, er habe die vom Beklagten im Juni 1986 überreichten Unterlagen – einschließlich des Aufsatzes des Prof. Dr. Schulze-Osterloh betreffend „Steuerliche Aspekte der Gemeinnützigkeit” – gründlich durchlesen und insbesondere wegen möglicher Steuerersparnisse beim Beklagten rückfragen müssen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts vermochte der fachunkundige Kläger diesen Unterlagen nicht eindeutig zu entnehmen, daß die Erstausstattung einer Stiftung als Durchlaufspende gestaltet werden konnte, und wußte wegen fehlender Beratung des Beklagten nicht, daß nur auf diese Weise die Zuwendung des Stiftungskapitals zu einer Einkommensteuerersparnis führte. An dieser Unkenntnis des Klägers konnte auch ein gründliches Studium der überreichten Unterlagen nichts ändern. Er brauchte beim Beklagten nicht wegen möglicher Steuervergünstigungen nachzufragen, da der Kläger, solange sein Beratungsvertrag mit dem Beklagten bestand, darauf vertrauen durfte, dieser werde ihn ungefragt über alle bedeutsamen steuerlichen Einzelheiten belehren (vgl. Senatsurteil vom 7. November 1991 – IX ZR 288/90 aaO 239).
bb) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist dem Kläger auch kein Mitverschulden vorzuwerfen, weil er nicht Ende 1986 anderen gemeinnützigen Einrichtungen – über die gespendeten 1.002.930 DM hinaus – weitere 1.769.551,70 DM zugewendet hat, die von seinen Gesamteinkünften im Jahre 1986 bis zur Höchstgrenze des § 10 b EStG steuerlich absetzbar waren und zu einer Steuerersparnis in Höhe der Klageforderung geführt hätten.
Der Kläger hätte, um sich die volle Vergünstigung des § 10 b EStG zur Minderung seiner Einkommensteuerschuld für das Jahr 1986 zu sichern, den anderweitigen Spendeneinsatz nur dann in Betracht ziehen müssen, wenn er gewußt hätte, daß die im Jahre 1986 beabsichtigte und vorgenommene Einbringung des Stiftungskapitals, die nach seinem unwiderlegten Vorbringen die restliche Steuerersparnis herbeiführen sollte, ohne Einhaltung des Durchlaufspendeverfahrens nicht zu diesem Ziel führen konnte. Das war aber nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht der Fall.
2. Danach entfällt die Grundlage für die tatrichterliche Abwägung der Schadensbeiträge der Parteien (§ 287 ZPO). Das Berufungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß der Kläger in vielfacher Hinsicht seinen Schaden selbst verschuldet hat. Gegeneinander abzuwägen sind nur die vertragswidrige, fahrlässige Unterlassung des Beklagten, den Kläger darüber aufzuklären, daß er den Steuervorteil zur Minderung seiner Einkommensteuerschuld für 1986 mit dem Einbringen des Stiftungsvermögens nur im Wege der Durchlaufspende erreichen konnte, und das fahrlässige Mitverschulden des Klägers, der nach dem Ende seines Beratungsvertrages mit dem Beklagten nicht für die notwendige weitere Steuerberatung zur Vollendung des Stiftungsvorhabens gesorgt hat. Da für die Abwägung alle tatsächlichen Umstände geklärt sind, kann der Senat sie selbst vornehmen (vgl. BGH, Urteil vom 30. September 1982 – III ZR 110/81, NJW 1983, 622, 623; v. 25. Juni 1991 – X ZR 103/89, BGHR BGB § 254 Abs. 1 – Werkvertrag 1; v. 12. Januar 1993 – X ZR 87/91, NJW 1993, 1191, 1192).
Bei der Haftungsverteilung nach § 254 BGB ist entscheidend darauf abzustellen, ob das Verhalten des Schädigers oder des Geschädigten den Schadenseintritt in wesentlich höherem Maße wahrscheinlich gemacht hat (BGH, Urteil vom 12. Juli 1988 – VI ZR 283/87, BGHR BGB § 254 Abs. 1 – Abwägung 1; v. 21. Dezember 1989 – IX ZR 234/88, BGHR BGB § 254 Abs. 1 – Abwägung 3, jeweils m.w.N.).
Den wesentlich größeren Schadensbeitrag hat der Beklagte geleistet. Er hätte den Kläger frühzeitig darüber aufklären können und müssen, daß dieser bei der Erstausstattung einer Stiftung im Wege einer Durchlaufspende einen Steuervorteil erreichen könne, weil dies für die Entscheidung des Klägers über die günstigste Vermögensanlage bedeutsam und die Einrichtung einer staatlichen Durchlaufstelle zeitraubend waren (Senatsurteil vom 7. November 1991 – IX ZR 288/90 aaO 239 f). Nach einer solchen Belehrung wäre der Kläger problembewußt gewesen und hätte es deswegen aus seiner Sicht nahegelegen, nach dem Wegfall der Beratung des Beklagten auch zur Erlangung einer solchen Steuerersparnis weiteren fachkundigen Rat einzuholen.
Mit Rücksicht darauf ergibt die Abwägung der wechselseitigen Schadensbeiträge, daß der Beklagte 3/5 des Schadens zu ersetzen und der Kläger seinen weiteren Schaden selbst zu tragen haben.
Fundstellen