Rn 32
Die dem Kapitalersatzrecht zugrunde liegende Annahme, dass nur von einem Darlehen negative Wirkungen für die Gläubigergesamtheit ausgehen, stellt in mehrfacher Hinsicht eine (grobe) Typisierung dar. Daher stellt sich hier – ebenso wie im Rahmen des persönlichen Anwendungsbereichs des Kapitalersatzrechts – die Frage, inwieweit die typisierende Sichtweise einer Korrektur im Hinblick auf den Normzweck – nämlich den Gläubigerschutz – bedarf.
3.3.1 Erweiterungen des sachlichen Anwendungsbereichs
Rn 33
In sachlicher Hinsicht bezieht § 135 in erster Linie, aber nicht nur Darlehensforderungen in den Anwendungsbereich des Kapitalersatzrechts ein. Ausdrücklich stellt § 135 auch auf "gleichgestellte Forderungen" ab. Was sich dahinter verbirgt, ist mit Hilfe des § 32a Abs. 3 Satz 1 GmbHG zu konkretisieren. Die Vorschrift will Umgehungen des Kapitalersatzrechts in der Praxis verhindern und bezieht in den sachlichen Anwendungsbereich des Kapitalersatzrechts alle solchen Gesellschafterleistungen mit ein, die der Darlehensgewährung "wirtschaftlich" entsprechen. Diese Wertung ist auch im Rahmen des § 135 zu beachten. Was sich freilich hinter dem Schlagwort "wirtschaftliche Vergleichbarkeit" verbirgt, ist nicht ganz eindeutig. Da das Kapitalersatzrecht ein Instrument des Gläubigerschutzes ist, liegt es nahe im Rahmen der Vergleichbarkeit auf Gläubigerschutzgesichtspunkte abzustellen. Hat also eine Gesellschafterleistung ebenso "negative Folgen" für die Gesellschaftsgläubiger wie eine Darlehenshingabe, dann muss der Gesellschafter hierfür – ebenso wie für die Gewährung des Darlehens – eine (Folgen-)Verantwortung übernehmen.
3.3.1.1 Gesellschafterleistungen mit Kreditfunktion
Rn 34
Eine wirtschaftliche Vergleichbarkeit – im Hinblick auf den Normzweck des Kapitalersatzrechts – liegt insbesondere bei solchen Gesellschafterleistungen nahe, die – ähnlich wie die Darlehensgewährung – Kreditfunktion haben, d.h. die Liquidität der Gesellschaft stützen und damit letztlich einen Beitrag zur Unternehmensfortführung leisten. Hierzu zählt etwa der Fall, dass der Gesellschafter der Gesellschaft außerhalb der Krise ein Darlehen gewährt, das in der Krise fällig wird und die Vertragsparteien in der Krise der Gesellschaft eine Stundungsabrede treffen. Gleiches gilt, wenn der Gesellschafter – auch ohne ausdrückliche Stundungsvereinbarung – das Darlehen in der Krise einfach stehen lässt, d.h. nicht geltend macht. Stehen lassen in diesem Sinne kann der Gesellschafter nicht nur Ansprüche auf Darlehensrückzahlung, sondern auch Gewinne, Abfindungsguthaben, Gehaltsansprüche oder Forderungen aus sonstigen Geschäften mit der Gesellschaft. Freilich wird man von einem Stehenlassen in diesen Fällen nur dort sprechen können, wo das Belassen der Hilfe über die jeweils verkehrsüblichen Gepflogenheiten hinausgeht (Höchstfrist in alle Regel aber drei Wochen). Der Darlehensgewährung vergleichbar ist auch eine geleistete stille Beteiligungen; denn der (typische) stille Gesellschafter nimmt nach § 236 HGB mit seiner den Anteil am Verlust übersteigenden Einlage als gewöhnlicher Insolvenzgläubiger an der Insolvenz der Gesellschaft teil. Damit unterscheidet sich die typische stille Einlage – wirtschaftlich gesehen – nicht von einem Kredit. Eine vergleichbare Kreditfunktion wie die Darlehensgewährung hat auch das unechte Factoring, bei dem der Gesellschafter zwar eine Forderung der Gesellschaft erwirbt, jedoch nicht das Risiko der Verwirklichung der Forderung trägt. Gleiches gilt auch, wenn die Mittel einem Treuhandkonto zugeführt werden, das der Treuhänder für die GmbHG führt. Teilweise wird die Ansicht vertreten, dass im Einzelfall auch eine in der Krise gegebene "bindende Hilfszusage" eine dem Darlehen vergleichbare Gesellschafterleistung darstellt. Mit der Grundannahme, dass das Kapitalersatzrecht lediglich ein Abzugsverbot nicht aber ein Zuführungsgebot statuiert, ist dies freilich kaum vereinbar. Richtiger Ansicht nach können derartige Zusagen allenfalls unter dem Aspekt des gewillkürten Eigenkapitals (siehe oben Rn. 10) erfasst werden.
Rn 35
Die Ausdehnung des sachlichen Anwendungsbereichs des Kapitalersatzrechts auf andere Gesellschafterleistungen mit Kreditfunktion entbindet freilich nicht davon, die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen des "Grundtatbestands" (siehe oben Rn. 15 ff.) sorgsam zu prüfen. In den Fällen des "Stehenlassens" ist dabei auf das Tatbestandsmerkmal der Finanzierungsentscheidung (siehe oben Rn. 20 ff.) besonderes Augenmerk zu legen. Das betrifft sowohl die objektive als auch die subjektive Seite des Tatbestandsmerkmals. Während in den Fällen der aktiven Kreditgewährung kaum fraglich sein kann, dass dem Gesellschafter die Handlungsalternativen (Fortführung und Liquidation) objektiv zur Verfügung ...