Rn 54
Durch eine sog. Einzelermächtigung räumt das Gericht in einem Beschluss dem schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter die Möglichkeit ein, Masseverbindlichkeiten zu begründen. Die Notwendigkeit hierzu besteht insbesondere in Fällen, in denen vorübergehend keine ausreichende Liquidität zur unmittelbaren Befriedigung zur Verfügung steht. Die Qualifizierung als Masseverbindlichkeit führt zu einer sehr weitgehenden Absicherung. Die Forderung ist im eröffneten Verfahren vorrangig zu berichtigen (§ 53) und für den Fall, dass die Forderung nicht voll aus der Masse erfüllt werden kann, gewährt § 61 einen Ausgleichsanspruch gegen den vorläufigen Insolvenzverwalter. Tritt jedoch während des Eröffnungsverfahrens Masseunzulänglichkeit ein, gilt die Rangfolge des § 209 Abs. 1 mit der Folge, dass sämtliche Verfahrenskosten und Masseverbindlichkeiten, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, vorrangig zu befriedigen sind.
Rn 55
Die Einzelermächtigung findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 21 Abs. 1, 22 Abs. 2 und ist durch die Rechtsprechung des BGH ausgeformt worden. Demnach kann eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 2 nur von dem vorläufigen Verwalter, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen ist, begründet werden. Das Insolvenzgericht kann aber den vorläufigen Insolvenzverwalter auch ohne begleitendes allgemeines Verfügungsverbot dazu ermächtigen, einzelne, im Voraus genau festgelegte Verpflichtungen zu Lasten der späteren Insolvenzmasse einzugehen, soweit dies für eine erfolgreiche Verwaltung nötig ist. Für eine solche Einzelermächtigung müssen zunächst die allgemeinen Anordnungsvoraussetzungen für vorläufige Maßnahmen nach § 21 Abs. 1 vorliegen, mithin insbesondere: zulässiger Insolvenzantrag, Gefährdung des Schuldnervermögens und Verhältnismäßigkeit (vgl. die Kommentierung bei § 21 Rdn. 5 ff.). Hinzu kommen die besonderen Anordnungsvoraussetzungen, die sich aus der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und im Hinblick auf die Notwendigkeit einer klaren Abgrenzung von Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten ergeben:
- hinreichende Bestimmtheit der einzugehenden Verpflichtungen im Voraus,
- Notwendigkeit zur Begründung der Masseverbindlichkeit für eine erfolgreiche Verwaltung,
- Praktikabilität,
- Erfüllbarkeit nach Verfahrenseröffnung.
Bei der Erteilung der Einzelermächtigungen muss das Gericht sicherstellen, dass zum einen die Steuerung des Ablaufs des Eröffnungsverfahrens nicht auf den Verwalter übertragen wird und zum anderen die Vertragspartner hinreichend geschützt sind. Unter Umständen kann daher eine Verbindung mit einem besonderen Verfügungsverbot (s. o. Rdn. 47) sinnvoll sein, zwingend erforderlich ist diese jedoch im Regelfall nicht, da die Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts einen ausreichenden Masseschutz gewährleistet.
Rn 56
Wie bei den anderen vorläufigen Maßnahmen des § 21 tritt die Wirksamkeit der Einzelermächtigung erst mit ihrem Erlass ein (vgl. die Kommentierung zu § 21 Rdn. 106). Folglich ist auch keine nachträgliche Ermächtigung möglich. Versäumt es der vorläufige Verwalter, im Voraus eine Einzelermächtigung zu beantragen, so kann das Insolvenzgericht ihm nicht gestatten, im Nachhinein im Wege des Treuhandkontenmodells (s. u. 62) ein Aus- oder Absonderungsrecht zu Gunsten des Gläubigers der betroffenen Verbindlichkeit zu schaffen. Auch Ermächtigungen zur Umgestaltung einer bereits entstandenen Verbindlichkeit, zum Anerkenntnis einer streitigen Insolvenzforderung oder zum Verzicht auf die Geltendmachung der Forderung sind als insolvenzzweckwidrige Umgehungen unzulässig.
Adressat der Ermächtigung ist in einem Regelinsolvenzverfahren nur der vorläufige Verwalter, nicht jedoch der Schuldner. Die einzige Ausnahme bildet die vorläufige Eigenverwaltung. Bei ihr werden Einzelermächtigungen dem eigenverwaltenden Schuldner erteilt.
Rn 57
Die hinreichende Bestimmtheit und mithin klare Abgrenzbarkeit der Masseverbindlichkeiten verbietet grundsätzlich jede Art von Pauschalermächtigung. Gleichwohl besteht ein praktisches Bedürfnis einer gewissen Flexibilität des vorläufigen Verwalters, denn das Gericht kann nicht jedes kleinste Detail regeln. Wenn daher sichergestellt ist, dass die Kontrollpflicht des Gerichts nicht ausgehebelt wird, kann die Ermächtigung allgemeiner gehalten werden. Unabdingbar ist jedoch, dass jederzeit klar abgrenzbar ist, welche Verpflichtungen eine Masseverbindlichkeit darstellen. Für die Beteiligten muss die Reichweite der Ermächtigung klar erkennbar sein.
So kann eine Projektermächtigung, bspw. zur Durchführung eines bestimmten Bauvorhabens ("alle Lieferungen und Leistungen für das Bauvorhaben X bis zur Höhe von… EUR"), zulässig sein. Notwendig ist aber, dass sich der Umfang der Ermächtigung aus der Baubeschreibung, o.ä. ermitteln lässt. Weiterhin kommt eine Bündelermächtigung in Betracht, bei der eine ganze Reihe von Einzelermächtigungen in einem B...